Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen - 2

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mit den wahren Tugenden große Ähnlichkeit, indem sie das Gefühl
einer unmittelbaren Lust an gütigen und wohlwollenden Handlungen
enthalten. Der Gutherzige wird ohne weitere Absicht aus unmittelbarer
Gefälligkeit friedsam und höflich mit euch umgehen und aufrichtiges
Beileid bei der Not eines andern empfinden.
Allein da diese moralische Sympathie gleichwohl noch nicht genug ist,
die träge menschliche Natur zu gemeinnützigen Handlungen anzutreiben,
so hat die Vorsehung in uns noch ein gewisses Gefühl gelegt, welches
fein ist und uns in Bewegung setzen oder auch dem gröberen Eigennutze
und der gemeinen Wollust das Gleichgewicht leisten kann. Dieses ist
das _Gefühl für Ehre_ und dessen Folge die _Scham_. Die Meinung,
die andere von unserm Werte haben mögen, und ihr Urteil von unsern
Handlungen ist ein Bewegungsgrund von großem Gewichte, der uns
manche Aufopferungen ablockt, und was ein guter Teil der Menschen
weder aus einer unmittelbar aufsteigenden Regung der Gutherzigkeit
noch aus Grundsätzen würde getan haben, geschieht oft genug bloß
um des äußeren Scheines willen aus einem Wahne, der sehr nützlich,
obzwar an sich selbst sehr seicht ist, als wenn das Urteil anderer den
Wert von uns und unsern Handlungen bestimmte. Was aus diesem Antriebe
geschieht, ist nicht im mindesten tugendhaft, weswegen auch ein jeder,
der für einen solchen gehalten werden will, den Bewegungsgrund der
Ehrbegierde wohlbedächtig verhehlt. Es ist auch diese Neigung nicht
einmal so nahe wie die Gutherzigkeit der echten Tugend verwandt, weil
sie nicht unmittelbar durch die Schönheit der Handlungen, sondern
durch den in fremde Augen fallenden Anstand derselben bewegt werden
kann. Ich kann demnach, da gleichwohl das Gefühl für Ehre fein ist,
das Tugendähnliche, was dadurch veranlaßt wird, den _Tugendschimmer_
nennen.
Vergleichen wir die Gemütsarten der Menschen, insofern eine von diesen
drei Gattungen des Gefühls in ihnen herrscht und den moralischen
Charakter bestimmt, so finden wir, daß eine jede derselben mit
einem der gewöhnlichermaßen eingeteilten Temperamente in näherer
Verwandtschaft stehe, doch so, daß über dieses ein größerer
Mangel des moralischen Gefühls dem phlegmatischen zum Anteil
werden würde. Nicht als wenn das Hauptmerkmal in dem Charakter
dieser verschiedenen Gemütsarten auf die gedachten Züge ankäme;
denn das gröbere Gefühl, z. E. des Eigennutzes, der gemeinen
Wollust usw. usw., erwägen wir in dieser Abhandlung gar nicht,
und auf dergleichen Neigungen wird bei der gewöhnlichen Einteilung
gleichwohl vorzüglich gesehen; sondern weil die erwähnten feineren
moralischen Empfindungen sich leichter mit einem oder dem andern
dieser Temperamente vereinbaren lassen und wirklich meistenteils damit
vereinigt sind.
Ein innigliches Gefühl für die Schönheit und Würde der menschlichen
Natur, und eine Fassung und Stärke des Gemüts, hierauf als auf
einen allgemeinen Grund seine gesamten Handlungen zu beziehen,
ist ernsthaft und gesellt sich nicht wohl mit einer flatterhaften
Lustigkeit, noch mit dem Unbestand eines Leichtsinnigen. Es nähert
sich sogar der Schwermut, einer sanften und edlen Empfindung, insofern
sie sich auf dasjenige Grausen gründet, das eine eingeschränkte
Seele fühlt, wenn sie, von einem großen Vorsatze voll, die
Gefahren sieht, die sie zu überstehen hat, und den schweren,
aber großen Sieg der Selbstüberwindung vor Augen hat. Die echte
Tugend also aus Grundsätzen hat etwas an sich, was am meisten mit
der _melancholischen_ Gemütsverfassung im gemilderten Verstande
zusammenzustimmen scheint.
