Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen - 4

Total number of words is 4155
Total number of unique words is 1371
36.3 of words are in the 2000 most common words
51.1 of words are in the 5000 most common words
57.2 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
Zufriedenheit und Wohlgefallen an der Freude, die um sie vorgeht,
verrät, ist noch immer eine feinere Person als ein Mann in gleichem
Alter, und vielleicht noch liebenswürdiger als ein Mädchen, wiewohl
in einem anderen Verstande. Zwar möchte die platonische Liebe wohl
etwas zu mystisch sein, welche ein alter Philosoph vorgab, wenn er von
dem Gegenstande seiner Neigung sagte: »Die Grazien residieren in ihren
Runzeln, und meine Seele scheint auf meinen Lippen zu schweben, wenn
ich ihren welken Mund küsse«; allein dergleichen Ansprüche müssen
alsdann auch aufgegeben werden. Ein alter Mann, der verliebt tut, ist
ein Geck, und die ähnlichen Anmaßungen des andern Geschlechts sind
alsdann ekelhaft. An der Natur liegt es niemals, wenn wir nicht mit
einem guten Anstande erscheinen, sondern daran, daß man sie verkehren
will.
Damit ich meinen Text nicht aus den Augen verliere, so will ich noch
einige Betrachtungen über den Einfluß anstellen, den ein Geschlecht
aufs andere haben kann, dessen Gefühl zu verschöneren oder zu
veredlen. Das Frauenzimmer hat ein vorzügliches Gefühl für das
_Schöne_, sofern es _ihnen selbst_ zukommt, aber für das _Edle_,
insoweit es am _männlichen Geschlechte_ angetroffen wird. Der Mann
dagegen hat ein entschiedenes Gefühl für das _Edle_, was zu _seinen_
Eigenschaften gehört, für das _Schöne_ aber, insofern es an dem
_Frauenzimmer_ anzutreffen ist. Daraus muß folgen, daß die Zwecke
der Natur darauf gehen, den Mann durch die Geschlechterneigung noch
mehr zu _veredlen_ und das Frauenzimmer durch ebendieselbe noch mehr
zu _verschönern_. Ein Frauenzimmer ist darüber wenig verlegen,
daß sie gewisse hohe Einsichten nicht besitzt, daß sie furchtsam
und zu wichtigen Geschäften nicht auferlegt ist usw. usw., sie ist
schön und nimmt ein, und das ist genug. Dagegen fordert sie alle diese
Eigenschaften am Manne, und die Erhabenheit ihrer Seele zeigt sich nur
darin, daß sie diese edlen Eigenschaften zu schätzen weiß, sofern
sie bei ihm anzutreffen sind. Wie würde es sonst wohl möglich sein,
daß so viel männliche Fratzengesichter, ob sie gleich Verdienste
besitzen mögen, so artige und feine Frauen bekommen könnten! Dagegen
ist der Mann viel delikater in Ansehung der schönen Reize des
Frauenzimmers. Er ist durch die feine Gestalt desselben, die muntere
Naivetät und die reizende Freundlichkeit genugsam schadlos gehalten
wegen des Mangels von Büchergelehrsamkeit und wegen anderer Mängel,
die er durch seine eigenen Talente ersetzen muß. Eitelkeit und
Moden können wohl diesen natürlichen Trieben eine falsche Richtung
geben und aus mancher Mannsperson einen _süßen Herren_, aus dem
Frauenzimmer aber eine _Pedantin_ oder _Amazone_ machen, allein die
Natur sucht doch jederzeit zu ihrer Ordnung zurückzuführen. Man kann
daraus urteilen, welche mächtigen Einflüsse die Geschlechterneigung
vornehmlich auf das männliche Geschlecht haben könnte, um es
zu veredlen, wenn anstatt vieler trockenen Unterweisungen das
moralische Gefühl des Frauenzimmers zeitig entwickelt würde, um
dasjenige gehörig zu empfinden, was zu der Würde und zu den erhabenen
Eigenschaften des anderen Geschlechts gehört, und dadurch vorbereitet
würde, den läppischen Zieraffen mit Verachtung anzusehen und sich
keinen andern Eigenschaften als den Verdiensten zu ergeben. Es ist
auch gewiß, daß die Gewalt ihrer Reize dadurch überhaupt gewinnen
würde; denn es zeigt sich, daß die Bezauberung derselben mehrenteils
