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Ausgewählte Schriften - 20

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  Kinder des Kohlhaas, hatte den Ritter von Malzahn, der ihn begleitete,
  genötigt, drei Tage lang in Herzberg zurückzubleiben; von welcher
  Maßregel er, dem Fürsten dem er diente deshalb allein verantwortlich,
  nicht nötig befunden hatte, der Regierung zu Dresden weitere Kenntnis
  zu geben. Der Kurfürst, der mit halboffener Brust, den Federhut,
  nach Art der Jäger, mit Tannenzweigen geschmückt, neben der Dame
  Heloise saß, die, in Zeiten früherer Jugend, seine erste Liebe
  gewesen war, sagte von der Anmut des Festes, das ihn umgaukelte,
  heiter gestimmt: "Lasset uns hingehen, und dem Unglücklichen, wer es
  auch sei, diesen Becher mit Wein reichen!" Die Dame Heloise, mit
  einem herzlichen Blick auf ihn, stand sogleich auf, und füllte, die
  ganze Tafel plündernd, ein silbernes Geschirr, das ihr ein Page
  reichte, mit Früchten, Kuchen und Brot an; und schon hatte, mit
  Erquickungen jeglicher Art, die ganze Gesellschaft wimmelnd das Zelt
  verlassen, als der Landdrost ihnen mit einem verlegenen Gesicht
  entgegen kam, und sie bat zurückzubleiben. Auf die betretene Frage
  des Kurfürsten was vorgefallen wäre, daß er so bestürzt sei?
  antwortete der Landdrost stotternd gegen den Kämmerer gewandt, daß
  der Kohlhaas im Wagen sei; auf welche jedermann unbegreifliche
  Nachricht, indem weltbekannt war, daß derselbe bereits vor sechs
  Tagen abgereist war, der Kämmerer, Herr Kunz, seinen Becher mit Wein
  nahm, und ihn, mit einer Rückwendung gegen das Zelt, in den Sand
  schüttete. Der Kurfürst setzte, über und über rot, den seinigen auf
  einen Teller, den ihm ein Edelknabe auf den Wink des Kämmerers zu
  diesem Zweck vorhielt; und während der Ritter Friedrich von Malzahn,
  unter ehrfurchtsvoller Begrüßung der Gesellschaft, die er nicht
  kannte, langsam durch die Zeltleinen, die über die Straße liefen,
  nach Dahme weiter zog, begaben sich die Herrschaften, auf die
  Einladung des Landdrosts, ohne weiter davon Notiz zu nehmen, ins Zelt
  zurück. Der Landdrost, sobald sich der Kurfürst niedergelassen hatte,
  schickte unter der Hand nach Dahme, um bei dem Magistrat daselbst
  die unmittelbare Weiterschaffung des Roßhändlers bewirken zu lassen;
  doch da der Ritter, wegen bereits zu weit vorgerückter Tageszeit,
  bestimmt in dem Ort übernachten zu wollen erklärte, so mußte man sich
  begnügen, ihn in einer dem Magistrat zugehörigen Meierei, die, in
  Gebüschen versteckt, auf der Seite lag, geräuschlos unterzubringen.
  Nun begab es sich, daß gegen Abend, da die Herrschaften vom Wein und
  dem Genuß eines üppigen Nachtisches zerstreut, den ganzen Vorfall
  wieder vergessen hatten, der Landdrost den Gedanken auf die Bahn
  brachte, sich noch einmal, eines Rudels Hirsche wegen, der sich hatte
  blicken lassen, auf den Anstand zu stellen; welchen Vorschlag die
  ganze Gesellschaft mit Freuden ergriff, und paarweise nachdem sie
  sich mit Büchsen versorgt, über Gräben und Hecken in die nahe Forst
  eilte: dergestalt, daß der Kurfürst und die Dame Heloise, die sich,
  um dem Schauspiel beizuwohnen, an seinen Arm hing, von einem Boten,
  den man ihnen zugeordnet hatte, unmittelbar, zu ihrem Erstaunen,
  durch den Hof des Hauses geführt wurden, in welchem Kohlhaas mit den
  brandenburgischen Reutern befindlich war. Die Dame als sie dies
  hörte, sagte: "kommt, gnädigster Herr, kommt!" und versteckte die
  Kette, die ihm vom Halse herabhing, schäkernd in seinen seidenen
  Brustlatz: "laßt uns ehe der Troß nachkommt in die Meierei schleichen,
  und den wunderlichen Mann, der darin übernachtet, betrachten!" Der
  Kurfürst, indem er errötend ihre Hand ergriff, sagte: Heloise! was
  fällt Euch ein? Doch da sie, indem sie ihn betreten ansah, versetzte:
  "daß ihn ja in der Jägertracht, die ihn decke, kein Mensch erkenne!"