Die Gutherzigkeit, eine Schönheit und feine Reizbarkeit des Herzens,
nach dem Anlaß, der sich vorfindet, in einzelnen Fällen mit Mitleiden
oder Wohlwollen gerührt zu werden, ist dem Wechsel der Umstände
sehr unterworfen, und indem die Bewegung der Seele nicht auf einem
allgemeinen Grundsatze beruht, so nimmt sie leichtlich veränderte
Gestalten an, nachdem die Gegenstände eine oder die andere Seite
darbieten. Und da diese Neigung auf das Schöne hinausläuft, so
scheint sie sich mit derjenigen Gemütsart, die man _sanguinisch_
nennt, welche flatterhaft und den Belustigungen ergeben ist, am
natürlichsten zu vereinbaren. In diesem Temperamente werden wir die
beliebten Eigenschaften, die wir adoptierte Tugenden nannten, zu suchen
haben.
Das Gefühl für die Ehre ist sonst schon gewöhnlich als ein Merkmal
der _cholerischen_ Komplexion angenommen worden, und wir können
dadurch Anlaß nehmen, die moralischen Folgen dieses feinen Gefühls,
welche mehrenteils nur aufs Schimmern abgezielt sind, zu Schilderung
eines solchen Charakters aufzusuchen.
Niemals ist ein Mensch ohne alle Spuren der feineren Empfindung,
allein ein größerer Mangel derselben, der vergleichungsweise auch
Fühllosigkeit heißt, kommt in den Charakter des _phlegmatischen_, den
man sonst auch sogar der gröbern Triebfedern, als der Geldbegierde
usw. usw., beraubt, die wir aber zusamt andern, verschwisterten
Neigungen ihm allenfalls lassen können, weil sie gar nicht in diesen
Plan gehören.
Laßt uns anjetzt die Empfindungen des Erhabenen und Schönen,
vornehmlich sofern sie moralisch sind, unter der angenommenen
Einteilung der Temperamente näher betrachten.
Der, dessen Gefühl ins _Melancholische_ einschlägt, wird nicht darum
so genannt, weil er, der Freuden des Lebens beraubt, sich in finsterer
Schwermut härmt, sondern weil seine Empfindungen, wenn sie über
einen gewissen Grad vergrößert würden oder durch einige Ursachen
eine falsche Richtung bekämen, auf dieselbe leichter als einen andern
Zustand auslaufen würden. Er hat vorzüglich ein _Gefühl für das
Erhabene_. Selbst die Schönheit, für welche er ebensowohl Empfindung
hat, muß ihn nicht allein reizen, sondern, indem sie ihm zugleich
Bewunderung einflößt, rühren. Der Genuß der Vergnügen ist bei
ihm ernsthafter, aber um deswillen nicht geringer. Alle Rührungen des
Erhabenen haben mehr Bezauberndes an sich als die gaukelnden Reize des
Schönen. Sein Wohlbefinden wird eher Zufriedenheit als Lustigkeit
sein. Er ist standhaft. Um deswillen ordnet er seine Empfindungen
unter Grundsätze. Sie sind desto weniger dem Unbestande und der
Veränderung unterworfen, je allgemeiner dieser Grundsatz ist, welchem
sie untergeordnet werden, und je erweiterter also das hohe Gefühl ist,
welches die niederen unter sich befaßt. Alle besonderen Gründe der
Neigungen sind vielen Ausnahmen und Änderungen unterworfen, wofern
sie nicht aus einem solchen oberen Grunde abgeleitet sind. Der muntere
und freundliche Alcest sagt: »Ich liebe und schätze meine Frau,
denn sie ist schön, schmeichelhaft und klug.« Wie aber, wenn sie
nun durch Krankheit entstellt, durch Alter mürrisch und, nachdem die
erste Bezauberung verschwunden, euch nicht klüger scheinen würde
wie jede andere? Wenn der Grund nicht mehr da ist, was kann aus der
Neigung werden? Nehmet dagegen den wohlwollenden und gesetzten Adrast,
welcher bei sich denkt: »Ich werde dieser Person liebreich und mit
Achtung begegnen, denn sie ist meine Frau.« Diese Gesinnung ist edel
und großmütig. Nunmehr mögen die zufälligen Reize sich ändern,
sie ist gleichwohl noch immer seine Frau. Der edle Grund bleibt und
ist nicht dem Unbestande äußerer Dinge so sehr unterworfen. Von
solcher Beschaffenheit sind Grundsätze in Vergleichung der Regungen,
die bloß bei einzelnen Veranlassungen aufwallen, und so ist der Mann
von Grundsätzen in Gegenhalt mit demjenigen, welchem gelegentlich
eine gutherzige und liebreiche Bewegung anwandelt. Wie aber, wenn
sogar die geheime Sprache seines Herzens also lautete: »Ich muß
jenem Menschen da zu Hülfe kommen, denn er leidet; nicht daß er
etwa mein Freund oder Gesellschafter wäre oder daß ich ihn fähig
hielte, dereinst Wohltat mit Dankbarkeit zu erwidern. Es ist jetzt
keine Zeit zu vernünfteln und sich bei Fragen aufzuhalten: er ist ein
Mensch, und was Menschen widerfährt, das trifft auch mich.« Alsdann
stützt sich sein Verfahren auf den höchsten Grad des Wohlwollens
in der menschlichen Natur und ist äußerst erhaben, sowohl seiner
Unveränderlichkeit nach, als um der Allgemeinheit seiner Anwendung
willen.
