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Auswahl aus den Dichtungen Eduard Mörikes - 07
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einen seiner schönsten Herzenszüge hängen. Kam einer, in dringender
Not ihm eine Summe abzuborgen, sich seine Bürgschaft zu erbitten, so
war meist schon darauf gerechnet, daß er sich nicht erst lang' nach
Pfand und Sicherheit erkundigte; dergleichen hätte ihm auch in der Tat
so wenig als einem Kinde angestanden. Am liebsten schenkte er gleich
hin und immer mit lachender Großmut, besonders wenn er meinte, gerade
Überfluß zu haben.
Die Mittel, die ein solcher Aufwand neben dem ordentlichen Hausbedarf
erheischte, standen allerdings in keinem Verhältnis mit den Einkünften.
Was von Theatern und Konzerten, von Verlegern und Schülern einging,
zusamt der kaiserlichen Pension, genügte um so weniger, da der
Geschmack des Publikums noch weit davon entfernt war, sich entschieden
für Mozarts Musik zu erklären. Die lauterste Schönheit, Fülle und Tiefe
befremdete gemeinhin gegenüber der bisher beliebten leicht faßlichen
Kost. Zwar hatten sich die Wiener an Belmonte und Konstanze -- dank den
populären Elementen dieses Stücks -- seinerzeit kaum ersättigen können,
hingegen tat einige Jahre später Figaro, und sicher nicht allein durch
die Intrigen des Direktors, im Wettstreit mit der lieblichen, doch weit
geringeren ~Cosa rara~ einen unerwarteten kläglichen Fall: derselbe
Figaro, den gleich darauf die gebildeten oder unbefangenen Prager mit
solchem Enthusiasmus aufnahmen, daß der Meister in dankbarer Rührung
darüber seine nächste große Oper eigens für sie zu schreiben beschloß.
Trotz der Ungunst der Zeit und dem Einfluß der Feinde hätte Mozart mit
etwas mehr Umsicht und Klugheit noch immer einen sehr ansehnlichen
Gewinn von seiner Kunst gezogen: so aber kam er selbst bei jenen
Unternehmungen zu kurz, wo auch der große Haufen ihm Beifall zujauchzen
mußte. Genug, es wirkte eben alles, Schicksal und Naturell und eigene
Schuld, zusammen, den einzigen Mann nicht gedeihen zu lassen.
Welch einen schlimmen Stand nun aber eine Hausfrau, sofern sie ihre
Aufgabe kannte, unter solchen Umständen gehabt haben müsse, begreifen
wir leicht. Obgleich selbst jung und lebensfroh, als Tochter eines
Musikers ein ganzes Künstlerblut, von Hause aus übrigens schon an
Entbehrung gewöhnt, bewies Konstanze allen guten Willen, dem Unheil
an der Quelle zu steuern, manches Verkehrte abzuschneiden und den
Verlust im Großen durch Sparsamkeit im Kleinen zu ersetzen. Nur eben in
letzterer Hinsicht vielleicht ermangelte sie des rechten Geschicks und
der frühern Erfahrung. Sie hatte die Kasse und führte das Hausbuch:
jede Forderung, jede Schuldmahnung, und was es Verdrießliches gab,
ging ausschließlich an sie. Da stieg ihr wohl mitunter das Wasser an
die Kehle, zumal wenn oft zu dieser Bedrängnis, zu Mangel, peinlicher
Verlegenheit und Furcht vor offenbarer Unehre noch gar der Trübsinn
ihres Mannes kam, worin er tagelang verharrte, untätig, keinem Trost
zugänglich, indem er mit Seufzen und Klagen neben der Frau oder stumm
in einem Winkel vor sich hin den _einen_ traurigen Gedanken, zu
sterben, wie eine endlose Schraube verfolgte. Ihr guter Mut verließ sie
dennoch selten, ihr heller Blick fand meist, wenn auch nur auf einige
Zeit, Rat und Hilfe. Im wesentlichen wurde wenig oder nichts gebessert.
Gewann sie ihm mit Ernst und Scherz, mit Bitten und Schmeicheln für
heute soviel ab, daß er den Tee an ihrer Seite trank, sich seinen
Abendbraten daheim bei der Familie schmecken ließ, um nachher nicht
mehr auszugehen, was war damit erreicht? Er konnte wohl einmal, durch
ein verweintes Auge seiner Frau plötzlich betroffen und bewegt, eine
schlimme Gewohnheit aufrichtig verwünschen, das Beste versprechen,
mehr als sie verlangte -- umsonst, er fand sich unversehens im alten
Fahrgeleise wieder. Man war versucht zu glauben, es habe anders nicht
in seiner Macht gestanden, und eine völlig veränderte Ordnung nach
unseren Begriffen von dem, was allen Menschen ziemt und frommt, _ihm_
irgendwie gewaltsam aufgedrungen, müßte das wunderbare Wesen geradezu
selbst aufgehoben haben.
Einen günstigen Umschwung der Dinge hoffte Konstanze doch stets
insoweit, als derselbe von außen her möglich war: durch eine gründliche
Verbesserung ihrer ökonomischen Lage, wie solche bei dem wachsenden
Ruf ihres Mannes nicht ausbleiben könne. Wenn erst, so meinte sie, der
stete Druck wegfiel, der sich auch ihm, bald näher, bald entfernter,
von dieser Seite fühlbar machte, wenn er, anstatt die Hälfte seiner
Kraft und Zeit dem bloßen Gelderwerb zu opfern, ungeteilt seiner wahren
Bestimmung nachleben dürfe, wenn endlich der Genuß, nach dem er nicht
mehr jagen, den er mit ungleich besserem Gewissen haben würde, ihm noch
einmal so wohl an Leib und Seele gedeihe: dann sollte bald sein ganzer
Zustand leichter, natürlicher, ruhiger werden. Sie dachte gar an einen
gelegentlichen Wechsel ihres Wohnorts, da seine unbedingte Vorliebe für
Wien, wo nun einmal nach ihrer Überzeugung kein rechter Segen für ihn
sei, am Ende doch zu überwinden wäre.
Den nächsten entscheidenden Vorschub aber zur Verwirklichung ihrer
Gedanken und Wünsche versprach sich Madame Mozart vom Erfolg der neuen
Oper, um die es sich bei dieser Reise handelte.
Die Komposition war weit über die Hälfte vorgeschritten. Vertraute,
urteilsfähige Freunde, die, als Zeugen der Entstehung des
außerordentlichen Werks, einen hinreichenden Begriff von seiner
Art und Wirkungsweise haben mußten, sprachen überall davon in
einem Tone, daß viele selber von den Gegnern darauf gefaßt sein
konnten, es werde dieser Don Juan, bevor ein halbes Jahr verginge,
die gesamte musikalische Welt von einem Ende Deutschlands bis zum
andern erschüttert, auf den Kopf gestellt, im Sturm erobert haben.
Vorsichtiger und bedingter waren die wohlwollenden Stimmen anderer,
die, von dem heutigen Standpunkt der Musik ausgehend, einen allgemeinen
und raschen Succeß kaum hofften. Der Meister selber teilte im stillen
ihre nur zu wohl begründeten Zweifel.
Konstanze ihrerseits, wie die Frauen immer, wo ihr Gefühl einmal
lebhaft bestimmt und noch dazu vom Eifer eines höchst gerechten
Wunsches eingenommen ist, durch spätere Bedenklichkeiten von da und
dorther sich viel seltener als die Männer irre machen lassen, hielt
fest an ihrem guten Glauben und hatte eben jetzt im Wagen wiederum
Veranlassung, denselben zu verfechten. Sie tat's in ihrer fröhlichen
und blühenden Manier mit doppelter Geflissenheit, da Mozarts Stimmung
im Verlauf des vorigen Gesprächs, das weiter zu nichts führen konnte
und deshalb äußerst unbefriedigt abbrach, bereits merklich gesunken
war. Sie setzte ihrem Gatten sofort mit gleicher Heiterkeit umständlich
auseinander, wie sie nach ihrer Heimkehr die mit dem Prager Unternehmer
als Kaufpreis für die Partitur akkordierten hundert Dukaten zur
Deckung der dringendsten Posten und sonst zu verwenden gedenke, auch
wie sie zufolge ihres Etats den kommenden Winter hindurch bis zum
Frühjahr gut auszureichen hoffe.
