Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen - 1

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Beobachtungen
über das Gefühl des Schönen
und Erhabenen
von
Immanuel Kant

11. bis 15. Tausend
Im Insel-Verlag zu Leipzig


Erster Abschnitt
Von den unterschiedenen Gegenständen des Gefühls vom Erhabenen und
Schönen

Die verschiedenen Empfindungen des Vergnügens oder des Verdrusses
beruhen nicht so sehr auf der Beschaffenheit der äußeren Dinge, die
sie erregen, als auf dem jedem Menschen eigenen Gefühle, dadurch mit
Lust oder Unlust gerührt zu werden. Daher kommen die Freuden einiger
Menschen, woran andre einen Ekel haben, die verliebte Leidenschaft, die
öfters jedermann ein Rätsel ist, oder auch der lebhafte Widerwille,
den der eine woran empfindet, was dem andern völlig gleichgültig
ist. Das Feld der Beobachtungen dieser Besonderheiten der menschlichen
Natur erstreckt sich sehr weit und verbirgt annoch einen reichen Vorrat
zu Entdeckungen, die ebenso anmutig als lehrreich sind. Ich werfe für
jetzt meinen Blick nur auf einige Stellen, die sich in diesem Bezirke
besonders auszunehmen scheinen, und auch auf diese mehr das Auge eines
Beobachters als des Philosophen.
Weil ein Mensch sich nur insofern glücklich findet, als er eine
Neigung befriedigt, so ist das Gefühl, welches ihn fähig macht,
große Vergnügen zu genießen, ohne dazu ausnehmende Talente zu
bedürfen, gewiß nicht eine Kleinigkeit. Wohlbeleibte Personen, deren
geistreichster Autor ihr Koch ist und deren Werke von feinem Geschmack
sich in ihrem Keller befinden, werden bei gemeinen Zoten und einem
plumpen Scherz in ebenso lebhafte Freude geraten, als diejenige ist,
worauf Personen in edeler Empfindung so stolz tun. Ein bequemer Mann,
der die Vorlesung der Bücher liebt, weil es sich sehr wohl dabei
einschlafen läßt, der Kaufmann, dem alle Vergnügen läppisch
scheinen, dasjenige ausgenommen, was ein kluger Mann genießt, wenn
er seinen Handlungsvorteil überschlägt, derjenige, der das andre
Geschlecht nur insofern liebt, als er es zu den genießbaren Sachen
zählt, der Liebhaber der Jagd, er mag nun Fliegen jagen, wie Domitian,
oder wilde Tiere, wie A . ., alle diese haben ein Gefühl,
welches sie fähig macht, Vergnügen nach ihrer Art zu genießen,
ohne daß sie andere beneiden dürfen oder auch von andern sich einen
Begriff machen können; allein ich wende für jetzt darauf keine
Aufmerksamkeit. Es gibt noch ein Gefühl von feinerer Art, welches
entweder darum so genannt wird, weil man es länger ohne Sättigung und
Erschöpfung genießen kann, oder weil es sozusagen eine Reizbarkeit
der Seele voraussetzt, die diese zugleich zu tugendhaften Regungen
geschickt macht, oder weil es Talente und Verstandesvorzüge anzeigt,
da im Gegenteil jene bei völliger Gedankenlosigkeit stattfinden
können. Dieses Gefühl ist es, wovon ich eine Seite betrachten
will. Doch schließe ich hievon die Neigung aus, welche auf hohe
Verstandeseinsichten geheftet ist, und den Reiz, dessen ein _Kepler_
fähig war, wenn er, wie _Bayle_ berichtet, eine seiner Erfindungen
nicht um ein Fürstentum würde verkauft haben. Diese Empfindung ist
gar zu fein, als daß sie in gegenwärtigen Entwurf gehören sollte,
welcher nur das sinnliche Gefühl berühren wird, dessen auch gemeinere
Seelen fähig sind.