  und ihn fortzog; und in eben diesem Augenblick ein paar Jagdjunker,
  die ihre Neugierde schon befriedigt hatten, aus dem Hause
  heraustreten, versichernd, daß in der Tat, vermöge einer
  Veranstaltung, die der Landdrost getroffen, weder der Ritter noch der
  Roßhändler wisse, welche Gesellschaft in der Gegend von Dahme
  versammelt sei; so drückte der Kurfürst sich den Hut lächelnd in die
  Augen, und sagte: "Torheit, du regierst die Welt, und dein Sitz ist
  ein schöner weiblicher Mund!"--Es traf sich daß Kohlhaas eben mit dem
  Rücken gegen die Wand auf einem Bund Stroh saß, und sein, ihm in
  Herzberg erkranktes Kind mit Semmel und Milch fütterte, als die
  Herrschaften, um ihn zu besuchen, in die Meierei traten; und da die
  Dame ihn, um ein Gespräch einzuleiten, fragte: wer er sei? und was
  dem Kinde fehle? auch was er verbrochen und wohin man ihn unter
  solcher Bedeckung abführe? so rückte er seine lederne Mütze vor ihr,
  und gab ihr auf alle diese Fragen, indem er sein Geschäft fortsetzte,
  unreichliche aber befriedigende Antwort. Der Kurfürst, der hinter
  den Jagdjunkern stand, und eine kleine bleierne Kapsel, die ihm an
  einem seidenen Faden vom Halse herabhing, bemerkte, fragte ihn, da
  sich grade nichts Besseres zur Unterhaltung darbot: was diese zu
  bedeuten hätte und was darin befindlich wäre? Kohlhaas erwiderte:
  "ja, gestrenger Herr, diese Kapsel!"--und damit streifte er sie vom
  Nacken ab, öffnete sie und nahm einen kleinen mit Mundlack
  versiegelten Zettel heraus--"mit dieser Kugel hat es eine wunderliche
  Bewandtnis! Sieben Monden mögen es etwa sein, genau am Tage nach dem
  Begräbnis meiner Frau; und von Kohlhaasenbrück, wie Euch vielleicht
  bekannt sein wird, war ich aufgebrochen, um des Junkers von Tronka,
  der mir viel Unrecht zugefügt, habhaft zu werden, als um einer
  Verhandlung willen, die mir unbekannt ist, der Kurfürst von Sachsen
  und der Kurfürst von Brandenburg in Jüterbock, einem Marktflecken,
  durch den der Streifzug mich führte, eine Zusammenkunft hielten; und
  da sie sich gegen Abend ihren Wünschen gemäß vereinigt hatten, so
  gingen sie, in freundschaftlichem Gespräch, durch die Straßen der
  Stadt, um den Jahrmarkt, der eben darin fröhlich abgehalten ward, in
  Augenschein zu nehmen. Da trafen sie auf eine Zigeunerin, die, auf
  einem Schemel sitzend, dem Volk, das sie umringte, aus dem Kalender
  wahrsagte, und fragten sie scherzhafter Weise: ob sie ihnen nicht
  auch etwas, das ihnen lieb wäre, zu eröffnen hätte? Ich, der mit
  meinem Haufen eben in einem Wirtshause abgestiegen, und auf dem Platz,
  wo dieser Vorfall sich zutrug, gegenwärtig war, konnte hinter allem
  Volk, am Eingang einer Kirche, wo ich stand, nicht vernehmen, was die
  wunderliche Frau den Herren sagte; dergestalt, daß, da die Leute
  lachend einander zuflüsterten, sie teile nicht jedermann ihre
  Wissenschaft mit, und sich des Schauspiels wegen das sich bereitete,
  sehr bedrängten, ich, weniger neugierig, in der Tat, als um den
  Neugierigen Platz zu machen, auf eine Bank stieg, die hinter mir im
  Kircheneingange ausgehauen war. Kaum hatte ich von diesem Standpunkt
  aus, mit völliger Freiheit der Aussicht, die Herrschaften und das
  Weib, das auf dem Schemel vor ihnen saß und etwas aufzukritzeln
  schien, erblickt: da steht sie plötzlich auf ihre Krücken gelehnt,
  indem sie sich im Volk umsieht, auf; faßt mich, der nie ein Wort mit
  ihr wechselte, noch ihrer Wissenschaft Zeit seines Lebens begehrte,
  ins Auge; drängt sich durch den ganzen dichten Auflauf der Menschen
  zu mir heran und spricht: ›da! wenn es der Herr wissen will, so mag
  er dich danach fragen!‹ Und damit, gestrenger Herr, reichte sie mir
  mit ihren dürren knöchernen Händen diesen Zettel dar. Und da ich
  betreten, während sich alles Volk zu mir umwendet, spreche:
  Mütterchen, was auch verehrst du mir da? antwortete sie, nach vielem
  unvernehmlichen Zeug, worunter ich jedoch zu meinem großen Befremden
  meinen Namen höre: ›ein Amulett, Kohlhaas, der Roßhändler; verwahr es
  wohl, es wird dir dereinst das Leben retten!‹ und verschwindet.--Nun!"