»Dein Herr Bondini wird sein Schäfchen an der Oper scheren, glaub es
nur! und ist er halb der Ehrenmann, den du ihn immer rühmst, so läßt er
dir nachträglich noch ein artiges Prozentchen von den Summen ab, die
ihm die Bühnen nacheinander für die Abschrift zahlen; wo nicht, nun ja,
gottlob! so stehen uns noch andere Chancen in Aussicht, und zwar noch
tausendmal solidere. Mir ahnet allerlei.«
»Heraus damit!«
»Ich hörte unlängst ein Vögelchen pfeifen, der König von Preußen hab'
einen Kapellmeister nötig.«
»Oho!«
»Generalmusikdirektor, wollt' ich sagen. Laß mich ein wenig
phantasieren! Die Schwachheit habe ich von meiner Mutter.«
»Nur zu! je toller, je besser!«
»Nein, alles ganz natürlich. -- Vornweg also nimm an! übers Jahr um
diese Zeit --«
»Wenn der Papst die Grete freit --«
»Still doch, Hanswurst! Ich sage, aufs Jahr um Sankt Ägidi muß schon
längst kein kaiserlicher Kammerkomponist mit Namen Wolf Mozart in Wien
mehr weit und breit zu finden sein.«
»Beiß dich der Fuchs dafür!«
»Ich höre schon im Geist, wie unsere alten Freunde von uns plaudern,
was sie sich alles zu erzählen wissen.«
»Zum Exempel?«
»Da kommt z. B. eines Morgens früh nach neune schon unsere alte
Schwärmerin, die Volkstett, in ihrem feurigsten Besuchssturmschritt
quer übern Kohlmarkt hergesegelt. Sie war drei Monat' fort; die große
Reise zum Schwager in Sachsen, ihr tägliches Gespräch, solang' wir sie
kennen, kam endlich zu stand'; seit gestern nacht ist sie zurück, und
jetzt mit ihrem übervollen Herzen -- es schwattelt ganz von Reiseglück
und Freundschaftsungeduld und allerliebsten Neuigkeiten -- stracks hin
zur Oberstin damit! die Trepp' hinauf und angeklopft und das Herein
nicht abgewartet! stell dir den Jubel selber vor und das Embrassement
beiderseits! -- ›Nun, liebste, beste Oberstin,‹ hebt sie nach einigem
Vorgängigen mit frischem Odem an, ›ich bringe Ihnen ein Schock Grüße
mit; ob Sie erraten von wem? Ich komme nicht so geradenwegs von Stendal
her, es wurde ein kleiner Abstecher gemacht, linkshin, nach Brandenburg
zu.‹ -- ›Wie? wär' es möglich! Sie kamen nach Berlin? sind bei Mozarts
gewesen?‹ -- ›Zehn himmlische Tage!‹ -- ›O liebe, süße, einzige
Generalin, erzählen Sie, beschreiben Sie! Wie geht es unsern guten
Leutchen? Gefallen sie sich immer noch so gut wie anfangs dort? Es ist
mir fabelhaft, undenkbar, heute noch, und jetzt nur desto mehr, da
Sie von ihm herkommen: Mozart als Berliner! Wie benimmt er sich doch?
wie sieht er denn aus?‹ -- ›O der! Sie sollten ihn nur sehen! Diesen
Sommer hat ihn der König ins Karlsbad geschickt. Wann wäre seinem
herzgeliebten Kaiser Joseph so etwas eingefallen, he? Sie waren beide
kaum erst wieder da, als ich ankam. Er glänzt von Gesundheit und Leben,
ist rund und beleibt und vif wie Quecksilber; das Glück sieht ihm und
die Behaglichkeit recht aus den Augen.‹«
Und nun begann die Sprecherin in ihrer angenommenen Rolle die neue
Lage mit den hellsten Farben auszumalen. Von seiner Wohnung unter
den Linden, von seinem Garten und Landhaus an bis zu den glänzenden
Schauplätzen seiner öffentlichen Wirksamkeit und den engeren Zirkeln
des Hofs, wo er die Königin auf dem Piano zu begleiten hatte, wurde
alles durch ihre Schilderung gleichsam zur Wirklichkeit und Gegenwart.
Ganze Gespräche, die schönsten Anekdoten schüttelte sie aus dem Ärmel.
Sie schien fürwahr mit jener Residenz, mit Potsdam und mit Sanssouci
bekannter als im Schlosse zu Schönbrunn und auf der kaiserlichen
Burg. Nebenbei war sie schalkhaft genug, die Person unsers Helden mit
einer Anzahl völlig neuer hausväterlicher Eigenschaften auszustatten,
die sich auf dem soliden Boden der preußischen Existenz entwickelt
hatten, und unter welchen die besagte Volkstett, als höchstes Phänomen
und zum Beweis, wie die Extreme sich manchmal berühren, den Ansatz
eines ordentlichen Geizchens wahrgenommen hatte, das ihn unendlich
liebenswürdig kleide. »Ja, nehmen's nur! er hat seine dreitausend
Taler fix, und das wofür? Daß er die Woche einmal ein Kammerkonzert,
zweimal die große Oper dirigiert. Ach, Oberstin, ich habe ihn gesehn,
unsern lieben, kleinen, goldenen Mann inmitten seiner trefflichen
Kapelle, die er sich zugeschult, die ihn anbetet! saß mit der Mozartin
in ihrer Loge, schräg gegen den höchsten Herrschaften über! Und was
stand auf dem Zettel, bitte Sie? -- ich nahm ihn mit für Sie -- ein
kleines Reispräsent von mir und Mozarts drein gewickelt -- hier schauen
Sie, hier lesen Sie! da steht's mit ellenlangen Buchstaben gedruckt.
-- ›Hilf Himmel! was? Tarar!‹ -- ›Ja, gelten's Freundin, was man
erleben kann! Vor zwei Jahren, wie Mozart den Don Juan schrieb und
der verwünschte giftige, schwarzgelbe Salieri auch schon im stillen
Anstalt machte, den Triumph, den er mit seinem Stück davontrug in
Paris, demnächst auf seinem eigenen Territorio zu begehen und unserem
guten, Schnepfen liebenden, allzeit in ~Cosa rara~ vergnügten Publikum
nun doch auch mal so eine Gattung Falken sehn zu lassen, und er und
seine Helfershelfer bereits zusammen munkelten und raffinierten, daß
sie den Don Juan so schön gerupft wie jenesmal den Figaro, nicht tot
und nicht lebendig, auf das Theater stellen wollten: wissen's, da tat
ich ein Gelübd', wenn das infame Stück gegeben wird, ich geh' nicht
hin, um keine Welt! Und hielt auch Wort. Als alles lief und rannte --
und, Oberstin, Sie mit -- blieb ich an meinem Ofen sitzen, nahm meine
Katze auf den Schoß und aß meine Kaldausche, und so die folgenden paar
Male auch. Jetzt aber, stellen Sie sich vor, Tarar auf der Berliner
Opernbühne, das Werk seines Todfeinds, von Mozart dirigiert!‹ -- ›Da
müssen Sie schon drein!‹ rief er gleich in der ersten Viertelstunde,
›und wär's auch nur, daß Sie den Wienern sagen können, ob ich dem
Knaben Absalon ein Härchen krümmen ließ. Ich wünschte, er wär' selbst
dabei; der Erzneidhammel sollte sehen, daß ich nicht nötig hab', einem
andern sein Zeug zu verhunzen, damit ich immerfort der bleiben möge,
der ich bin!‹«
»~Brava! bravissima!~« rief Mozart überlaut und nahm sein Weibchen bei
den Ohren, verküßte, herzte, kitzelte sie, so daß sich dieses Spiel mit
bunten Seifenblasen einer erträumten Zukunft, die leider niemals, auch
nicht im bescheidensten Maße, erfüllt werden sollte, zuletzt in hellen
Mutwillen, Lärm und Gelächter auflöste.
Sie waren unterdessen längst ins Tal herabgekommen und näherten
sich einem Dorf, das ihnen bereits auf der Höhe bemerklich gewesen,
und hinter welchem sich unmittelbar ein kleines Schloß von modernem
Ansehen, der Wohnsitz eines Grafen von Schinzberg, in der freundlichen
Ebene zeigte. Es sollte in dem Ort gefüttert, gerastet und Mittag
gehalten werden. Der Gasthof, wo sie hielten, lag vereinzelt am Ende
des Dorfs bei der Straße, von welcher seitwärts eine Pappelallee von
nicht sechshundert Schritten zum herrschaftlichen Garten führte.
