🕥 35-minute read

Ausgewählte Schriften - 14

Total number of words is 4509
Total number of unique words is 1464
41.7 of words are in the 2000 most common words
54.0 of words are in the 5000 most common words
59.5 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  zuschreit. Der Gebeine wurden immer mehrere, sie waren mit einem
  gewöhnlichen Schimmel überzogen und zerfielen an der Luft in Asche,
  um beiden Arm- und Beinröhren, dicht über den Hand- und Fußgelenken,
  lagen starke eiserne Bänder. Auf einmal ruft Joseph in die Grube
  hinein: "Mutter, der Herr will, daß ihr dort mehr rechts grabet; dort,
  wo er mit dem Degen hinzeigt, da liege sein Kopf, spricht er." Die
  Mutter gehorcht und nach einigen Spatenstichen hebt sie einen
  Totenkopf heraus, dessen Stirn ein großer eiserner Ring umgibt. Nun
  war's mit der Mutter am Ende; mit jedem Knochen, den sie
  herausgegraben, hatte die Angst und das innere Lärmen sich gemehrt;
  halb in Verzweiflung hatte sie nach dem Schädel gesucht, sein Anblick
  gab ihr den Rest, sie warf den Spaten hin, und floh laut schreiend
  dem Dorfe zu. Joseph begriff die Mutter nicht, ihm war nie so wohl
  in seiner Haut gewesen. Als er den fremden Herrn fragen wollte, was
  denn das bedeute, war dieser verschwunden; kopfschüttelnd nahm Joseph
  seine fünf Ringe um den Spaten, spielte noch ein wenig mit der
  Knochenasche, und ging dann jubelnd dem Dorfe zu. Die fünf Ringe
  wurden später bei den Gerichten deponiert, wo sie noch jetzt zu sehen
  sind.
  Als die Kommission die Untersuchung dieser Geschichte geendigt hatte,
  ohne die Sache selbst ins reine gebracht zu haben, entschloß sich
  eine hohe Amtsobrigkeit, durch die fünf Ringe aufgemuntert, den
  verheißenen fünf Truhen nachzuspüren: es ward von Amts wegen weiter
  nachgegraben. Im November 1809, wo Erzähler die Grube selbst gesehn,
  war man schon zu einer beträchtlichen Tiefe gelangt. Da die weitere
  Fortsetzung der Arbeit die Kräfte gewöhnlicher Tagelöhner überstieg,
  so ließ man, um nicht den Vorwurf halber Maßregeln auf sich zu laden,
  endlich gar Bergleute kommen. Diese erweiterten den Bau und trieben
  Gänge rechts und links; nicht lange, so wollte man es haben hohl
  klingen hören, man grub und grub; umsonst, die Truhen zeigten sich
  nicht; man kam auf Schutt, die Hoffnung wuchs; der Schutt wurde
  durchwühlt, er verlor sich, die Hoffnung sank. In der Verlegenheit,
  worin man sich befand, fiel es einem gescheiten Kopfe ein, daß
  Schätze ihre Kaprizen haben, die respektiert sein wollen, daß sie
  nicht jeder rohen Faust in die Hände laufen, sondern sich nur von
  sympathetischen Fingern berühren lassen, und tat daher den Vorschlag,
  den Joseph kommen zu lassen, um künftig bei der Arbeit gegenwärtig zu
  sein.
