Berlin — Panorama einer Weltstadt - 06

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Züge, aber die Haltung des Königs war von jeher so grad und ritterlich
gewesen, daß ihn diese auch in der letzten Zeit nicht verließ, und man an
eine noch ausgedehntere Lebensdauer glauben durfte. Umso betroffener
mußte man über den Volksglauben sein. Man machte geltend, daß in jedem
Jahrhundert das vierzigste Jahr den Preußen einen Thronwechsel oder
irgend ein wichtiges Ereignis bringe, man sprach von den nächtlichen
Umgängen der weißen Ahnfrau des Hohenzollerschen Hauses. Noch oft
erschien der König hinter dem roten Vorhange seiner Proszeniumloge im
Theater. Nur die ängstliche Einführung Schönleins in die innern Gemächer
des ab und zu als kränkelnd Gemeldeten verriet ein tiefer gewurzeltes
Leiden, dem der Monarch denn am ersten Pfingsttage wirklich erlegen ist.
Läßt sich eine ergreifendere Situation denken, als ein sterbender König
und ein neuer, der ihm folgt, in dem Augenblick, als der Donner des
Geschützes die Grundsteinlegung zu einem Denkmal Friedrichs des Großen
verkündete? Wie drängen sich hier in eine kurze Spanne Raum und Zeit,
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen! Wünsche und Hoffnungen
müssen lebendig werden, Besorgnisse sterben, andre können erwachen,
Gedanken aus den entgegengesetztesten Richtungen müssen sich
durchkreuzen. Wer hat den Schlüssel, um zu erraten, was der jetzt Tote
dachte, das Volk glaubte, der neue Herrscher ahnte? Wie kommt es, daß
gerade die Erinnerung an den Begründer der preußischen Monarchie in ihrer
Stellung zu Europa die letzte öffentliche Tatsache im Leben Friedrich
Wilhelms III. sein mußte? Ist dies eine Sühne der Vergangenheit oder ein
Fingerzeig für die Zukunft? Den Ratschluß des Weltgeistes umhüllen noch
tiefe Nebel und erst die Geschichtsschreibung ferner Zeiten wird die
Sonne sein, die sie erhellt.
Bei den Ägyptern sprach man über die toten Könige Gericht. Man wird in
öffentlichen langen Reden und in kurzen Inschriften viel Unwahres über
Friedrich Wilhelm III. sagen, man wird seinem Geiste das zuschreiben,
dessen sein Herz, man wird dem Herzen zuschreiben, dessen sein Verstand
sich rühmen durfte. Man wird in dem seine Demut finden, was vielleicht
sein Stolz war, und wird ihn vielleicht für das loben, wofür er sich
selbst getadelt hat. Könige sind wie die Phänomene der Luft. Sie werden
von Tausenden ihres Volkes für dasselbe verwünscht, wofür sie andern
Tausenden die Heißersehnten sind. Ein Gewitter raubt der Mutter ihr Kind,
das der Blitz erschlägt, und tränkt die dürstende Erde, die nach ihm
schmachtete.
Mag man nun mit Montaigne glauben, daß "herrschen" le plus aspre et
difficile métier ist, oder mit einem italienischen Sprichworte (von
Oxenstierna einst ironisch angewandt), daß zum Herrschen gerade das
wenigste Hirn gehört (der Leipziger Professor Adam Rechenberg hat es
übrigens schon 1676 in einem eignen Werke widerlegt), mag man auch von
dem, was über den Verstorbenen gesagt werden wird, abziehen, was der
rührende Moment oder persönliches Interesse überflüssig hinzufügt, so
viel wird selbst die Nachwelt nicht umstoßen können, daß der innige
Zusammenhang der Schicksale, die die preußische Monarchie trafen, mit der
Person Friedrich Wilhelms III. ein in der Erinnerung nie erlöschendes
Licht auf ihn geworfen hat. Eine freudenlose, umflorte Jugend machte ihn
schon früh für eine stillere Ergebung in das Unglück reif. Die Mäßigung,
die ihn in seinen Leidenschaften und Gefühlen beherrschte, lehrte ihn
auch, das spätere Glück ohne Überhebung ertragen. Er nahm die Gaben des
Geschicks mit einem Gefühl an, das ihn auf alles gefaßt machte, wenn es
nur nicht überraschend und ohne Voraussicht kam. Heftigere Aufregungen
vermeidend beängstigte ihn jede leidenschaftliche Anmutung und so erhielt
auch seine letzte Regierungsperiode jenen Charakter bescheidener
Selbstbeschränkung, den Preußen, ein innerlich so kraftvoller und nach
außen hin nicht ungedeckter Staat wohl aufgeben durfte, ohne für seine
Erhaltung besorgt zu sein. Friedrich Wilhelm III. war durch sein
Temperament vor übereilten Entschließungen geschützt und diese Tatsache
war vielleicht die glücklichste Erfahrung für das Wohl des Staates in
einer Zeit, wo der Zeitgeist so viel leidenschaftliche Faktoren in
Bewegung setzte und es Staatsmänner gab, die so gern neue Manifeste des
Herzogs von Braunschweig in die Welt gestreut hätten und dem Weltlauf mit
kecker Hand in die Zügel gefallen wären. Friedrich Wilhelm III. war nicht
so groß in dem, was er tat, als in dem, was er vermied.