Mozart, nachdem man ausgestiegen, überließ, wie gewöhnlich, der Frau
die Bestellung des Essens. Inzwischen befahl er für sich ein Glas
Wein in die untere Stube, während sie nächst einem Trunke frischen
Wassers nur irgend einen stillen Winkel, um ein Stündchen zu schlafen,
verlangte. Man führte sie eine Treppe hinauf, der Gatte folgte, ganz
munter vor sich hin singend und pfeifend. In einem rein geweißten und
schnell gelüfteten Zimmer befand sich unter andern veralteten Möbeln
von edlerer Herkunft -- sie waren ohne Zweifel aus den gräflichen
Gemächern seinerzeit hierher gewandert -- ein sauberes, leichtes
Bett mit gemaltem Himmel auf dünnen, grün lackierten Säulen, dessen
seidene Vorhänge längst durch einen gewöhnlicheren Stoff ersetzt
waren. Konstanze machte sich's bequem, er versprach, sie rechtzeitig
zu wecken, sie riegelte die Türe hinter ihm zu, und er suchte nunmehr
Unterhaltung für sich in der allgemeinen Schenkstube. Hier war jedoch
außer dem Wirt keine Seele, und weil dessen Gespräch dem Gast so wenig
wie sein Wein behagte, so bezeugte er Lust, bis der Tisch bereit wäre,
noch einen Spaziergang nach dem Schloßgarten zu machen. Der Zutritt,
hörte er, sei anständigen Fremden wohl gestattet und die Familie
überdies heut ausgefahren.
Er ging und hatte bald den kurzen Weg bis zu dem offenen Gattertor
zurückgelegt, dann langsam einen hohen alten Lindengang durchmessen, an
dessen Ende linker Hand er in geringer Entfernung das Schloß von seiner
Fronte auf einmal vor sich hatte. Es war von italienischer Bauart,
hell getüncht, mit weit vorliegender Doppeltreppe; das Schieferdach
verzierten einige Statuen in üblicher Manier, Götter und Göttinnen,
samt einer Balustrade.
Von der Mitte zweier großen, noch reichlich blühenden Blumenparterre
ging unser Meister nach den buschigen Teilen der Anlagen zu, berührte
ein paar schöne dunkle Piniengruppen und lenkte seine Schritte auf
vielfach gewundenen Pfaden, indem er sich allmählich den lichteren
Partien wieder näherte, dem lebhaften Rauschen eines Springbrunnens
nach, den er sofort erreichte.
Das ansehnlich weite, ovale Bassin war rings von einer sorgfältig
gehaltenen Orangerie in Kübeln, abwechselnd mit Lorbeeren und
Oleandern, umstellt; ein weicher Sandweg, gegen den sich eine schmale
Gitterlaube öffnete, lief rund umher. Die Laube bot das angenehmste
Ruheplätzchen dar: ein kleiner Tisch stand vor der Bank, und Mozart
ließ sich vorn am Eingang nieder.
Das Ohr behaglich dem Geplätscher des Wassers hingegeben, das Aug' auf
einen Pomeranzenbaum von mittlerer Größe geheftet, der außerhalb der
Reihe, einzeln, ganz dicht an seiner Seite auf dem Boden stand und voll
der schönsten Früchte hing, ward unser Freund durch diese Anschauung
des Südens alsbald auf eine liebliche Erinnerung aus seiner Knabenzeit
geführt. Nachdenklich lächelnd reicht er hinüber nach der nächsten
Frucht, als wie um ihre herrliche Ründe, ihre saftige Kühle in hohler
Hand zu fühlen. Ganz im Zusammenhang mit jener Jugendszene aber, die
wieder vor ihm aufgetaucht, stand eine längst verwischte musikalische
Reminiszenz, auf deren unbestimmter Spur er sich ein Weilchen
träumerisch erging. Jetzt glänzen seine Blicke, sie irren da und dort
umher, er ist von einem Gedanken ergriffen, den er sogleich eifrig
verfolgt. Zerstreut hat er zum zweiten Male die Pomeranze angefaßt:
sie geht vom Zweige los und bleibt ihm in der Hand. Er sieht und sieht
es nicht; ja, so weit geht die künstlerische Geistesabwesenheit, daß
er, die duftige Frucht beständig unter der Nase hin und her wirbelnd
und bald den Anfang, bald die Mitte einer Weise unhörbar zwischen den
Lippen bewegend, zuletzt instinktmäßig ein emailliertes Etui aus der
Seitentasche des Rocks hervorbringt, ein kleines Messer mit silbernem
Heft daraus nimmt und die gelbe kugelige Masse von oben nach unten
langsam durchschneidet Es mochte ihn dabei entfernt ein dunkles
Durstgefühl geleitet haben, jedoch begnügten sich die angeregten Sinne
mit Einatmung des köstlichen Geruchs. Er starrt minutenlang die beiden
inneren Flächen an, fügt sie sachte wieder zusammen, ganz sachte,
trennt und vereinigt sie wieder.
Da hört er Tritte in der Nähe, er erschrickt, und das Bewußtsein,
wo er ist, was er getan, stellt sich urplötzlich bei ihm ein. Schon
im Begriff, die Pomeranze zu verbergen, hält er doch gleich damit
inne, sei es aus Stolz, sei's, weil es zu spät dazu war. Ein großer,
breitschulteriger Mann in Livree, der Gärtner des Hauses, stand vor
ihm. Derselbe hatte wohl die letzte verdächtige Bewegung noch gesehen
und schwieg betroffen einige Sekunden. Mozart, gleichfalls sprachlos,
auf seinem Sitz wie angenagelt, schaute ihm halb lachend, unter
sichtbarem Erröten, doch gewissermaßen keck und groß mit seinen blauen
Augen ins Gesicht; dann setzte er -- für einen dritten wäre es höchst
komisch anzusehen gewesen -- die scheinbar unverletzte Pomeranze mit
einer Art von trotzig couragiertem Nachdruck in die Mitte des Tisches.
»Um Vergebung!« fing jetzt der Gärtner, nachdem er den wenig
versprechenden Anzug des Fremden gemustert, mit unterdrücktem Unwillen
an, »ich weiß nicht, wen ich hier --«
»Kapellmeister Mozart aus Wien.«
»Sind ohne Zweifel bekannt im Schloß?«
»Ich bin hier fremd und auf der Durchreise. Ist der Herr Graf
anwesend?«
»Nein.«
»Seine Gemahlin?«
»Sind beschäftigt und schwerlich zu sprechen.«
Mozart stand auf und machte Miene zu gehen.
»Mit Erlaubnis, mein Herr! wie kommen Sie dazu, an diesem Ort auf
solche Weise zuzugreifen?«
»Was?« rief Mozart, »zugreifen? Zum Teufel! glaubt Er denn, ich wollte
stehlen und das Ding da fressen?«
»Mein Herr, ich glaube, was ich sehe. Diese Früchte sind gezählt, ich
bin dafür verantwortlich. Der Baum ist vom Herrn Grafen zu einem Fest
bestimmt, soeben soll er weggebracht werden. Ich lasse Sie nicht fort,
ehbevor ich die Sache gemeldet und Sie mir selbst bezeugten, wie das da
zugegangen ist.«
»Sei's drum! Ich werde hier so lange warten. Verlaß Er sich darauf!«
Der Gärtner sah sich zögernd um, und Mozart, in der Meinung, es sei
vielleicht nur auf ein Trinkgeld abgesehen, griff in die Tasche; allein
er hatte das geringste nicht bei sich.
Zwei Gartenknechte kamen nun wirklich herbei, luden den Baum auf eine
Bahre und trugen ihn hinweg. Inzwischen hatte unser Meister seine
Brieftasche gezogen, ein weißes Blatt herausgenommen und, während daß
der Gärtner nicht von der Stelle wich, mit Bleistift angefangen zu
schreiben:
»Gnädigste Frau! Hier sitze ich Unseliger in Ihrem Paradiese,
wie weiland Adam, nachdem er den Apfel gekostet. Das Unglück
ist geschehen, und ich kann nicht einmal die Schuld auf eine
gute Eva schieben, die eben jetzt, von Grazien und Amoretten
eines Himmelbetts umgaukelt, im Gasthof sich des unschuldigsten
Schlafes erfreut. Befehlen Sie, und ich stehe persönlich Ihro
Gnaden Rede über meinen mir selbst unfaßlichen Frevel. Mit
aufrichtiger Beschämung
Hochdero
untertänigster Diener
_W. A. Mozart_,
auf dem Wege nach Prag.«
Er übergab das Billet, ziemlich ungeschickt zusammengefaltet, dem
peinlich wartenden Diener mit der gehörigen Weisung.