Das feinere Gefühl, was wir nun erwägen wollen, ist vornehmlich
zwiefacher Art: das Gefühl des _Erhabenen_ und des _Schönen_. Die
Rührung von beiden ist angenehm, aber auf sehr verschiedene
Weise. Der Anblick eines Gebirges, dessen beschneite Gipfel sich
über Wolken erheben, die Beschreibung eines rasenden Sturms oder die
Schilderung des höllischen Reichs von _Milton_ erregen Wohlgefallen,
aber mit Grausen; dagegen die Aussicht auf blumenreiche Wiesen,
Täler mit schlängelnden Bächen, bedeckt von weidenden Herden,
die Beschreibung des Elysium oder _Homers_ Schilderung von dem
Gürtel der Venus veranlassen auch eine angenehme Empfindung, die
aber fröhlich und lächlend ist. Damit jener Eindruck auf uns in
gehöriger Stärke geschehen könne, so müssen wir ein _Gefühl_
des _Erhabenen_ und, um die letztere recht zu genießen, ein _Gefühl_
für das _Schöne_ haben. Hohe Eichen und einsame Schatten im heiligen
Haine sind _erhaben_, Blumenbetten, niedrige Hecken und in Figuren
geschnittene Bäume sind schön. Die Nacht ist _erhaben_, der Tag ist
_schön_. Gemütsarten, die ein Gefühl für das Erhabene besitzen,
werden durch die ruhige Stille eines Sommerabendes, wenn das zitternde
Licht der Sterne durch die braunen Schatten der Nacht hindurchbricht
und der einsame Mond im Gesichtskreise steht, allmählich in hohe
Empfindungen gezogen, von Freundschaft, von Verachtung der Welt,
von Ewigkeit. Der glänzende Tag flößt geschäftigen Eifer und
ein Gefühl von Lustigkeit ein. Das Erhabene _rührt_, das Schöne
_reizt_. Die Miene des Menschen, der im vollen Gefühl des Erhabenen
sich befindet, ist ernsthaft, bisweilen starr und erstaunt. Dagegen
kündigt sich die lebhafte Empfindung des Schönen durch glänzende
Heiterkeit in den Augen, durch Züge des Lächelns und oft durch laute
Lustigkeit an. Das Erhabene ist wiederum verschiedener Art. Das Gefühl
desselben ist bisweilen mit einigem Grausen oder auch Schwermut, in
einigen Fällen bloß mit ruhiger Bewunderung und in noch andern mit
einer über einen erhabenen Plan verbreiteten Schönheit begleitet. Das
erstere will ich das _Schreckhaft-Erhabene_, das zweite das _Edle_ und
das dritte das _Prächtige_ nennen. Tiefe Einsamkeit ist erhaben, aber
auf eine schreckhafte Art.(1) Daher große, weitgestreckte Einöden,
wie die ungeheure Wüste Schamo in der Tartarei, jederzeit Anlaß
gegeben haben, fürchterliche Schatten, Kobolde und Gespensterlarven
dahin zu versetzen.
Das Erhabene muß jederzeit groß, das Schöne kann auch klein
sein. Das Erhabene muß einfältig, das Schöne kann geputzt und
geziert sein. Eine große Höhe ist ebensowohl erhaben als eine große
Tiefe; allein diese ist mit der Empfindung des Schauderns begleitet,
jene mit der Bewunderung; daher diese Empfindung schreckhaft erhaben
und jene edel sein kann. Der Anblick einer ägyptischen Pyramide
rührt, wie _Hasselquist_ berichtet, weit mehr, als man sich aus
aller Beschreibung es vorstellen kann, aber ihr Bau ist einfältig und
edel. Die Peterskirche in Rom ist prächtig. Weil auf diesen Entwurf,
der groß und einfältig ist, Schönheit, z. E. Gold, mosaische
Arbeit usw. usw. so verbreitet ist, daß die Empfindung des Erhabenen
doch am meisten hindurch wirkt, so heißt der Gegenstand prächtig. Ein
Arsenal muß edel und einfältig, ein Residenzschloß prächtig und ein
Lustpalast schön und geziert sein.