  Da man schon im Dezember ziemlich weit vorgerückt war, so packte man
  den armen Jungen warm ein, gab ihm einen kleinen Spaten in die Hand,
  und hieß ihm hin und her ein Schaufelchen Erde herausheben. Man
  versprach sich sehr viel von dieser List, doch es schien, als wäre es
  dem Geiste mehr um seine Knochen als um die Truhen zu tun gewesen,
  denn auch die Gegenwart unsers Josephs verfing nichts. Der
  zunehmende Frost machte endlich dem Suchen ein Ende; im Frühjahr,
  beschloß man, sollte die Arbeit fortgesetzt werden, hat es jedoch
  unterlassen. Übrigens hat der Geist gegen Joseph nicht ganz
  undankbar gehandelt, als es auf den ersten Anblick scheinen möchte;
  denn wenn er ihm auch den gehofften Schatz, den er ihm übrigens nie
  versprach, entrückte, so hatte er doch wahrscheinlich veranstaltet,
  daß die Leute von nah und von fern herbeiströmten, um den kleinen
  Geisterseher zu sehn und reichlich zu beschenken.
  
  Michael Kohlhaas
  Aus einer alten Chronik
  (1810)
  
  An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten
  Jahrhunderts, ein Roßhändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines
  Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und
  entsetzlichsten Menschen seiner Zeit.--Dieser außerordentliche Mann
  würde, bis in sein dreißigstes Jahr für das Muster eines guten
  Staatsbürgers haben gelten können. Er besaß in einem Dorfe, das noch
  von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf welchem er sich durch
  sein Gewerbe ruhig ernährte; die Kinder, die ihm sein Weib schenkte,
  erzog er, in der Furcht Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht
  einer war unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit,
  oder seiner Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt würde sein
  Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tugend nicht
  ausgeschweift hätte. Das Rechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und
  Mörder.
  Er ritt einst, mit einer Koppel junger Pferde, wohlgenährt alle und
  glänzend, ins Ausland, und überschlug eben, wie er den Gewinst, den
  er auf den Märkten damit zu machen hoffte, anlegen wolle: teils, nach
  Art guter Wirte, auf neuen Gewinst, teils aber auch auf den Genuß der
  Gegenwart: als er an die Elbe kam, und bei einer stattlichen
  Ritterburg, auf sächsischem Gebiete, einen Schlagbaum traf, den er
  sonst auf diesem Wege nicht gefunden hatte. Er hielt, in einem
  Augenblick, da eben der Regen heftig stürmte, mit den Pferden still,
  und rief den Schlagwärter, der auch bald darauf, mit einem grämlichen
  Gesicht, aus dem Fenster sah. Der Roßhändler sagte, daß er ihm
  öffnen solle. Was gibts hier Neues? fragte er, da der Zöllner, nach
  einer geraumen Zeit, aus dem Hause trat. Landesherrliches
  Privilegium, antwortete dieser, indem er aufschloß: dem Junker Wenzel
  von Tronka verliehen.--So, sagte Kohlhaas. Wenzel heißt der Junker?
  und sah sich das Schloß an, das mit glänzenden Zinnen über das Feld
  blickte. Ist der alte Herr tot?--Am Schlagfluß gestorben, erwiderte
  der Zöllner, indem er den Baum in die Höhe ließ.--Hm! Schade!
  versetzte Kohlhaas. Ein würdiger alter Herr, der seine Freude am
  Verkehr der Menschen hatte, Handel und Wandel, wo er nur vermochte,
  forthalf, und einen Steindamm einst bauen ließ, weil mir eine Stute,
  draußen, wo der Weg ins Dorf geht, das Bein gebrochen. Nun! Was bin
  ich schuldig?--fragte er; und holte die Groschen, die der Zollwärter
  verlangte, mühselig unter dem im Winde flatternden Mantel hervor.
  "Ja, Alter", setzte er noch hinzu, da dieser: hurtig! hurtig!
  murmelte, und über die Witterung fluchte: "wenn der Baum im Walde
  stehen geblieben wäre, wärs besser gewesen, für mich und Euch"; und
  damit gab er ihm das Geld und wollte reiten. Er war aber noch kaum
  unter den Schlagbaum gekommen, als eine neue Stimme schon: halt dort,
  der Roßkamm! hinter ihm vom Turm erscholl, und er den Burgvogt ein
  Fenster zuwerfen und zu ihm herabeilen sah. Nun, was gibts Neues?