Ich fahre in meinen Anmerkungen fort. Der Mensch von melancholischer
Gemütsverfassung bekümmert sich wenig darum, was andere urteilen,
was sie für gut oder für wahr halten, er stützt sich desfalls
bloß auf seine eigene Einsicht. Weil die Bewegungsgründe in
ihm die Natur der Grundsätze annehmen, so ist er nicht leicht
auf andere Gedanken zu bringen; seine Standhaftigkeit artet auch
bisweilen in Eigensinn aus. Er sieht den Wechsel der Moden mit
Gleichgültigkeit und ihren Schimmer mit Verachtung an. Freundschaft
ist erhaben und daher für sein Gefühl. Er kann vielleicht einen
veränderlichen Freund verlieren, allein dieser verliert ihn nicht
ebensobald. Selbst das Andenken der erloschenen Freundschaft ist
ihm noch ehrwürdig. Gesprächigkeit ist schön, gedankenvolle
Verschwiegenheit erhaben. Er ist ein guter Verwahrer seiner und anderer
Geheimnisse. Wahrhaftigkeit ist erhaben, und er haßt Lügen oder
Verstellung. Er hat ein hohes Gefühl von der Würde der menschlichen
Natur. Er schätzt sich selbst und hält einen Menschen für ein
Geschöpf, das da Achtung verdient. Er erduldet keine verworfene
Untertänigkeit und atmet Freiheit in einem edlen Busen. Alle Ketten
von den vergoldeten an, die man am Hofe trägt, bis zu dem schweren
Eisen des Galeerensklaven sind ihm abscheulich. Er ist ein strenger
Richter seiner selbst und anderer, und nicht selten seiner sowohl als
der Welt überdrüssig.
In der Ausartung dieses Charakters neigt sich die Ernsthaftigkeit
zur Schwermut, die Andacht zur Schwärmerei, der Freiheitseifer
zum Enthusiasmus. Beleidigung und Ungerechtigkeit zünden in ihm
Rachbegierde an. Er ist alsdann sehr zu fürchten. Er trotzt der
Gefahr und verachtet den Tod. Bei der Verkehrtheit seines Gefühls
und dem Mangel einer aufgeheiterten Vernunft verfällt er aufs
_Abenteuerliche_. Eingebungen, Erscheinungen, Anfechtungen. Ist
der Verstand noch schwächer, so gerät er auf _Fratzen_. Bedeutende
Träume, Ahndungen und Wunderzeichen. Er ist in Gefahr, ein _Phantast_
oder ein _Grillenfänger_ zu werden.
