Beatrice - 3

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vergnügt, daß er sechs Partien hintereinander gewonnen habe, und
fragte mich, ob ich auch spiele. Als ich es bejahte, lud er mich auf
morgen ein, seinen Gegner zu machen, und rief darin dem Kammerdiener,
da seine Schlafenszeit gekommen sei. Das war das Signal zum Aufbruch.
Ich erhielt noch ein bedeutsames Lächeln von der Frau vom Hause und
eilte, den Saal früher als die andern zu verlassen, da ich danach
schmachtete, in der Einsamkeit die widrigen Empfindungen, die mich
hier bestürmt, von mir abzuschütteln.
Ich wurde sie aber nicht eher los, als bis ich am anderen Tag, wieder
um die Dämmerung, nach der Villa hinauswanderte. Ich wußte wohl, daß
mir der Eintritt verboten war; ich wollte auch nur durch das Gittertor
hineinspähen, ob ich nicht einen Streifen ihres Kleides oder das Band
ihres Strohhutes erblicken könnte. Da stand sie selbst auf dem Balkon,
allein und den Blick der Straße zugekehrt, als hätte sie mich
erwartet. Eine Weile begnügten wir uns, mit Augen und Händen uns
zuzuwinken. Dann machte sie mir ein Zeichen, daß sie herunterkommen
wolle, und gleich darauf trat sie aus der kleinen Tür und kam auf mich
zu, das Gesicht dunkelglühend von Freude und Liebe. Sie reichte mir
die Hand hinaus. Als ich fragte, ob ich wirklich draußen bleiben
müsse, nickte sie ernsthaft und sagte, die Hand aufs Herz legend: Du
bist darum doch hier drinnen!--Dann vertieften wir uns lange in ein
kindisches süßes Liebesgeschwätz, bis ich ihr erzählte, daß ich
gestern bei ihren Eltern gewesen war. Als ich ein herzliches Wort
über ihren armen Vater sagte, ergriff sie rasch meine Hand und küßte
sie, eh' ich es wehren konnte. Von der Mutter und all ihrem Unwesen
sagte ich kein Wort; sie verstand mein Schweigen wohl. Geh nur wieder
hin, sagte sie, und tu ihm alles zuliebe, was du kannst. Es kann
nicht fehlen, daß er dich lieb gewinnt. Dann hielt sie mir, als ich
sie um einen Kuß bat, die Wange dicht ans Gitter und entriß sich mir
eilig, als sie Reiter heransprengen hörte. Ich mußte fort, alle
ungestillte Sehnsucht im Herzen. Ich gestehe, daß mich damals zuerst
Zweifel über die Wärme ihres Gefühls für mich beschlichen. Ich wußte
wohl, wie streng im allgemeinen die Mädchen in Italien sich selbst im
Zaum halten, um hernach als Frauen sich oft um so zügelloser
gehenzulassen. Aber nicht einmal durch das Gitter hindurch mir den
Mund zu gönnen! Dann dacht' ich wieder an alles, was sie mir gesagt
hatte, und ihren Blick dabei, und war getröstet.
Natürlich stellte ich mich am Abend pünktlich bei meinem alten General
ein, der mich sogleich an das Spieltischchen kommandierte. Es kamen
heut weniger Besucher als gestern. Der alte Kanonikus saß in der
Fensternische und schlief mit lautem Schnarchen, da ich ihn beim
Domino ablöste. Diesmal hatte sich die Frau nicht in ihr Kabinett
zurückgezogen, sondern saß auf einem Kanapee unweit unseres Tisches,
der lange Galan um so übellauniger ihr gegenüber. Sie hatte ihm einen
Roman in die Hand gegeben, aus dem er vorlesen mußte. Er versprach
sich oft und warf endlich das Buch mit einem landesüblichen Fluch
beiseite, den man sonst nicht in gute Gesellschaft mitbringt. Seine
Gebieterin stand auf und winkte ihm, ihr ins Nebenzimmer zu folgen, wo
sich ein halblaut geführtes leidenschaftliches Gespräch entspann. Ich
verstand nur so viel, daß sie ihm drohte, ihm das Haus zu verschließen,
wenn er sein Betragen nicht ändere.--Der Alte, der über sein
Spielglück sehr fröhlich war, horchte einen Augenblick auf. Was haben
sie nur? sagte er. Ich zuckte die Achseln. Ein wunderlich
ängstlicher Zug ging über sein Gesicht. Er seufzte und schien einen
Augenblick unschlüssig, ob er sich einmischen solle. Dann sank er in
sich zusammen und schien zu träumen.--Der Kanonikus wachte auf und
nahm eine Prise und bot auch dem alten Herrn die Dose. Das brachte
ihm seinen Gleichmut wieder, und wir setzten unser Spiel eifrig fort.