  fragte Kohlhaas bei sich selbst, und hielt mit den Pferden an. Der
  Burgvogt, indem er sich noch eine Weste über seinen weitläufigen Leib
  zuknüpfte, kam, und fragte, schief gegen die Witterung gestellt, nach
  dem Paßschein.--Kohlhaas fragte: der Paßschein? Er sagte ein wenig
  betreten, daß er, soviel er wisse, keinen habe; daß man ihm aber nur
  beschreiben möchte, was dies für ein Ding des Herrn sei: so werde er
  vielleicht zufälligerweise damit versehen sein. Der Schloßvogt,
  indem er ihn von der Seite ansah, versetzte, daß ohne einen
  landesherrlichen Erlaubnisschein, kein Roßkamm mit Pferden über die
  Grenze gelassen würde. Der Roßkamm versicherte, daß er siebzehn Mal
  in seinem Leben, ohne einen solchen Schein, über die Grenze gezogen
  sei; daß er alle landesherrlichen Verfügungen, die sein Gewerbe
  angingen, genau kennte; daß dies wohl nur ein Irrtum sein würde,
  wegen dessen er sich zu bedenken bitte, und daß man ihn, da seine
  Tagereise lang sei, nicht länger unnützer Weise hier aufhalten möge.
  Doch der Vogt erwiderte, daß er das achtzehnte Mal nicht
  durchschlüpfen würde, daß die Verordnung deshalb erst neuerlich
  erschienen wäre, und daß er entweder den Paßschein noch hier lösen,
  oder zurückkehren müsse, wo er hergekommen sei. Der Roßhändler, den
  diese ungesetzlichen Erpressungen zu erbittern anfingen, stieg, nach
  einer kurzen Besinnung, vom Pferde, gab es einem Knecht, und sagte,
  daß er den Junker von Tronka selbst darüber sprechen würde. Er ging
  auch auf die Burg; der Vogt folgte ihm, indem er von filzigen
  Geldraffern und nützlichen Aderlässen derselben murmelte; und beide
  traten, mit ihren Blicken einander messend, in den Saal. Es traf
  sich, daß der Junker eben, mit einigen muntern Freunden, beim Becher
  saß, und, um eines Schwanks willen, ein unendliches Gelächter unter
  ihnen erscholl, als Kohlhaas, um seine Beschwerde anzubringen, sich
  ihm näherte. Der Junker fragte, was er wolle; die Ritter, als sie
  den fremden Mann erblickten, wurden still; doch kaum hatte dieser
  sein Gesuch, die Pferde betreffend, angefangen, als der ganze Troß
  schon: Pferde? Wo sind sie? ausrief, und an die Fenster eilte, um
  sie zu betrachten. Sie flogen, da sie die glänzende Koppel sahen,
  auf den Vorschlag des Junkers, in den Hof hinab; der Regen hatte
  aufgehört; Schloßvogt und Verwalter und Knechte versammelten sich um
  sie, und alle musterten die Tiere. Der eine lobte den Schweißfuchs
  mit der Blesse, dem andern gefiel der Kastanienbraune, der dritte
  streichelte den Schecken mit schwarzgelben Flecken; und alle meinten,
  daß die Pferde wie Hirsche wären, und im Lande keine bessern gezogen
  würden. Kohlhaas erwiderte munter, daß die Pferde nicht besser wären,
  als die Ritter, die sie reiten sollten; und forderte sie auf, zu
  kaufen. Der Junker, den der mächtige Schweißhengst sehr reizte,
  befragte ihn auch um den Preis; der Verwalter lag ihm an, ein Paar
  Rappen zu kaufen, die er, wegen Pferdemangels, in der Wirtschaft
  gebrauchen zu können glaubte; doch als der Roßkamm sich erklärt hatte,
  fanden die Ritter ihn zu teuer, und der Junker sagte, daß er nach