  fuhr Kohlhaas gutmütig fort: "die Wahrheit zu gestehen, hats mir in
  Dresden, so scharf es herging, das Leben nicht gekostet; und wie es
  mir in Berlin gehen wird, und ob ich auch dort damit bestehen werde,
  soll die Zukunft lehren."--Bei diesen Worten setzte sich der Kurfürst
  auf eine Bank; und ob er schon auf die betretne Frage der Dame: was
  ihm fehle? antwortete: nichts, gar nichts! so fiel er doch schon
  ohnmächtig auf den Boden nieder, ehe sie noch Zeit hatte ihm
  beizuspringen, und in ihre Arme aufzunehmen. Der Ritter von Malzahn,
  der in eben diesem Augenblick, eines Geschäfts halber, ins Zimmer
  trat, sprach: heiliger Gott! was fehlt dem Herrn? Die Dame rief:
  schafft Wasser her! Die Jagdjunker hoben ihn auf und trugen ihn auf
  ein im Nebenzimmer befindliches Bett; und die Bestürzung erreichte
  ihren Gipfel, als der Kämmerer, den ein Page herbeirief, nach
  mehreren vergeblichen Bemühungen, ihn ins Leben zurückzubringen,
  erklärte: er gebe alle Zeichen von sich, als ob ihn der Schlag
  gerührt! Der Landdrost, während der Mundschenk einen reitenden Boten
  nach Luckau schickte, um einen Arzt herbeizuholen, ließ ihn, da er
  die Augen aufschlug, in einen Wagen bringen, und Schritt vor Schritt
  nach seinem in der Gegend befindlichen Jagdschloß abführen; aber
  diese Reise zog ihm, nach seiner Ankunft daselbst, zwei neue
  Ohnmachten zu: dergestalt, daß er sich erst spät am andern Morgen,
  bei der Ankunft des Arztes aus Luckau, unter gleichwohl
  entscheidenden Symptomen eines herannahenden Nervenfiebers,
  einigermaßen erholte. Sobald er seiner Sinne mächtig geworden war,
  richtete er sich halb im Bette auf, und seine erste Frage war gleich:
  wo der Kohlhaas sei? Der Kämmerer, der seine Frage mißverstand,
  sagte, indem er seine Hand ergriff: daß er sich dieses entsetzlichen
  Menschen wegen beruhigen möchte, indem derselbe, seiner Bestimmung
  gemäß, nach jenem sonderbaren und unbegreiflichen Vorfall, in der
  Meierei zu Dahme, unter brandenburgischer Bedeckung, zurückgeblieben
  wäre. Er fragte ihn, unter der Versicherung seiner lebhaftesten
  Teilnahme und der Beteurung, daß er seiner Frau, wegen des
  unverantwortlichen Leichtsinns, ihn mit diesem Mann zusammenzubringen,
  die bittersten Vorwürfe gemacht hätte: was ihn denn so wunderbar und
  ungeheuer in der Unterredung mit demselben ergriffen hätte? Der
  Kurfürst sagte: er müsse ihm nur gestehen, daß der Anblick eines
  nichtigen Zettels, den der Mann in einer bleiernen Kapsel mit sich
  führe, schuld an dem ganzen unangenehmen Zufall sei, der ihm
  zugestoßen. Er setzte noch mancherlei zur Erklärung dieses Umstands,
  das der Kämmerer nicht verstand, hinzu; versicherte ihn plötzlich,
  indem er seine Hand zwischen die seinigen drückte, daß ihm der Besitz
  dieses Zettels von der äußersten Wichtigkeit sei; und bat ihn,
  unverzüglich aufzusitzen, nach Dahme zu reiten, und ihm den Zettel,
  um welchen Preis es immer sei, von demselben zu erhandeln. Der
  Kämmerer, der Mühe hatte, seine Verlegenheit zu verbergen,
  versicherte ihn: daß, falls dieser Zettel einigen Wert für ihn hätte,