Daß man sich in Preußen, da die Zeit des Zuwartens vielleicht vorüber ist
und den Horizont keine Kriegswolken trüben, nach positiven Schöpfungen
sehnt und das Feld für einen großartigem Anlauf zur Staatenlenkung nun
geöffnet sieht, beweist die ängstliche Spannung Preußens, Deutschlands,
Europas auf den Geist, in welchem Friedrich Wilhelm IV. regieren werde.
Der neue Regierungsantritt hat das vor andern Thronwechseln voraus, daß
wir hier nicht einen Jüngling auftreten sehen, dessen politische Ideen
noch von dem Unterricht seiner Lehrer befangen sind, sondern einen
gereiften Mann, der jahrelang den Zeitlauf und das Terrain der ihm nun
anvertrauten Regierung gründlich beobachten konnte. Das neue Herrscheramt
wird ihm wie ein bekanntes Buch sein, bei dessen Lektüre er sich Stellen
unterstrich und hier und dort Merkzeichen einlegte. Und daß es solcher
Stellen und Merkzeichen viele geben müsse, beweist der allgemein selbst
in Berlin verbreitete Glaube an ein neues, durchdachtes, längst
angelegtes und bald hervortretendes System.
Man erschöpft sich in Vermutungen über das politische Glaubensbekenntnis
des neuen Königs. Man nennt ihn aristokratisch; aber verdanken nicht
gerade einige talentvolle Bürgerliche ihre Berufung zum Ministerium der
Empfehlung des ehemaligen Kronprinzen? Verwechselt man nicht die
vornehmimponierende und doch gefällige Haltung des neuen Herrschers mit
Sympathien, die durch nichts bewiesen sind? Man nennt ihn einen Freund
der Richtungen, in welchen Steffens und ähnliche reaktionäre Geister
geschrieben haben. Aber wenn der ehemalige Kronprinz Steffens persönlich
kannte, so wird er bald gefunden haben, daß die naive Lebensunsicherheit
dieses geistvollen, aber unpraktischen Mischdenkers am wenigsten zu
seinen politischen Phantasmen und Träumereien Vertrauen einflößen kann.
Wie würde auch die große Vorliebe, die der ehemalige Kronprinz für seinen
ruhmgekrönten Ahn Friedrich II. empfinden soll, mit der Hinneigung zu
politischen Theorien stimmen, deren Vertreter, wie Haller, Leo, Steffens
und ihnen ähnliche, in Friedrich dem Großen nur einen gekrönten
Jakobiner sehen?