Er sagte mir, als ich endlich ging, ich möchte ja wiederkommen, er
spiele noch lieber mit mir als mit Don Vigilio, dem Kanonikus. Diese
Worte begleitete er mit einem herzlichen Händedruck und der
liebenswürdigsten Freundlichkeit, wie er überhaupt bei all seiner
Schwäche die Formen eines Kavaliers aus der alten Schule noch immer
beherrschte.--Die Frau entließ mich kälter als gestern, doch, wie mir
schien, nur des Grafen wegen, mit dem inzwischen eine Aussöhnung
stattgefunden hatte.
Und ich täuschte mich nicht. Denn am Abend darauf, wo der Graf durch
einen kleinen Ausflug von seinem Posten ferngehalten war, verdoppelte
sie ihre Anstrengungen, mich in ihr Netz zu ziehen. Ich spielte die
Rolle des arglosen jungen Menschen, der in aller Ehrerbietung nichts
hört und sieht und versteht, und sah wohl, daß sie doch nicht ganz
daran glaubte. Aber der geringe Erfolg ihrer Bemühungen mochte sie
beleidigen und zu dem Vorsatz treiben, um jeden Preis meine wirkliche
oder angenommene Kälte zu besiegen. Sie ließ sich von ihrem Ärger so
sehr fortreißen, daß sie auch, als der Graf wiedergekehrt war, sich
durchaus keinen Zwang antat. Auch die anderen Hausfreunde sahen, wie
die Dinge standen. Ich hörte nur zu bald durch meinen Geschäftsfreund,
daß man schon in der Stadt von mir sprach; er wünschte mir Glück zu
dieser Eroberung und ahnte nicht, wie mir dabei zu Mut war. Ich sah
ein, daß ich keinen Tag mehr zögern durfte, meine wahren Absichten zu
erklären.
Ein Gespräch mit dem jungen Grafen gab den Ausschlag.
Er erwartete mich eines Abends, als ich in mein Hotel zurückkehrte,
begrüßte mich mit eisiger Höflichkeit und bat mich kurz und bündig,
entweder meine Besuche in jenem Hause einzustellen, oder mich auf ein
Rencontre anderer Art gefaßt zu machen. Ich sei fremd und mit den
Landessitten wohl nicht hinlänglich bekannt, sonst würde er sich nicht
die Mühe genommen haben, mir erst noch diese Warnung zu erteilen.
Ich erwiderte, daß ich ihn noch vierundzwanzig Stunden zu warten bäte,
er werde dann erkennen, daß nichts lächerlicher sei als eine Rivalität
zwischen uns beiden. Er sah mich groß an; aber da ich keine Miene
machte zu weiteren Eröffnungen, verneigte er sich und ging.
Am anderen Tag schon in der Frühe--denn ich wußte, daß der alte Herr
zeitig aufstand--ließ ich mich bei ihm melden und traf ihn in seinem
Schlafzimmer, aus einer langen türkischen Pfeife rauchend, im größten
Behagen. Er hatte seinen ganzen Schatz an ausgeschnittenen Figuren in
vielen Pappschachteln um sich her stehen und kramte darin herum. Als
er mich sah, streckte er mir mit sichtbarer Freude die Hand entgegen,
lobte mich, daß ich ihn auch einmal am Morgen besuchte, bot mir eine
Pfeife an und wollte mir, da ich sie ablehnte, mit Gewalt ein paar
Reiterfiguren zum Andenken verehren, auf die er besonderen Wert legte.