Der Unhold hatte sich nicht sobald entfernt, als man an der hinteren
Seite des Schlosses ein Gefährt in den Hof rollen hörte. Es war der
Graf, der eine Nichte und ihren Bräutigam, einen jungen, reichen Baron,
vom benachbarten Gut herüberbrachte. Da die Mutter des letzteren seit
Jahren das Haus nicht mehr verließ, war die Verlobung heute bei ihr
gehalten worden; nun sollte dieses Fest in einer fröhlichen Nachfeier
mit einigen Verwandten auch hier begangen werden, wo Eugenie, gleich
ihrer eigenen Tochter, seit ihrer Kindheit eine zweite Heimat fand. Die
Gräfin war mit ihrem Sohne Max, dem Leutnant, etwas früher nach Hause
gefahren, um noch verschiedene Anordnungen zu treffen. Nun sah man
in dem Schlosse alles auf Gängen und Treppen in voller Bewegung, und
nur mit Mühe gelang es dem Gärtner, im Vorzimmer endlich den Zettel
der Frau Gräfin einzuhändigen, die ihn jedoch nicht auf der Stelle
öffnete, sondern, ohne genau auf die Worte des Überbringers zu achten,
geschäftig weiter eilte. Er wartete und wartete, sie kam nicht wieder.
Eins um das andere von der Dienerschaft, Aufwärter, Zofe, Kammerdiener,
rannte an ihm vorbei; er fragte nach dem Herrn: der kleidete sich
um; er suchte nun und fand den Grafen Max auf seinem Zimmer, der
aber unterhielt sich angelegentlich mit dem Baron und schnitt ihm,
wie in Sorge, er wolle etwas melden oder fragen, wovon noch nichts
verlauten sollte, das Wort vom Munde ab: »Ich komme schon; geht nur!«
Es stand noch eine gute Weile an, bis endlich Vater und Sohn zugleich
herauskamen und die fatale Nachricht empfingen.
»Das wär' ja höllenmäßig!« rief der dicke, gutmütige, doch etwas
jähe Mann, »das geht ja über alle Begriffe! Ein Wiener Musikus, sagt
Ihr? Vermutlich irgend solch ein Lump, der um ein Viatikum läuft und
mitnimmt, was er findet?«
»Verzeihen Ew. Gnaden! danach sieht er gerad nicht aus. Er deucht mir
nicht richtig im Kopf, auch ist er sehr hochmütig. Moser nennt er sich.
Er wartet unten auf Bescheid; ich hieß den Franz um den Weg bleiben
und ein Aug' auf ihn haben.«
»Was hilft es hinterdrein, zum Henker! Wenn ich den Narren auch
einstecken lasse, der Schaden ist nicht mehr zu reparieren. Ich sagt'
Euch tausendmal, das vordere Tor soll allezeit geschlossen bleiben. Der
Streich wär' aber jedenfalls verhütet worden, hättet Ihr zur rechten
Zeit Eure Zurüstungen gemacht.«
Hier trat die Gräfin hastig und mit freudiger Aufregung, das offene
Billet in der Hand, aus dem anstoßenden Kabinett. »Wißt ihr,« rief sie,
»wer unten ist? Um Gottes willen, lest den Brief! -- Mozart aus Wien,
der Komponist! Man muß gleich gehen, ihn heraufzubitten -- ich fürchte
nur, er ist schon fort. Was wird er von mir denken! Ihr, Velten, seid
ihm doch höflich begegnet? Was ist denn eigentlich geschehen?«
»Geschehen?« versetzte der Gemahl, dem die Aussicht auf den Besuch
eines berühmten Mannes unmöglich allen Ärger auf der Stelle
niederschlagen konnte. »Der tolle Mensch hat von dem Baum, den ich
Eugenien bestimmte, eine der neun Orangen abgerissen -- hm! das
Ungeheuer! Somit ist unserem Spaß geradezu die Spitze abgebrochen, und
Max mag sein Gedicht nur gleich kassieren.«
»O nicht doch!« sagte die dringende Dame. »Die Lücke läßt sich leicht
ausfüllen, überlaßt es nur mir. Geht beide jetzt, erlöst, empfangt den
guten Mann, so freundlich und so schmeichelhaft ihr immer könnt! Er
soll, wenn wir ihn irgend halten können, heut' nicht weiter. Trefft ihr
ihn nicht im Garten mehr, sucht ihn im Wirtshaus auf und bringet ihn
mit seiner Frau! Ein größeres Geschenk, eine schönere Überraschung für
Eugenien hätte der Zufall uns an diesem Tag nicht machen können.«
»Gewiß!« erwiderte Max, »dies war auch mein erster Gedanke. Geschwinde,
kommen Sie, Papa! Und« -- sagte er, indem sie eilends nach der Treppe
liefen -- »der Verse wegen seien Sie ganz ruhig! Die neunte Muse soll
nicht zu kurz kommen; im Gegenteil, ich werde aus dem Unglück noch
besonderen Vorteil ziehen.« -- »Das ist unmöglich.« -- »Ganz gewiß!« --
»Nun, wenn das ist -- allein ich nehme dich beim Wort -- so wollen wir
dem Querkopf alle erdenkliche Ehre erzeigen.«
Solange dies im Schloß vorging, hatte sich unser Quasi-Gefangener,
ziemlich unbesorgt über den Ausgang der Sache, geraume Zeit schreibend
beschäftigt. Weil sich jedoch gar niemand sehen ließ, fing er an
unruhig hin und her zu gehen; darüber kam dringliche Botschaft vom
Wirtshaus, der Tisch sei schon lange bereit, er möchte ja gleich
kommen, der Postillon pressiere. So suchte er denn seine Sachen
zusammen und wollte ohne weiteres aufbrechen, als beide Herren vor der
Laube erschienen.
Der Graf begrüßte ihn, beinah wie einen früheren Bekannten, lebhaft
mit seinem kräftig schallenden Organ, ließ ihn zu gar keiner
Entschuldigung kommen, sondern erklärte sogleich seinen Wunsch, das
Ehepaar zum wenigsten für diesen Mittag und Abend im Kreis seiner
Familie zu haben. »Sie sind uns, mein liebster Maestro, so wenig fremd,
daß ich wohl sagen kann, der Name Mozart wird schwerlich anderswo mit
mehr Begeisterung und häufiger genannt als hier. Meine Nichte singt
und spielt, sie bringt fast ihren ganzen Tag am Flügel zu, kennt Ihre
Werke auswendig und hat das größte Verlangen, Sie einmal in mehrerer
Nähe zu sehen, als es vorigen Winter in einem Ihrer Konzerte anging. Da
wir nun demnächst auf einige Wochen nach Wien gehen werden, so war ihr
eine Einladung beim Fürsten Gallizin, wo man Sie öfter findet, von den
Verwandten versprochen. Jetzt aber reisen Sie nach Prag, werden sobald
nicht wiederkehren, und Gott weiß, ob Sie der Rückweg zu uns führt.
Machen Sie heute und morgen Rasttag! Das Fuhrwerk schicken wir sogleich
nach Hause, und mir erlauben Sie die Sorge für Ihr Weiterkommen.«
Der Komponist, welcher in solchen Fällen der Freundschaft oder dem
Vergnügen leicht zehnmal mehr, als hier gefordert war, zum Opfer
brachte, besann sich nicht lange: er sagte diesen einen halben Tag
mit Freuden zu, dagegen sollte morgen mit dem frühesten die Reise
fortgesetzt werden. Graf Max erbat sich das Vergnügen, Madame Mozart
abzuholen und alles Nötige im Wirtshaus abzumachen. Er ging; ein Wagen
sollte ihm gleich auf dem Fuße nachfolgen.
Von diesem jungen Mann bemerken wir beiläufig, daß er mit einem von
Vater und Mutter angeerbten heitern Sinn Talent und Liebe für schöne
Wissenschaften verband und ohne wahre Neigung zum Soldatenstand
sich doch als Offizier durch Kenntnisse und gute Sitten hervortat.
Er kannte die französische Literatur und erwarb sich zu einer Zeit,
wo deutsche Verse in der höheren Gesellschaft wenig galten, Lob und
Gunst durch eine nicht gemeine Leichtigkeit der poetischen Form in der
Muttersprache nach guten Mustern, wie er sie in Hagedorn, in Götz und
andern fand. Für heute war ihm nun, wie wir bereits vernahmen, ein
besonders erfreulicher Anlaß geworden, seine Gabe zu nutzen.
Er traf Madame Mozart, mit der Wirtstochter plaudernd, vor dem
gedeckten Tisch, wo sie sich einen Teller Suppe vorausgenommen hatte.