Der von _sanguinischer_ Gemütsverfassung hat ein herrschendes
_Gefühl für das Schöne_. Seine Freuden sind daher lachend und
lebhaft. Wenn er nicht lustig ist, so ist er mißvergnügt und
kennt wenig die zufriedne Stille. Mannigfaltigkeit ist schön,
und er liebt die Veränderung. Er sucht die Freude in sich und um
sich, belustigt andere und ist ein guter Gesellschafter. Er hat viel
moralische Sympathie. Anderer Fröhlichkeit macht ihn vergnügt und
ihr Leid weichherzig. Sein sittliches Gefühl ist schön, allein ohne
Grundsätze, und hängt jederzeit unmittelbar von dem gegenwärtigen
Eindrucke ab, den die Gegenstände auf ihn machen. Er ist ein Freund
von allen Menschen oder, welches einerlei sagen will, eigentlich
niemals ein Freund, ob er zwar gutherzig und wohlwollend ist. Er
verstellt sich nicht. Er wird euch heute mit seiner Freundlichkeit
und guten Art unterhalten, morgen, wenn ihr krank oder im Unglücke
seid, wahres und ungeheucheltes Beileid empfinden, aber sich sachte
davonschleichen, bis sich die Umstände geändert haben. Er muß
niemals Richter sein. Die Gesetze sind ihm gemeiniglich zu strenge, und
er läßt sich durch Tränen bestechen. Er ist ein schlimmer Heiliger,
niemals recht gut und niemals recht böse. Er schweift öfters aus
und ist lasterhaft, mehr aus Gefälligkeit als aus Neigung. Er ist
freigebig und wohltätig, aber ein schlechter Zahler dessen, was er
schuldig ist, weil er wohl viel Empfindung für Güte, aber wenig für
Gerechtigkeit hat. Niemand hat eine so gute Meinung von seinem eigenen
Herzen als er. Wenn ihr ihn gleich nicht hochachtet, so werdet ihr
ihn doch lieben müssen. In dem größeren Verfall seines Charakters
gerät er ins _Läppische_, er ist tändelnd und kindisch. Wenn nicht
das Alter noch etwa die Lebhaftigkeit mindert oder mehr Verstand
herbeibringt, so ist er in Gefahr, ein alter _Geck_ zu werden.
Der, welchen man unter der _cholerischen_ Gemütsbeschaffenheit
meint, hat ein herrschendes Gefühl für diejenige Art des Erhabenen,
welche man das _Prächtige_ nennen kann. Sie ist eigentlich nur der
Schimmer der Erhabenheit und eine stark abstechende Farbe, welche den
inneren Gehalt der Sache oder Person, der vielleicht nur schlecht und
gemein ist, verbirgt und durch den Schein täuscht und rührt. So
wie ein Gebäude durch eine Übertünchung, welche gehauene Steine
vorstellt, einen ebenso edlen Eindruck macht, als wenn es wirklich
daraus bestände, und geklebtem Gesimse und Pilastern die Meinung
von Festigkeit geben, ob sie gleich wenig Haltung haben und nichts
unterstützen: also glänzen auch tombakene Tugenden, Flittergold von
Weisheit und gemaltes Verdienst.
Der Cholerische betrachtet seinen eigenen Wert und den Wert seiner
Sachen und Handlungen aus dem Anstande oder dem Scheine, womit
er in die Augen fällt. In Ansehung der inneren Beschaffenheit
und der Bewegungsgründe, die der Gegenstand selber enthält,
ist er kalt, weder erwärmt durch wahres Wohlwollen, noch gerührt
durch Achtung.(6) Sein Betragen ist künstlich. Er muß allerlei
Standpunkte zu nehmen wissen, um seinen Anstand aus der verschiedenen
Stellung der Zuschauer zu beurteilen; denn er frägt wenig darnach,
was er sei, sondern nur, was er scheine. Um deswillen muß er die
Wirkung auf den allgemeinen Geschmack und die mancherlei Eindrücke
wohl kennen, die sein Verhalten außer ihm haben wird. Da er in dieser
schlauen Aufmerksamkeit durchaus kalt Blut bedarf und nicht durch
Liebe, Mitleiden und Teilnehmung seines Herzens sich muß blenden
lassen, so wird er auch vielen Torheiten und Verdrießlichkeiten
entgehen, in welche ein Sanguinischer gerät, der durch seine
unmittelbare Empfindung bezaubert wird. Um deswillen scheint er
gemeiniglich verständiger, als er wirklich ist. Sein Wohlwollen
ist Höflichkeit, seine Achtung Zeremonie, seine Liebe ausgesonnene
Schmeichelei. Er ist jederzeit voll von sich selbst, wenn er den
