Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen - 5
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dieser Völker gehört, und überhaupt bei weitem nicht so schädlich
als die abergläubische Neigung, wenn er gleich im Anfange ungestüm
ist, weil die Erhitzung eines schwärmerischen Geistes allmählich
verkühlt und seiner Natur nach endlich zur ordentlichen Mäßigung
gelangen muß, anstatt daß der Aberglaube sich in einer ruhigen und
leidenden Gemütsbeschaffenheit unvermerkt tiefer einwurzelt und dem
gefesselten Menschen das Zutrauen gänzlich benimmt, sich von einem
schädlichen Wahne jemals zu befreien. Endlich ist ein Eiteler und
Leichtsinniger jederzeit ohne stärkeres Gefühl für das Erhabene,
und seine Religion ist ohne Rührung, mehrenteils nur eine Sache der
Mode, welche er mit aller Artigkeit begeht und kalt bleibt. Dieses
ist der praktische _Indifferentismus_, zu welchem der _französische_
Nationalgeist am meisten geneigt zu sein scheint, wovon bis zur
frevelhaften Spötterei nur ein Schritt ist, und der im Grunde, wenn
auf den inneren Wert gesehen wird, vor einer gänzlichen Absagung wenig
voraushat.
(16) Man hat sonst bemerkt, daß die Engländer als ein so
kluges Volk gleichwohl leichtlich durch eine dreiste Ankündigung
einer wunderlichen und ungereimten Sache können berückt werden,
sie anfänglich zu glauben; wovon man viele Beispiele hat. Allein
eine kühne Gemütsart, vorbereitet durch verschiedene Erfahrungen,
in welchen manche seltsamen Dinge gleichwohl wahr befunden worden,
bricht geschwinde durch die kleinen Bedenklichkeiten, von denen ein
schwacher und mißtrauischer Kopf bald aufgehalten wird und so ohne
sein Verdienst bisweilen vor dem Irrtum verwahrt wird.
(17) Der Fanaticism muß vom _Enthusiasmus_ jederzeit unterschieden
werden. Jener glaubt eine unmittelbare und außerordentliche
Gemeinschaft mit einer höheren Natur zu fühlen, dieser
bedeutet den Zustand des Gemüts, da dasselbe durch irgendeinen
Grundsatz über den geziemenden Grad erhitzt worden, es
sei nun durch die Maxime der patriotischen Tugend, oder der
Freundschaft, oder der Religion, ohne daß hiebei die Einbildung
einer übernatürlichen Gemeinschaft etwas zu schaffen hat.
Gehen wir mit einem flüchtigen Blicke noch die anderen Weltteile
durch, so treffen wir den _Araber_ als den edelsten Menschen im
Oriente an, doch von einem Gefühl, welches sehr in das Abenteuerliche
ausartet. Er ist gastfrei, großmütig und wahrhaft; allein seine
Erzählung und Geschichte und überhaupt seine Empfindung ist jederzeit
mit etwas Wunderbarem durchflochten. Seine erhitzte Einbildungskraft
stellt ihm die Sachen in unnatürlichen und verzogenen Bildern dar, und
selbst die Ausbreitung seiner Religion war ein großes Abenteuer. Wenn
die Araber gleichsam die Spanier des Orients sind, so sind die
_Perser_ die Franzosen von Asien. Sie sind gute Dichter, höflich und
von ziemlich feinem Geschmacke. Sie sind nicht so strenge Befolger
des Islam und erlauben ihrer zur Lustigkeit aufgelegten Gemütsart
eine ziemlich milde Auslegung des Koran. Die _Japoneser_ könnten
gleichsam als die Engländer dieses Weltteils angesehen werden, aber
kaum in einer andern Eigenschaft als ihrer Standhaftigkeit, die bis zur
äußersten Halsstarrigkeit ausartet, ihrer Tapferkeit und Verachtung
des Todes. Übrigens zeigen sie wenig Merkmale eines feineren Gefühls
an sich. Die _Indianer_ haben einen herrschenden Geschmack von
Fratzen von derjenigen Art, die ins Abenteuerliche einschlägt. Ihre
Religion besteht aus Fratzen. Götzenbilder von ungeheurer Gestalt,
der unschätzbare Zahn des mächtigen Affen Hanuman, die unnatürlichen
Büßungen der Fakirs (heidnischer Bettelmönche) usw. sind in diesem
Geschmacke. Die willkürliche Aufopferung der Weiber in ebendemselben
Scheiterhaufen, der die Leiche ihres Mannes verzehrt, ist ein
scheußliches Abenteuer. Welche läppische Fratzen enthalten nicht
die weitschichtigen und ausstudierten Komplimente der _Chineser_;
selbst ihre Gemälde sind fratzenhaft und stellen wunderliche
und unnatürliche Gestalten vor, dergleichen nirgend in der Welt
anzutreffen sind. Sie haben auch ehrwürdige Fratzen, darum, weil sie
von uraltem Gebrauch sind(18), und keine Völkerschaft in der Welt
hat deren mehr als diese.