Sie war an außerordentliche Zwischenfälle, an kecke Stegreifsprünge
ihres Manns zu sehr gewöhnt, als daß sie über die Erscheinung und
den Auftrag des jungen Offiziers mehr als billig hätte betreten sein
Not ihm eine Summe abzuborgen, sich seine Bürgschaft zu erbitten, so
war meist schon darauf gerechnet, daß er sich nicht erst lang' nach
Pfand und Sicherheit erkundigte; dergleichen hätte ihm auch in der Tat
so wenig als einem Kinde angestanden. Am liebsten schenkte er gleich
hin und immer mit lachender Großmut, besonders wenn er meinte, gerade
Überfluß zu haben.
Die Mittel, die ein solcher Aufwand neben dem ordentlichen Hausbedarf
erheischte, standen allerdings in keinem Verhältnis mit den Einkünften.
Was von Theatern und Konzerten, von Verlegern und Schülern einging,
zusamt der kaiserlichen Pension, genügte um so weniger, da der
Geschmack des Publikums noch weit davon entfernt war, sich entschieden
für Mozarts Musik zu erklären. Die lauterste Schönheit, Fülle und Tiefe
befremdete gemeinhin gegenüber der bisher beliebten leicht faßlichen
Kost. Zwar hatten sich die Wiener an Belmonte und Konstanze -- dank den
populären Elementen dieses Stücks -- seinerzeit kaum ersättigen können,
hingegen tat einige Jahre später Figaro, und sicher nicht allein durch
die Intrigen des Direktors, im Wettstreit mit der lieblichen, doch weit
geringeren ~Cosa rara~ einen unerwarteten kläglichen Fall: derselbe
Figaro, den gleich darauf die gebildeten oder unbefangenen Prager mit
solchem Enthusiasmus aufnahmen, daß der Meister in dankbarer Rührung
darüber seine nächste große Oper eigens für sie zu schreiben beschloß.
Trotz der Ungunst der Zeit und dem Einfluß der Feinde hätte Mozart mit
etwas mehr Umsicht und Klugheit noch immer einen sehr ansehnlichen
Gewinn von seiner Kunst gezogen: so aber kam er selbst bei jenen
Unternehmungen zu kurz, wo auch der große Haufen ihm Beifall zujauchzen
mußte. Genug, es wirkte eben alles, Schicksal und Naturell und eigene
Schuld, zusammen, den einzigen Mann nicht gedeihen zu lassen.
Welch einen schlimmen Stand nun aber eine Hausfrau, sofern sie ihre
Aufgabe kannte, unter solchen Umständen gehabt haben müsse, begreifen
wir leicht. Obgleich selbst jung und lebensfroh, als Tochter eines
Musikers ein ganzes Künstlerblut, von Hause aus übrigens schon an
Entbehrung gewöhnt, bewies Konstanze allen guten Willen, dem Unheil
an der Quelle zu steuern, manches Verkehrte abzuschneiden und den
Verlust im Großen durch Sparsamkeit im Kleinen zu ersetzen. Nur eben in
letzterer Hinsicht vielleicht ermangelte sie des rechten Geschicks und
der frühern Erfahrung. Sie hatte die Kasse und führte das Hausbuch:
jede Forderung, jede Schuldmahnung, und was es Verdrießliches gab,
ging ausschließlich an sie. Da stieg ihr wohl mitunter das Wasser an
die Kehle, zumal wenn oft zu dieser Bedrängnis, zu Mangel, peinlicher
Verlegenheit und Furcht vor offenbarer Unehre noch gar der Trübsinn
ihres Mannes kam, worin er tagelang verharrte, untätig, keinem Trost
zugänglich, indem er mit Seufzen und Klagen neben der Frau oder stumm
in einem Winkel vor sich hin den _einen_ traurigen Gedanken, zu
sterben, wie eine endlose Schraube verfolgte. Ihr guter Mut verließ sie
dennoch selten, ihr heller Blick fand meist, wenn auch nur auf einige
Zeit, Rat und Hilfe. Im wesentlichen wurde wenig oder nichts gebessert.
Gewann sie ihm mit Ernst und Scherz, mit Bitten und Schmeicheln für
heute soviel ab, daß er den Tee an ihrer Seite trank, sich seinen
Abendbraten daheim bei der Familie schmecken ließ, um nachher nicht
mehr auszugehen, was war damit erreicht? Er konnte wohl einmal, durch
ein verweintes Auge seiner Frau plötzlich betroffen und bewegt, eine
schlimme Gewohnheit aufrichtig verwünschen, das Beste versprechen,
mehr als sie verlangte -- umsonst, er fand sich unversehens im alten
Fahrgeleise wieder. Man war versucht zu glauben, es habe anders nicht
in seiner Macht gestanden, und eine völlig veränderte Ordnung nach
unseren Begriffen von dem, was allen Menschen ziemt und frommt, _ihm_
irgendwie gewaltsam aufgedrungen, müßte das wunderbare Wesen geradezu
selbst aufgehoben haben.
Einen günstigen Umschwung der Dinge hoffte Konstanze doch stets
insoweit, als derselbe von außen her möglich war: durch eine gründliche
Verbesserung ihrer ökonomischen Lage, wie solche bei dem wachsenden
Ruf ihres Mannes nicht ausbleiben könne. Wenn erst, so meinte sie, der
stete Druck wegfiel, der sich auch ihm, bald näher, bald entfernter,
von dieser Seite fühlbar machte, wenn er, anstatt die Hälfte seiner
Kraft und Zeit dem bloßen Gelderwerb zu opfern, ungeteilt seiner wahren
Bestimmung nachleben dürfe, wenn endlich der Genuß, nach dem er nicht
mehr jagen, den er mit ungleich besserem Gewissen haben würde, ihm noch
einmal so wohl an Leib und Seele gedeihe: dann sollte bald sein ganzer
Zustand leichter, natürlicher, ruhiger werden. Sie dachte gar an einen
gelegentlichen Wechsel ihres Wohnorts, da seine unbedingte Vorliebe für
Wien, wo nun einmal nach ihrer Überzeugung kein rechter Segen für ihn
sei, am Ende doch zu überwinden wäre.
Den nächsten entscheidenden Vorschub aber zur Verwirklichung ihrer
Gedanken und Wünsche versprach sich Madame Mozart vom Erfolg der neuen
Oper, um die es sich bei dieser Reise handelte.
Die Komposition war weit über die Hälfte vorgeschritten. Vertraute,
urteilsfähige Freunde, die, als Zeugen der Entstehung des
außerordentlichen Werks, einen hinreichenden Begriff von seiner
Art und Wirkungsweise haben mußten, sprachen überall davon in
einem Tone, daß viele selber von den Gegnern darauf gefaßt sein
konnten, es werde dieser Don Juan, bevor ein halbes Jahr verginge,
die gesamte musikalische Welt von einem Ende Deutschlands bis zum
andern erschüttert, auf den Kopf gestellt, im Sturm erobert haben.
Vorsichtiger und bedingter waren die wohlwollenden Stimmen anderer,
die, von dem heutigen Standpunkt der Musik ausgehend, einen allgemeinen
und raschen Succeß kaum hofften. Der Meister selber teilte im stillen
ihre nur zu wohl begründeten Zweifel.
Konstanze ihrerseits, wie die Frauen immer, wo ihr Gefühl einmal
lebhaft bestimmt und noch dazu vom Eifer eines höchst gerechten
Wunsches eingenommen ist, durch spätere Bedenklichkeiten von da und
dorther sich viel seltener als die Männer irre machen lassen, hielt
fest an ihrem guten Glauben und hatte eben jetzt im Wagen wiederum
Veranlassung, denselben zu verfechten. Sie tat's in ihrer fröhlichen
und blühenden Manier mit doppelter Geflissenheit, da Mozarts Stimmung
im Verlauf des vorigen Gesprächs, das weiter zu nichts führen konnte
und deshalb äußerst unbefriedigt abbrach, bereits merklich gesunken
war. Sie setzte ihrem Gatten sofort mit gleicher Heiterkeit umständlich
auseinander, wie sie nach ihrer Heimkehr die mit dem Prager Unternehmer
als Kaufpreis für die Partitur akkordierten hundert Dukaten zur
Deckung der dringendsten Posten und sonst zu verwenden gedenke, auch
wie sie zufolge ihres Etats den kommenden Winter hindurch bis zum
Frühjahr gut auszureichen hoffe.