  nichts auf der Welt notwendiger wäre, als dem Kohlhaas diesen Umstand
  zu verschweigen; indem, sobald derselbe durch eine unvorsichtige
  Äußerung Kenntnis davon nähme, alle Reichtümer, die er besäße, nicht
  hinreichen würden, ihn aus den Händen dieses grimmigen, in seiner
  Rachsucht unersättlichen Kerls zu erkaufen. Er fügte, um ihn zu
  beruhigen, hinzu, daß man auf ein anderes Mittel denken müsse, und
  daß es vielleicht durch List, vermöge eines Dritten ganz Unbefangenen,
  indem der Bösewicht wahrscheinlich, an und für sich, nicht sehr
  daran hänge, möglich sein würde, sich den Besitz des Zettels, an dem
  ihm so viel gelegen sei, zu verschaffen. Der Kurfürst, indem er sich
  den Schweiß abtrocknete, fragte: ob man nicht unmittelbar zu diesem
  Zweck nach Dahme schicken, und den weiteren Transport des Roßhändlers,
  vorläufig, bis man des Blattes, auf welche Weise es sei, habhaft
  geworden, einstellen könne? Der Kämmerer, der seinen Sinnen nicht
  traute, versetzte: daß leider allen wahrscheinlichen Berechnungen
  zufolge, der Roßhändler Dahme bereits verlassen haben, und sich
  jenseits der Grenze, auf brandenburgischem Grund und Boden befinden
  müsse, wo das Unternehmen, die Fortschaffung desselben zu hemmen,
  oder wohl gar rückgängig zu machen, die unangenehmsten und
  weitläufigsten, ja solche Schwierigkeiten, die vielleicht gar nicht
  zu beseitigen wären, veranlassen würde. Er fragte ihn, da der
  Kurfürst sich schweigend, mit der Gebärde eines ganz Hoffnungslosen,
  auf das Kissen zurücklegte: was denn der Zettel enthalte? und durch
  welchen Zufall befremdlicher und unerklärlicher Art ihm, daß der
  Inhalt ihn betreffe, bekannt sei? Hierauf aber, unter zweideutigen
  Blicken auf den Kämmerer, dessen Willfährigkeit er in diesem Falle
  mißtraute, antwortete der Kurfürst nicht: starr, mit unruhig
  klopfendem Herzen lag er da, und sah auf die Spitze des Schnupftuches
  nieder, das er gedankenvoll zwischen den Händen hielt; und bat ihn
  plötzlich, den Jagdjunker vom Stein, einen jungen, rüstigen und
  gewandten Herrn, dessen er sich öfter schon zu geheimen Geschäften
  bedient hatte, unter dem Vorwand, daß er ein anderweitiges Geschäft
  mit ihm abzumachen habe, ins Zimmer zu rufen. Den Jagdjunker,
  nachdem er ihm die Sache auseinandergelegt, und von der Wichtigkeit
  des Zettels, in dessen Besitz der Kohlhaas war, unterrichtet hatte,
  fragte er, ob er sich ein ewiges Recht auf seine Freundschaft
  erwerben, und ihm den Zettel, noch ehe derselbe Berlin erreicht,
  verschaffen wolle? und da der Junker, sobald er das Verhältnis nur,
  sonderbar wie es war, einigermaßen überschaute, versicherte, daß er
  ihm mit allen seinen Kräften zu Diensten stehe: so trug ihm der
  Kurfürst auf, dem Kohlhaas nachzureiten, und ihm, da demselben mit
  Geld wahrscheinlich nicht beizukommen sei, in einer mit Klugheit
  angeordneten Unterredung, Freiheit und Leben dafür anzubieten, ja ihm,
  wenn er darauf bestehe, unmittelbar, obschon mit Vorsicht, zur
  Flucht aus den Händen der brandenburgischen Reuter, die ihn
  transportierten, mit Pferden, Leuten und Geld an die Hand zu gehen.