Das Herz wurde mir schwer, da ich daran dachte, daß mein Glück in der
Hand dieses armen Alten ruhe. Aber als ich das erste Wort von seiner
Tochter gesagt hatte, verwandelte sich zu meinem Erstaunen der
Ausdruck seines Gesichts vollständig. Er ward ernst und still; nur
ein gespannter Zug auf der Stirn verriet, daß er selbst bei diesem
Thema Mühe hatte, seine Gedanken zu sammeln. Ich verschwieg ihm
nichts, von unserem ersten Begegnen an bis zu dieser Stunde. Er
nickte dann und wann zustimmend; wenn ich von meiner Neigung sprach,
glänzten ihm die Augen, und er sah gen Himmel mit einer feierlichen
Rührung, die seine edlen Züge wahrhaft verklärte. Dann schilderte ich
ihm meine Verhältnisse, den natürlichen Wunsch, wenn er mir sein Kind
anvertraute, meine junge Frau mit in meine Heimat zu nehmen, wie ich
aber auch bereit sei, einige Jahre in seiner Nähe zu bleiben, um sie
ihm nicht zu entreißen. Da faßte er meine beiden Hände und drückte
sie mit einer Kraft, die ich dem welken Invaliden nicht mehr zugetraut
hatte. Dann zog er mich an sich und küßte mich herzlich, ohne daß er
ein Wort sagen konnte, bis die Kraft ihn verließ und er in den Sessel
zurücksank. Aber nach einer kurzen Pause machte er mir ein Zeichen,
daß ich ihn aufrichten sollte, und als er auf seinen Füßen stand,
sagte er: Du sollst mein Kleinod haben, mein Sohn, und ich danke Gott,
daß ich diese Stunde noch erlebt habe. Komm! ich will hinüber und es
meiner Frau sagen. Es war mir gleich, als ich dich sah, als ob du ein
gutes Herz haben müssest. Und wenn ich zehn Töchter hätte, ich
wünschte sie nicht besser versorgt. Sieh nur, sieh! das böse Kind,
die Bicetta! sich einen Liebhaber anschaffen hinter dem Rücken des
babbo! Aber so sind sie alle. Wenn sich's um eine Liebschaft handelt,
kann man keiner trauen, keiner!--Dabei nahm sein Gesicht einen halb
kummervollen, halb ängstlichen Ausdruck an und er seufzte; vielleicht
fuhr ihm eine Erinnerung durch den Kopf. Gleich darauf umarmte er
mich wieder, zupfte mich am Ohr, nannte mich einen Räuber, einen
Heuchler und Verräter und zog mich an der Hand hinaus, um mich zu
seiner Frau zu führen, die ihre Zimmer auf dem anderen Flügel des
Hauses hatte.
Eine Kammerjungfer kam uns im Vorzimmer entgegen, sah mich mit großen
Augen an und ließ den General erst zu ihrer Herrin hinein, nachdem sie
bei ihr angefragt hatte. Mich zu empfangen, sei es noch zu früh. Ich
war sehr froh darüber, obwohl mir die Zeit des Wartens unerträglich
deuchte. Ich hörte kein Wort von dem, was drinnen verhandelt wurde,
nur daß die Stimme des alten Herrn mit der Zeit lauter und
gebieterischer wurde, Töne, wie ich sie nie aus seinem Munde vernommen.
Dann wieder ein langes, hastiges Flüstern, bis die Tür aufging und
der Alte hochaufgerichtet wie nach einer gewonnenen Schlacht herauskam.
Sie ist dein, mein Sohn, sagte er; es bleibt dabei. Meine Frau läßt
dich grüßen. Sie kam mir erst mit dummen Einreden. Es ist da ein
Vetter in Rom, ein junger Laffe, der vor einem Jahr, als er fortging,
sagte: Hebt mir die Bicetta auf, ich will sie heiraten. Aber das war
Spaß, und ich und du, wir meinen es im Ernst, und du sollst sie haben,
Amadeo. Es ist wahr, seufzte er, ich lasse manches gehn, wie's Gott
gefällt. Wenn man ein alter Mann ist, fallen einem die Zügel aus der
Hand. Aber es gibt Dinge, Amadeo, die mich wieder unter Waffen
bringen bis an die Zähne. Da hast du meine Hand darauf, sie wird
deine Frau. Komm heute abend; du sollst sie hier finden. Umarme mich,
mein Sohn! mache sie glücklich; sie hat es tausendmal um ihren alten
Vater verdient.