(18) Man begeht noch in Peking die Zeremonie, bei einer Sonnen-
oder Mondfinsternis durch großes Geräusch den Drachen zu verjagen,
der diese Himmelskörper verschlingen will, und behält einen elenden
Gebrauch aus den ältesten Zeiten der Unwissenheit bei, ob man gleich
jetzt besser belehrt ist.
Die _Negers_ von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches
über das Läppische stiege. Herr _Hume_ fordert jedermann auf, ein
einziges Beispiel anzuführen, da ein Neger Talente gewiesen habe, und
behauptet: daß unter den Hunderttausenden von Schwarzen, die aus ihren
Ländern anderwärts verführt werden, obgleich deren sehr viele auch
in Freiheit gesetzt werden, dennoch nicht ein einziger jemals gefunden
worden, der entweder in Kunst oder Wissenschaft oder irgendeiner
andern rühmlichen Eigenschaft etwas Großes vorgestellt habe,
obgleich unter den Weißen sich beständig welche aus dem niedrigsten
Pöbel emporschwingen und durch vorzügliche Gaben in der Welt ein
Ansehen erwerben. So wesentlich ist der Unterschied zwischen diesen
zwei Menschengeschlechtern, und er scheint ebenso groß in Ansehung
der Gemütsfähigkeiten als der Farbe nach zu sein. Die unter ihnen
weit ausgebreitete Religion der Fetische ist vielleicht eine Art von
Götzendienst, welcher so tief ins Läppische sinkt, als es nur immer
von der menschlichen Natur möglich zu sein scheint. Eine Vogelfeder,
ein Kuhhorn, eine Muschel oder jede andere gemeine Sache, sobald sie
durch einige Worte eingeweiht worden, ist ein Gegenstand der Verehrung
und der Anrufung in Eidschwüren. Die Schwarzen sind sehr eitel,
aber auf Negerart, und so plauderhaft, daß sie mit Prügeln müssen
auseinandergejagt werden.
Unter allen _Wilden_ ist keine Völkerschaft, welche einen so erhabenen
Gemütscharakter an sich zeigte, als die von _Nordamerika_. Sie haben
ein starkes Gefühl für Ehre, und indem sie, um sie zu erjagen,
wilde Abenteuer Hunderte von Meilen weit aufsuchen, so sind sie noch
äußerst aufmerksam, den mindesten Abbruch derselben zu verhüten,
wenn ihr ebenso harter Feind, nachdem er sie ergriffen hat, durch
grausame Qualen feige Seufzer von ihnen zu erzwingen sucht. Der
kanadische Wilde ist übrigens wahrhaft und redlich. Die Freundschaft,
die er errichtet, ist ebenso abenteuerlich und enthusiastisch,
als was jemals aus den ältesten und fabelhaften Zeiten davon
gemeldet worden. Er ist äußerst stolz, empfindet den ganzen Wert
der Freiheit und erduldet selbst in der Erziehung keine Begegnung,
welche ihm eine niedrige Unterwerfung empfinden ließe. _Lykurgus_ hat
wahrscheinlicherweise eben dergleichen Wilden Gesetze gegeben, und wenn
ein Gesetzgeber unter den sechs Nationen aufstände, so würde man eine
spartanische Republik sich in der neuen Welt erheben sehen; wie denn
die Unternehmung der Argonauten von den Kriegeszügen dieser Indianer
wenig unterschieden ist, und _Jason_ vor dem _Attakakullakulla_
nichts als die Ehre eines griechischen Namens voraushat. Alle diese
Wilden haben wenig Gefühl für das Schöne im moralischen Verstande,
und die großmütige Vergebung einer Beleidigung, die zugleich edel
und schön ist, ist als Tugend unter den Wilden völlig unbekannt,
sondern wird wie eine elende Feigheit verachtet. Tapferkeit ist das
größte Verdienst des Wilden, und Rache seine süßeste Wollust. Die
übrigen Eingebornen dieses Weltteils zeigen wenig Spuren eines
Gemütscharakters, welcher zu feineren Empfindungen aufgelegt wäre,
und eine außerordentliche Fühllosigkeit macht das Merkmal dieser
Menschengattungen aus.