nur auf edlere Seelen wirke, die anderen sind nicht fein genug,
sie zu empfinden. Ebenso sagte der Dichter _Simonides_, als man ihm
riet, vor den _Thessaliern_ seine schönen Gesänge hören zu lassen:
»Diese Kerle sind zu dumm dazu, als daß sie von einem solchen Manne,
wie ich bin, könnten betrogen werden.« Man hat es sonst schon als
eine Wirkung des Umganges mit dem schönen Geschlecht angesehen, daß
die männlichen Sitten sanfter, ihr Betragen artiger und geschliffener
und ihr Anstand zierlicher geworden; allein dieses ist nur ein Vorteil
in der Nebensache.(10) Es liegt am meisten daran, daß der Mann
als Mann vollkommner werde und die Frau als ein Weib, d. i. daß
die Triebfedern der Geschlechterneigung dem Winke der Natur gemäß
wirken, den einen noch mehr zu veredlen und die Eigenschaften der
andren zu verschönern. Wenn alles aufs Äußerste kommt, so wird der
Mann, dreist auf seine Verdienste, sagen können: »_Wenn ihr mich
gleich nicht liebt, so will ich euch zwingen, mich hochzuachten_«,
und das Frauenzimmer, sicher der Macht ihrer Reize, wird antworten:
»_Wenn ihr uns gleich nicht innerlich hochschätzet, so zwingen wir
euch doch, uns zu lieben_.« In Ermangelung solcher Grundsätze sieht
man Männer Weiblichkeiten annehmen, um zu gefallen, und Frauenzimmer
bisweilen (wiewohl viel seltner) einen männlichen Anstand künstlen,
um Hochachtung einzuflößen; was man aber wider den Dank der Natur
macht, das macht man jederzeit sehr schlecht.
(10) Dieser Vorteil selbst wird gar sehr gemindert durch die
Beobachtung, welche man gemacht haben will, daß diejenigen
Mannspersonen, welche zu früh und zu häufig in solchen
Gesellschaften eingeflochten sind, denen das Frauenzimmer den Ton
gibt, gemeiniglich etwas läppisch werden und im männlichen Umgange
langweilig oder auch verächtlich sind, weil sie den Geschmack an
einer Unterhaltung verloren haben, die zwar munter, aber doch auch
von wirklichem Gehalt, zwar scherzhaft, aber auch durch ernsthafte
Gespräche nützlich sein muß.
In dem ehelichen Leben soll das vereinigte Paar gleichsam eine einzige
moralische Person ausmachen, welche durch den Verstand des Mannes und
den Geschmack der Frauen belebt und regiert wird. Denn nicht allein,
daß man jenem mehr auf Erfahrung gegründete Einsicht, diesem aber
mehr Freiheit und Richtigkeit in der Empfindung zutrauen kann, so ist
eine Gemütsart, je erhabener sie ist, auch um desto geneigter, die
größte Absicht der Bemühungen in der Zufriedenheit eines geliebten
Gegenstandes zu setzen, und andererseits je schöner sie ist, desto
mehr sucht sie durch Gefälligkeit diese Bemühung zu erwidern. Es ist
also in einem solchen Verhältnisse ein Vorzugsstreit läppisch und,
wo er sich ereignet, das sicherste Merkmal eines plumpen oder ungleich
gepaarten Geschmackes. Wenn es dahin kommt, daß die Rede vom Rechte
des Befehlshabers ist, so ist die Sache schon äußerst verderbt;
denn wo die ganze Verbindung eigentlich nur auf Neigung errichtet
ist, da ist sie schon halb zerrissen, sobald sich das Sollen anfängt
hören zu lassen. Die Anmaßung des Frauenzimmers in diesem harten
Tone ist äußerst häßlich und des Mannes im höchsten Grade unedel
und verächtlich. Indessen bringt es die weise Ordnung der Dinge
so mit sich: daß alle diese Feinigkeiten und Zärtlichkeiten der
Empfindung nur im Anfange ihre ganze Stärke haben, in der Folge aber
durch Gemeinschaft und häusliche Angelegenheiten allmählich stumpfer
werden und dann in vertrauliche Liebe ausarten, wo endlich die große
Kunst darin besteht, noch genugsame Reste von jenen zu erhalten, damit
Gleichgültigkeit und Überdruß nicht den ganzen Wert des Vergnügens
aufheben, um dessentwillen es einzig und allein verlohnt hat, eine
solche Verbindung einzugehen.