  Der Jagdjunker, nachdem er sich ein Blatt von der Hand des Kurfürsten
  zur Beglaubigung ausgebeten, brach auch sogleich mit einigen Knechten
  auf, und hatte, da er den Odem der Pferde nicht sparte, das Glück,
  den Kohlhaas auf einem Grenzdorf zu treffen, wo derselbe mit dem
  Ritter von Malzahn und seinen fünf Kindern ein Mittagsmahl, das im
  Freien vor der Tür eines Hauses angerichtet war, zu sich nahm. Der
  Ritter von Malzahn, dem der Junker sich als einen Fremden, der bei
  seiner Durchreise den seltsamen Mann, den er mit sich führe, in
  Augenschein zu nehmen wünsche, vorstellte, nötigte ihn sogleich auf
  zuvorkommende Art, indem er ihn mit dem Kohlhaas bekannt machte, an
  der Tafel nieder; und da der Ritter in Geschäften der Abreise ab und
  zuging, die Reuter aber an einem, auf des Hauses anderer Seite
  befindlichen Tisch, ihre Mahlzeit hielten: so traf sich die
  Gelegenheit bald, wo der Junker dem Roßhändler eröffnen konnte, wer
  er sei, und in welchen besonderen Aufträgen er zu ihm komme. Der
  Roßhändler, der bereits Rang und Namen dessen, der beim Anblick der
  in Rede stehenden Kapsel, in der Meierei zu Dahme in Ohnmacht
  gefallen war, kannte, und der zur Krönung des Taumels, in welchen ihn
  diese Entdeckung versetzt hatte, nichts bedurfte, als Einsicht in die
  Geheimnisse des Zettels, den er, um mancherlei Gründe willen,
  entschlossen war, aus bloßer Neugierde nicht zu eröffnen: der
  Roßhändler sagte, eingedenk der unedelmütigen und unfürstlichen
  Behandlung, die er in Dresden, bei seiner gänzlichen Bereitwilligkeit,
  alle nur möglichen Opfer zu bringen, hatte erfahren müssen: "daß er
  den Zettel behalten wolle." Auf die Frage des Jagdjunkers: was ihn zu
  dieser sonderbaren Weigerung, da man ihm doch nichts Minderes, als
  Freiheit und Leben dafür anbiete, veranlasse? antwortete Kohlhaas:
  "Edler Herr! Wenn Euer Landesherr käme, und spräche, ich will mich,
  mit dem ganzen Troß derer, die mir das Szepter führen helfen,
  vernichten--vernichten, versteht Ihr, welches allerdings der größeste
  Wunsch ist, den meine Seele hegt: so würde ich ihm doch den Zettel
  noch, der ihm mehr wert ist, als das Dasein, verweigern und sprechen:
  du kannst mich auf das Schafott bringen, ich aber kann dir weh tun,
  und ich wills!" Und damit, im Antlitz den Tod, rief er einen Reuter
  herbei, unter der Aufforderung, ein gutes Stück Essen, das in der
  Schüssel übrig geblieben war, zu sich zu nehmen; und für den ganzen
  Rest der Stunde, die er im Flecken zubrachte, für den Junker, der an
  der Tafel saß, wie nicht vorhanden, wandte er sich erst wieder, als
  er den Wagen bestieg, mit einem Blick, der ihn abschiedlich grüßte,
  zu ihm zurück.
  Der Zustand des Kurfürsten, als er diese Nachricht bekam,
  verschlimmerte sich in dem Grade, daß der Arzt, während drei
  verhängnisvoller Tage, seines Lebens wegen, das zu gleicher Zeit, von
  so vielen Seiten angegriffen ward, in der größesten Besorgnis war.