Anstand eines Liebhabers oder eines Freundes annimmt, und ist niemals
weder das eine noch das andere. Er sucht, durch Moden zu schimmern;
aber weil alles an ihm künstlich und gemacht ist, so ist er darin
steif und ungewandt. Er handelt weit mehr nach Grundsätzen als der
Sanguinische, der bloß durch gelegentliche Eindrücke bewegt wird;
aber diese sind nicht Grundsätze der Tugend, sondern der Ehre, und
er hat kein Gefühl für die Schönheit oder den Wert der Handlungen,
sondern für das Urteil der Welt, das sie davon fällen möchte. Weil
sein Verfahren, insofern man nicht auf die Quelle sieht, daraus es
entspringt, übrigens fast ebenso gemeinnützig als die Tugend selbst
ist, so erwirbt er vor gemeinen Augen eben die Hochschätzung als der
Tugendhafte, aber vor feineren Augen verbirgt er sich sorgfältig,
weil er wohl weiß, daß die Entdeckung der geheimen Triebfeder
der Ehrbegierde ihn um die Achtung bringen würde. Er ist daher der
Verstellung sehr ergeben, in der Religion heuchlerisch, im Umgange ein
Schmeichler, in Staatsparteien wetterwendisch nach den Umständen. Er
ist gerne ein Sklave der Großen, um dadurch ein Tyrann über Geringere
zu werden. Die _Naivetät_, diese edle oder schöne Einfalt, welche
das Siegel der Natur und nicht der Kunst auf sich trägt, ist ihm
gänzlich fremde. Daher wenn sein Geschmack ausartet, so wird sein
Schimmer _schreiend_, d. i. auf eine widrige Art prahlend. Er gerät
alsdann sowohl seinem Stil als dem Ausputze nach in den Gallimathias
(das Übertriebene), eine Art Fratzen, die in Ansehung des Prächtigen
dasjenige ist, was das Abenteuerliche oder Grillenhafte in Ansehung
des Ernsthaft-Erhabenen. In Beleidigungen fällt er alsdann auf
Zweikämpfe oder Prozesse und in dem bürgerlichen Verhältnisse auf
Ahnen, Vortritt und Titel. Solange er nur noch eitel ist, d. i. Ehre
sucht und bemüht ist, in die Augen zu fallen, so kann er noch wohl
geduldet werden, allein wenn bei gänzlichem Mangel wirklicher Vorzüge
und Talente er aufgeblasen wird, so ist er das, wofür er am mindesten
gerne möchte gehalten werden, nämlich ein _Narr_.
(6) Er hält sich auch sogar nur insofern für glücklich, als er
vermutet, daß er dafür von andern gehalten wird.
Da in der _phlegmatischen_ Mischung keine Ingredienzien vom Erhabenen
oder Schönen in sonderlich merklichem Grade hineinzukommen pflegen,
so gehört diese Gemütseigenschaft nicht in den Zusammenhang unserer
Erwägungen.
Von welcher Art auch diese feineren Empfindungen sein mögen,
von denen wir bis daher gehandelt haben, es mögen erhabene oder
schöne sein, so haben sie doch das Schicksal gemein, daß sie in dem
Urteil desjenigen, der kein darauf gestimmtes Gefühl hat, jederzeit
verkehrt und ungereimt scheinen. Ein Mensch von einer ruhigen und
eigennützigen Emsigkeit hat sozureden gar nicht die Organen, um den
edlen Zug in einem Gedichte oder in einer Heldentugend zu empfinden,
er liest lieber einen Robinson als einen Grandison und hält den
Cato für einen eigensinnigen Narren. Ebenso scheint Personen von
etwas ernsthafter Gemütsart dasjenige läppisch, was andern reizend
ist, und die gaukelnde Naivetät einer Schäferhandlung ist ihnen
abgeschmackt und kindisch. Auch selbst wenn das Gemüt nicht gänzlich
ohne ein einstimmiges feineres Gefühl ist, sind doch die Grade der
Reizbarkeit desselben sehr verschieden, und man sieht, daß der eine
etwas edel und anständig findet, was dem andern zwar groß, aber
abenteuerlich vorkommt. Die Gelegenheiten, die sich darbieten, bei
unmoralischen Dingen etwas von dem Gefühl des andern auszuspähen,
können uns Anlaß geben, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch
auf seine Empfindung in Ansehung der höheren Gemütseigenschaften
und selbst derer des Herzens zu schließen. Wer bei einer schönen
Musik Langeweile hat, gibt starke Vermutung, daß die Schönheiten der
Schreibart und die feinen Bezauberungen der Liebe wenig Gewalt über
ihn haben werden.