»Dein Herr Bondini wird sein Schäfchen an der Oper scheren, glaub es
nur! und ist er halb der Ehrenmann, den du ihn immer rühmst, so läßt er
dir nachträglich noch ein artiges Prozentchen von den Summen ab, die
ihm die Bühnen nacheinander für die Abschrift zahlen; wo nicht, nun ja,
gottlob! so stehen uns noch andere Chancen in Aussicht, und zwar noch
tausendmal solidere. Mir ahnet allerlei.«
»Heraus damit!«
»Ich hörte unlängst ein Vögelchen pfeifen, der König von Preußen hab'
einen Kapellmeister nötig.«
»Oho!«
»Generalmusikdirektor, wollt' ich sagen. Laß mich ein wenig
phantasieren! Die Schwachheit habe ich von meiner Mutter.«
»Nur zu! je toller, je besser!«
»Nein, alles ganz natürlich. -- Vornweg also nimm an! übers Jahr um
diese Zeit --«
»Wenn der Papst die Grete freit --«
»Still doch, Hanswurst! Ich sage, aufs Jahr um Sankt Ägidi muß schon
längst kein kaiserlicher Kammerkomponist mit Namen Wolf Mozart in Wien
mehr weit und breit zu finden sein.«
»Beiß dich der Fuchs dafür!«
»Ich höre schon im Geist, wie unsere alten Freunde von uns plaudern,
was sie sich alles zu erzählen wissen.«
»Zum Exempel?«
»Da kommt z. B. eines Morgens früh nach neune schon unsere alte
Schwärmerin, die Volkstett, in ihrem feurigsten Besuchssturmschritt
quer übern Kohlmarkt hergesegelt. Sie war drei Monat' fort; die große
Reise zum Schwager in Sachsen, ihr tägliches Gespräch, solang' wir sie
kennen, kam endlich zu stand'; seit gestern nacht ist sie zurück, und
jetzt mit ihrem übervollen Herzen -- es schwattelt ganz von Reiseglück
und Freundschaftsungeduld und allerliebsten Neuigkeiten -- stracks hin
zur Oberstin damit! die Trepp' hinauf und angeklopft und das Herein
nicht abgewartet! stell dir den Jubel selber vor und das Embrassement
beiderseits! -- ›Nun, liebste, beste Oberstin,‹ hebt sie nach einigem
Vorgängigen mit frischem Odem an, ›ich bringe Ihnen ein Schock Grüße
mit; ob Sie erraten von wem? Ich komme nicht so geradenwegs von Stendal
her, es wurde ein kleiner Abstecher gemacht, linkshin, nach Brandenburg
zu.‹ -- ›Wie? wär' es möglich! Sie kamen nach Berlin? sind bei Mozarts
gewesen?‹ -- ›Zehn himmlische Tage!‹ -- ›O liebe, süße, einzige
Generalin, erzählen Sie, beschreiben Sie! Wie geht es unsern guten
Leutchen? Gefallen sie sich immer noch so gut wie anfangs dort? Es ist
mir fabelhaft, undenkbar, heute noch, und jetzt nur desto mehr, da
Sie von ihm herkommen: Mozart als Berliner! Wie benimmt er sich doch?
wie sieht er denn aus?‹ -- ›O der! Sie sollten ihn nur sehen! Diesen
Sommer hat ihn der König ins Karlsbad geschickt. Wann wäre seinem
herzgeliebten Kaiser Joseph so etwas eingefallen, he? Sie waren beide
kaum erst wieder da, als ich ankam. Er glänzt von Gesundheit und Leben,
ist rund und beleibt und vif wie Quecksilber; das Glück sieht ihm und
die Behaglichkeit recht aus den Augen.‹«
Und nun begann die Sprecherin in ihrer angenommenen Rolle die neue
Lage mit den hellsten Farben auszumalen. Von seiner Wohnung unter
den Linden, von seinem Garten und Landhaus an bis zu den glänzenden
Schauplätzen seiner öffentlichen Wirksamkeit und den engeren Zirkeln
des Hofs, wo er die Königin auf dem Piano zu begleiten hatte, wurde
alles durch ihre Schilderung gleichsam zur Wirklichkeit und Gegenwart.
Ganze Gespräche, die schönsten Anekdoten schüttelte sie aus dem Ärmel.
Sie schien fürwahr mit jener Residenz, mit Potsdam und mit Sanssouci
bekannter als im Schlosse zu Schönbrunn und auf der kaiserlichen
Burg. Nebenbei war sie schalkhaft genug, die Person unsers Helden mit
einer Anzahl völlig neuer hausväterlicher Eigenschaften auszustatten,
die sich auf dem soliden Boden der preußischen Existenz entwickelt
hatten, und unter welchen die besagte Volkstett, als höchstes Phänomen
und zum Beweis, wie die Extreme sich manchmal berühren, den Ansatz
eines ordentlichen Geizchens wahrgenommen hatte, das ihn unendlich
liebenswürdig kleide. »Ja, nehmen's nur! er hat seine dreitausend
Taler fix, und das wofür? Daß er die Woche einmal ein Kammerkonzert,
zweimal die große Oper dirigiert. Ach, Oberstin, ich habe ihn gesehn,
unsern lieben, kleinen, goldenen Mann inmitten seiner trefflichen
Kapelle, die er sich zugeschult, die ihn anbetet! saß mit der Mozartin
in ihrer Loge, schräg gegen den höchsten Herrschaften über! Und was
stand auf dem Zettel, bitte Sie? -- ich nahm ihn mit für Sie -- ein
kleines Reispräsent von mir und Mozarts drein gewickelt -- hier schauen
Sie, hier lesen Sie! da steht's mit ellenlangen Buchstaben gedruckt.
-- ›Hilf Himmel! was? Tarar!‹ -- ›Ja, gelten's Freundin, was man
erleben kann! Vor zwei Jahren, wie Mozart den Don Juan schrieb und
der verwünschte giftige, schwarzgelbe Salieri auch schon im stillen
Anstalt machte, den Triumph, den er mit seinem Stück davontrug in
Paris, demnächst auf seinem eigenen Territorio zu begehen und unserem
guten, Schnepfen liebenden, allzeit in ~Cosa rara~ vergnügten Publikum
nun doch auch mal so eine Gattung Falken sehn zu lassen, und er und
seine Helfershelfer bereits zusammen munkelten und raffinierten, daß
sie den Don Juan so schön gerupft wie jenesmal den Figaro, nicht tot
und nicht lebendig, auf das Theater stellen wollten: wissen's, da tat
ich ein Gelübd', wenn das infame Stück gegeben wird, ich geh' nicht
hin, um keine Welt! Und hielt auch Wort. Als alles lief und rannte --
und, Oberstin, Sie mit -- blieb ich an meinem Ofen sitzen, nahm meine
Katze auf den Schoß und aß meine Kaldausche, und so die folgenden paar
Male auch. Jetzt aber, stellen Sie sich vor, Tarar auf der Berliner
Opernbühne, das Werk seines Todfeinds, von Mozart dirigiert!‹ -- ›Da
müssen Sie schon drein!‹ rief er gleich in der ersten Viertelstunde,
›und wär's auch nur, daß Sie den Wienern sagen können, ob ich dem
Knaben Absalon ein Härchen krümmen ließ. Ich wünschte, er wär' selbst
dabei; der Erzneidhammel sollte sehen, daß ich nicht nötig hab', einem
andern sein Zeug zu verhunzen, damit ich immerfort der bleiben möge,
der ich bin!‹«
»~Brava! bravissima!~« rief Mozart überlaut und nahm sein Weibchen bei
den Ohren, verküßte, herzte, kitzelte sie, so daß sich dieses Spiel mit
bunten Seifenblasen einer erträumten Zukunft, die leider niemals, auch
nicht im bescheidensten Maße, erfüllt werden sollte, zuletzt in hellen
Mutwillen, Lärm und Gelächter auflöste.
Sie waren unterdessen längst ins Tal herabgekommen und näherten
sich einem Dorf, das ihnen bereits auf der Höhe bemerklich gewesen,
und hinter welchem sich unmittelbar ein kleines Schloß von modernem
Ansehen, der Wohnsitz eines Grafen von Schinzberg, in der freundlichen
Ebene zeigte. Es sollte in dem Ort gefüttert, gerastet und Mittag
gehalten werden. Der Gasthof, wo sie hielten, lag vereinzelt am Ende
des Dorfs bei der Straße, von welcher seitwärts eine Pappelallee von
nicht sechshundert Schritten zum herrschaftlichen Garten führte.