Betrachten wir das Geschlechterverhältnis in diesen Weltteilen,
so finden wir, daß der _Europäer_ einzig und allein das Geheimnis
gefunden hat, den sinnlichen Reiz einer mächtigen Neigung mit so viel
Blumen zu schmücken und mit so viel Moralischem zu durchflechten,
daß er die Annehmlichkeiten desselben nicht allein überaus erhöht,
sondern auch sehr anständig gemacht hat. Der Bewohner des _Orients_
ist in diesem Punkte von sehr falschem Geschmacke. Indem er keinen
Begriff hat von dem sittlich Schönen, das mit diesem Triebe kann
verbunden werden, so büßt er auch sogar den Wert des sinnlichen
Vergnügens ein, und sein Harem ist ihm eine beständige Quelle
von Unruhe. Er gerät auf allerlei verliebte Fratzen, worunter das
eingebildete Kleinod eins der vornehmsten ist, dessen er sich vor allem
zu versichern sucht, dessen ganzer Wert nur darin besteht, daß man
es zerbricht, und von welchem man überhaupt in unserem Weltteil viel
hämischen Zweifel hegt und zu dessen Erhaltung er sich sehr unbilliger
und öfters ekelhafter Mittel bedient. Daher ist die Frauensperson
daselbst jederzeit im Gefängnisse, sie mag nun ein Mädchen sein
oder einen barbarischen, untüchtigen und jederzeit argwöhnischen
Mann haben. In den Ländern der _Schwarzen_: was kann man da Besseres
erwarten, als was durchgängig daselbst angetroffen wird, nämlich
das weibliche Geschlecht in der tiefsten Sklaverei? Ein Verzagter
ist allemal ein strenger Herr über den Schwächeren, sowie auch bei
uns derjenige Mann jederzeit ein Tyrann in der Küche ist, welcher
außer seinem Hause sich kaum erkühnt, jemanden unter die Augen zu
treten. Der Pater Labat meldet zwar, daß ein Negerzimmermann, dem er
das hochmütige Verfahren gegen seine Weiber vorgeworfen, geantwortet
habe: »Ihr Weißen seid rechte Narren, denn zuerst räumet ihr euren
Weibern so viel ein, und hernach klagt ihr, wenn sie euch den Kopf toll
machen«; es ist auch, als wenn hierin so etwas wäre, was vielleicht
verdiente, in Überlegung gezogen zu werden, allein kurzum, dieser Kerl
war vom Kopf bis auf die Füße ganz schwarz, ein deutlicher Beweis,
daß das, was er sagte, dumm war. Unter allen Wilden sind keine,
bei denen das weibliche Geschlecht in größerem wirklichen Ansehen
stände, als die von _Kanada_. Vielleicht übertreffen sie darin sogar
unseren gesitteten Weltteil. Nicht als wenn man den Frauen daselbst
demütige Aufwartungen machte; das sind nur Komplimente. Nein, sie
haben wirklich zu befehlen. Sie versammlen sich und beratschlagen
über die wichtigsten Anordnungen der Nation, über Krieg und
Frieden. Sie schicken darauf ihre Abgeordneten an den männlichen Rat,
und gemeiniglich ist ihre Stimme diejenige, welche entscheidet. Aber
sie erkaufen diesen Vorzug teuer genug. Sie haben alle häuslichen
Angelegenheiten auf dem Halse und nehmen an allen Beschwerlichkeiten
der Männer mit Anteil.