(1) Ich will nur ein Beispiel von dem edlen Grausen geben,
welches die Beschreibung einer gänzlichen Einsamkeit einflößen
kann, und ziehe um deswillen einige Stellen aus _Carazans_ Traum
im Brem. Magazin, Band IV, Seite 539 aus. Dieser karge Reiche
hatte nach dem Maße, als seine Reichtümer zunahmen, sein Herz dem
Mitleiden und der Liebe gegen jeden andern verschlossen. Indessen,
so wie die Menschenliebe in ihm erkaltete, nahm die Emsigkeit seiner
Gebete und der Religionshandlungen zu. Nach diesem Geständnisse
fährt er also fort zu reden. An einem Abende, da ich bei meiner
Lampe meine Rechnungen zog und den Handlungsvorteil überschlug,
überwältigte mich der Schlaf. In diesem Zustande sah ich den Engel
des Todes wie einen Wirbelwind über mich kommen, er schlug mich,
ehe ich den schrecklichen Streich abbitten konnte. Ich erstarrte,
als ich gewahr ward, daß mein Los für die Ewigkeit geworfen sei
und daß zu allem Guten, das ich verübt, nichts konnte hinzugetan,
und von allem Bösen, das ich getan, nichts konnte hinweggenommen
werden. Ich ward vor den Thron dessen, der in dem dritten Himmel
wohnt, geführt. Der Glanz, der vor mir flammte, redete mich also
an: »Carazan, dein Gottesdienst ist verworfen. Du hast dein Herz
der Menschenliebe verschlossen und deine Schätze mit einer eisernen
Hand gehalten. Du hast nur für dich selbst gelebt, und darum sollst
du auch künftig in Ewigkeit allein und von aller Gemeinschaft mit
der ganzen Schöpfung ausgestoßen leben.« In diesem Augenblicke
ward ich durch eine unsichtbare Gewalt fortgerissen und durch
das glänzende Gebäude der Schöpfung getrieben. Ich ließ bald
unzählige Welten hinter mir. Als ich mich dem äußersten Ende
der Natur näherte, merkte ich, daß die Schatten des grenzenlosen
Leeren sich in die Tiefe vor mich herabsenkten. Ein fürchterliches
Reich von ewiger Stille, Einsamkeit und Finsternis. Unaussprechliches
Grausen überfiel mich bei diesem Anblick. Ich verlor allgemach die
letzten Sterne aus dem Gesichte, und endlich erlosch der letzte
glimmernde Schein des Lichts in der äußersten Finsternis. Die
Todesängste der Verzweiflung nahmen mit jedem Augenblicke zu,
so wie jeder Augenblick meine Entfernung von der letzten bewohnten
Welt vermehrte. Ich bedachte mit unleidlicher Herzensangst, daß,
wenn zehntausendmal tausend Jahre mich jenseit den Grenzen alles
Erschaffenen würden weitergebracht haben, ich doch noch immerhin in
den unermeßlichen Abgrund der Finsternis vorwärts schauen würde
ohne Hülfe oder Hoffnung einiger Rückkehr. -- -- In dieser
Betäubung streckte ich meine Hände mit solcher Heftigkeit nach
Gegenständen der Wirklichkeit aus, daß ich darüber erwachte. Und
nun bin ich belehrt worden, Menschen hochzuschätzen; denn auch der
Geringste von denjenigen, die ich im Stolze meines Glücks von meiner
Türe gewiesen hatte, würde in jener erschrecklichen Einöde von mir
allen Schätzen von Golconda weit sein vorgezogen worden. -- --
Eine lange Dauer ist erhaben. Ist sie von vergangener Zeit, so ist sie
edel; wird sie in einer unabsehlichen Zukunft vorausgesehen, so hat sie
etwas vom Schreckhaften an sich. Ein Gebäude aus dem entferntesten
Altertum ist ehrwürdig. _Hallers_ Beschreibung von der künftigen
Ewigkeit stößt ein sanftes Grausen und von der vergangenen starre
Bewunderung ein.


Zweiter Abschnitt
Von den Eigenschaften des Erhabenen und Schönen am Menschen überhaupt

Verstand ist erhaben, Witz ist schön. Kühnheit ist erhaben und groß,
List ist klein, aber schön. Die Behutsamkeit, sagte _Cromwell_,
ist eine Bürgermeistertugend. Wahrhaftigkeit und Redlichkeit ist
einfältig und edel, Scherz und gefällige Schmeichelei ist fein
und schön. Artigkeit ist die Schönheit der Tugend. Uneigennütziger
Diensteifer ist edel, Geschliffenheit (Politesse) und Höflichkeit sind
schön. Erhabene Eigenschaften flößen Hochachtung, schöne aber Liebe
ein. Leute, deren Gefühl vornehmlich auf das Schöne geht, suchen ihre
redlichen, beständigen und ernsthaften Freunde nur in der Not auf; den
scherzhaften, artigen und höflichen Gesellschafter aber erwählen sie
sich zum Umgange. Man schätzt manchen viel zu hoch, als daß man ihn
lieben könnte. Er flößt Bewunderung ein, aber er ist zu weit über
uns, als daß wir mit der Vertraulichkeit der Liebe uns ihm zu nähern
getrauten.