Vierter Abschnitt
Von den Nationalcharaktern(11), insofern sie auf dem unterschiedlichen
Gefühl des Erhabenen und Schönen beruhen
(11) Meine Absicht ist gar nicht, die Charaktere der Völkerschaften
ausführlich zu schildern, sondern ich entwerfe nur einige
Züge, die das Gefühl des Erhabenen und Schönen an ihnen
ausdrücken. Man kann leicht erachten, daß an dergleichen
Zeichnung nur eine leidliche Richtigkeit könne verlangt werden,
daß die Urbilder davon nur in dem großen Haufen derjenigen, die
auf ein feineres Gefühl Anspruch machen, hervorstechen und daß es
keiner Nation an Gemütsarten fehle, welche die vortrefflichsten
Eigenschaften von dieser Art vereinbaren. Um deswillen kann
der Tadel, der gelegentlich auf ein Volk fallen möchte, keinen
beleidigen, wie er denn von solcher Natur ist, daß ein jeglicher
ihn wie einen Ball auf seinen Nachbar schlagen kann. Ob diese
Nationalunterschiede zufällig seien und von den Zeitläuften und der
Regierungsart abhängen, oder mit einer gewissen Notwendigkeit an das
Klima gebunden seien, das untersuche ich hier nicht.

Unter den Völkerschaften unseres Weltteils sind meiner Meinung nach
die _Italiener_ und _Franzosen_ diejenigen, welche im Gefühl des
_Schönen_, die _Deutschen_ aber, _Engländer_ und _Spanier_, die
durch das Gefühl des _Erhabenen_ sich unter allen übrigen am meisten
ausnehmen. _Holland_ kann für dasjenige Land gehalten werden, wo
dieser feinere Geschmack ziemlich unmerklich wird. Das Schöne selbst
ist entweder bezaubernd und rührend, oder lachend und reizend. Das
erstere hat etwas von dem Erhabenen an sich, und das Gemüt in diesem
Gefühl ist tiefsinnig und entzückt, in dem Gefühl der zweiten Art
aber lächlend und fröhlich. Den Italienern scheint die erstere, den
Franzosen die zweite Art des schönen Gefühls vorzüglich angemessen
zu sein. In dem Nationalcharaktere, der den Ausdruck des Erhabenen
an sich hat, ist dieses entweder das von der schreckhaften Art, das
sich ein wenig zum Abenteuerlichen neigt, oder es ist ein Gefühl
für das Edle, oder für das Prächtige. Ich glaube Gründe zu haben,
das Gefühl der ersteren Art dem Spanier, der zweiten dem Engländer
und der dritten dem Deutschen beilegen zu können. Das Gefühl fürs
Prächtige ist seiner Natur nach nicht original, so wie die übrigen
Arten des Geschmacks, und obgleich ein Nachahmungsgeist mit jedem
andern Gefühl kann verbunden sein, so ist er doch dem für das
Schimmernd-Erhabene mehr eigen, denn es ist dieses eigentlich ein
gemischtes Gefühl aus dem des Schönen und des Edlen, wo jedes,
für sich betrachtet, kälter ist, und daher das Gemüt frei genug
ist, bei der Verknüpfung desselben auf Beispiele zu merken, und auch
deren Antrieb vonnöten hat. Der Deutsche wird demnach weniger Gefühl
in Ansehung des Schönen haben, als der Franzose, und weniger von
demjenigen, was auf das Erhabene geht, als der Engländer, aber in den
Fällen, wo beides verbunden erscheinen soll, wird es seinem Gefühl
mehr gemäß sein, wie er denn auch die Fehler glücklich vermeiden
wird, in die eine ausschweifende Stärke einer jeden dieser Arten des
Gefühls allein geraten könnte.