Man rühmt von jeher den Geist des neuen Herrschers. Man schreibt ihm
Verstandesschärfe und Witz zu. Er ist kein Freund des Gamaschendienstes
und hat mehr Sinn für das Zivile als Militärische. Er liebt den Umgang
mit Gelehrten und Künstlern, von denen viele sich seiner nähern
Bekanntschaft erfreuen. Wie harmlos er gewohnt ist, sich dem Talente
hinzugeben, bezeugt der gemütvolle, anspruchslose Brief, den er an
Chamisso schrieb. (Siehe Hitzigs "Leben Chamissos" Bd. 2, S. 93.) Der
ehemalige Kronprinz ist ein talentvoller Zeichner und daß ihm selbst der
schriftstellerische Ausdruck nicht fremd sein dürfte, beweist der
Umstand, daß man ihn oft zum Verfasser anonymer Flugschriften machen
wollte! Von sogenannten noblen Passionen, die man Großen eher nachzusehen
pflegt, als Kleinen, weiß man nichts. Seine Sittlichkeit wird gerühmt. Er
besucht die Kirchen anerkannt pietistischer Geistlicher; ob aus Neigung
für ihr theologisches System, oder aus Achtung vor ihrer oft
ausgezeichneten Rednergabe, weiß ich nicht. Jedenfalls würde eine
religiöse Stimmung dieser Art bei ihm nicht aus einem Minus, sondern
einem Plus der Bildung entstehen; d.h. es ist möglich, daß sie die
Frucht einer entweder gemütlichen oder philosophischen Abneigung gegen
einseitige Verstandesreligiosität wäre. Es ist kein Zweifel, daß der neue
Herrscher historische Tatsachen den Abstraktionen vorzieht, aber es ist
wahr, daß ihm die Hegelsche Philosophie nicht unbekannt geblieben, so
wird ihm das Progressive in der Geschichte nichts Befremdendes und der
Einfluß des Verstandes auf die Gestaltung der neuen Zeit nichts
Feindseliges sein. Friedrich Wilhelm IV. wird keinen Schritt ins
Ungewisse tun. Ein Ziel hat er gewiß im Auge, wenn auch die Zeit erst
lehren muß, wo es liegt. Für gedankenlos halte man keine seiner
Unternehmungen. Ratgeber wird er hören, ihnen aber nicht immer folgen.
Reue wird ihm, trotz seines christlichen Sinnes, für öffentliche Schritte
fremd sein. Er wird vielleicht bei einem Unternehmen seine Richtung
ändern, nie aber einen Schritt wieder zurücktun. Es lodert viel Feuer in
ihm und sein Geist wird oft in den schönen Fall kommen, heftigere
Regungen des Gemüts zu zügeln. Der göttlichste Triumph, den uns der
Himmel schenkte, Beherrscher unserer Leidenschaften zu sein, kann ihn oft
beglücken. So urteilt die Sage und urteilt vielleicht falsch. Man kann
darnach den Versuch machen, ein Porträt zu zeichnen und muß sich zuletzt
doch eingestehen, daß der--Versuch eine Pfuscherei ist.
Es haben sich, von Herrn Varnhagen von Ense ausgebrütet, so viel kleine
Gentze jetzt aus dem Ei gepickt, daß ich wohl begierig wäre, was einer
von ihnen, dem Beispiel des ehemaligen Kriegsrats Gentz folgend (der eine
Adresse an Friedrich Wilhelm III. bei seiner Thronbesteigung herausgab),
dem neuen Herrscher ans Herz legen würde. Mit guten Lehren aus dem
frommen Telemach, der ad usum delphini geschrieben ward, würde es wohl
ebensowenig getan sein, wie mit dem Macchiavell. Ein Fürst soll keinem
Schmeichler trauen, sagt Mentor alle Augenblicke; bändige eine
Regierungsgewalt durch die andre, sagt der Florentiner; aber wir leben
nicht in Versailles und nicht in Florenz. O der guten Lehren, die man
Königen gegeben hat! Sie werden fast alle lächerlich, wenn man sie auf
bestimmte Fälle anwendet, oder sie setzen an Fürsten dasjenige als
lobenswert voraus, was sich an einem zivilisierten Menschen des 19.
Jahrhunderts wahrhaftig von selbst versteht. Weit schwieriger sind
Ratschläge, die einen schwebenden Status quo betreffen. Was würde wohl
mit der katholischen Frage, was mit der kommerziellen Stellung Preußens
zu Rußland; was mit dem Wunsch nach einer Verfassung zu beginnen sein?
Dem neuen Herrscher raten wollen? Er hat seit einer langen Reihe von
Jahren den Geschäftsgang in der Regierung seines Vaters beobachtet: Er
wird sich längst auf seinen eignen Antritt des Regimentes vorbereitet
haben. Wer die Entwürfe kennte, die schon alle im Pulte harren! Es ist
leicht möglich, daß Friedrich Wilhelm IV. für Europa einige
Überraschungen im Sinne hat.