Wir trennten uns, nachdem er mich noch oben an der Treppe lange an
sich gedrückt hatte. Als ich dann am Abend wiederkam, fand ich das
Haus heller als sonst erleuchtet, schon im Vorzimmer eine Menge
Menschen, die mich neugierig betrachteten. Im Salon saß der General
auf seinem gewöhnlichen Platz, der Kanonikus ihm wieder gegenüber,
aber die Dominosteine lagen unangerührt auf der Marmorplatte. Denn
auf dem Schoß des Vaters saß das Mädchen, ganz ohne Putz und Schmuck,
nur Granatblüten im Haar, die Arme um den Hals des Alten gelegt, als
sei es ihr unheimlich in diesem Kreise und sie suche Zuflucht bei
ihrem einzigen Freunde. Sobald sie mich sah, glitt sie von ihrem
Platz herab und stand ruhig wie eine Bildsäule da, bis ich ihr die
Hand bot. Sie warf einen raschen Blick nach dem Sofa hinüber, wo die
Mutter saß, in glänzender Toilette; die Haare fielen auf die schönen
entblößten Schultern zurück, der volle weiße Arm stützte sich auf das
rote Seidenkissen; sie hatte es offenbar darauf abgesehen, die
schlanke jungfräuliche Schönheit des Mädchens zu überstrahlen. Neben
ihr saß der lange Graf, wieder im phlegmatischen Hochmut des
Alleinherrschers, und nickte mir gönnerhaft wohlwollend zu. Als ich,
meine Braut an der Hand, zu den beiden trat, sah ich wohl, daß die
Frau leicht erblaßte. Aber sie begrüßte und beglückwünschte mich mit
ihrem gewinnendsten Lächeln, bot mir die Hand zum Kuß und küßte
Bicetta auf die Stirn, was diese wie leblos hinnahm. Nur das Zittern
ihrer Hand sagte mir, wie ihr dabei zu Mute war.
Nun hatten wir eine große Cour anzunehmen, und ich bewunderte, mit wie
vollendeter Haltung meine Geliebte dieser Flut von Redensarten
standhielt. Der Vater sah uns in der höchsten Glückseligkeit
beständig an. Dann winkte er uns, daß wir uns in die Fensternische
setzen möchten, wo zwei Sessel einander gegenüberstanden, und er
selbst vertiefte sich mit Don Vigilio in seine Partie. Bald hatten
wir ganz vergessen, wo wir waren. Von dem schwirrenden Geräusch um
uns her drang nichts an unser Ohr. Draußen an einer über die Gasse
gezogenen Kette hing eine trübe Öllaterne. Aber sie leuchtete mir
genug, um meinem Glück in die Augen zu sehen und mich an seinem
Lächeln zu berauschen.
Später als gewöhnlich verließ man heute das Haus. Es wurde Champagner
getrunken und von einem alten Erzbischof, der gerade auf einer
Hirtenreise die Stadt besuchte, das Wohl der Verlobten ausgebracht.
Der würdige alte Herr schien mich ganz besonders in Affektion zu
nehmen. Ich mußte in seinen Wagen steigen und mich von ihm in meinen
Gasthof fahren lassen. Aber kaum waren wir allein miteinander, als
der Grund dieser ausgesuchten Freundlichkeit zum Vorschein kam. Sie
sind Lutheraner? fragte er. Als ich es bejahte, bemerkte er mit einem
milden Lächeln: Sie werden es nicht bleiben. Sie werden durch das
Liebesglück, das Sie hier gefunden, noch ein größeres Heil gewinnen.
Besuchen Sie mich morgen; wir sprechen weiter davon.
Ich versäumte nicht, mich einzufinden: aber von der Linie, die ich mir
vorgezeichnet hatte, ließ ich mich keinen Zollbreit abdrängen. Ich
nahm für mich selbst die volle Gewissensfreiheit in Anspruch, die ich
auch meiner Braut gewähren wollte. Was die Kinder betraf, so sollte
die Mutter darüber entscheiden, bis sie selbst in der Frage über ihr
Seelenheil eine Stimme haben würden.--Der feine alte, Herr schien
einstweilen mit meiner Stimmung ganz wohl zufrieden und auf die
Zukunft zu rechnen. Da er aber wieder abreisen mußte, übergab er mich
einem jüngeren Seelsorger, einem Ordensgeistlichen, der die Sache viel
ungeschickter und leidenschaftlicher angriff, so daß ich endlich, um
nicht selbst mich zu Unartigkeiten fortreißen zu lassen, den Verkehr
mit ihm ganz und gar abbrach. Man verdachte mir das schwer; ich
konnte es im Salon meiner Schwiegereltern deutlich an gewissen Mienen
bemerken. Aber da der Vater unverändert herzlich blieb und auch die
Herrin des Hauses mir, wenigstens scheinbar, ihre kühle Freundlichkeit
nicht entzog, so war das Unglück zu ertragen.