  der Tafelrunde reiten und sich den König Arthur aufsuchen müsse, wenn
  er die Pferde so anschlage. Kohlhaas, der den Schloßvogt und den
  Verwalter, indem sie sprechende Blicke auf die Rappen warfen, mit
  einander flüstern sah, ließ es, aus einer dunkeln Vorahndung, an
  nichts fehlen, die Pferde an sie los zu werden. Er sagte zum Junker:
  "Herr, die Rappen habe ich vor sechs Monaten für 25 Goldgülden
  gekauft; gebt mir 30, so sollt Ihr sie haben." Zwei Ritter, die neben
  dem Junker standen, äußerten nicht undeutlich, daß die Pferde wohl so
  viel wert wären; doch der Junker meinte, daß er für den Schweißfuchs
  wohl, aber nicht eben für die Rappen, Geld ausgeben möchte, und
  machte Anstalten, aufzubrechen; worauf Kohlhaas sagte, er würde
  vielleicht das nächste Mal, wenn er wieder mit seinen Gaulen
  durchzöge, einen Handel mit ihm machen; sich dem Junker empfahl, und
  die Zügel seines Pferdes ergriff, um abzureisen. In diesem
  Augenblick trat der Schloßvogt aus dem Haufen vor, und sagte, er höre,
  daß er ohne einen Paßschein nicht reisen dürfe. Kohlhaas wandte
  sich und fragte den Junker, ob es denn mit diesem Umstand, der sein
  ganzes Gewerbe zerstöre, in der Tat seine Richtigkeit habe? Der
  Junker antwortete, mit einem verlegnen Gesicht, indem er abging: ja,
  Kohlhaas, den Paß mußt du lösen. Sprich mit dem Schloßvogt, und zieh
  deiner Wege. Kohlhaas versicherte ihn, daß es gar nicht seine
  Absicht sei, die Verordnungen, die wegen Ausführung der Pferde
  bestehen möchten, zu umgehen; versprach, bei seinem Durchzug durch
  Dresden, den Paß in der Geheimschreiberei zu lösen, und bat, ihn nur
  diesmal, da er von dieser Forderung durchaus nichts gewußt, ziehen zu
  lassen. Nun! sprach der Junker, da eben das Wetter wieder zu stürmen
  anfing, und seine dürren Glieder durchsauste: laßt den Schlucker
  laufen. Kommt! sagte er zu den Rittern, kehrte sich um, und wollte
  nach dem Schlosse gehen. Der Schloßvogt sagte, zum Junker gewandt,
  daß er wenigstens ein Pfand, zur Sicherheit, daß er den Schein lösen
  würde, zurücklassen müsse. Der Junker blieb wieder unter dem
  Schloßtor stehen. Kohlhaas fragte, welchen Wert er denn, an Geld
  oder an Sachen, zum Pfande, wegen der Rappen, zurücklassen solle?
  Der Verwalter meinte, in den Bart murmelnd, er könne ja die Rappen
  selbst zurücklassen. Allerdings, sagte der Schloßvogt, das ist das
  Zweckmäßigste; ist der Paß gelöst, so kann er sie zu jeder Zeit
  wieder abholen. Kohlhaas, über eine so unverschämte Forderung
  betreten, sagte dem Junker, der sich die Wamsschöße frierend vor den
  Leib hielt, daß er die Rappen ja verkaufen wolle; doch dieser, da in
  demselben Augenblick ein Windstoß eine ganze Last von Regen und Hagel
  durchs Tor jagte, rief, um der Sache ein Ende zu machen: wenn er die
  Pferde nicht loslassen will, so schmeißt ihn wieder über den
  Schlagbaum zurück; und ging ab. Der Roßkamm, der wohl sah, daß er
  hier der Gewalttätigkeit weichen mußte, entschloß sich, die Forderung,
  weil doch nichts anders übrig blieb, zu erfüllen; spannte die Rappen
  aus, und führte sie in einen Stall, den ihm der Schloßvogt anwies.