Man spricht jetzt soviel über Friedrich II. Was ist es, das an ihm so
außerordentlich gerade jetzt in die Augen spränge? Will man einen
schlesischen Krieg? Will man eine straffgezogene Regierungssouveränität?
Nein. Es ist das Persönliche, das an Friedrich II. gerade jetzt so
bewundert wird. Preuß und andere haben so herrliche Züge von der freien,
unabhängigen, entschlossenen Denkungsart dieses Königs mitgeteilt. Man
hat in Friedrichs Schriften Ansichten gefunden, die jetzt würden für
staatsgefährlich erklärt werden. Es ist kein Zweifel, daß man mit dieser
Vergötterung Friedrichs des Großen einen Wunsch für seine Nachfolger
aussprechen will; denn das Lob der Vergangenheit ist immer eine Polemik
gegen die Gegenwart.
Was könnte wohl ein heutiger Monarch an Friedrich dem Großen lernen?
Vieles für die Personen, weniger für die Sachen. Nicht alles würde jetzt
so am besten geschlichtet, wie es Friedrich II. geschlichtet haben würde.
Wohl aber würde man für die Mittel und für die Ratgeber lernen können.
Theoretiker am Staatsruder würde er mit Recht für Schwindler erklären und
das Nächste würde ihm lieber als das Entfernte sein. Was Friedrich über
die Religion dachte, war nicht gut für die Schule, besser schon für die
Kirche, vortrefflich für die Wissenschaft. Der Voltairesche Verstand, der
ihn beseelte, war schlecht für den Aufbau des Neuen, aber gut zum
Niederreißen des Veralteten. Man darf diesen endlichen, witzelnden
Verstand nie zum Feldzugsplan erheben, kann ihn aber gut als Waffe
benutzen. Das klare, unbestochene, vorurteilsfreie Wesen ist an Friedrich
II. bewundrungswürdig. Man fühlt, wenn man seine Antworten und
Resolutionen liest, daß man für jedes Leiden bei seinem Gemüt wohl eben
keinen Trost, bei seinem Verstande aber Abhülfe würde gefunden haben.
Seine Phantasie und sein Geschäftseifer machten ihm das Verständnis jedes
ihm vorgelegten Falles sogleich klar und man hatte nicht nötig, wenn man
einen Minister verklagte, zu fürchten, daß man an eben diesen Minister
würde verwiesen werden.
Die Erwartungen auf Friedrich Wilhelm IV. sind gespannt. Die erste Zeit
seiner Regierung gebührt der Trauer. In dem dunklen melancholischen Grün
des Fichtenhains, der die sterblichen Überreste seines Vaters und seiner
Mutter beschattet, wird man ihn noch zu oft sehen, als daß man aus seinem
Auge etwas andres erraten könnte, als Tränen. Er wird nicht damit
beginnen, Schöpfungen seines Vaters umzustürzen, er wird niemanden, der
des Seligen Vertrauen besaß, aus seiner Nähe entfernen. Aber die
Aufforderung zu Taten wird nicht ausbleiben. Die Besetzung der bekannten
erledigten Ministerstelle dürfte vielleicht das erste Symptom des
Kommenden sein. Klio spitzt ihren Griffel, sinnend lehnt sie den Arm auf
das neue Blatt im Buche der Geschichte und lauscht mit lächelndernster,
mit bangfroher Erwartung.


Das Barrikadenlied (1848)

Barrikaden! Barrikaden! Eine Wehr der Bürgerbrust! Jeder Freie ist
geladen, Auf zum Kampfe, Kameraden! Freiheitstod ist Himmelslust! Laßt
uns graben, laßt uns schanzen! Fässer her und Steine drauf! Trottoire,
glatt zum Tanzen, Wagen mit und ohne Franzen, Alles hält die Kugeln auf.
Ha! Sie kommen! Nicht gezittert! Nicht den Blick zurückgewandt! Laßt sie
schießen! Glas zersplittert! Hinterm Wall sind wir vergittert. Freie
Brüder, haltet Stand!
Faßt mit scharfem Blick die Rechten! Zielt und drückt die Büchse los!