Wenn wir zuletzt noch einige Blicke auf die Geschichte werfen,
so sehen wir den Geschmack der Menschen wie einen Proteus stets
wandelbare Gestalten annehmen. Die alten Zeiten der Griechen und Römer
zeigen deutliche Merkmale eines echten Gefühls für das Schöne
sowohl als das Erhabene in der Dichtkunst, der Bildhauerkunst,
der Architektur, der Gesetzgebung und selbst in den Sitten. Die
Regierung der römischen Kaiser veränderte die edle sowohl als die
schöne Einfalt in das Prächtige und dann in den falschen Schimmer,
wovon uns noch die Überbleibsel ihrer Beredsamkeit, Dichtkunst und
selbst die Geschichte ihrer Bitten belehren können. Allmählich
erlosch auch dieser Rest des feinern Geschmacks mit dem gänzlichen
Verfall des Staats. Die Barbaren, nachdem sie ihrerseits ihre Macht
befestigten, führten einen gewissen verkehrten Geschmack ein, den man
den gotischen nennt und der auf Fratzen auslief. Man sah nicht allein
Fratzen in der Baukunst, sondern auch in den Wissenschaften und den
übrigen Gebräuchen. Das verunartete Gefühl, da es einmal durch
falsche Kunst geführt ward, nahm eher eine jede andere natürliche
Gestalt als die alte Einfalt der Natur an, und war entweder beim
Übertriebenen oder beim Läppischen. Der höchste Schwung, den das
menschliche Genie nahm, um zu dem Erhabenen aufzusteigen, bestand in
Abenteuern. Man sah geistliche und weltliche Abenteurer und oftmals
eine widrige und ungeheure Bastardart von beiden. Mönche mit dem
Meßbuch in einer und der Kriegesfahne in der andern Hand, denen ganze
Heere betrogener Schlachtopfer folgten, um in andern Himmelsgegenden
und in einem heiligeren Boden ihre Gebeine verscharren zu lassen,
eingeweihte Krieger, durch feierliche Gelübde zur Gewalttätigkeit und
Missetaten geheiligt, in der Folge eine seltsame Art von heroischen
Phantasten, welche sich Ritter nannten und Abenteuer aufsuchten,
Turniere, Zweikämpfe und romantische Handlungen. Während dieser
Zeit ward die Religion zusamt den Wissenschaften und Sitten durch
elende Fratzen entstellt, und man bemerkt, daß der Geschmack
nicht leichtlich auf einer Seite ausartet, ohne auch in allem
übrigen, was zum feineren Gefühl gehört, deutliche Zeichen
seiner Verderbnis darzulegen. Die Klostergelübde machten aus einem
großen Teil nutzbarer Menschen zahlreiche Gesellschaften emsiger
Müßiggänger, deren grüblerische Lebensart sie geschickt machte,
tausend Schulfratzen auszuhecken, welche von da in größere Welt
ausgingen und ihre Art verbreiteten. Endlich, nachdem das menschliche
Genie von einer fast gänzlichen Zerstörung sich durch eine Art von
Palingenesie glücklich wiederum erhoben hat, so sehen wir in unsern
Tagen den richtigen Geschmack des Schönen und Edlen, sowohl in den
Künsten und Wissenschaften als in Ansehung des Sittlichen, aufblühen,
und es ist nichts mehr zu wünschen, als daß der falsche Schimmer,
der so leichtlich täuscht, uns nicht unvermerkt von der edlen Einfalt
entferne, vornehmlich aber, daß das noch unentdeckte Geheimnis der
Erziehung dem alten Wahne entrissen werde, um das sittliche Gefühl
frühzeitig in dem Busen eines jeden jungen Weltbürgers zu einer
tätigen Empfindung zu erhöhen, damit nicht alle Feinigkeit bloß
auf das flüchtige und müßige Vergnügen hinauslaufe, dasjenige, was
außer uns vorgeht, mit mehr oder weniger Geschmacke zu beurteilen.