Meine Geliebte selbst, gegen die ich aus meiner Stimmung kein
Geheimnis machte, war einverstanden mit meinem Entschluß, in Zukunft
alle solche Zumutungen von vornherein abzuwehren. Was wollen sie nur?
sagte sie. Für uns gibt es nur einen Himmel und eine Hölle. Nicht
wahr, Amadeo? Wenn ich ins Paradies käme und fände dich nicht dort,
würde ich umkehren und nicht ruhen, bis ich dich gefunden hätte.
Wenn sie so sprach, sah ich wieder den Himmel offen und glaubte an
keine Gefahr oder auch nur einen Aufschub meines Glückes. Wir hatten
die Hochzeit auf den Oktober festgesetzt. Die zwei Monate bis dahin
hoffte ich auch noch zu überstehen. Nur das eine beunruhigte mich,
daß auf die Anzeige meiner Verlobung noch kein Brief weder meiner
Schwester noch meines Schwagers geantwortet hatte. Wie wir uns
kannten, hatte ich keinen Einspruch von ihnen zu befürchten. Ich
konnte mir ihr Schweigen nur mit Krankheit oder anderem Kummer
erklären, den sie mir vorenthalten wollten, und so hell mich das Leben
in nächster Nähe anlachte, diese Sorge quälte mich von Tag zu Tage
peinlicher. Endlich, nach drei Wochen der Ungeduld kam wirklich der
ersehnte Brief; nur mein Schwager hatte geschrieben. Blanche, meine
Schwester, sei nach einer gefährlichen Entbindung in eine schwere
Krankheit gefallen, und noch jetzt stehe es so ungewiß, daß er ihr die
aufregende Nachricht meiner Verlobung nicht habe mitteilen dürfen.
Wenn ich mich irgend losmachen könnte, so wäre es ihnen beiden ein
Trost, mich auf einige Tage wiederzusehen.
Du mußt reisen, sagte meine Liebste, als ich ihr den Brief ohne ein
Wort gegeben hatte. Du mußt gleich morgen fort. Ich werde schon
sehen, wie ich es fertigbringe, die Zeit ohne dich zu überleben.
Schreiben mußt du mir, sobald du zu Hause bist, viel und oft, sooft du
kannst. Wenn ich mit dir reisen könnte, was gäbe ich darum! Aber das
ist ja unmöglich. Grüße mir Blanche und sage ihr, daß ich sie liebe,
und bring ihr diesen Kuß von ihrer Schwester!
Sie umfing mich heftig und küßte mich auf den Mund, den ersten Kuß,
den sie mir gönnte. Denn auch wenn ich sie allein getroffen und im
Scherz und Ernst gebeten hatte, mich nicht so streng in Schranken zu
halten, war sie immer unerbittlich geblieben. Wie oft hatte mich
diese Zurückhaltung gekränkt. Dann brauchte sie nur ein Wort zu sagen
und mir mit ihrem unbeschreiblichen Lächeln die Hand zu reichen, und
jeder Hauch von Unmut oder Zweifel war augenblicklich zerstoben.
So nahm ich denn Abschied im vollsten Gefühl der Sicherheit, daß ich
alles wiederfinden würde, wie ich es verließ. Der alte Herr sah mich
mit sichtbarer Trauer scheiden und wollte mich gar nicht aus seinen
Armen lassen. Die Frau schien ein lebhaftes Interesse an dem Zustande
meiner Schwester zu nehmen und täuschte mich so vollständig, daß ich
ihr unterwegs, sooft ich zurückdachte, vieles abbat, was ich ihr
früher vorgeworfen hatte. Ich ließ einen Teil meines Gepäcks in der
Villa zurück, denn dort hatte ich seit meiner Verlobung gewohnt, von
dem Alten und meiner Freundin Nina aufs freundlichste verpflegt. Ich
rechnete, in höchstens vier Wochen wiederzukehren, vielleicht sogar
Schwester und Schwager mitzubringen, daß sie die Hochzeit mitfeierten.