Es ist ein gewisser Geist der Kleinigkeiten (~esprit des bagatelles~),
welcher eine Art von feinem Gefühl anzeigt, welches aber gerade auf
das Gegenteil von dem Erhabenen abzielt. Ein Geschmack für etwas,
weil es sehr _künstlich_ und mühsam ist, Verse, die sich vor-
und rückwärts lesen lassen, Rätsel, Uhren in Ringen, Flohketten
usw. usw. Ein Geschmack für alles, was abgezirkelt und auf peinliche
Weise _ordentlich_, obzwar ohne Nutzen ist, z. E. Bücher, die fein
zierlich in langen Reihen im Bücherschranke stehen, und ein leerer
Kopf, der sie ansieht und sich erfreuet; Zimmer, die wie optische
Kasten geziert und überaus sauber gewaschen sind, zusamt einem
ungastfreien und mürrischen Wirte, der sie bewohnt. Ein Geschmack
an allem demjenigen, was _selten_ ist, so wenig wie es auch sonst
innern Wert haben mag. Epiktets Lampe, ein Handschuh von König
Karl dem Zwölften; in gewisser Art schlägt die Münzensucht mit
hierauf ein. Solche Personen stehen sehr im Verdacht, daß sie in den
Wissenschaften Grübler und Grillenfänger, in den Sitten aber für
alles das, was auf freie Art schön oder edel ist, ohne Gefühl sein
werden.
Man tut einander zwar unrecht, wenn man denjenigen, der den Wert oder
die Schönheit dessen, was uns rührt oder reizt, nicht einsieht,
damit abfertigt, daß _er es nicht verstehe_. Es kommt hiebei nicht
so sehr darauf an, was der _Verstand_ einsehe, sondern was das
Gefühl empfinde. Gleichwohl haben die Fähigkeiten der Seele einen
so großen Zusammenhang, daß man mehrenteils von der Erscheinung
der Empfindung auf die Talente der Einsicht schließen kann. Denn es
würden demjenigen, der viele Verstandesvorzüge hat, diese Talente
vergeblich erteilt sein, wenn er nicht zugleich starke Empfindung für
das wahrhaftig Edle oder Schöne hätte, welche die Triebfeder sein
muß, jene Gemütsgaben wohl und regelmäßig anzuwenden.(7)
(7) Man sieht auch, daß eine gewisse Feinigkeit des Gefühls
einem Menschen zum Verdienste angerechnet wird. Daß jemand
in Fleisch oder Kuchen eine gute Mahlzeit tun kann, imgleichen
daß er unvergleichlich wohl schläft, das wird man ihm wohl
als ein Zeichen eines guten Magens, aber nicht als ein Verdienst
auslegen. Dagegen wer einen Teil seiner Mahlzeit dem Anhören einer
Musik aufopfert oder bei einer Schilderei sich in eine angenehme
Zerstreuung vertiefen kann, oder einige witzige Sachen, wenn es auch
nur poetische Kleinigkeiten wären, gerne liest, hat doch fast in
jedermanns Augen den Anstand eines feineren Menschen, von dem man
eine vorteilhaftere und für ihn rühmlichere Meinung hat.