1764.
Gedruckt in der Roßberg'schen Buchdruckerei in Leipzig.
als die abergläubische Neigung, wenn er gleich im Anfange ungestüm
ist, weil die Erhitzung eines schwärmerischen Geistes allmählich
verkühlt und seiner Natur nach endlich zur ordentlichen Mäßigung
gelangen muß, anstatt daß der Aberglaube sich in einer ruhigen und
leidenden Gemütsbeschaffenheit unvermerkt tiefer einwurzelt und dem
gefesselten Menschen das Zutrauen gänzlich benimmt, sich von einem
schädlichen Wahne jemals zu befreien. Endlich ist ein Eiteler und
Leichtsinniger jederzeit ohne stärkeres Gefühl für das Erhabene,
und seine Religion ist ohne Rührung, mehrenteils nur eine Sache der
Mode, welche er mit aller Artigkeit begeht und kalt bleibt. Dieses
ist der praktische _Indifferentismus_, zu welchem der _französische_
Nationalgeist am meisten geneigt zu sein scheint, wovon bis zur
frevelhaften Spötterei nur ein Schritt ist, und der im Grunde, wenn
auf den inneren Wert gesehen wird, vor einer gänzlichen Absagung wenig
voraushat.
(16) Man hat sonst bemerkt, daß die Engländer als ein so
kluges Volk gleichwohl leichtlich durch eine dreiste Ankündigung
einer wunderlichen und ungereimten Sache können berückt werden,
sie anfänglich zu glauben; wovon man viele Beispiele hat. Allein
eine kühne Gemütsart, vorbereitet durch verschiedene Erfahrungen,
in welchen manche seltsamen Dinge gleichwohl wahr befunden worden,
bricht geschwinde durch die kleinen Bedenklichkeiten, von denen ein
schwacher und mißtrauischer Kopf bald aufgehalten wird und so ohne
sein Verdienst bisweilen vor dem Irrtum verwahrt wird.
(17) Der Fanaticism muß vom _Enthusiasmus_ jederzeit unterschieden
werden. Jener glaubt eine unmittelbare und außerordentliche
Gemeinschaft mit einer höheren Natur zu fühlen, dieser
bedeutet den Zustand des Gemüts, da dasselbe durch irgendeinen
Grundsatz über den geziemenden Grad erhitzt worden, es
sei nun durch die Maxime der patriotischen Tugend, oder der
Freundschaft, oder der Religion, ohne daß hiebei die Einbildung
einer übernatürlichen Gemeinschaft etwas zu schaffen hat.
Gehen wir mit einem flüchtigen Blicke noch die anderen Weltteile
durch, so treffen wir den _Araber_ als den edelsten Menschen im
Oriente an, doch von einem Gefühl, welches sehr in das Abenteuerliche
ausartet. Er ist gastfrei, großmütig und wahrhaft; allein seine
Erzählung und Geschichte und überhaupt seine Empfindung ist jederzeit
mit etwas Wunderbarem durchflochten. Seine erhitzte Einbildungskraft
stellt ihm die Sachen in unnatürlichen und verzogenen Bildern dar, und
selbst die Ausbreitung seiner Religion war ein großes Abenteuer. Wenn
die Araber gleichsam die Spanier des Orients sind, so sind die
_Perser_ die Franzosen von Asien. Sie sind gute Dichter, höflich und
von ziemlich feinem Geschmacke. Sie sind nicht so strenge Befolger
des Islam und erlauben ihrer zur Lustigkeit aufgelegten Gemütsart
eine ziemlich milde Auslegung des Koran. Die _Japoneser_ könnten
gleichsam als die Engländer dieses Weltteils angesehen werden, aber
kaum in einer andern Eigenschaft als ihrer Standhaftigkeit, die bis zur
äußersten Halsstarrigkeit ausartet, ihrer Tapferkeit und Verachtung
des Todes. Übrigens zeigen sie wenig Merkmale eines feineren Gefühls
an sich. Die _Indianer_ haben einen herrschenden Geschmack von
Fratzen von derjenigen Art, die ins Abenteuerliche einschlägt. Ihre
Religion besteht aus Fratzen. Götzenbilder von ungeheurer Gestalt,
der unschätzbare Zahn des mächtigen Affen Hanuman, die unnatürlichen
Büßungen der Fakirs (heidnischer Bettelmönche) usw. sind in diesem
Geschmacke. Die willkürliche Aufopferung der Weiber in ebendemselben
Scheiterhaufen, der die Leiche ihres Mannes verzehrt, ist ein
scheußliches Abenteuer. Welche läppische Fratzen enthalten nicht
die weitschichtigen und ausstudierten Komplimente der _Chineser_;
selbst ihre Gemälde sind fratzenhaft und stellen wunderliche
und unnatürliche Gestalten vor, dergleichen nirgend in der Welt
anzutreffen sind. Sie haben auch ehrwürdige Fratzen, darum, weil sie
von uraltem Gebrauch sind(18), und keine Völkerschaft in der Welt
hat deren mehr als diese.