Diejenige, welche beiderlei Gefühl in sich vereinbaren, werden
finden: daß die Rührung von dem Erhabenen mächtiger ist wie die
vom Schönen, nur daß sie ohne Abwechselung oder Begleitung der
letzteren ermüdet und nicht so lange genossen werden kann.(2) Die
hohen Empfindungen, zu denen die Unterredung in einer Gesellschaft von
guter Wahl sich bisweilen erhebt, müssen sich dazwischen in heiteren
Scherz auflösen, und die lachenden Freuden sollen mit der gerührten,
ernsthaften Miene den schönen Kontrast machen, welcher beide Arten
von Empfindung ungezwungen abwechseln läßt. _Freundschaft_ hat
hauptsächlich den Zug des Erhabenen, _Geschlechterliebe_ aber des
Schönen an sich. Doch geben Zärtlichkeit und tiefe Hochachtung der
letzteren eine gewisse Würde und Erhabenheit, dagegen gaukelhafter
Scherz und Vertraulichkeit das Kolorit des Schönen in dieser
Empfindung erhöhen. Das _Trauerspiel_ unterscheidet sich meiner
Meinung nach vom _Lustspiele_ vornehmlich darin: daß in dem ersteren
das Gefühl fürs _Erhabene_, im zweiten für das _Schöne_ gerührt
wird. In dem ersteren zeigen sich großmütige Aufopferung für
fremdes Wohl, kühne Entschlossenheit in Gefahren und geprüfte
Treue. Die Liebe ist daselbst schwermütig, zärtlich und voll
Hochachtung; das Unglück anderer bewegt in dem Busen des Zuschauers
teilnehmende Empfindungen und läßt sein großmütig Herz für fremde
Not klopfen. Er wird sanft gerührt und fühlt die Würde seiner
eigenen Natur. Dagegen stellt das Lustspiel feine Ränke, wunderliche
Verwirrungen und Witzige, die sich herauszuziehen wissen, Narren, die
sich betrügen lassen, Späße und lächerliche Charaktere vor. Die
Liebe ist hier nicht so grämisch, sie ist lustig und vertraulich. Doch
kann so wie in andern Fällen, also auch in diesen das Edle mit dem
Schönen in gewissem Grade vereinbart werden.
(2) Die Empfindungen des Erhabenen spannen die Kräfte der Seele
stärker an und ermüden daher eher. Man wird ein Schäfergedicht
länger in einer Folge lesen können als Miltons Verlorenes Paradies
und den de la Bruyere länger wie den Young. Es scheint mir sogar
ein Fehler des letzteren als eines moralischen Dichters zu sein, daß
er gar zu einförmig im erhabenen Tone anhält; denn die Stärke des
Eindrucks kann nur durch Abstechungen mit sanfteren Stellen erneuert
werden. Bei dem Schönen ermüdet nichts mehr als mühsame Kunst,
die sich dabei verrät. Die Bemühung zu reizen wird peinlich und mit
Beschwerlichkeit empfunden.