  Gleichwohl stellte er sich, durch die Kraft seiner natürlichen
  Gesundheit, nach dem Krankenlager einiger peinlich zugebrachten
  Wochen wieder her; dergestalt wenigstens, daß man ihn in einen Wagen
  bringen, und mit Kissen und Decken wohl versehen, nach Dresden zu
  seinen Regierungsgeschäften wieder zurückführen konnte. Sobald er in
  dieser Stadt angekommen war, ließ er den Prinzen Christiern von
  Meißen rufen, und fragte denselben: wie es mit der Abfertigung des
  Gerichtsrats Eibenmayer stünde, den man, als Anwalt in der Sache des
  Kohlhaas, nach Wien zu schicken gesonnen gewesen wäre, um
  kaiserlicher Majestät daselbst die Beschwerde wegen gebrochenen,
  kaiserlichen Landfriedens, vorzulegen? Der Prinz antwortete ihm: daß
  derselbe, dem, bei seiner Abreise nach Dahme hinterlassenen Befehl
  gemäß, gleich nach Ankunft des Rechtsgelehrten Zäuner, den der
  Kurfürst von Brandenburg als Anwalt nach Dresden geschickt hätte, um
  die Klage desselben, gegen den Junker Wenzel von Tronka, der Rappen
  wegen, vor Gericht zu bringen, nach Wien abgegangen wäre. Der
  Kurfürst, indem er errötend an seinen Arbeitstisch trat, wunderte
  sich über diese Eilfertigkeit, indem er seines Wissens erklärt hätte,
  die definitive Abreise des Eibenmayer, wegen vorher notwendiger
  Rücksprache mit dem Doktor Luther, der dem Kohlhaas die Amnestie
  ausgewirkt, einem näheren und bestimmteren Befehl vorbehalten zu
  wollen. Dabei warf er einige Briefschaften und Akten, die auf dem
  Tisch lagen, mit dem Ausdruck zurückgehaltenen Unwillens, über
  einander. Der Prinz, nach einer Pause, in welcher er ihn mit großen
  Augen ansah, versetzte, daß es ihm leid täte, wenn er seine
  Zufriedenheit in dieser Sache verfehlt habe; inzwischen könne er ihm
  den Beschluß des Staatsrats vorzeigen, worin ihm die Abschickung des
  Rechtsanwalts, zu dem besagten Zeitpunkt, zur Pflicht gemacht worden
  wäre. Er setzte hinzu, daß im Staatsrat von einer Rücksprache mit
  dem Doktor Luther, auf keine Weise die Rede gewesen wäre; daß es
  früherhin vielleicht zweckmäßig gewesen sein möchte, diesen
  geistlichen Herrn, wegen der Verwendung, die er dem Kohlhaas
  angedeihen lassen, zu berücksichtigen, nicht aber jetzt mehr, nachdem
  man demselben die Amnestie vor den Augen der ganzen Welt gebrochen,
  ihn arretiert, und zur Verurteilung und Hinrichtung an die
  brandenburgischen Gerichte ausgeliefert hätte. Der Kurfürst sagte:
  das Versehen, den Eibenmayer abgeschickt zu haben, wäre auch in der
  Tat nicht groß; inzwischen wünsche er, daß derselbe vorläufig, bis
  auf weiteren Befehl, in seiner Eigenschaft als Ankläger zu Wien nicht
  aufträte, und bat den Prinzen, deshalb das Erforderliche unverzüglich
  durch einen Expressen, an ihn zu erlassen. Der Prinz antwortete: daß
  dieser Befehl leider um einen Tag zu spät käme, indem der Eibenmayer
  bereits nach einem Berichte, der eben heute eingelaufen, in seiner
  Qualität als Anwalt aufgetreten, und mit Einreichung der Klage bei
  der Wiener Staatskanzlei vorgegangen wäre. Er setzte auf die
  betroffene Frage des Kurfürsten: wie dies überall in so kurzer Zeit
  möglich sei? hinzu: daß bereits, seit der Abreise dieses Mannes drei
  Wochen verstrichen wären, und daß die Instruktion, die er erhalten,
  ihm eine ungesäumte Abmachung dieses Geschäfts, gleich nach seiner
  Ankunft in Wien zur Pflicht gemacht hätte. Eine Verzögerung,
  bemerkte der Prinz, würde in diesem Fall um so unschicklicher gewesen
  sein, da der brandenburgische Anwalt Zäuner, gegen den Junker Wenzel
  von Tronka mit dem trotzigsten Nachdruck verfahre, und bereits auf
  eine vorläufige Zurückziehung der Rappen, aus den Händen des
  Abdeckers, behufs ihrer künftigen Wiederherstellung, bei dem
  Gerichtshof angetragen, und auch aller Einwendungen der Gegenpart
  ungeachtet, durchgesetzt habe. Der Kurfürst, indem er die Klingel
  zog, sagte: "gleichviel! es hätte nichts zu bedeuten!" und nachdem er
  sich mit gleichgültigen Fragen: wie es sonst in Dresden stehe? und