(18) Man begeht noch in Peking die Zeremonie, bei einer Sonnen-
oder Mondfinsternis durch großes Geräusch den Drachen zu verjagen,
der diese Himmelskörper verschlingen will, und behält einen elenden
Gebrauch aus den ältesten Zeiten der Unwissenheit bei, ob man gleich
jetzt besser belehrt ist.
Die _Negers_ von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches
über das Läppische stiege. Herr _Hume_ fordert jedermann auf, ein
einziges Beispiel anzuführen, da ein Neger Talente gewiesen habe, und
behauptet: daß unter den Hunderttausenden von Schwarzen, die aus ihren
Ländern anderwärts verführt werden, obgleich deren sehr viele auch
in Freiheit gesetzt werden, dennoch nicht ein einziger jemals gefunden
worden, der entweder in Kunst oder Wissenschaft oder irgendeiner
andern rühmlichen Eigenschaft etwas Großes vorgestellt habe,
obgleich unter den Weißen sich beständig welche aus dem niedrigsten
Pöbel emporschwingen und durch vorzügliche Gaben in der Welt ein
Ansehen erwerben. So wesentlich ist der Unterschied zwischen diesen
zwei Menschengeschlechtern, und er scheint ebenso groß in Ansehung
der Gemütsfähigkeiten als der Farbe nach zu sein. Die unter ihnen
weit ausgebreitete Religion der Fetische ist vielleicht eine Art von
Götzendienst, welcher so tief ins Läppische sinkt, als es nur immer
von der menschlichen Natur möglich zu sein scheint. Eine Vogelfeder,
ein Kuhhorn, eine Muschel oder jede andere gemeine Sache, sobald sie
durch einige Worte eingeweiht worden, ist ein Gegenstand der Verehrung
und der Anrufung in Eidschwüren. Die Schwarzen sind sehr eitel,
aber auf Negerart, und so plauderhaft, daß sie mit Prügeln müssen
auseinandergejagt werden.
Unter allen _Wilden_ ist keine Völkerschaft, welche einen so erhabenen
Gemütscharakter an sich zeigte, als die von _Nordamerika_. Sie haben
ein starkes Gefühl für Ehre, und indem sie, um sie zu erjagen,
wilde Abenteuer Hunderte von Meilen weit aufsuchen, so sind sie noch
äußerst aufmerksam, den mindesten Abbruch derselben zu verhüten,
wenn ihr ebenso harter Feind, nachdem er sie ergriffen hat, durch
grausame Qualen feige Seufzer von ihnen zu erzwingen sucht. Der
kanadische Wilde ist übrigens wahrhaft und redlich. Die Freundschaft,
die er errichtet, ist ebenso abenteuerlich und enthusiastisch,
als was jemals aus den ältesten und fabelhaften Zeiten davon
gemeldet worden. Er ist äußerst stolz, empfindet den ganzen Wert
der Freiheit und erduldet selbst in der Erziehung keine Begegnung,
welche ihm eine niedrige Unterwerfung empfinden ließe. _Lykurgus_ hat
wahrscheinlicherweise eben dergleichen Wilden Gesetze gegeben, und wenn
ein Gesetzgeber unter den sechs Nationen aufstände, so würde man eine
spartanische Republik sich in der neuen Welt erheben sehen; wie denn
die Unternehmung der Argonauten von den Kriegeszügen dieser Indianer
wenig unterschieden ist, und _Jason_ vor dem _Attakakullakulla_
nichts als die Ehre eines griechischen Namens voraushat. Alle diese
Wilden haben wenig Gefühl für das Schöne im moralischen Verstande,
und die großmütige Vergebung einer Beleidigung, die zugleich edel
und schön ist, ist als Tugend unter den Wilden völlig unbekannt,
sondern wird wie eine elende Feigheit verachtet. Tapferkeit ist das
größte Verdienst des Wilden, und Rache seine süßeste Wollust. Die
übrigen Eingebornen dieses Weltteils zeigen wenig Spuren eines
Gemütscharakters, welcher zu feineren Empfindungen aufgelegt wäre,
und eine außerordentliche Fühllosigkeit macht das Merkmal dieser
Menschengattungen aus.