Offiziere, könnt Ihr fechten? Kommandieren nur den Knechten! Fallt-in
Eures Königs Schoß.
Dann bedacht, auf kurzem Pfade, Bricht die erste, ziehn wir dicht In die
zweite Barrikade, In die dritte, vierte-schade, An die fünfte folgt
Ihr nicht!
So auf Barrikadenbahnen Nur drei Tage sich gewehrt, Und beim vierten Ruf
des Hahnen Unter schwarz-rot-goldnen Fahnen Hat das Volk, was es begehrt!


Landtag oder Nicht-Landtag (1848)

Die Frage, welche jetzt so lebhaft die Gemüter bewegt, fing klein an. Der
Unterzeichnete wollte sich am Abend nach der Beerdigung die Anschauung
einer Berliner Volksversammlung verschaffen und begab sich in die Zelte,
wohin eine solche ausgeschrieben war. Er fand etwa tausend Menschen, die
in verworrenem Durcheinander über Wahlgesetz und Landtag sprachen. Einige
von dem Unterzeichneten zwischen die gehaltenen Vorträge geworfene
Bemerkungen erregten die Aufmerksamkeit der Umstehenden. Man machte ihn
zum Präsidenten der Versammlung, ein an sich unerquickliches Amt, das er
aber nicht zurückwies, weil wir in einer Zeit leben, wo die Anteilnahme
am gemeinen Wesen ede1ste Bürgerpflicht ist. Eine auf Grund der ferneren
Debatte verfaßte und von den HH. Assessor Jung, Dr. Oppenheim und
Fabrikanten Lipke mitunterzeichnete Adresse gegen Berufung des Landtags
wurde Freitag den 24. dem Minister Arnim überreicht.
Inzwischen ist die Frage zur Parole des Tages geworden und gleichsam das
Symbol der Parteien. Diejenigen, welche in den Begebenheiten des 18. u.
19. März eine Revolution sehen, wollen keinen Vereinigten Landtag mehr,
die, welche nur eine Revolte erblicken, verlangen ihn. Die Gründe, mit
denen man sich bekämpft, sind nicht immer redlich. Ich finde es
unredlich, sophistisch wenigstens, wenn man der großen Masse sagt: Wollt
Ihr einen konstitutionellen König? Wollt Ihr eine Kabinettsordre ohne
Beirat der Stände? usw. Man formuliert die illiberale Frage liberal, und
die Leute, so angeredet, antworten blindlings: Wir wollen einen
konstitutionellen König, wir wollen nichts ohne die Stände usw. Der König
ist konstitutionell, aber nur durch eine Konstitution, die wir noch nicht
haben. Der König hat sich mit dem Vereinigten Landtag früher als
absoluten Fürsten proklamiert, der Vereinigte Landtag bestand neben
diesem absoluten Fürsten, folglich kann er jetzt nicht mehr neben dem
konstitutionellen bestehen. Es ist ein Sophisma, wenn man die
Konstitutionalität des Königs durch die Berufung des Vereinigten Landtags
beweisen will.
Der Vereinigte Landtag ist ein Berliner Kind, ein Jahr alt; er war etwas
neues, er wirkte vorteilhaft auf unsere politische Atmosphäre, vorteilhaft
auch auf Lokal-Interessen. Diese letzteren verdächtigen etwas die
Sympathie, die sich für ihn zu erkennen gibt. Die Buchhändler haben noch
so viel Bildnisse und Reden-Sammlungen vom vorigen Jahre auf dem Lager:
Man denkt, das alles wird jetzt flott; man hofft eine gewisse Beruhigung,
eine Konsolidierung der Verhältnisse, die Börse will endlich Kurse
notieren. Die früheren Abgeordneten, die da merken, daß ihre Stunde
gekommen ist, regen sich auch. Sie möchten gern, das wittern wir in der
Luft, Römertaten von Entsagung aufführen, recht flatternd den Mantel nach
dem Winde hängen und die Lüge noch mehren helfen, die uns so schon
verdächtig genug umspinnt. Das alles sind schlimme Aussichten und
vermehren das Mißtrauen in diesen alle Zeit ja rein prekär und von der
königlichen Gnade abhängig gewesenen Staatskörper.