  was in seiner Abwesenheit vorgefallen sei? zu dem Prinzen
  zurückgewandt hatte: grüßte er ihn, unfähig seinen innersten Zustand
  zu verbergen, mit der Hand, und entließ ihn. Er forderte ihm noch an
  demselben Tage schriftlich, unter dem Vorwande, daß er die Sache,
  ihrer politischen Wichtigkeit wegen, selbst bearbeiten wolle, die
  sämtlichen Kohlhaasischen Akten ab; und da ihm der Gedanke,
  denjenigen zu verderben, von dem er allein über die Geheimnisse des
  Zettels Auskunft erhalten konnte, unerträglich war: so verfaßte er
  einen eigenhändigen Brief an den Kaiser, worin er ihn auf herzliche
  und dringende Weise bat, aus wichtigen Gründen, die er ihm vielleicht
  in kurzer Zeit bestimmter auseinander legen würde, die Klage, die der
  Eibenmayer gegen den Kohlhaas eingereicht, vorläufig bis auf einen
  weitern Beschluß, zurücknehmen zu dürfen. Der Kaiser, in einer durch
  die Staatskanzlei ausgefertigten Note, antwortete ihm: "daß der
  Wechsel, der plötzlich in seiner Brust vorgegangen zu sein scheine,
  ihn aufs äußerste befremde; daß der sächsischerseits an ihn erlassene
  Bericht, die Sache des Kohlhaas zu einer Angelegenheit gesamten
  heiligen römischen Reichs gemacht hätte; daß demgemäß er, der Kaiser,
  als Oberhaupt desselben, sich verpflichtet gesehen hätte, als
  Ankläger in dieser Sache bei dem Hause Brandenburg aufzutreten;
  dergestalt, daß da bereits der Hof-Assessor Franz Müller, in der
  Eigenschaft als Anwalt nach Berlin gegangen wäre, um den Kohlhaas
  daselbst, wegen Verletzung des öffentlichen Landfriedens, zur
  Rechenschaft zu ziehen, die Beschwerde nunmehr auf keine Weise
  zurückgenommen werden könne, und die Sache den Gesetzen gemäß, ihren
  weiteren Fortgang nehmen müsse." Dieser Brief schlug den Kurfürsten
  völlig nieder; und da, zu seiner äußersten Betrübnis, in einiger Zeit
  Privatschreiben aus Berlin einliefen, in welchen die Einleitung des
  Prozesses bei dem Kammergericht gemeldet, und bemerkt ward, daß der
  Kohlhaas wahrscheinlich, aller Bemühungen des ihm zugeordneten
  Advokaten ungeachtet, auf dem Schafott enden werde: so beschloß
  dieser unglückliche Herr noch einen Versuch zu machen, und bat den
  Kurfürsten von Brandenburg, in einer eigenhändigen Zuschrift, um des
  Roßhändlers Leben. Er schützte vor, daß die Amnestie, die man diesem
  Manne angelobt, die Vollstreckung eines Todesurteils an demselben,
  füglicher Weise, nicht zulasse; versicherte ihn, daß es, trotz der
  scheinbaren Strenge, mit welcher man gegen ihn verfahren, nie seine
  Absicht gewesen wäre, ihn sterben zu lassen; und beschrieb ihm, wie
  trostlos er sein würde, wenn der Schutz, den man vorgegeben hätte,
  ihm von Berlin aus angedeihen lassen zu wollen, zuletzt, in einer
  unerwarteten Wendung, zu seinem größeren Nachteile ausschlage, als
  wenn er in Dresden geblieben, und seine Sache nach sächsischen
  Gesetzen entschieden worden wäre. Der Kurfürst von Brandenburg, dem
  in dieser Angabe mancherlei zweideutig und unklar schien, antwortete
  ihm: "daß der Nachdruck, mit welchem der Anwalt kaiserlicher Majestät
  verführe, platterdings nicht erlaube, dem Wunsch, den er ihm geäußert,
  gemäß, von der strengen Vorschrift der Gesetze abzuweichen. Er
  bemerkte, daß die ihm vorgelegte Besorgnis in der Tat zu weit ginge,
  indem die Beschwerde, wegen der dem Kohlhaas in der Amnestie
  verziehenen Verbrechen ja nicht von ihm, der demselben die Amnestie
  erteilt, sondern von dem Reichsoberhaupt, das daran auf keine Weise
  gebunden sei, bei dem Kammergericht zu Berlin anhängig gemacht worden
  wäre. Dabei stellte er ihm vor, wie notwendig bei den fortdauernden
  Gewalttätigkeiten des Nagelschmidt, die sich sogar schon, mit
  unerhörter Dreistigkeit, bis aufs brandenburgische Gebiet erstreckten,
  die Statuierung eines abschreckenden Beispiels wäre, und bat ihn,
  falls er dies alles nicht berücksichtigen wolle, sich an des Kaisers
  Majestät selbst zu wenden, indem, wenn dem Kohlhaas zu Gunsten ein