Betrachten wir das Geschlechterverhältnis in diesen Weltteilen,
so finden wir, daß der _Europäer_ einzig und allein das Geheimnis
gefunden hat, den sinnlichen Reiz einer mächtigen Neigung mit so viel
Blumen zu schmücken und mit so viel Moralischem zu durchflechten,
daß er die Annehmlichkeiten desselben nicht allein überaus erhöht,
sondern auch sehr anständig gemacht hat. Der Bewohner des _Orients_
ist in diesem Punkte von sehr falschem Geschmacke. Indem er keinen
Begriff hat von dem sittlich Schönen, das mit diesem Triebe kann
verbunden werden, so büßt er auch sogar den Wert des sinnlichen
Vergnügens ein, und sein Harem ist ihm eine beständige Quelle
von Unruhe. Er gerät auf allerlei verliebte Fratzen, worunter das
eingebildete Kleinod eins der vornehmsten ist, dessen er sich vor allem
zu versichern sucht, dessen ganzer Wert nur darin besteht, daß man
es zerbricht, und von welchem man überhaupt in unserem Weltteil viel
hämischen Zweifel hegt und zu dessen Erhaltung er sich sehr unbilliger
und öfters ekelhafter Mittel bedient. Daher ist die Frauensperson
daselbst jederzeit im Gefängnisse, sie mag nun ein Mädchen sein
oder einen barbarischen, untüchtigen und jederzeit argwöhnischen
Mann haben. In den Ländern der _Schwarzen_: was kann man da Besseres
erwarten, als was durchgängig daselbst angetroffen wird, nämlich
das weibliche Geschlecht in der tiefsten Sklaverei? Ein Verzagter
ist allemal ein strenger Herr über den Schwächeren, sowie auch bei
uns derjenige Mann jederzeit ein Tyrann in der Küche ist, welcher
außer seinem Hause sich kaum erkühnt, jemanden unter die Augen zu
treten. Der Pater Labat meldet zwar, daß ein Negerzimmermann, dem er
das hochmütige Verfahren gegen seine Weiber vorgeworfen, geantwortet
habe: »Ihr Weißen seid rechte Narren, denn zuerst räumet ihr euren
Weibern so viel ein, und hernach klagt ihr, wenn sie euch den Kopf toll
machen«; es ist auch, als wenn hierin so etwas wäre, was vielleicht
verdiente, in Überlegung gezogen zu werden, allein kurzum, dieser Kerl
war vom Kopf bis auf die Füße ganz schwarz, ein deutlicher Beweis,
daß das, was er sagte, dumm war. Unter allen Wilden sind keine,
bei denen das weibliche Geschlecht in größerem wirklichen Ansehen
stände, als die von _Kanada_. Vielleicht übertreffen sie darin sogar
unseren gesitteten Weltteil. Nicht als wenn man den Frauen daselbst
demütige Aufwartungen machte; das sind nur Komplimente. Nein, sie
haben wirklich zu befehlen. Sie versammlen sich und beratschlagen
über die wichtigsten Anordnungen der Nation, über Krieg und
Frieden. Sie schicken darauf ihre Abgeordneten an den männlichen Rat,
und gemeiniglich ist ihre Stimme diejenige, welche entscheidet. Aber
sie erkaufen diesen Vorzug teuer genug. Sie haben alle häuslichen
Angelegenheiten auf dem Halse und nehmen an allen Beschwerlichkeiten
der Männer mit Anteil.