Nina sollte in die Stadt ziehen, um meiner Liebsten. Gesellschaft zu
leisten. So war alles, wie es schien, aufs beste geordnet, und die
Trennung nur ein Opfer, das ich dem Neide der Götter zu bringen hatte,
ehe sie mich glücklich werden ließen.
Auch fand ich es zu Hause tröstlicher, als ich es mir in zaghaften
Stunden während der langen Fahrt vorgestellt hatte. Blanche war außer
Gefahr erklärt, und es schien, als ob die Freude des Wiedersehens und
alles Gute, was ich ihr zu berichten hatte, ihre Genesung rascher
förderte. Nur freilich war nicht daran zu denken, daß sie mich zur
Hochzeit zurückbegleitete, schon des Kindes wegen, von dem sie sich
nicht getrennt hätte. Auch mein Schwager wurde zu Hause festgehalten;
das Geschäft nahm gerade damals einen so lebhaften Aufschwung, daß wir
beide zu gleicher Zeit unmöglich fehlen konnten. Aber trotzdem
drängten sie mich selbst, bald wieder aufzubrechen, und allerdings war
unter diesen Umständen mein Bleiben auch für sie mehr eine Sorge als
eine Freude.
Denn so fest wir es auch abgeredet hatten, uns oft und viel zu
schreiben, so getreu ich Wort hielt und keinen Posttag versäumte--aus
Bologna kam keine Zeile. Eine Woche lang war ich unerschöpflich in
Vermutungen, dies ganz natürlich aufzuklären. Als ich aber volle
vierzehn Tage in Genf gewartet hatte und weder von meiner Liebsten
noch von irgendwem in ihrem Hause mir nur das geringste Lebenszeichen
zugekommen war, geriet ich in die peinlichste Angst. Mein letzter
Trost war, daß ein jähes Unglück unmöglich geschehen sein könne, da
sonst ja ohne Zweifel unser dortiger Geschäftsfreund mich
benachrichtigt hätte. Freilich, wer bürgte mir, daß er nicht selbst
abwesend war, daß, wenn überhaupt Briefe verloren oder gar
unterschlagen waren, nicht auch die seinigen darunter waren?
Ich mußte endlich aufbrechen, wenn ich nicht zu Grunde gehen wollte.
In welcher Verfassung ich Tag und Nacht im Wagen lag, ist nicht zu
beschreiben. Ich erschrak, als ich, eine Miglie vor der Stadt, meine
Morgentoilette machte und mich dabei im Spiegel sah. Mit solch einem
Bräutigamsgesicht zurückzukehren hatte ich nicht gedacht.
Es war ganz früher Morgen, als ich die wohlbekannte Straße im
schnellsten Jagen dahinrollte und dem Postillon zurief, an jenem
vergitterten Portal vor der Villa zu halten. Ich sprang mit
zitternden Knien hinaus und riß an der Glocke. Es dauerte eine Weile,
bis der Kopf meines guten alten Fabio aus dem Pförtchen vorsah. Als
er mich erkannte, erschrak er heftig, nahm sich nicht Zeit, das alte
Wams über der nackten Brust zuzuknöpfen, und rannte mir entgegen, mit
einer verstörten Miene, daß ich ihm schon aus der Ferne zurief: Sie
ist tot!
Er schüttelte den Kopf und schloß mir eilig auf, Aber der Schrecken
hatte ihm so den Atem versetzt, daß ich erst langsam und unvollständig
ihm alles abfragen konnte. Er sah mein bleiches überwachtes Gesicht
und glaubte mich schonen zu müssen, während er mich nicht grausamer
martern konnte als durch sein Zaudern.
Manches freilich, was im Dunkeln vorbereitet worden war, wußte er
selbst nicht, da er nur von Nina die Hauptsachen erfahren hatte. Ich
aber, der ich die Menschen kannte, blieb über die Triebfedern des
ganzen höllischen Ränkespiels keinen Augenblick im Zweifel.
Kaum hatte ich den Rücken gewandt, so war jener Vetter aus Rom
erschienen, der von früher her Ansprüche auf meine Braut zu haben sich
einbildete. Ob man ihn jetzt erst verschrieben, ob er auch ohne meine
Reise auf eigene Gefahr aufgetaucht wäre, darüber bin ich nie ins
klare gekommen. Er mache eine armselige Figur, sagte Fabio. Eine
Menge Abenteuer und Spiel und Schwelgerei hätten ihn sehr reduziert.