  Machtspruch fallen sollte, dies allein auf eine Erklärung von dieser
  Seite her geschehen könne." Der Kurfürst, aus Gram und Ärger über
  alle diese mißglückten Versuche, verfiel in eine neue Krankheit; und
  da der Kämmerer ihn an einem Morgen besuchte, zeigte er ihm die
  Briefe, die er, um dem Kohlhaas das Leben zu fristen, und somit
  wenigstens Zeit zu gewinnen, des Zettels, den er besäße, habhaft zu
  werden, an den Wiener und Berliner Hof erlassen. Der Kämmerer warf
  sich auf Knieen vor ihm nieder, und bat ihn, um alles was ihm heilig
  und teuer sei, ihm zu sagen, was dieser Zettel enthalte? Der
  Kurfürst sprach, er möchte das Zimmer verriegeln, und sich auf das
  Bett niedersetzen; und nachdem er seine Hand ergriffen, und mit einem
  Seufzer an sein Herz gedrückt hatte, begann er folgendergestalt:
  "Deine Frau hat dir, wie ich höre, schon erzählt, daß der Kurfürst
  von Brandenburg und ich, am dritten Tage der Zusammenkunft, die wir
  in Jüterbock hielten, auf eine Zigeunerin trafen; und da der Kurfürst,
  aufgeweckt wie er von Natur ist, beschloß, den Ruf dieser
  abenteuerlichen Frau, von deren Kunst, eben bei der Tafel, auf
  ungebührliche Weise die Rede gewesen war, durch einen Scherz im
  Angesicht alles Volks zu nichte zu machen: so trat er mit
  verschränkten Armen vor ihren Tisch, und forderte, der Weissagung
  wegen, die sie ihm machen sollte, ein Zeichen von ihr, das sich noch
  heute erproben ließe, vorschützend, daß er sonst nicht, und wäre sie
  auch die römische Sibylle selbst, an ihre Worte glauben könne. Die
  Frau, indem sie uns flüchtig von Kopf zu Fuß maß, sagte: das Zeichen
  würde sein, daß uns der große, gehörnte Rehbock, den der Sohn des
  Gärtners im Park erzog, auf dem Markt, worauf wir uns befanden, bevor
  wir ihn noch verlassen, entgegenkommen würde. Nun mußt du wissen,
  daß dieser, für die Dresdner Küche bestimmte Rehbock, in einem mit
  Latten hoch verzäunten Verschlage, den die Eichen des Parks
  beschatteten, hinter Schloß und Riegel aufbewahrt ward, dergestalt,
  daß, da überdies anderen kleineren Wildes und Geflügels wegen, der
  Park überhaupt und obenein der Garten, der zu ihm führte, in
  sorgfältigem Beschluß gehalten ward, schlechterdings nicht abzusehen
  war, wie uns das Tier, diesem sonderbaren Vorgeben gemäß, bis auf dem
  Platz, wo wir standen, entgegenkommen würde; gleichwohl schickte der
  Kurfürst aus Besorgnis vor einer dahinter steckenden Schelmerei, nach
  einer kurzen Abrede mit mir, entschlossen, auf unabänderliche Weise,
  alles was sie noch vorbringen wurde, des Spaßes wegen, zu Schanden zu
  machen, ins Schloß, und befahl, daß der Rehbock augenblicklich
  getötet, und für die Tafel, an einem der nächsten Tage, zubereitet
  werden solle. Hierauf wandte er sich zu der Frau, vor welcher diese
  Sache laut verhandelt worden war, zurück, und sagte: nun, Wohlan! was
  hast du mir für die Zukunft zu entdecken? Die Frau, indem sie in
  seine Hand sah, sprach: Heil meinem Kurfürsten und Herrn! Deine
  Gnaden wird lange regieren, das Haus, aus dem du stammst, lange
  bestehen, und deine Nachkommen groß und herrlich werden und zu Macht
  gelangen, vor allen Fürsten und Herren der Welt! Der Kurfürst, nach
  einer Pause, in welcher er die Frau gedankenvoll ansah, sagte
  halblaut, mit einem Schritte, den er zu mir tat, daß es ihm jetzo
  fast leid täte, einen Boten abgeschickt zu haben, um die Weissagung
  zu nichte zu machen; und während das Geld aus den Händen der Ritter,
  die ihm folgten, der Frau haufenweise unter vielem Jubel, in den
  Schoß regnete, fragte er sie, indem er selbst in die Tasche griff,
  und ein Goldstück dazu legte: ob der Gruß, den sie mir zu eröffnen
  hätte, auch von so silbernem Klang wäre, als der seinige? Die Frau,
  nachdem sie einen Kasten, der ihr zur Seite stand, aufgemacht, und
  das Geld, nach Sorte und Menge, weitläufig und umständlich darin
  
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