Ich berühre nur flüchtig die Künste und die Wissenschaften,
deren Wahl den Geschmack der Nationen bestätigen kann, welchen wir
ihnen beigemessen haben. Das italienische Genie hat sich vornehmlich
in der Tonkunst, der Malerei, Bildhauerkunst und der Architektur
hervorgetan. Alle diese schönen Künste finden einen gleich feinen
Geschmack in Frankreich für sich, obgleich die Schönheit derselben
hier weniger rührend ist. Der Geschmack in Ansehung der dichterischen
oder rednerischen Vollkommenheit fällt in Frankreich mehr in
das Schöne, in England mehr in das Erhabene. Die feinen Scherze,
das Lustspiel, die lachende Satire, das verliebte Tändeln und die
leicht und natürlich fließende Schreibart sind dort original. In
England dagegen Gedanken von tiefsinnigem Inhalt, das Trauerspiel, das
epische Gedicht und überhaupt schweres Gold von Witze, welches unter
französischem Hammer zu dünnen Blättchen von großer Oberfläche
kann gedehnt werden. In Deutschland schimmert der Witz noch sehr
durch die Folie. Ehedem war er schreiend, durch Beispiele aber und
den Verstand der Nation ist er zwar reizender und edler geworden, aber
jenes mit weniger Naivetät, dieses mit einem minder kühnen Schwunge
als in den erwähnten Völkerschaften. Der Geschmack der holländischen
Nation an einer peinlichen Ordnung und einer Zierlichkeit, die in
Bekümmernis und Verlegenheit setzt, läßt auch wenig Gefühl in
Ansehung der ungekünstelten und freien Bewegungen des Genies vermuten,
dessen Schönheit durch die ängstliche Verhütung der Fehler nur
würde entstellt werden. Nichts kann allen Künsten und Wissenschaften
mehr entgegen sein als ein abenteuerlicher Geschmack, weil dieser die
Natur verdreht, welche das Urbild alles Schönen und Edlen ist. Daher
hat die spanische Nation auch wenig Gefühl für die schönen Künste
und Wissenschaften an sich gezeigt.
Die Gemütscharaktere der Völkerschaften sind am kenntlichsten bei
demjenigen, was an ihnen moralisch ist; um deswillen wollen wir noch
das verschiedene Gefühl derselben in Ansehung des Erhabenen und
Schönen aus diesem Gesichtspunkte in Erwägung ziehen.(12)
(12) Es ist kaum nötig, daß ich hier meine vorige Entschuldigung
wiederhole. In jedem Volke enthält der feinste Teil rühmliche
Charaktere von aller Art, und wen ein oder anderer Tadel
treffen sollte, der wird, wenn er fein genug ist, seinen Vorteil
verstehen, der daraus ankommt, daß er jeden andern seinem Schicksale
überläßt, sich selbst aber ausnimmt.
Der _Spanier_ ist ernsthaft, verschwiegen und wahrhaft. Es gibt wenig
redlichere Kaufleute in der Welt als die spanischen. Er hat eine stolze
Seele und mehr Gefühl für große als für schöne Handlungen. Da
in seiner Mischung wenig von dem gütigen und sanften Wohlwollen
anzutreffen ist, so ist er öfters hart und auch wohl grausam. Das
_Autodafé_ erhält sich nicht sowohl durch den Aberglauben, als
durch die abenteuerliche Neigung der Nation, welche durch einen
ehrwürdig-schrecklichen Aufzug gerührt wird, worin es den mit
Teufelsgestalten bemalten _San Benito_ den Flammen, die eine wütende
Andacht entzündet hat, überliefern sieht. Man kann nicht sagen,
der Spanier sei hochmütiger oder verliebter als jemand aus einem
andern Volke, allein er ist beides auf eine abenteuerliche Art, die
seltsam und ungewöhnlich ist. Den Pflug stehen lassen und mit einem
langen Degen und Mantel so lange auf dem Ackerfelde spazieren, bis
der vorüberreisende Fremde vorbei ist, oder in einem Stiergefechte,
wo die Schönen des Landes einmal unverschleiert gesehen werden, seine
Beherrscherin durch einen besonderen Gruß ankündigen und dann ihr zu
Ehren sich in einen gefährlichen Kampf mit einem wilden Tiere wagen,
sind ungewöhnliche und seltsame Handlungen, die von dem Natürlichen
weit abweichen.
Der _Italiener_ scheint ein gemischtes Gefühl zu haben von dem eines
Spaniers und dem eines Franzosen; mehr Gefühl für das Schöne als
der erstere und mehr für das Erhabene als der letztere. Auf diese
Art können, wie ich meine, die übrigen Züge seines moralischen
Charakters erklärt werden.