Selbst die Laster und moralischen Gebrechen führen öfters gleichwohl
einige Züge des Erhabenen oder Schönen bei sich; wenigstens so
wie sie unserem sinnlichen Gefühl erscheinen, ohne durch Vernunft
geprüft zu sein. Der Zorn eines Furchtbaren ist erhaben, wie
Achilles' Zorn in der Iliade. Überhaupt ist der Held des _Homers
schrecklich erhaben_, des _Virgils_ seiner dagegen _edel_. Offenbare
dreiste Rache nach großer Beleidigung hat etwas Großes an sich,
und so unerlaubt sie auch sein mag, so rührt sie in der Erzählung
gleichwohl mit Grausen und Wohlgefallen. Als Schach Nadir zur Nachtzeit
von einigen Verschwornen in seinem Zelte überfallen ward, so rief
er, wie Hanway erzählt, nachdem er schon einige Wunden bekommen
und sich voll Verzweiflung wehrte: »_Erbarmung! ich will euch allen
vergeben._« Einer unter ihnen antwortete, indem er den Säbel in die
Höhe hob: »_Du hast keine Erbarmung bewiesen und verdienst auch
keine._« Entschlossene Verwegenheit an einem Schelmen ist höchst
gefährlich, aber sie rührt doch in der Erzählung, und selbst wenn
er zu einem schändlichen Tode geschleppt wird, so veredelt er ihn
noch gewissermaßen dadurch, daß er ihm trotzig und mit Verachtung
entgegengeht. Von der andern Seite hat ein listig ausgedachter Entwurf,
wenn er gleich auf ein Bubenstück ausgeht, etwas an sich, was fein ist
und belacht wird. Buhlerische Neigung (Koketterie) im feinen Verstande,
nämlich eine Geflissenheit einzunehmen und zu reizen, an einer sonst
artigen Person ist vielleicht tadelhaft, aber doch schön und wird
gemeiniglich dem ehrbaren, ernsthaften Anstande vorgezogen.
Die Gestalt der Personen, die durch ihr äußeres Ansehen gefallen,
schlägt bald in eine, bald in die andere Art des Gefühls ein. Eine
große Statur erwirbt sich Ansehen und Achtung, eine kleine mehr
Vertraulichkeit. Selbst die bräunliche Farbe und schwarze Augen
sind dem Erhabenen, blaue Augen und blonde Farbe dem Schönen näher
verwandt. Ein etwas größeres Alter vereinbart sich mehr mit den
Eigenschaften des Erhabenen, Jugend aber mit denen des Schönen. So ist
es auch mit dem Unterschiede der Stände bewandt, und in allen diesen
nur erwähnten Beziehungen müssen sogar die Kleidungen auf diesen
Unterschied des Gefühls eintreffen. Große, ansehnliche Personen
müssen Einfalt, höchstens Pracht in ihrer Kleidung beobachten, kleine
können geputzt und geschmückt sein. Dem Alter geziemen dunklere
Farben und Einförmigkeit im Anzuge, die Jugend schimmert durch hellere
und lebhaft abstechende Kleidungsstücke. Unter den Ständen muß bei
gleichem Vermögen und Range der Geistliche die größte Einfalt, der
Staatsmann die meiste Pracht zeigen. Der Cicisbeo kann sich ausputzen,
wie es ihm beliebt.
Auch in äußerlichen Glücksumständen ist etwas, das wenigstens nach
dem Wahne der Menschen in diese Empfindungen einschlägt. Geburt und
Titel finden die Menschen gemeiniglich zur Achtung geneigt. Reichtum
auch ohne Verdienste wird selbst von Uneigennützigen geehrt,
vermutlich weil sich mit seiner Vorstellung Entwürfe von großen
Handlungen vereinbaren, die dadurch könnten ausgeführt werden. Diese
Achtung trifft gelegentlich auch manchen reichen Schurken, der solche
Handlungen niemals ausüben wird und von dem edlen Gefühl keinen
Begriff hat, welches Reichtümer einzig und allein schätzbar machen
kann. Was das Übel der Armut vergrößert, ist die Geringschätzung,
welche auch nicht durch Verdienste gänzlich kann überwogen
werden, wenigstens nicht vor gemeinen Augen, wo nicht Rang und Titel
dieses plumpe Gefühl täuschen und einigermaßen zu dessen Vorteil
hintergehen.