Mozart, nachdem man ausgestiegen, überließ, wie gewöhnlich, der Frau
die Bestellung des Essens. Inzwischen befahl er für sich ein Glas
Wein in die untere Stube, während sie nächst einem Trunke frischen
Wassers nur irgend einen stillen Winkel, um ein Stündchen zu schlafen,
verlangte. Man führte sie eine Treppe hinauf, der Gatte folgte, ganz
munter vor sich hin singend und pfeifend. In einem rein geweißten und
schnell gelüfteten Zimmer befand sich unter andern veralteten Möbeln
von edlerer Herkunft -- sie waren ohne Zweifel aus den gräflichen
Gemächern seinerzeit hierher gewandert -- ein sauberes, leichtes
Bett mit gemaltem Himmel auf dünnen, grün lackierten Säulen, dessen
seidene Vorhänge längst durch einen gewöhnlicheren Stoff ersetzt
waren. Konstanze machte sich's bequem, er versprach, sie rechtzeitig
zu wecken, sie riegelte die Türe hinter ihm zu, und er suchte nunmehr
Unterhaltung für sich in der allgemeinen Schenkstube. Hier war jedoch
außer dem Wirt keine Seele, und weil dessen Gespräch dem Gast so wenig
wie sein Wein behagte, so bezeugte er Lust, bis der Tisch bereit wäre,
noch einen Spaziergang nach dem Schloßgarten zu machen. Der Zutritt,
hörte er, sei anständigen Fremden wohl gestattet und die Familie
überdies heut ausgefahren.
Er ging und hatte bald den kurzen Weg bis zu dem offenen Gattertor
zurückgelegt, dann langsam einen hohen alten Lindengang durchmessen, an
dessen Ende linker Hand er in geringer Entfernung das Schloß von seiner
Fronte auf einmal vor sich hatte. Es war von italienischer Bauart,
hell getüncht, mit weit vorliegender Doppeltreppe; das Schieferdach
verzierten einige Statuen in üblicher Manier, Götter und Göttinnen,
samt einer Balustrade.
Von der Mitte zweier großen, noch reichlich blühenden Blumenparterre
ging unser Meister nach den buschigen Teilen der Anlagen zu, berührte
ein paar schöne dunkle Piniengruppen und lenkte seine Schritte auf
vielfach gewundenen Pfaden, indem er sich allmählich den lichteren
Partien wieder näherte, dem lebhaften Rauschen eines Springbrunnens
nach, den er sofort erreichte.
Das ansehnlich weite, ovale Bassin war rings von einer sorgfältig
gehaltenen Orangerie in Kübeln, abwechselnd mit Lorbeeren und
Oleandern, umstellt; ein weicher Sandweg, gegen den sich eine schmale
Gitterlaube öffnete, lief rund umher. Die Laube bot das angenehmste
Ruheplätzchen dar: ein kleiner Tisch stand vor der Bank, und Mozart
ließ sich vorn am Eingang nieder.
Das Ohr behaglich dem Geplätscher des Wassers hingegeben, das Aug' auf
einen Pomeranzenbaum von mittlerer Größe geheftet, der außerhalb der
Reihe, einzeln, ganz dicht an seiner Seite auf dem Boden stand und voll
der schönsten Früchte hing, ward unser Freund durch diese Anschauung
des Südens alsbald auf eine liebliche Erinnerung aus seiner Knabenzeit
geführt. Nachdenklich lächelnd reicht er hinüber nach der nächsten
Frucht, als wie um ihre herrliche Ründe, ihre saftige Kühle in hohler
Hand zu fühlen. Ganz im Zusammenhang mit jener Jugendszene aber, die
wieder vor ihm aufgetaucht, stand eine längst verwischte musikalische
Reminiszenz, auf deren unbestimmter Spur er sich ein Weilchen
träumerisch erging. Jetzt glänzen seine Blicke, sie irren da und dort
umher, er ist von einem Gedanken ergriffen, den er sogleich eifrig
verfolgt. Zerstreut hat er zum zweiten Male die Pomeranze angefaßt:
sie geht vom Zweige los und bleibt ihm in der Hand. Er sieht und sieht
es nicht; ja, so weit geht die künstlerische Geistesabwesenheit, daß
er, die duftige Frucht beständig unter der Nase hin und her wirbelnd
und bald den Anfang, bald die Mitte einer Weise unhörbar zwischen den
Lippen bewegend, zuletzt instinktmäßig ein emailliertes Etui aus der
Seitentasche des Rocks hervorbringt, ein kleines Messer mit silbernem
Heft daraus nimmt und die gelbe kugelige Masse von oben nach unten
langsam durchschneidet Es mochte ihn dabei entfernt ein dunkles
Durstgefühl geleitet haben, jedoch begnügten sich die angeregten Sinne
mit Einatmung des köstlichen Geruchs. Er starrt minutenlang die beiden
inneren Flächen an, fügt sie sachte wieder zusammen, ganz sachte,
trennt und vereinigt sie wieder.
Da hört er Tritte in der Nähe, er erschrickt, und das Bewußtsein,
wo er ist, was er getan, stellt sich urplötzlich bei ihm ein. Schon
im Begriff, die Pomeranze zu verbergen, hält er doch gleich damit
inne, sei es aus Stolz, sei's, weil es zu spät dazu war. Ein großer,
breitschulteriger Mann in Livree, der Gärtner des Hauses, stand vor
ihm. Derselbe hatte wohl die letzte verdächtige Bewegung noch gesehen
und schwieg betroffen einige Sekunden. Mozart, gleichfalls sprachlos,
auf seinem Sitz wie angenagelt, schaute ihm halb lachend, unter
sichtbarem Erröten, doch gewissermaßen keck und groß mit seinen blauen
Augen ins Gesicht; dann setzte er -- für einen dritten wäre es höchst
komisch anzusehen gewesen -- die scheinbar unverletzte Pomeranze mit
einer Art von trotzig couragiertem Nachdruck in die Mitte des Tisches.
»Um Vergebung!« fing jetzt der Gärtner, nachdem er den wenig
versprechenden Anzug des Fremden gemustert, mit unterdrücktem Unwillen
an, »ich weiß nicht, wen ich hier --«
»Kapellmeister Mozart aus Wien.«
»Sind ohne Zweifel bekannt im Schloß?«
»Ich bin hier fremd und auf der Durchreise. Ist der Herr Graf
anwesend?«
»Nein.«
»Seine Gemahlin?«
»Sind beschäftigt und schwerlich zu sprechen.«
Mozart stand auf und machte Miene zu gehen.
»Mit Erlaubnis, mein Herr! wie kommen Sie dazu, an diesem Ort auf
solche Weise zuzugreifen?«
»Was?« rief Mozart, »zugreifen? Zum Teufel! glaubt Er denn, ich wollte
stehlen und das Ding da fressen?«
»Mein Herr, ich glaube, was ich sehe. Diese Früchte sind gezählt, ich
bin dafür verantwortlich. Der Baum ist vom Herrn Grafen zu einem Fest
bestimmt, soeben soll er weggebracht werden. Ich lasse Sie nicht fort,
ehbevor ich die Sache gemeldet und Sie mir selbst bezeugten, wie das da
zugegangen ist.«
»Sei's drum! Ich werde hier so lange warten. Verlaß Er sich darauf!«
Der Gärtner sah sich zögernd um, und Mozart, in der Meinung, es sei
vielleicht nur auf ein Trinkgeld abgesehen, griff in die Tasche; allein
er hatte das geringste nicht bei sich.
Zwei Gartenknechte kamen nun wirklich herbei, luden den Baum auf eine
Bahre und trugen ihn hinweg. Inzwischen hatte unser Meister seine
Brieftasche gezogen, ein weißes Blatt herausgenommen und, während daß
der Gärtner nicht von der Stelle wich, mit Bleistift angefangen zu
schreiben:
»Gnädigste Frau! Hier sitze ich Unseliger in Ihrem Paradiese,
wie weiland Adam, nachdem er den Apfel gekostet. Das Unglück
ist geschehen, und ich kann nicht einmal die Schuld auf eine
gute Eva schieben, die eben jetzt, von Grazien und Amoretten
eines Himmelbetts umgaukelt, im Gasthof sich des unschuldigsten
Schlafes erfreut. Befehlen Sie, und ich stehe persönlich Ihro
Gnaden Rede über meinen mir selbst unfaßlichen Frevel. Mit
aufrichtiger Beschämung
Hochdero
untertänigster Diener
_W. A. Mozart_,
auf dem Wege nach Prag.«
Er übergab das Billet, ziemlich ungeschickt zusammengefaltet, dem
peinlich wartenden Diener mit der gehörigen Weisung.