Der _Franzose_ hat ein herrschendes Gefühl für das moralisch
Schöne. Er ist artig, höflich und gefällig. Er wird sehr geschwinde
vertraulich, ist scherzhaft und frei im Umgange, und der Ausdruck ein
_Mann_ oder eine _Dame von gutem Tone_ hat nur eine verständliche
Bedeutung für den, der das artige Gefühl eines Franzosen erworben
hat. Selbst seine erhabenen Empfindungen, deren er nicht wenige hat,
sind dem Gefühle des Schönen untergeordnet und bekommen nur ihre
Stärke durch die Zusammenstimmung mit dem letzteren. Er ist sehr
gerne witzig und wird einem Einfalle ohne Bedenken etwas von der
Wahrheit aufopfern. Dagegen, wo man nicht witzig sein kann(13),
zeigt er ebensowohl gründliche Einsicht als jemand aus irgendeinem
andern Volke, z. E. in der Mathematik und in den übrigen trockenen
oder tiefsinnigen Künsten und Wissenschaften. Ein _Bonmot_ hat bei ihm
nicht den flüchtigen Wert als anderwärts, es wird begierig verbreitet
und in Büchern aufbehalten, wie die wichtigste Begebenheit. Er
ist ein ruhiger Bürger und rächt sich wegen der Bedrückungen der
Generalpächter durch Satiren, oder durch Parlaments-Remonstrationen,
welche, nachdem sie ihrer Absicht gemäß den Vätern des Volks
ein schönes patriotisches Ansehen gegeben haben, nichts weiter
tun, als daß sie durch eine rühmliche Verweisung gekrönt und in
sinnreichen Lobgedichten besungen werden. Der Gegenstand, auf welchen
sich die Verdienste und Nationalfähigkeiten dieses Volks am meisten
beziehen, ist das Frauenzimmer.(14) Nicht, als wenn es hier mehr
als anderwärts geliebt oder geschätzt würde, sondern weil es die
beste Veranlassung gibt, die beliebtesten Talente des Witzes, der
Artigkeit und der guten Manieren in ihrem Lichte zu zeigen; übrigens
liebt eine eitele Person eines jeden Geschlechts jederzeit nur sich
selbst; die andere ist bloß ihr Spielwerk. Da es den Franzosen an
edlen Eigenschaften gar nicht gebricht, nur daß diese durch die
Empfindung des Schönen allein können belebt werden, so würde das
schöne Geschlecht hier einen mächtigern Einfluß haben können, die
edelsten Handlungen des männlichen zu erwecken und rege zu machen,
als irgend sonst in der Welt, wenn man bedacht wäre, diese Richtung
des Nationalgeistes ein wenig zu begünstigen. Es ist schade, daß die
Lilien nicht spinnen.
(13) In der Metaphysik, der Moral und den Lehren der Religion
kann man bei den Schriften dieser Nation nicht behutsam genug
sein. Es herrscht darin gemeiniglich viel schönes Blendwerk, welches
in einer kalten Untersuchung die Probe nicht hält. Der Franzose
liebt das Kühne in seinen Aussprüchen; allein, um zur Wahrheit
zu gelangen, muß man nicht kühn, sondern behutsam sein. In der
Geschichte hat er gerne Anekdoten, denen nichts weiter fehlt, als
daß zu wünschen ist, daß sie nur wahr wären.
(14) Das Frauenzimmer gibt in Frankreich allen Gesellschaften
und allem Umgange den Ton. Nun ist wohl nicht zu leugnen, daß die
Gesellschaften ohne das schöne Geschlecht ziemlich schmacklos und
langweilig sind; allein wenn die Dame darin den schönen Ton angibt,
so sollte der Mann seinerseits den edlen angeben. Widrigenfalls wird
der Umgang ebensowohl langweilig, aber aus einem entgegengesetzten
Grunde: weil nichts so sehr verekelt als lauter Süßigkeit. Nach
dem französischen Geschmacke heißt es nicht: Ist der Herr zu
Hause?, sondern: Ist Madame zu Hause? Madame ist vor der Toilette,
Madame hat Vapeurs (eine Art schöner Grillen); kurz, mit Madame
und von Madame beschäftigen sich alle Unterredungen und alle
Lustbarkeiten. Indessen ist das Frauenzimmer dadurch gar nicht mehr
geehrt. Ein Mensch, welcher tändelt, ist jederzeit ohne Gefühl
sowohl der wahren Achtung als auch der zärtlichen Liebe. Ich
möchte wohl, um wer weiß wieviel, dasjenige nicht gesagt haben,
was _Rousseau_ so verwegen behauptet: _daß ein Frauenzimmer niemals
etwas mehr als ein großes Kind werde_. Allein der scharfsichtige
Schweizer schrieb dieses in Frankreich, und vermutlich empfand
er es als ein so großer Verteidiger des schönen Geschlechts mit
Entrüstung, daß man demselben nicht mit mehr wirklicher Achtung
daselbst begegnet.