In der menschlichen Natur finden sich niemals rühmliche Eigenschaften,
ohne daß zugleich Abartungen derselben durch unendliche
Schattierungen bis zur äußersten Unvollkommenheit übergehen
sollten. Die Eigenschaft des _Schrecklich-Erhabenen_, wenn sie ganz
unnatürlich wird, ist _abenteuerlich_.(3) Unnatürliche Dinge,
insofern das Erhabene darin gemeint ist, ob es gleich wenig oder
gar nicht angetroffen wird, sind _Fratzen_. Wer das Abenteuerliche
liebt und glaubt, ist ein _Phantast_, die Neigung zu Fratzen macht den
_Grillenfänger_. Andererseits artet das Gefühl des Schönen aus, wenn
das Edle dabei gänzlich mangelt, und man nennt es _läppisch_. Eine
Mannsperson von dieser Eigenschaft, wenn sie jung ist, heißt ein
_Laffe_; ist sie im mittleren Alter, so ist es ein _Geck_. Weil dem
höheren Alter das Erhabene am notwendigsten ist, so ist ein _alter
Geck_ das verächtlichste Geschöpf in der Natur, so wie ein junger
Grillenfänger das widrigste und unleidlichste ist. Scherze und
Munterkeit schlagen in das Gefühl des Schönen ein. Gleichwohl kann
noch ziemlich viel Verstand hindurchscheinen, und insofern können
sie mehr oder weniger dem Erhabenen verwandt sein. Der, in dessen
Munterkeit diese Dazumischung unmerklich ist, _faselt_. Der beständig
faselt, ist _albern_. Man merkt leicht, daß auch kluge Leute bisweilen
faseln und daß nicht wenig Geist dazu gehöre, den Verstand eine
kurze Zeit von seinem Posten abzurufen, ohne daß dabei etwas versehen
wird. Derjenige, dessen Reden oder Handlungen weder belustigen noch
rühren, ist _langweilig_. Der Langweilige, insofern er gleichwohl
beides zu tun geschäftig ist, ist _abgeschmackt_. Der Abgeschmackte,
wenn er aufgeblasen ist, ist ein _Narr_.(4)
(3) Insofern die Erhabenheit oder Schönheit das bekannte
Mittelmaß überschreitet, so pflegt man sie _romantisch_ zu nennen.
(4) Man bemerkt bald, daß diese ehrwürdige Gesellschaft sich in
zwei Logen teile, in die der Grillenfänger und die der Gecken. Ein
gelehrter Grillenfänger wird bescheidentlich ein _Pedant_
genannt. Wenn er die trotzige Weisheitsmiene annimmt, wie die _Dunse_
alter und neuer Zeiten, so steht ihm die Kappe mit Schellen gut
zum Gesichte. Die Klasse der Gecken wird mehr in der großen Welt
angetroffen. Sie ist vielleicht noch besser als die erstere. Man hat
an ihnen viel zu verdienen und viel zu lachen. In dieser Karikatur
macht gleichwohl einer dem andern ein schief Maul und stößt mit
seinem leeren Kopf an den Kopf seines Bruders.
Ich will diesen wunderlichen Abriß der menschlichen Schwachheiten
durch Beispiele etwas verständlicher machen; denn der, welchem
_Hogarths_ Grabstichel fehlt, muß, was der Zeichnung am Ausdrucke
mangelt, durch Beschreibung ersetzen. Kühne Übernehmung der
Gefahren für unsere, des Vaterlandes oder unserer Freunde
Rechte ist erhaben. Die Kreuzzüge, die alte Ritterschaft waren
_abenteuerlich_: die Duelle, ein elender Rest der letztern aus einem
verkehrten Begriff des Ehrenrufs, sind _Fratzen_. Schwermütige
Entfernung von dem Geräusche der Welt aus einem rechtmäßigen
Überdrusse ist _edel_. Der alten Eremiten einsiedlerische Andacht
war _abenteuerlich_. Klöster und dergleichen Gräber, um lebendige
Heilige einzusperren, sind _Fratzen_. Bezwingung seiner Leidenschaften
durch Grundsätze ist _erhaben_. Kasteiungen, Gelübde und andere
Mönchstugenden mehr sind _Fratzen_. Heilige Knochen, heiliges Holz und
aller dergleichen Plunder, den heiligen Stuhlgang des großen Lama von
Tibet nicht ausgeschlossen, sind _Fratzen_. Von den Werken des Witzes
und des feinen Gefühls fallen die epischen Gedichte des Virgils und
Klopstocks ins _Edle_, Homers und Miltons ins _Abenteuerliche_. Die
Verwandelungen des Ovids sind _Fratzen_, die Feenmärchen des
französischen Aberwitzes sind die elendesten Fratzen, die jemals
ausgeheckt worden. Anakreontische Gedichte sind gemeiniglich sehr nahe
beim _Läppischen_.