Aber da er der Neffe eines Kardinals und von altem Adel sei, gelte er
noch immer für eine gute Partie. Bicetta habe ihn nie leiden mögen.
Er (Fabio) entsinne sich, daß sie vor drei Jahren hier im Garten ihm
eine derbe Ohrfeige gegeben, weil er sich herausgenommen habe, die
kleine Cousine zu küssen. Da habe er lachend geschworen, für diesen
Schlag solle sie ihm büßen, wenn sie seine Frau geworden. Und jetzt
sei es so weit gekommen, daß er seine Drohung wahr machen könnte. Die
Leute, die die Gewalt hätten, seien alle auf seiner Seite, desgleichen
die Mutter, und den alten Herrn hätten sie so mit den Höllenstrafen
geängstigt, wenn er sein Kind einem Ketzer gäbe, daß er zu Kreuze
gekrochen sei und nichts mehr dreinzureden wage. Aber wenn er die
Bicetta ansehe, so gingen ihm die Augen über und er könne stundenlang
dasitzen und schluchzen wie ein Kind, und mit seiner Frau wechsle er
kein Wort, denn er wisse wohl, daß die an allem schuld sei.
Und Beatrice? fragte ich, während mir der Grimm in allen Adern kochte.
Ja die Bicetta! sagte der Alte. Wer aus der klug würde! Zuerst, als
man ihr zusetzte, sich von dem Lutheraner loszusagen, hat sie immer
wieder erwidert: Ich habe ihm vor Gott gelobt, daß ich sein Weib
werden will, den Eid will ich ihm halten und müßt' ich darum sterben.
--Und davon ist sie nicht abgegangen; nur wie der Vetter ihr seine
Aufwartung gemacht, hat sie ihm ganz kaltblütig gesagt: Gebt Euch
keine Mühe, Richino; und wenn ich auch Amadeo nie gesehen hätte, Euch
würde ich doch nie geliebt haben. Als er dann ihre Hand ergreifen
wollte und anfangen, ihr schöne Dinge zu sagen, habe sie sich, in
Gegenwart der Nina, hoch aufgerichtet und ihm nur erwidert: Ihr seid
ein Elender, Richino, daß Ihr die Hand ausstreckt nach dem, was einem
anderen gehört. Geht! ich verachte Euch!--Und dann hat sie ihn
durchaus nicht mehr sehen wollen. Aber was soll man davon denken,
lieber Herr, daß nun doch Hochzeit sein wird, und die Bicetta
herumgeht, wie Nina sagt, ohne eine Träne zu vergießen, auch nicht
mehr bittet und fleht, weder den Vater, noch die Mutter, noch
irgendeine Menschenseele, ja vielleicht nicht einmal unsern Herrgott?
Sie hat freilich von Euch so wenig einen Brief bekommen wie Ihr die
vielen, die sie an Euch geschrieben und die ich oft selbst nach der
Post getragen habe. Denn es scheint, daß die Herren auf dem
Postbureau wissen, was ihre Schuldigkeit ist, wenn der Neffe eines
Kardinals einem Fremden die Braut wegfischen will. Aber doch ist es
wundersam, daß sie sich so rasch ergeben hat. Denn an Euch und Eurer
Treue konnte sie doch nicht zweifeln. Nina sagt, man habe ihr gedroht,
sie in ein Kloster zu sperren, wenn sie den Vetter nicht nehme. Ein
Kloster ist freilich kein Ort für unsere Bicetta. Aber ich sollte
meinen, immer noch besser, als diesen Mann zu heiraten, da sie Euch
doch lieb hatte, und wie gesagt, mein bißchen Verstand steht mir dabei
still, und auch meine Tochter kann nicht aufhören, sich zu verwundern.
Während der gute Alte das alles sagte und sich nicht getraute, mich
dabei anzusehen, lag ich in einer furchtbaren Betäubung auf einem der
Sessel dem Kamin gegenüber, wo wir damals Hand in Hand gesessen hatten,
als wir uns verlobten. Ich war geradezu unfähig, einen Gedanken zu
fassen, ja auch die Kraft zu empfinden, zu lieben und zu hassen,
schien plötzlich gelähmt und alle Lebensregung zu stocken, wie wenn
die Feder in einer Uhr durch einen Schlag gesprengt ist. Erst nach
einer ganzen Weile fand ich die Besinnung, zu fragen, wann denn die
Hochzeit sein solle. Heute nachmittag, sagte der Alte mit furchtsamer
Stimme. Da sprang ich in die Höhe, von der Nähe der furchtbaren
Entscheidung aus meiner Ohnmacht aufgerüttelt.
