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ein neues Rennen anfangen und ein ernsthaftes nach diesem Kinderspiel.
Vielen Damen scheint der Sieger lächerlich, weil er sich aufbläht und
doch nicht weiß, was anzufangen mit dem ewigen Händeschütteln,
Salutieren, Sich-Niederbeugen und In-die-Ferne-Grüßen, während die
Besiegten den Mund geschlossen haben und die Hälse ihrer meist
wiehernden Pferde leichthin klopfen.
Endlich fängt es gar aus dem trüb gewordenen Himmel zu regnen an.


Das Gassenfenster

Wer verlassen lebt und sich doch hie und da irgendwo anschließen möchte,
wer mit Rücksicht auf die Veränderungen der Tageszeit, der Witterung,
der Berufsverhältnisse und dergleichen ohne weiteres irgend einen
beliebigen Arm sehen will, an dem er sich halten könnte, -- der wird es
ohne ein Gassenfenster nicht lange treiben. Und steht es mit ihm so, daß
er gar nichts sucht und nur als müder Mann, die Augen auf und ab
zwischen Publikum und Himmel, an seine Fensterbrüstung tritt, und er
will nicht und hat ein wenig den Kopf zurückgeneigt, so reißen ihn doch
unten die Pferde mit in ihr Gefolge von Wagen und Lärm und damit endlich
der menschlichen Eintracht zu.


Wunsch, Indianer zu werden

Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden
Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem
zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen,
bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land
vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und
Pferdekopf.


Die Bäume

Denn wir sind wie Baumstämme im Schnee. Scheinbar liegen sie glatt auf,
und mit kleinem Anstoß sollte man sie wegschieben können. Nein, das kann
man nicht, denn sie sind fest mit dem Boden verbunden. Aber sieh, sogar
das ist nur scheinbar.