Die Werke des Verstandes und der Scharfsinnigkeit, insofern ihre
Gegenstände auch etwas für das Gefühl enthalten, nehmen gleichfalls
einigen Anteil an den gedachten Verschiedenheiten. Die mathematische
Vorstellung von der unermeßlichen Größe des Weltbaues, die
Betrachtungen der Metaphysik von der Ewigkeit, der Vorsehung, der
Unsterblichkeit unserer Seele enthalten eine gewisse Erhabenheit
und Würde. Hingegen wird die Weltweisheit auch durch viel leere
Spitzfindigkeiten entstellt, und der Anschein der Gründlichkeit
hindert nicht, daß die vier syllogistischen Figuren nicht zu
Schulfratzen gezählt zu werden verdienten.
In moralischen Eigenschaften ist wahre Tugend allein erhaben. Es gibt
gleichwohl gute sittliche Qualitäten, die liebenswürdig und schön
sind und, insofern sie mit der Tugend harmonieren, auch als edel
angesehen werden, ob sie gleich eigentlich nicht zur tugendhaften
Gesinnung gezählt werden können. Das Urteil hierüber ist fein und
verwickelt. Man kann gewiß die Gemütsverfassung nicht tugendhaft
nennen, die ein Quell solcher Handlungen ist, auf welche zwar auch
die Tugend hinauslaufen würde, allein aus einem Grunde, der nur
zufälligerweise damit übereinstimmt, seiner Natur nach aber den
allgemeinen Regeln der Tugend auch öfters widerstreiten kann. Eine
gewisse Weichmütigkeit, die leichtlich in ein warmes Gefühl des
_Mitleidens_ gesetzt wird, ist schön und liebenswürdig; denn es
zeigt eine gütige Teilnehmung an dem Schicksale anderer Menschen an,
worauf Grundsätze der Tugend gleichfalls hinausführen. Allein diese
gutartige Leidenschaft ist gleichwohl schwach und jederzeit blind. Denn
setzet, diese Empfindung bewege euch, mit eurem Aufwande einem
Notleidenden aufzuhelfen, allein ihr seid einem andern schuldig und
setzt euch dadurch außerstand, die strenge Pflicht der Gerechtigkeit
zu erfüllen, so kann offenbar die Handlung aus keinem tugendhaften
Vorsatze entspringen, denn ein solcher könnte euch unmöglich
anreizen, eine höhere Verbindlichkeit dieser blinden Bezauberung
aufzuopfern. Wenn dagegen die allgemeine Wohlgewogenheit gegen das
menschliche Geschlecht in euch zum Grundsatze geworden ist, welchem
ihr jederzeit eure Handlungen unterordnet, alsdann bleibt die Liebe
gegen den Notleidenden noch, allein sie ist jetzt aus einem höhern
Standpunkte in das wahre Verhältnis gegen eure gesamte Pflicht
versetzt worden. Die allgemeine Wohlgewogenheit ist ein Grund der
Teilnehmung an seinem Übel, aber auch zugleich der Gerechtigkeit, nach
deren Vorschrift ihr jetzt diese Handlung unterlassen müsset. Sobald
nun dieses Gefühl zu seiner gehörigen Allgemeinheit gestiegen ist,
so ist es erhaben, aber auch kälter. Denn es ist nicht möglich,
daß unser Busen für jedes Menschen Anteil von Zärtlichkeit
aufschwelle und bei jeder fremden Not in Wehmut schwimme, sonst würde
der Tugendhafte, unaufhörlich in mitleidigen Tränen wie Heraklit
schmelzend, bei aller dieser Gutherzigkeit gleichwohl nichts weiter als
ein weichmütiger Müßiggänger werden.(5)
(5) Bei näherer Erwägung findet man, daß, so liebenswürdig
auch die mitleidige Eigenschaft sein mag, sie doch die Würde der
Tugend nicht an sich habe. Ein leidendes Kind, ein unglückliches
und artiges Frauenzimmer wird unser Herz mit dieser Wehmut anfüllen,
indem wir zu gleicher Zeit die Nachricht von einer großen Schlacht
mit Kaltsinn vernehmen, in welcher, wie leicht zu erachten, ein
ansehnlicher Teil des menschlichen Geschlechts unter grausamen
Übeln unverschuldet erliegen muß. Mancher Prinz, der sein Gesicht
vor Wehmut für eine einzige unglückliche Person wegwandte, gab
gleichwohl aus einem öfters eitlen Bewegungsgrunde zu gleicher
Zeit den Befehl zum Kriege. Es ist hier gar keine Proportion in der
Wirkung, wie kann man denn sagen, daß die allgemeine Menschenliebe
die Ursache sei?