Der Unhold hatte sich nicht sobald entfernt, als man an der hinteren
Seite des Schlosses ein Gefährt in den Hof rollen hörte. Es war der
Graf, der eine Nichte und ihren Bräutigam, einen jungen, reichen Baron,
vom benachbarten Gut herüberbrachte. Da die Mutter des letzteren seit
Jahren das Haus nicht mehr verließ, war die Verlobung heute bei ihr
gehalten worden; nun sollte dieses Fest in einer fröhlichen Nachfeier
mit einigen Verwandten auch hier begangen werden, wo Eugenie, gleich
ihrer eigenen Tochter, seit ihrer Kindheit eine zweite Heimat fand. Die
Gräfin war mit ihrem Sohne Max, dem Leutnant, etwas früher nach Hause
gefahren, um noch verschiedene Anordnungen zu treffen. Nun sah man
in dem Schlosse alles auf Gängen und Treppen in voller Bewegung, und
nur mit Mühe gelang es dem Gärtner, im Vorzimmer endlich den Zettel
der Frau Gräfin einzuhändigen, die ihn jedoch nicht auf der Stelle
öffnete, sondern, ohne genau auf die Worte des Überbringers zu achten,
geschäftig weiter eilte. Er wartete und wartete, sie kam nicht wieder.
Eins um das andere von der Dienerschaft, Aufwärter, Zofe, Kammerdiener,
rannte an ihm vorbei; er fragte nach dem Herrn: der kleidete sich
um; er suchte nun und fand den Grafen Max auf seinem Zimmer, der
aber unterhielt sich angelegentlich mit dem Baron und schnitt ihm,
wie in Sorge, er wolle etwas melden oder fragen, wovon noch nichts
verlauten sollte, das Wort vom Munde ab: »Ich komme schon; geht nur!«
Es stand noch eine gute Weile an, bis endlich Vater und Sohn zugleich
herauskamen und die fatale Nachricht empfingen.
»Das wär' ja höllenmäßig!« rief der dicke, gutmütige, doch etwas
jähe Mann, »das geht ja über alle Begriffe! Ein Wiener Musikus, sagt
Ihr? Vermutlich irgend solch ein Lump, der um ein Viatikum läuft und
mitnimmt, was er findet?«
»Verzeihen Ew. Gnaden! danach sieht er gerad nicht aus. Er deucht mir
nicht richtig im Kopf, auch ist er sehr hochmütig. Moser nennt er sich.
Er wartet unten auf Bescheid; ich hieß den Franz um den Weg bleiben
und ein Aug' auf ihn haben.«
»Was hilft es hinterdrein, zum Henker! Wenn ich den Narren auch
einstecken lasse, der Schaden ist nicht mehr zu reparieren. Ich sagt'
Euch tausendmal, das vordere Tor soll allezeit geschlossen bleiben. Der
Streich wär' aber jedenfalls verhütet worden, hättet Ihr zur rechten
Zeit Eure Zurüstungen gemacht.«
Hier trat die Gräfin hastig und mit freudiger Aufregung, das offene
Billet in der Hand, aus dem anstoßenden Kabinett. »Wißt ihr,« rief sie,
»wer unten ist? Um Gottes willen, lest den Brief! -- Mozart aus Wien,
der Komponist! Man muß gleich gehen, ihn heraufzubitten -- ich fürchte
nur, er ist schon fort. Was wird er von mir denken! Ihr, Velten, seid
ihm doch höflich begegnet? Was ist denn eigentlich geschehen?«
»Geschehen?« versetzte der Gemahl, dem die Aussicht auf den Besuch
eines berühmten Mannes unmöglich allen Ärger auf der Stelle
niederschlagen konnte. »Der tolle Mensch hat von dem Baum, den ich
Eugenien bestimmte, eine der neun Orangen abgerissen -- hm! das
Ungeheuer! Somit ist unserem Spaß geradezu die Spitze abgebrochen, und
Max mag sein Gedicht nur gleich kassieren.«
»O nicht doch!« sagte die dringende Dame. »Die Lücke läßt sich leicht
ausfüllen, überlaßt es nur mir. Geht beide jetzt, erlöst, empfangt den
guten Mann, so freundlich und so schmeichelhaft ihr immer könnt! Er
soll, wenn wir ihn irgend halten können, heut' nicht weiter. Trefft ihr
ihn nicht im Garten mehr, sucht ihn im Wirtshaus auf und bringet ihn
mit seiner Frau! Ein größeres Geschenk, eine schönere Überraschung für
Eugenien hätte der Zufall uns an diesem Tag nicht machen können.«
»Gewiß!« erwiderte Max, »dies war auch mein erster Gedanke. Geschwinde,
kommen Sie, Papa! Und« -- sagte er, indem sie eilends nach der Treppe
liefen -- »der Verse wegen seien Sie ganz ruhig! Die neunte Muse soll
nicht zu kurz kommen; im Gegenteil, ich werde aus dem Unglück noch
besonderen Vorteil ziehen.« -- »Das ist unmöglich.« -- »Ganz gewiß!« --
»Nun, wenn das ist -- allein ich nehme dich beim Wort -- so wollen wir
dem Querkopf alle erdenkliche Ehre erzeigen.«
Solange dies im Schloß vorging, hatte sich unser Quasi-Gefangener,
ziemlich unbesorgt über den Ausgang der Sache, geraume Zeit schreibend
beschäftigt. Weil sich jedoch gar niemand sehen ließ, fing er an
unruhig hin und her zu gehen; darüber kam dringliche Botschaft vom
Wirtshaus, der Tisch sei schon lange bereit, er möchte ja gleich
kommen, der Postillon pressiere. So suchte er denn seine Sachen
zusammen und wollte ohne weiteres aufbrechen, als beide Herren vor der
Laube erschienen.
Der Graf begrüßte ihn, beinah wie einen früheren Bekannten, lebhaft
mit seinem kräftig schallenden Organ, ließ ihn zu gar keiner
Entschuldigung kommen, sondern erklärte sogleich seinen Wunsch, das
Ehepaar zum wenigsten für diesen Mittag und Abend im Kreis seiner
Familie zu haben. »Sie sind uns, mein liebster Maestro, so wenig fremd,
daß ich wohl sagen kann, der Name Mozart wird schwerlich anderswo mit
mehr Begeisterung und häufiger genannt als hier. Meine Nichte singt
und spielt, sie bringt fast ihren ganzen Tag am Flügel zu, kennt Ihre
Werke auswendig und hat das größte Verlangen, Sie einmal in mehrerer
Nähe zu sehen, als es vorigen Winter in einem Ihrer Konzerte anging. Da
wir nun demnächst auf einige Wochen nach Wien gehen werden, so war ihr
eine Einladung beim Fürsten Gallizin, wo man Sie öfter findet, von den
Verwandten versprochen. Jetzt aber reisen Sie nach Prag, werden sobald
nicht wiederkehren, und Gott weiß, ob Sie der Rückweg zu uns führt.
Machen Sie heute und morgen Rasttag! Das Fuhrwerk schicken wir sogleich
nach Hause, und mir erlauben Sie die Sorge für Ihr Weiterkommen.«
Der Komponist, welcher in solchen Fällen der Freundschaft oder dem
Vergnügen leicht zehnmal mehr, als hier gefordert war, zum Opfer
brachte, besann sich nicht lange: er sagte diesen einen halben Tag
mit Freuden zu, dagegen sollte morgen mit dem frühesten die Reise
fortgesetzt werden. Graf Max erbat sich das Vergnügen, Madame Mozart
abzuholen und alles Nötige im Wirtshaus abzumachen. Er ging; ein Wagen
sollte ihm gleich auf dem Fuße nachfolgen.
Von diesem jungen Mann bemerken wir beiläufig, daß er mit einem von
Vater und Mutter angeerbten heitern Sinn Talent und Liebe für schöne
Wissenschaften verband und ohne wahre Neigung zum Soldatenstand
sich doch als Offizier durch Kenntnisse und gute Sitten hervortat.
Er kannte die französische Literatur und erwarb sich zu einer Zeit,
wo deutsche Verse in der höheren Gesellschaft wenig galten, Lob und
Gunst durch eine nicht gemeine Leichtigkeit der poetischen Form in der
Muttersprache nach guten Mustern, wie er sie in Hagedorn, in Götz und
andern fand. Für heute war ihm nun, wie wir bereits vernahmen, ein
besonders erfreulicher Anlaß geworden, seine Gabe zu nutzen.
Er traf Madame Mozart, mit der Wirtstochter plaudernd, vor dem
gedeckten Tisch, wo sie sich einen Teller Suppe vorausgenommen hatte.
Sie war an außerordentliche Zwischenfälle, an kecke Stegreifsprünge
ihres Manns zu sehr gewöhnt, als daß sie über die Erscheinung und
den Auftrag des jungen Offiziers mehr als billig hätte betreten sein
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