Wenn wir zuletzt noch einige Blicke auf die Geschichte werfen,
so sehen wir den Geschmack der Menschen wie einen Proteus stets
wandelbare Gestalten annehmen. Die alten Zeiten der Griechen und Römer
zeigen deutliche Merkmale eines echten Gefühls für das Schöne
sowohl als das Erhabene in der Dichtkunst, der Bildhauerkunst,
der Architektur, der Gesetzgebung und selbst in den Sitten. Die
Regierung der römischen Kaiser veränderte die edle sowohl als die
schöne Einfalt in das Prächtige und dann in den falschen Schimmer,
wovon uns noch die Überbleibsel ihrer Beredsamkeit, Dichtkunst und
selbst die Geschichte ihrer Bitten belehren können. Allmählich
erlosch auch dieser Rest des feinern Geschmacks mit dem gänzlichen
Verfall des Staats. Die Barbaren, nachdem sie ihrerseits ihre Macht
befestigten, führten einen gewissen verkehrten Geschmack ein, den man
den gotischen nennt und der auf Fratzen auslief. Man sah nicht allein
Fratzen in der Baukunst, sondern auch in den Wissenschaften und den
übrigen Gebräuchen. Das verunartete Gefühl, da es einmal durch
falsche Kunst geführt ward, nahm eher eine jede andere natürliche
Gestalt als die alte Einfalt der Natur an, und war entweder beim
Übertriebenen oder beim Läppischen. Der höchste Schwung, den das
menschliche Genie nahm, um zu dem Erhabenen aufzusteigen, bestand in
Abenteuern. Man sah geistliche und weltliche Abenteurer und oftmals
eine widrige und ungeheure Bastardart von beiden. Mönche mit dem
Meßbuch in einer und der Kriegesfahne in der andern Hand, denen ganze
Heere betrogener Schlachtopfer folgten, um in andern Himmelsgegenden
und in einem heiligeren Boden ihre Gebeine verscharren zu lassen,
eingeweihte Krieger, durch feierliche Gelübde zur Gewalttätigkeit und
Missetaten geheiligt, in der Folge eine seltsame Art von heroischen
Phantasten, welche sich Ritter nannten und Abenteuer aufsuchten,
Turniere, Zweikämpfe und romantische Handlungen. Während dieser
Zeit ward die Religion zusamt den Wissenschaften und Sitten durch
elende Fratzen entstellt, und man bemerkt, daß der Geschmack
nicht leichtlich auf einer Seite ausartet, ohne auch in allem
übrigen, was zum feineren Gefühl gehört, deutliche Zeichen
seiner Verderbnis darzulegen. Die Klostergelübde machten aus einem
großen Teil nutzbarer Menschen zahlreiche Gesellschaften emsiger
Müßiggänger, deren grüblerische Lebensart sie geschickt machte,
tausend Schulfratzen auszuhecken, welche von da in größere Welt
ausgingen und ihre Art verbreiteten. Endlich, nachdem das menschliche
Genie von einer fast gänzlichen Zerstörung sich durch eine Art von
Palingenesie glücklich wiederum erhoben hat, so sehen wir in unsern
Tagen den richtigen Geschmack des Schönen und Edlen, sowohl in den
Künsten und Wissenschaften als in Ansehung des Sittlichen, aufblühen,
und es ist nichts mehr zu wünschen, als daß der falsche Schimmer,
der so leichtlich täuscht, uns nicht unvermerkt von der edlen Einfalt
entferne, vornehmlich aber, daß das noch unentdeckte Geheimnis der
Erziehung dem alten Wahne entrissen werde, um das sittliche Gefühl
frühzeitig in dem Busen eines jeden jungen Weltbürgers zu einer
tätigen Empfindung zu erhöhen, damit nicht alle Feinigkeit bloß
auf das flüchtige und müßige Vergnügen hinauslaufe, dasjenige, was
außer uns vorgeht, mit mehr oder weniger Geschmacke zu beurteilen.
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