Die zweite Art des gütigen Gefühls, welches zwar schön und
liebenswürdig, aber noch nicht die Grundlage einer wahren Tugend ist,
ist die _Gefälligkeit_, eine Neigung, andern durch Freundlichkeit,
durch Einwilligung in ihr Verlangen und durch Gleichförmigkeit
unseres Betragens mit ihren Gesinnungen angenehm zu werden. Dieser
Grund einer reizenden Geselligkeit ist schön und die Biegsamkeit
eines solchen Herzens gutartig. Allein sie ist so gar keine Tugend,
daß, wo nicht höhere Grundsätze ihr Schranken setzen und sie
schwächen, alle Laster daraus entspringen können. Denn nicht
zu gedenken, daß diese Gefälligkeit gegen die, mit welchen wir
umgehen, sehr oft eine Ungerechtigkeit gegen andre ist, die sich
außer diesem kleinen Zirkel befinden, so wird ein solcher Mann,
wenn man diesen Antrieb allein nimmt, alle Laster haben können, nicht
aus unmittelbarer Neigung, sondern weil er gerne zu gefallen lebt. Er
wird aus liebreicher Gefälligkeit ein Lügner, ein Müßiggänger,
ein Säufer usw. usw. sein, denn er handelt nicht nach den Regeln, die
auf das Wohlverhalten überhaupt gehen, sondern nach einer Neigung, die
an sich schön, aber, indem sie ohne Haltung und ohne Grundsätze ist,
läppisch wird.
Demnach kann wahre Tugend nur auf Grundsätze gepfropft werden,
und je allgemeiner sie sind, desto erhabener und edler wird
sie. Diese Grundsätze sind nicht spekulativische Regeln, sondern das
Bewußtsein eines Gefühls, das in jedem menschlichen Busen lebt und
sich viel weiter als auf die besonderen Gründe des Mitleidens und
der Gefälligkeit erstreckt. Ich glaube, ich fasse alles zusammen,
wenn ich sage, es sei das _Gefühl von der Schönheit und der Würde
der menschlichen Natur_. Das erstere ist ein Grund der allgemeinen
Wohlgewogenheit, das zweite der allgemeinen Achtung, und wenn dieses
Gefühl die größte Vollkommenheit in irgendeinem menschlichen
Herzen hätte, so würde dieser Mensch sich zwar auch selbst lieben
und schätzen, aber nur insofern er einer von allen ist, auf die sein
ausgebreitetes und edles Gefühl sich ausdehnt. Nur indem man einer
so erweiterten Neigung seine besondere unterordnet, können unsere
gütigen Triebe proportioniert angewandt werden und den edlen Anstand
zuwege bringen, der die Schönheit der Tugend ist.
In Ansehung der Schwäche der menschlichen Natur und der geringen
Macht, welche das allgemeine moralische Gefühl über die mehrsten
Herzen ausüben würde, hat die Vorsehung dergleichen hülfeleistende
Triebe als Supplemente der Tugend in uns gelegt, die, indem sie
einige auch ohne Grundsätze zu schönen Handlungen bewegen, zugleich
andern, die durch diese letzteren regiert werden, einen größeren
Stoß und einen stärkern Antrieb dazu geben können. Mitleiden und
Gefälligkeit sind Gründe von schönen Handlungen, die vielleicht
durch das Übergewicht eines gröberen Eigennutzes insgesamt würden
erstickt werden, allein nicht unmittelbare Gründe der Tugend, wie
wir gesehen haben, obgleich, da sie durch die Verwandtschaft mit ihr
geadelt werden, sie auch ihren Namen erwerben. Ich kann sie daher
_adoptierte Tugenden_ nennen, diejenige aber, die auf Grundsätzen
beruht, die _echte Tugend_. Jene sind schön und reizend, diese
allein ist erhaben und ehrwürdig. Man nennt ein Gemüt, in welchem
die ersteren Empfindungen regieren, ein _gutes Herz_ und den Menschen
von solcher Art _gutherzig_; dagegen man mit Recht dem Tugendhaften
aus Grundsätzen ein _edles Herz_ beilegt, ihn selber aber einen
_rechtschaffenen_ nennt. Diese adoptierten Tugenden haben gleichwohl
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