Man sagt, man könne eine moralische Versammlung nicht töten. Und doch
verlangt Ihr, daß sie sich selber töten soll? Ich gestehe, ich möchte
nicht auf den Bänken dieses Landtags sitzen mit dem Bewußtsein, daß ich
mich überlebt hätte, daß ich mich hinfort begraben lassen, mich ferner
unmöglich machen soll. Viele Mitglieder des Landtags werden so denken,
vielleicht alle. Sie werden zusammenkommen, sich anblicken und die Augen
niederschlagen. Sie werden sagen: Wie kommen wir hieher? Wir sind
Provinzia1stände, wurden vereinigt ohne konstitutionellen Grundsatz, ohne
Befugnis der Gesetzgebung, ohne Macht und Auctorität, ja sogar erst die
Periodizität ist uns als Geschenk, durch den Augenblick, verliehen. Wir
haben uns immer unbehaglich und unheimlich zusammengefühlt, wir haben
immer dahin protestiert, daß wir nicht die Stände, die 1815 versprochen
sind, vorstellen, und so können wir nichts anderes tun, als uns in
Provinzia1stände, was wir sind, auflösen, nach Düsseldorf, Münster,
Königsberg, Breslau gehen, für das Wohl der Provinzen sorgen und uns der
kleinen Freiheiten, die uns das Patent vom 3. Febr. gewährte, freiwillig
begeben.
Die Politik sollte diesen Fall voraussetzen, sie sollte sich rüsten
darauf:
1. daß dieser Vereinigte Landtag sehr unvol1ständig erscheinen, 2. sich
für inkompetent erklären und 3. von der noch gärenden Aufregung
vielleicht sogar gewaltsam beanstandet werden wird.
Wünschen das die Minister? Können es die Freunde des Friedens und der
Ordnung wünschen?
Ferner: Aus dem Vereinigten Landtag soll das deutsche Parlament beschickt
werden. Und überall regt sich in Deutschland der Protest gegen diese
Idee. Die Frankfurter Versammlung wird erklären, sie würde von diesen
Provinzia1ständen nimmermehr Deputierte, die das preußische Volk zu
vertreten hätten, empfangen. Neue Verwirrung nach einer so wichtigen
Seite hin, der nationalen! Neue Aufforderung, bei Zeiten vorzubeugen und
solchen Verwickelungen dadurch zu entgehen, daß man den Vereinigten
Landtag, als solchen, fallen läßt. Preußen bedarf in diesem Augenblick so
dringend der allgemeindeutschen Sympathie.
Wir haben nötig erstens eine konstituierende Versammlung, welche die
Konstitution bespricht, und dann erst mögen die neuen Stände kommen, die
vielleicht wesentlich modifiziert werden durch das (National-Parlament).
Vielleicht ist das letztere wichtiger, als unsere Stände. Wenn das
deutsche National-Parlament über vier der wichtigsten Lebensfragen eines
Volkes zu entscheiden hat, werden die Ständekammern aller deutschen
Staaten ohnehin nur gewissermaßen zu Provinzia1ständen herabsinken. Warum
streiten wir uns über das künftige Wahlgesetz? Im Augenblick handelt es
sich nur um eine konstituierende Versammlung für Preußen, und diese muß
allerdings auf der breitesten Unterlage angelegt sein, nicht ganz
abstrakt-numerisch, aber doch so viel wie möglich. (Dahlmann) hat gewiß
Kenntnisse preußischer Verhältnisse genug, um rasch ein solches
Wahlgesetz zur konstituierenden Versammlung zu entwerfen. Er wird
vorurteilslos genug sein, sich dabei an die gegebenen Zustände des
historischen Augenblickes, nicht an seine Göttinger Diktate zu halten.