Unglücklichsein

Als es schon unerträglich geworden war -- einmal gegen Abend im November
-- und ich über den schmalen Teppich meines Zimmers wie in einer
Rennbahn einherlief, durch den Anblick der beleuchteten Gasse
erschreckt, wieder wendete, und in der Tiefe des Zimmers, im Grund des
Spiegels doch wieder ein neues Ziel bekam, und aufschrie, um nur den
Schrei zu hören, dem nichts antwortet und dem auch nichts die Kraft des
Schreiens nimmt, der also aufsteigt, ohne Gegengewicht, und nicht
aufhören kann, selbst wenn er verstummt, da öffnete sich aus der Wand
heraus die Tür, so eilig, weil doch Eile nötig war und selbst die
Wagenpferde unten auf dem Pflaster wie wildgewordene Pferde in der
Schlacht, die Gurgeln preisgegeben, sich erhoben.
Als kleines Gespenst fuhr ein Kind aus dem ganz dunklen Korridor, in dem
die Lampe noch nicht brannte, und blieb auf den Fußspitzen stehn, auf
einem unmerklich schaukelnden Fußbodenbalken. Von der Dämmerung des
Zimmers gleich geblendet, wollte es mit dem Gesicht rasch in seine
Hände, beruhigte sich aber unversehens mit dem Blick zum Fenster, vor
dessen Kreuz der hochgetriebene Dunst der Straßenbeleuchtung endlich
unter dem Dunkel liegen blieb. Mit dem rechten Ellbogen hielt es sich
vor der offenen Tür aufrecht an der Zimmerwand und ließ den Luftzug von
draußen um die Gelenke der Füße streichen, auch den Hals, auch die
Schläfen entlang.
Ich sah ein wenig hin, dann sagte ich »Guten Tag« und nahm meinen Rock
vom Ofenschirm, weil ich nicht so halb nackt dastehen wollte. Ein
Weilchen lang hielt ich den Mund offen, damit mich die Aufregung durch
den Mund verlasse. Ich hatte schlechten Speichel in mir, im Gesicht
zitterten mir die Augenwimpern, kurz, es fehlte mir nichts, als gerade
dieser allerdings erwartete Besuch.
Das Kind stand noch an der Wand auf dem gleichen Platz, es hatte die
rechte Hand an die Mauer gepreßt und konnte, ganz rotwangig, dessen
nicht satt werden, daß die weißgetünchte Wand grobkörnig war und die
Fingerspitzen rieb. Ich sagte: »Wollen Sie tatsächlich zu mir? Ist es
kein Irrtum? Nichts leichter als ein Irrtum in diesem großen Hause. Ich
heiße Soundso, wohne im dritten Stock. Bin ich also der, den Sie
besuchen wollen?«
»Ruhe, Ruhe!« sagte das Kind über die Schulter weg, »alles ist schon
richtig.«
»Dann kommen Sie weiter ins Zimmer herein, ich möchte die Tür
schließen.«
»Die Tür habe ich jetzt gerade geschlossen. Machen Sie sich keine Mühe.
Beruhigen Sie sich überhaupt.«
»Reden Sie nicht von Mühe. Aber auf diesem Gange wohnt eine Menge Leute,
alle sind natürlich meine Bekannten; die meisten kommen jetzt aus den
Geschäften; wenn sie in einem Zimmer reden hören, glauben sie einfach
das Recht zu haben, aufzumachen und nachzuschaun, was los ist. Es ist
einmal schon so. Diese Leute haben die tägliche Arbeit hinter sich; wem
würden sie sich in der provisorischen Abendfreiheit unterwerfen!
Übrigens wissen Sie es ja auch. Lassen Sie mich die Türe schließen.«
»Ja was ist denn? Was haben Sie? Meinetwegen kann das ganze Haus
hereinkommen. Und dann noch einmal: Ich habe die Türe schon geschlossen,
glauben Sie denn, nur Sie können die Türe schließen? Ich habe sogar mit
dem Schlüssel zugesperrt.«
»Dann ist gut. Mehr will ich ja nicht. Mit dem Schlüssel hätten Sie gar
nicht zusperren müssen. Und jetzt machen Sie es sich nur behaglich,
wenn Sie schon einmal da sind. Sie sind mein Gast. Vertrauen Sie mir
völlig. Machen Sie sich nur breit ohne Angst. Ich werde Sie weder zum
Hierbleiben zwingen, noch zum Weggehn. Muß ich das erst sagen? Kennen
Sie mich so schlecht?«
»Nein. Sie hätten das wirklich nicht sagen müssen. Noch mehr, Sie hätten
es gar nicht sagen sollen. Ich bin ein Kind; warum soviel Umstände mit
mir machen?«
»So schlimm ist es nicht. Natürlich, ein Kind. Aber gar so klein sind
Sie nicht. Sie sind schon ganz erwachsen. Wenn Sie ein Mädchen wären,
dürften Sie sich nicht so einfach mit mir in einem Zimmer einsperren.«
»Darüber müssen wir uns keine Sorge machen. Ich wollte nur sagen: Daß
ich Sie so gut kenne, schützt mich wenig, es enthebt Sie nur der
Anstrengung, mir etwas vorzulügen. Trotzdem aber machen Sie mir
Komplimente. Lassen Sie das, ich fordere Sie auf, lassen Sie das. Dazu