Der Fehler, woran dieser Nationalcharakter am nächsten grenzt,
ist das Läppische oder, mit einem höflicheren Ausdrucke das
Leichtsinnige. Wichtige Dinge werden als Spaße behandelt, und
Kleinigkeiten dienen zur ernsthaftesten Beschäftigung. Im Alter singt
der Franzose alsdann noch lustige Lieder und ist, soviel er kann, auch
galant gegen das Frauenzimmer. Bei diesen Anmerkungen habe ich große
Gewährsmänner aus ebenderselben Völkerschaft auf meiner Seite und
ziehe mich hinter einen Montesquieu und d'Alembert, um wider jenen
besorglichen Unwillen sicher zu sein.
Der _Engländer_ ist im Anfange einer jeden Bekanntschaft kaltsinnig
und gegen einen Fremden gleichgültig. Er hat wenig Neigung zu kleinen
Gefälligkeiten; dagegen wird er, sobald er ein Freund ist, zu großen
Dienstleistungen auferlegt. Er bemüht sich wenig, im Umgange witzig zu
sein oder einen artigen Anstand zu zeigen, dagegen ist er verständig
und gesetzt. Er ist ein schlechter Nachahmer, frägt nicht viel
darnach, was andere urteilen, und folgt lediglich seinem eigenen
Geschmacke. Er ist in Verhältnis auf das Frauenzimmer nicht von
französischer Artigkeit, aber bezeigt gegen dasselbe weit mehr Achtung
und treibt diese vielleicht zu weit, indem er im Ehestande seiner
Frauen gemeiniglich ein unumschränktes Ansehen einräumt. Er ist
standhaft, bisweilen bis zur Hartnäckigkeit, kühn und entschlossen,
oft bis zur Vermessenheit, und handelt nach Grundsätzen gemeiniglich
bis zum Eigensinne. Er wird leichtlich ein Sonderling, nicht aus
Eitelkeit, sondern weil er sich wenig um andre bekümmert und seinem
Geschmacke aus Gefälligkeit oder Nachahmung nicht leichtlich Gewalt
tut; um deswillen wird er selten so sehr geliebt als der Franzose,
aber, wenn er gekannt ist, gemeiniglich mehr hochgeachtet.
Der _Deutsche_ hat ein gemischtes Gefühl aus dem eines Engländers und
dem eines Franzosen, scheint aber dem ersteren am nächsten zu kommen,
und die größere Ähnlichkeit mit dem letzteren ist nur gekünstelt
und nachgeahmt. Er hat eine glückliche Mischung in dem Gefühle sowohl
des Erhabenen und des Schönen; und wenn er in dem ersteren es nicht
einem Engländer, im zweiten aber dem Franzosen nicht gleichtut, so
übertrifft er sie beide, insofern er sie verbindet. Er zeigt mehr
Gefälligkeit im Umgange als der erstere, und wenn er gleich nicht
so viel angenehme Lebhaftigkeit und Witz in die Gesellschaft bringt,
als der Franzose, so äußert er doch darin mehr Bescheidenheit und
Verstand. Er ist, sowie in aller Art des Geschmacks, also auch in
der Liebe ziemlich methodisch, und indem er das Schöne mit dem Edlen
verbindet, so ist er in der Empfindung beider kalt genug, um seinen
Kopf mit den Überlegungen des Anstandes, der Pracht und des Aufsehens
zu beschäftigen. Daher sind Familie, Titel und Rang bei ihm sowohl
im bürgerlichen Verhältnisse als in der Liebe Sachen von großer
Bedeutung. Er frägt weit mehr als die vorigen darnach, _was die Leute
von ihm urteilen möchten_, und wo etwas in seinem Charakter ist,
das den Wunsch einer Hauptverbesserung rege machen könnte, so ist
es diese Schwachheit, nach welcher er sich nicht erkühnt, original
zu sein, ob er gleich dazu alle Talente hat, und daß er sich zu viel
mit der Meinung anderer einläßt, welches den sittlichen Eigenschaften
alle Haltung nimmt, indem es sie wetterwendisch und falsch gekünstelt
macht.