Ich komme nochmals auf das obige Sophisma zurück von einem
konstitutionellen König, der nichts ohne den Vereinigten Landtag tun
könne. Ich find' es geradezu machiavellistisch. Unser konstitutioneller
König ist sehr jung. Er ist es vor allen Dingen durch die Konstitution,
die wir erst bekommen sollen. Ein Preßgesetz war rasch erlassen, ohne die
Stände. Da besorgte man, die Freiheit der Presse müsse doch gleich eine
beruhigende Form haben. Jetzt berufe der König eine konstituierende
Versammlung durch einen Aufruf an sein ganzes Volk! Die Wahlen, so oder
so modifiziert, wenn nur überwiegend dem Grundsatz der Allgemeinheit
ehrlich entsprechend, werden ihm die Männer bringen, die allein die
Gegenwart und Zukunft organisieren können. Es ist sophistisch, hier von
einem "Gewaltstreich" zu sprechen. Der König ist in diesem Augenblick der
Ausdruck der Zeit, er will, was (wir) wollen, er gibt Gesetze, die ihm
die (Lage der Dinge) diktiert. Er kann einfach sagen: Ich habe Euch dies
und das in diesen Tagen versprochen, garantiert ohne die Stände, Inneres,
Äußeres, Deutsches, Preußisches, Berlinisches, kein Mensch hat gesagt:
Der König darf die Bürgerwehr nicht ohne die Stände geben, die deutsche
Kokarde nicht aufstecken usw., und nur in der Wahlangelegenheit, da wollt
Ihr von ständischer (Zustimmung) sprechen? In der gefährlichsten Frage,
wo der meiste Egoismus zu fürchten steht?
Der Vereinigte Landtag enthält Elemente, die uns sehr (lieb) und (wert)
sind. Seid gewiß, die werden wir alle wiederfinden in den neuen Wahlen!
Die alten Stadtverordneten aber, Gemeinderäte usw., die durch Vorrechte
gewählt wurden und die lärmendste Agitation (für) den Landtag machen, die
wohl nicht, und das ist gut. Eine Beleidigung des Vereinigten Landtags
erblick' ich auch nicht. Kräftig gesprochen kann man sagen: Es fiel so
vieles, warum nicht er? Milder gesprochen muß man sagen: Der Vereinigte
Landtag ist nur ein aus Gnade eines (absoluten) Königs geschenktes
(Rendezvous). Die Provinzia1stände sollen nicht sogleich vernichtet
werden. Sie mögen in ihre Provinzen gehen, dort das allgemeine
Wahlgesetz, das die konstituierende Versammlung gegeben hat, sich
mitteilen lassen und sich dort, wo sie geboren sind, auch in der Stille
auflösen oder, wäre es der Fall, daß das deutsche National-Parlament nur
Provinzia1stände um sich sehen will, einer neuen Organisation
entgegenharren. Das in (Berlin) Vereinigtsein dieser Stände ist etwas
rein Arbiträres, Zufälliges gewesen, und keinen Landstand kann es
beleidigen, wenn man gegen diese Vereinigung protestiert.
Also, laßt Euch nichts vorreden von Rechtsverletzung, Gewaltstreich,
einseitiger Willkür. Das sind Gruben, die man Eurer guten, ehrlichen,
freien Gesinnung gräbt. Wenn wir eine Konstitution haben und darauf
gebaute wahre Stände des Volkes, dann erst sollen die einseitigen Befehle
von oben aufhören. Jetzt aber, solange nichts rechtlich Bindendes da ist,
wollen wir froh sein, wenn die stürmisch gewesenen Vorboten des
angebrochenen Völker-Frühlings uns noch recht viel solcher Blüten vom
Baume der Majestät schütteln, wie diejenigen waren, welche wir in den
jüngst vergangenen Tagen als Gesetze und Verheissungen empfingen. Ein
Wahlgesetz gibt jetzt nicht der König sondern das Volk, die Zeit, der
Sieg des Augenblicks.
Dr. Karl Gutzkow


Preußen und die deutsche Krone (1848)

Man kann es vom höheren, vaterländischen Standpunkte aus nicht billigen,
daß sich Süddeutschland aus den hiesigen Begebenheiten, die den
gewaltigen Umschwung unserer Verhältnisse hervorriefen, nur die
Ereignisse vom 18. und 19. März herausgreift und auf diese schmerzlichen
Tatsachen hin bei der Wiedergeburt Deutschlands Preußen desavouiert. Denn
was man gegen die Person des Königs sagt, trifft in diesem Falle das
Land, trifft Preußen und viel empfindlicher Deutschland selbst.