Es ist einmal gebräuchlich, nur dasjenige _nützlich_ zu nennen,
was unserer gröberen Empfindung ein Gnüge leisten kann, was
uns Überfluß im Essen und Trinken, Aufwand in Kleidung und in
Hausgeräte, imgleichen Verschwendung in Gastereien verschaffen kann,
ob ich gleich nicht sehe, warum nicht alles, was nur immer meinem
lebhaftesten Gefühl erwünscht ist, ebensowohl den nützlichen
Dingen sollte beigezählt werden. Allein alles gleichwohl auf diesen
Fuß genommen, so ist derjenige, welchen der _Eigennutz_ beherrscht,
ein Mensch, mit welchem man über den feineren Geschmack niemals
vernünfteln muß. Ein Huhn ist freilich in solchem Betracht besser
als ein Papagei, ein Kochtopf nützlicher als ein Porzellängeschirr,
alle witzigen Köpfe in der Welt gelten nicht den Wert eines Bauren,
und die Bemühung, die Weite der Fixsterne zu entdecken, kann so lange
ausgesetzt bleiben, bis man übereingekommen sein wird, wie der Pflug
auf das vorteilhafteste könne geführt werden. Allein welche Torheit
ist es, sich in einen solchen Streit einzulassen, wo es unmöglich
ist, sich einander auf einstimmige Empfindungen zu führen, weil das
Gefühl gar nicht einstimmig ist! Gleichwohl wird doch ein Mensch von
der gröbsten und gemeinsten Empfindung wahrnehmen können: daß die
Reize und Annehmlichkeiten des Lebens, welche die entbehrlichsten zu
sein scheinen, unsere meiste Sorgfalt auf sich ziehen, und daß wir
wenig Triebfedern zu so vielfältigen Bemühungen übrig haben würden,
wenn wir jene ausschließen wollten. Imgleichen ist wohl niemand so
grob, daß er nicht empfinde, daß eine sittliche Handlung wenigstens
an einem andern um desto mehr rühre, je weiter sie vom Eigennutze ist
und je mehr jene edleren Antriebe in ihr hervorstechen.
Wenn ich die edele und schwache Seite der Menschen wechselsweise
bemerke, so verweise ich es mir selbst, daß ich nicht denjenigen
Standpunkt zu nehmen vermag, von wo diese Abstechungen das große
Gemälde der ganzen menschlichen Natur gleichwohl in einer rührenden
Gestalt darstellen. Denn ich bescheide mich gerne: daß, sofern es zu
dem Entwurfe der großen Natur gehört, diese grotesken Stellungen
nicht anders als einen edelen Ausdruck geben können, ob man schon
viel zu kurzsichtig ist, sie in diesem Verhältnisse zu übersehen. Um
indessen doch einen schwachen Blick hierauf zu werfen: so glaube ich
folgendes anmerken zu können. Derjenigen unter den Menschen, die
nach _Grundsätzen_ verfahren, sind nur sehr _wenige_, welches auch
überaus gut ist, da es so leicht geschehen kann, daß man in diesen
Grundsätzen irre und alsdann der Nachteil, der daraus erwächst,
sich um desto weiter erstreckt, je allgemeiner der Grundsatz und
je standhafter die Person ist, die ihn sich vorgesetzt hat. Derer,
so aus _gutherzigen Trieben_ handeln, sind weit _mehrere_, welches
äußerst vortrefflich ist, ob es gleich einzeln nicht als ein
sonderliches Verdienst der Person kann angerechnet werden; denn diese
tugendhaften Instinkte fehlen wohl bisweilen, allein im Durchschnitte
leisten sie ebensowohl die große Absicht der Natur, wie die übrigen
Instinkte, die so regelmäßig die tierische Welt bewegen. Derer,
die ihr allerliebstes Selbst als den einzigen Beziehungspunkt ihrer
Bemühungen starr vor Augen haben und die um den _Eigennutz_ als um die
große Achse alles zu drehen suchen, gibt es die _meisten_, worüber
auch nichts Vorteilhafteres sein kann, denn diese sind die emsigsten,
ordentlichsten und behutsamsten; sie geben dem Ganzen Haltung und
Festigkeit, indem sie auch ohne ihre Absicht gemeinnützig werden,
die notwendigen Bedürfnisse herbeischaffen und die Grundlage liefern,
über welche feinere Seelen Schönheit und Wohlgereimtheit verbreiten
können. Endlich ist die _Ehrliebe in aller_ Menschen Herzen, obzwar
in ungleichem Maße, verbreitet worden, welches dem Ganzen eine
bis zur Bewunderung reizende Schönheit geben muß. Denn wiewohl
die Ehrbegierde ein törichter Wahn ist, sofern er zur Regel wird,
der man die übrigen Neigungen unterordnet, so ist sie doch als ein
begleitender Trieb äußerst vortrefflich. Denn indem ein jeder auf
der großen Bühne seinen herrschenden Neigungen gemäß die Handlungen
verfolgt, so wird er zugleich durch einen geheimen Antrieb bewogen, in
Gedanken außer sich selbst einen Standpunkt zu nehmen, um den Anstand
zu beurteilen, den sein Betragen hat, wie es aussehe und dem Zuschauer
in die Augen falle. Dadurch vereinbaren sich die verschiedenen Gruppen
in ein Gemälde von prächtigem Ausdruck, wo mitten unter großer
Mannigfaltigkeit Einheit hervorleuchtet und das Ganze der moralischen
Natur Schönheit und Würde an sich zeigt.