Der Graubart faßte mich an beiden Händen und sah mir erschrocken ins
Gesicht. Um Gottes Barmherzigkeit, sagte er, was wollt Ihr tun? Ihr
wißt nicht, wie mächtig sie sind. Wenn Ihr Euch öffentlich auf der
Straße sehen ließet, wer weiß, ob Ihr den Abend noch erlebtet.
Ich will hin, sagt' ich, verkleidet, dem Schurken unter die Augen
treten und ihm sagen, daß einer von uns in der Welt überflüssig sei.
Du hast ja wohl deine alten Reiterpistolen noch im Stande, Fabio. Ich
brauche nichts weiter. Laß mich!
Erst müßt Ihr mich damit über den Haufen schießen, sagte er und
umklammerte so fest meinen Arm, daß ich wohl sah, im guten würde ich
nicht loskommen. Und dann, sagte er, wißt Ihr denn, was unsere
Bicetta dazu sagen würde?
Da hast du recht, sagte ich und fühlte, wie alle Kraft wieder von mir
wich. Das weiß ich freilich nicht. Aber wissen muß ich es, oder ich
werde toll. Laß meinen Arm los, gib mir meinen Hut, ich will in ihr
Haus, ich sprenge alle Türen, die man mir verriegeln will, das übrige
wird sich finden, wenn ich sie sehe!
Aber er ließ mich nicht los. Er führte mich in den Sessel zurück und
sagte: Ihr wißt, daß es niemand besser mit Euch meinen kann und mit
der Signorina und dem alten Herrn als Euer alter Fabio. Darum laßt
Euch sagen und raten und rennt nicht Hals über Kopf ins Unglück. Wenn
Ihr Euch einbildet, man werde Euch zu ihr lassen, so irrt Ihr Euch.
Das Haus ist voll neuer Dienerschaft, wegen der Hochzeit. Da kämt Ihr
übel an, wenn Ihr mit diesem Gesicht plötzlich nach der Braut fragtet.
Laßt mich hingehen, mich werden sie nicht hinauswerfen, obwohl mich
die Frau Mutter nicht gerade liebt; aber schlimmstenfalls kann ich
meine Tochter rufen lassen, und wenn Ihr mir ein paar Zeilen mitgebt,
sie sollen sicherer besorgt werden als durch die päpstlichen Posten.
Setzt Euch da ans Fenster und schreibt, und wie ich unsere Bicetta
kenne, so wird sie Euch antworten.
Er lief, mir Feder und Papier zu holen, aber mein Zustand war so
kläglich, daß ich die Feder nicht zu halten imstande war und vor dem
Sturm, der mir durchs Herz tobte, mein eigenes Wort nicht verstehen
konnte. Laßt es nur sein, sagte der Alte. Was braucht Ihr auch zu
schreiben? Genug, wenn sie erfährt, daß Ihr da seid. Wenn sie darin
noch Hochzeit halten will, so hülfen ja hundert Briefe nichts.
Damit verließ er mich. Aber erst mußte ich ihm einen Eid schwören,
daß ich mich hier im Hause, wo sonst niemand war, verborgen halten
wollte und nur ihm wieder meine Tür öffnen. Der Tag war darüber
angebrochen; der Alte kam noch einmal zurück und brachte nur Wein und
Brot, da er meine Schwäche sah. Darin blieb ich in dem totenstillen
Haus allein.
Ich konnte nicht an einer Stelle bleiben, ich schleppte mich in den
Garten hinaus zu den Orangenbäumen, von deren Früchten sie mir
gepflückt hatte, zu dem Granatbusch, deren Blüten mir das erste
Liebeszeichen gewesen waren. Überall sah ich ihre Gestalt, und je
leibhaftiger sie mir entgegentrat, desto unbegreiflicher war es mir,
daß sie mich vergessen haben sollte. Ich brachte, obwohl ich von der
Nachtfahrt erschöpft war, weder Wein noch Brot über die Lippen; nur
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