Der _Holländer_ ist von einer ordentlichen und emsigen Gemütsart, und
indem er lediglich auf das Nützliche sieht, so hat er wenig Gefühl
für dasjenige, was im feineren Verstande schön oder erhaben ist. Ein
großer Mann bedeutet bei ihm ebensoviel als ein reicher Mann, unter
dem Freunde versteht er seinen Korrespondenten, und ein Besuch ist ihm
sehr langweilig, der ihm nichts einbringt. Er macht den Kontrast sowohl
gegen den Franzosen als den Engländer und ist gewissermaßen ein sehr
phlegmatisierter Deutscher.
Wenn wir den Versuch dieser Gedanken in irgendeinem Falle anwenden,
um z. E. das Gefühl der Ehre zu erwägen, so zeigen sich folgende
Nationalunterschiede. Die Empfindung für die Ehre ist am Franzosen
_Eitelkeit_, an dem Spanier _Hochmut_, an dem Engländer _Stolz_, an
dem Deutschen _Hoffart_ und an dem Holländer _Aufgeblasenheit_. Diese
Ausdrücke scheinen beim ersten Anblicke einerlei zu bedeuten,
allein sie bemerken nach dem Reichtum unserer deutschen Sprache
sehr kenntliche Unterschiede. Die _Eitelkeit_ buhlt um Beifall,
ist flatterhaft und veränderlich, ihr äußeres Betragen aber ist
_höflich_. Der _Hochmütige_ ist voll von fälschlich eingebildeten
großen Vorzügen und bewirbt sich nicht viel um den Beifall
anderer, seine Aufführung ist steif und _hochtrabend_. Der _Stolz_
ist eigentlich nur ein größeres Bewußtsein seines eigenen Wertes,
der öfters sehr richtig sein kann (um deswillen er auch bisweilen ein
edler Stolz heißt; niemals aber kann ich jemanden einen edlen Hochmut
beilegen, weil dieser jederzeit eine unrichtige und übertriebene
Selbstschätzung anzeigt), das Betragen des Stolzen gegen andere ist
_gleichgültig_ und kaltsinnig. Der _Hoffärtige_ ist ein Stolzer,
der zugleich eitel ist.(15) Der Beifall aber, den er bei andern
sucht, besteht in Ehrenbezeugungen. Daher schimmert er gerne durch
Titel, Ahnenregister und Gepränge. Der Deutsche ist vornehmlich von
dieser Schwachheit angesteckt. Die Wörter: Gnädig, Hochgeneigt,
Hoch- und Wohlgeb. und dergleichen Bombast mehr, machen seine Sprache
steif und ungewandt und verhindern gar sehr die schöne Einfalt,
welche andere Völker ihrer Schreibart geben können. Das Betragen
eines Hoffärtigen in dem Umgange ist _Zeremonie_. Der _Aufgeblasene_
ist ein Hochmütiger, welcher deutliche Merkmale der Verachtung anderer
in seinem Betragen äußert. In der Aufführung ist er _grob_. Diese
elende Eigenschaft entfernt sich am weitesten vom feineren Geschmacke,
weil sie offenbar dumm ist; denn das ist gewiß nicht das Mittel,
dem Gefühl für Ehre ein Gnüge zu leisten, daß man durch offenbare
Verachtung alles um sich zum Hasse und zur beißenden Spötterei
auffordert. In der Liebe haben der Deutsche und der Engländer
einen ziemlich guten Magen, etwas fein von Empfindung, mehr aber von
gesundem und _derbem Geschmacke_. Der Italiener ist in diesem Punkte
_grüblerisch_, der Spanier _phantastisch_, der Franzose _vernascht_.
(15) Es ist nicht nötig, daß ein Hoffärtiger zugleich
hochmütig sei, d. h. sich eine übertriebene, falsche Einbildung
von seinen Vorzügen mache, sondern er kann vielleicht sich nicht
höher schätzen, als er wert ist, er hat aber nur einen falschen
Geschmack, diesen seinen Wert äußerlich geltend zu machen.