Dritter Abschnitt
Von dem Unterschiede des Erhabenen und Schönen in dem Gegenverhältnis
beider Geschlechter

Derjenige, so zuerst das Frauenzimmer unter dem Namen des _schönen
Geschlechts_ begriffen hat, kann vielleicht etwas Schmeichelhaftes
haben sagen wollen, aber er hat es besser getroffen, als er wohl
selbst geglaubt haben mag. Denn ohne in Erwägung zu ziehen, daß
ihre Gestalt überhaupt feiner, ihre Züge zarter und sanfter,
ihre Miene im Ausdrucke der Freundlichkeit, des Scherzes und
der Leutseligkeit bedeutender und einnehmender ist als bei dem
männlichen Geschlecht, ohne auch dasjenige zu vergessen, was man
für die geheime Zauberkraft abrechnen muß, wodurch sie unsere
Leidenschaft zum vorteilhaften Urteile für sie geneigt machen,
so liegen vornehmlich in dem Gemütscharakter dieses Geschlechts
eigentümliche Züge, die es von dem unseren deutlich unterscheiden
und die darauf hauptsächlich hinauslaufen, sie durch das Merkmal
des _Schönen_ kenntlich zu machen. Andererseits könnten wir auf die
Benennung des _edlen Geschlechts_ Anspruch machen, wenn es nicht auch
von einer edlen Gemütsart erfordert würde, Ehrennamen abzulehnen
und sie lieber zu erteilen als zu empfangen. Hiedurch wird nun nicht
verstanden: daß das Frauenzimmer edeler Eigenschaften ermangelte oder
das männliche Geschlecht der Schönheiten gänzlich entbehren müßte,
vielmehr erwartet man, daß ein jedes Geschlecht beide vereinbare, doch
so, daß von einem Frauenzimmer alle anderen Vorzüge sich nur dazu
vereinigen sollen, um den Charakter des _Schönen_ zu erhöhen, welcher
der eigentliche Beziehungspunkt ist, und dagegen unter den männlichen
Eigenschaften das _Erhabene_ als das Kennzeichen seiner Art deutlich
hervorsteche. Hierauf müssen alle Urteile von diesen zwei Gattungen,
sowohl die rühmliche als die des Tadels, sich beziehen, alle Erziehung
und Unterweisung muß dieses vor Augen haben und alle Bemühung, die
sittliche Vollkommenheit des einen oder des andern zu befördern, wo
man nicht den reizenden Unterschied unkenntlich machen will, den die
Natur zwischen zwei Menschengattungen hat treffen wollen. Denn es ist
hier nicht genug, sich vorzustellen, daß man Menschen vor sich habe,
man muß zugleich nicht aus der Acht lassen, daß diese Menschen nicht
von einerlei Art sind.
Das Frauenzimmer hat ein angebornes stärkeres Gefühl für alles,
was schön, zierlich und geschmückt ist. Schon in der Kindheit
sind sie gerne geputzt und gefallen sich, wenn sie geziert sind. Sie
sind reinlich und sehr zärtlich in Ansehung alles dessen, was Ekel
verursacht. Sie lieben den Scherz und können durch Kleinigkeiten, wenn
sie nur munter und lachend sind, unterhalten werden. Sie haben sehr
früh ein sittsames Wesen an sich, wissen sich einen feinen Anstand
zu geben und besitzen sich selbst; und dieses in einem Alter, wenn
unsere wohlerzogene männliche Jugend noch unbändig, tölpisch und
verlegen ist. Sie haben viel teilnehmende Empfindungen, Gutherzigkeit
und Mitleiden, ziehen das Schöne dem Nützlichen vor und werden den
Überfluß des Unterhalts gerne in Sparsamkeit verwandeln, um den
Aufwand auf das Schimmernde und den Putz zu unterstützen. Sie sind
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