Man berät eine Einigung Deutschlands auf den Grund eines zu wählenden
kürzeren oder längeren Oberhauptes. Seit Pfizers "Briefwechsel zweier
Deutscher" steht es fest, daß selbst die freisinnige, deutsche,
hochherzige Bewegungspartei für die Idee einer preußischen Hegemonie ist.
Die süddeutschen Deputierten, die mit einem Doppelplane der Organisation,
einem monarchischen und einem republikanischen, hierher kamen, vertraten
anfangs denselben Geist, dieselbe Meinung, und noch am 18. und 19. März
soll Preußen plötzlich "unmöglich" geworden sein? Darin liegt eine
politische Unklugheit und eine doppelte Ungerechtigkeit.
Um es ganz offen zu sagen, wonach streben wir? Wir möchten sämtliche
deutsche Fürsten auf eine Art Standesherrenschaft zurückführen, ihnen in
Frankfurt (einem nicht gut gewählten Orte; Leipzig, Gotha, Weimar,
Nürnberg wären besser) eine ehrenvolle und würdige Vertretung ihrer
Interessen und Erinnerungen geben und das ganze Reich durch ein
temporäres oder dauerndes, erbliches oder nichterbliches Bundesoberhaupt
regieren lassen. Ohne eine sehr bedeutende Nullifikation unserer Fürsten
ginge es dabei nicht ab. Die kleineren scheinen nicht abgeneigt, solchen
Wünschen sich zu fügen; ja sogar größere Fürsten, die Könige heißen, ob
sie gleich wegen ihres Gebietes nur Herzöge oder Landgrafen heißen
sollten, ich sage, selbst größere haben Wärme und Gefühl für das
Gemeinsame genug, daß sie freiwillig ihre Souveränität angeboten und auf
den Altar des Vaterlandes niederzulegen versprochen haben. Ein König
sogar, der sich gegen diese Richtung anzustemmen nicht mehr kräftig genug
fühlte, entsagte seinem Throne und trat ihn seinem Erben ab, der dieser
idealen Richtung sich verwandter fühlt. Von Österreich würde man immer
nur einzelne Teile seines Gebietes haben vertreten wissen wollen und wenn
auch die Wiener Bewegung, der Sturz Metternichs eine augenblickliche
Hingabe an das alte Kaiserhaus in uns erwachen ließ, sie kann nur
vorübergehend sein. Warum nur vorübergehend? Weil einmal die
Persönlichkeit des gegenwärtigen Kaisers keine ausreichende ist, zweitens
der Wiener Aufschwung der rechten freiheitsgedüngten Grundlage im ganzen
Reich ermangelt und drittens in Frankfurt nimmermehr gewünscht werden
kann, daß Deutschland wieder in das Schlepptau der europäischen Politik
des Hauses Habsburg genommen wird. Was man für [die] Reorganisation
Deutschlands tut, muß ohne organische Aufnahme österreichischer Elemente
geschehen. Österreich kann nur ehrenhalber dabei beteiligt sein.
So bliebe immer nur die preußische Anlehnung als die hauptsächlichste und
entscheidendste übrig. Das schlechte Preußische ist ja im Innern zerstört
und wird noch mehr zerstört werden durch Amalgamierung mit dem übrigen
deutschen Stoff; das gute Preußische aber ist für Deutschland so
wesentlich, daß es Torheit und Verblendung wäre, sollte sich auf ein
einzelnes Faktum, über das wir noch später sprechen werden, auf eine
einzige dem Königtume gegebene Lehre hin diese Idee der vol1sten Aufnahme
Preußens in die deutsche Sache zerschlagen. Welchen Ersatz wollt Ihr in
Heidelberg und Mannheim bieten? Es ist sehr leicht, in tausendfacher
Anzahl Versammlungen ausschreiben, sich in Drohungen und Verwünschungen
ergehen, Lieder singen usw., aber die nüchterne Erwägung der Tatsachen
sollte Euch zwingen, Euren Unmut zu beherrschen und über die Personen
nicht die Sache zu verlieren!
Isoliert man Preußen, isoliert man die Empfindung seines jetzt sich zwar
konstitutionell bindenden Königs, dessen Persönlichkeit indessen nicht so
nach Gefallen zu beseitigen ist, so könnte der deutschen Wiedergeburt
eine große Gefahr erwachsen. Der Provinzialgeist reagiert jetzt gegen die
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