kommt, daß ich Sie nicht überall und immerfort kenne, gar bei dieser
Finsternis. Es wäre viel besser, wenn Sie Licht machen ließen. Nein,
lieber nicht. Immerhin werde ich mir merken, daß Sie mir schon gedroht
haben.«
»Wie? Ich hätte Ihnen gedroht? Aber ich bitte Sie. Ich bin ja so froh,
daß Sie endlich hier sind. Ich sage >endlich<, weil es schon so spät
ist. Es ist mir unbegreiflich, warum Sie so spät gekommen sind. Da ist
es möglich, daß ich in der Freude so durcheinander gesprochen habe und
daß Sie es gerade so verstanden haben. Daß ich so gesprochen habe, gebe
ich zehnmal zu, ja ich habe Ihnen mit Allem gedroht, was Sie wollen. --
Nur keinen Streit, um Himmelswillen! -- Aber wie konnten Sie es glauben?
Wie konnten Sie mich so kränken? Warum wollen Sie mir mit aller Gewalt
dieses kleine Weilchen Ihres Hierseins verderben? Ein fremder Mensch
wäre entgegenkommender als Sie.«
»Das glaube ich; das war keine Weisheit. So nah, als Ihnen ein fremder
Mensch entgegenkommen kann, bin ich Ihnen schon von Natur aus. Das
wissen Sie auch, wozu also die Wehmut? Sagen Sie, daß Sie Komödie
spielen wollen, und ich gehe augenblicklich.«
»So? Auch das wagen Sie mir zu sagen? Sie sind ein wenig zu kühn. Am
Ende sind Sie doch in meinem Zimmer. Sie reiben Ihre Finger wie verrückt
an meiner Wand. Mein Zimmer, meine Wand! Und außerdem ist das, was Sie
sagen, lächerlich, nicht nur frech. Sie sagen, Ihre Natur zwinge Sie,
mit mir in dieser Weise zu reden. Wirklich? Ihre Natur zwingt Sie? Das
ist nett von Ihrer Natur. Ihre Natur ist meine, und wenn ich mich von
Natur aus freundlich zu Ihnen verhalte, so dürfen auch Sie nicht
anders.«
»Ist das freundlich?«
»Ich rede von früher.«
»Wissen Sie, wie ich später sein werde?«
»Nichts weiß ich.«
Und ich ging zum Nachttisch hin, auf dem ich die Kerze anzündete. Ich
hatte in jener Zeit weder Gas noch elektrisches Licht in meinem Zimmer.
Ich saß dann noch eine Weile beim Tisch, bis ich auch dessen müde wurde,
den Überzieher anzog, den Hut vom Kanapee nahm und die Kerze ausblies.
Beim Hinausgehen verfing ich mich in ein Sesselbein.
Auf der Treppe traf ich einen Mieter aus dem gleichen Stockwerk.
»Sie gehen schon wieder weg, Sie Lump?« fragte er, auf seinen über zwei
Stufen ausgebreiteten Beinen ausruhend.
»Was soll ich machen?« sagte ich, »jetzt habe ich ein Gespenst im Zimmer
gehabt.«
»Sie sagen das mit der gleichen Unzufriedenheit, wie wenn Sie ein Haar
in der Suppe gefunden hätten.«
»Sie spaßen. Aber merken Sie sich, ein Gespenst ist ein Gespenst.«
»Sehr wahr. Aber wie, wenn man überhaupt nicht an Gespenster glaubt?«
»Ja meinen Sie denn, ich glaube an Gespenster? Was hilft mir aber
dieses Nichtglauben?«
»Sehr einfach. Sie müssen eben keine Angst mehr haben, wenn ein Gespenst
wirklich zu Ihnen kommt.«
»Ja, aber das ist doch die nebensächliche Angst. Die eigentliche Angst
ist die Angst vor der Ursache der Erscheinung. Und diese Angst bleibt.
Die habe ich geradezu großartig in mir.« Ich fing vor Nervosität an,
alle meine Taschen zu durchsuchen.
»Da Sie aber vor der Erscheinung selbst keine Angst hatten, hätten Sie
sie doch ruhig nach ihrer Ursache fragen können!«
»Sie haben offenbar noch nie mit Gespenstern gesprochen. Aus denen kann
man ja niemals eine klare Auskunft bekommen. Das ist ein Hinundher.
Diese Gespenster scheinen über ihre Existenz mehr im Zweifel zu sein,
als wir, was übrigens bei ihrer Hinfälligkeit kein Wunder ist.«
»Ich habe aber gehört, daß man sie auffüttern kann.«
»Da sind Sie gut berichtet. Das kann man. Aber wer wird das machen?«
»Warum nicht? Wenn es ein weibliches Gespenst ist z. B.« sagte er und
schwang sich auf die obere Stufe.
»Ach so«, sagte ich, »aber selbst dann steht es nicht dafür.«
Ich besann mich. Mein Bekannter war schon so hoch, daß er sich, um mich
zu sehen, unter einer Wölbung des Treppenhauses vorbeugen mußte. »Aber
trotzdem«, rief ich, »wenn Sie mir dort oben mein Gespenst wegnehmen,
dann ist es zwischen uns aus, für immer.«
»Aber das war ja nur Spaß«, sagte er und zog den Kopf zurück.
»Dann ist es gut«, sagte ich und hätte jetzt eigentlich ruhig spazieren
gehen können. Aber weil ich mich gar so verlassen fühlte, ging ich
lieber hinauf und legte mich schlafen.
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