Die Religion unseres Weltteils ist nicht die Sache eines eigenwilligen
Geschmacks, sondern von ehrwürdigerem Ursprunge. Daher können
auch nur die Ausschweifungen in derselben und das, was darin den
Menschen eigentümlich angehört, Zeichen von den verschiedenen
Nationaleigenschaften abgeben. Ich bringe diese Ausschweifungen
unter folgende Hauptbegriffe: _Leichtgläubigkeit_ (Credulität),
_Aberglaube_ (Superstition), _Schwärmerei_ (Fanaticism)
und _Gleichgültigkeit_ (Indifferentism). _Leichtgläubig_ ist
mehrenteils der unwissende Teil einer jeden Nation, ob er gleich kein
merkliches feineres Gefühl hat. Die Überredung kommt lediglich auf
das Hörensagen und das scheinbare Ansehen an, ohne daß einige Art
des feinern Gefühls dazu die Triebfeder enthielte. Die Beispiele
ganzer Völker von dieser Art muß man im Norden suchen. Der
Leichtgläubige, wenn er von abenteuerlichem Geschmack ist, wird
_abergläubisch_. Dieser Geschmack ist sogar an sich selbst ein
Grund, etwas leichter zu glauben(16), und von zwei Menschen,
deren der eine von diesem Gefühl angesteckt, der andere aber
von kalter und gemäßigter Gemütsart ist, wird der erstere,
wenn er gleich wirklich mehr Verstand hat, dennoch durch seine
herrschende Neigung eher verleitet werden, etwas Unnatürliches
zu glauben, als der andere, welchen nicht seine Einsicht, sondern
sein gemeines und phlegmatisches Gefühl vor dieser Ausschweifung
bewahrt. Der Abergläubische in der Religion stellt zwischen sich
und dem höchsten Gegenstande der Verehrung gerne gewisse mächtige
und erstaunliche Menschen, Riesen sozureden der Heiligkeit, denen
die Natur gehorcht und deren beschwörende Stimme die eisernen
Tore des Tartarus auf- oder zuschließt, die, indem sie mit ihrem
Haupte den Himmel berühren, ihren Fuß noch auf der niederen Erde
stehen haben. Die Unterweisung der gesunden Vernunft wird demnach
in _Spanien_ große Hindernisse zu überwinden haben, nicht darum,
weil sie die Unwissenheit daselbst zu vertreiben hat, sondern weil ein
seltsamer Geschmack ihr entgegensteht, welchem das Natürliche gemein
ist und der niemals glaubt, in einer erhabenen Empfindung zu sein,
wenn sein Gegenstand nicht abenteuerlich ist. Die _Schwärmerei_ ist
sozusagen eine andächtige Vermessenheit und wird durch einen gewissen
Stolz und ein gar zu großes Zutrauen zu sich selbst veranlaßt,
um den himmlischen Naturen näherzutreten und sich durch einen
erstaunlichen Flug über die gewöhnliche und vorgeschriebene Ordnung
zu erheben. Der Schwärmer redet nur von unmittelbarer Eingebung und
vom beschaulichen Leben, indessen daß der Abergläubische vor den
Bildern großer wundertätiger Heiligen Gelübde tut und sein Zutrauen
auf die eingebildeten und unnachahmlichen Vorzüge anderer Personen von
seiner eigenen Natur setzt. Selbst die Ausschweifungen führen, wie wir
oben bemerkt haben, Zeichen des Nationalgefühls bei sich, und so ist
der Fanaticismus(17) wenigstens in den vorigen Zeiten am meisten
in Deutschland und England anzutreffen gewesen und ist gleichsam ein
unnatürlicher Auswuchs des edlen Gefühls, welches zu dem Charakter
You have read 1 text from German literature.
Next - Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen - 5
  • Parts
  • Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen - 1
    Total number of words is 4062
    Total number of unique words is 1498
    36.6 of words are in the 2000 most common words
    50.4 of words are in the 5000 most common words
    56.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen - 2
    Total number of words is 4178
    Total number of unique words is 1395
    37.6 of words are in the 2000 most common words
    49.9 of words are in the 5000 most common words
    56.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen - 3
    Total number of words is 4149
    Total number of unique words is 1337
    37.4 of words are in the 2000 most common words
    50.5 of words are in the 5000 most common words
    57.7 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen - 4
    Total number of words is 4155
    Total number of unique words is 1371
    36.3 of words are in the 2000 most common words
    51.1 of words are in the 5000 most common words
    57.2 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen - 5
    Total number of words is 1991
    Total number of unique words is 911
    39.9 of words are in the 2000 most common words
    52.9 of words are in the 5000 most common words
    59.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.