  Er ließ einen Knecht bei ihnen zurück, versah ihn mit Geld, ermahnte
  ihn, die Pferde, bis zu seiner Zurückkunft, wohl in acht zu nehmen,
  und setzte seine Reise, mit dem Rest der Koppel, halb und halb
  ungewiß, ob nicht doch wohl, wegen aufkeimender Pferdezucht, ein
  solches Gebot, im Sächsischen, erschienen sein könne nach Leipzig, wo
  er auf die Messe wollte, fort.
  In Dresden, wo er, in einer der Vorstädte der Stadt, ein Haus mit
  einigen Ställen besaß, weil er von hier aus seinen Handel auf den
  kleineren Märkten des Landes zu bestreiten pflegte, begab er sich,
  gleich nach seiner Ankunft, auf die Geheimschreiberei, wo er von den
  Räten, deren er einige kannte, erfuhr, was ihm allerdings sein erster
  Glaube schon gesagt hatte, daß die Geschichte von dem Paßschein ein
  Märchen sei. Kohlhaas, dem die mißvergnügten Räte, auf sein Ansuchen,
  einen schriftlichen Schein über den Ungrund derselben gaben,
  lächelte über den Witz des dürren Junkers, obschon er noch nicht
  recht einsah, was er damit bezwecken mochte; und die Koppel der
  Pferde, die er bei sich führte, einige Wochen darauf, zu seiner
  Zufriedenheit, verkauft, kehrte er, ohne irgend weiter ein bitteres
  Gefühl, als das der allgemeinen Not der Welt, zur Tronkenburg zurück.
  Der Schloßvogt, dem er den Schein zeigte, ließ sich nicht weiter
  darüber aus, und sagte, auf die Frage des Roßkamms, ob er die Pferde
  jetzt wieder bekommen könne: er möchte nur hinunter gehen und sie
  holen. Kohlhaas hatte aber schon, da er über den Hof ging, den
  unangenehmen Auftritt, zu erfahren, daß sein Knecht, ungebührlichen
  Betragens halber, wie es hieß, wenige Tage nach dessen Zurücklassung
  in der Tronkenburg, zerprügelt und weggejagt worden sei. Er fragte
  den Jungen, der ihm diese Nachricht gab, was denn derselbe getan? und
  wer während dessen die Pferde besorgt hätte? worauf dieser aber
  erwiderte, er wisse es nicht, und darauf dem Roßkamm, dem das Herz
  schon von Ahnungen schwoll, den Stall, in welchem sie standen,
  öffnete. Wie groß war aber sein Erstaunen, als er, statt seiner zwei
  glatten und wohlgenährten Rappen, ein Paar dürre, abgehärmte Mähren
  erblickte; Knochen, denen man, wie Riegeln, hätte Sachen aufhängen
  können; Mähnen und Haare, ohne Wartung und Pflege, zusammengeknetet:
  das wahre Bild des Elends im Tierreiche! Kohlhaas, den die Pferde,
  mit einer schwachen Bewegung, anwieherten, war auf das äußerste
  entrüstet, und fragte, was seinen Gaulen widerfahren wäre? Der Junge,
  der bei ihm stand, antwortete, daß ihnen weiter kein Unglück
  zugestoßen wäre, daß sie auch das gehörige Futter bekommen hätten,
  daß sie aber, da gerade Ernte gewesen sei, wegen Mangels an Zugvieh,
  ein wenig auf den Feldern gebraucht worden wären. Kohlhaas fluchte
  über diese schändliche und abgekartete Gewalttätigkeit, verbiß jedoch,
  im Gefühl seiner Ohnmacht, seinen Ingrimm, und machte schon, da doch
  nichts anders übrig blieb, Anstalten, das Raubnest mit den Pferden
  nur wieder zu verlassen, als der Schloßvogt, von dem Wortwechsel
  herbeigerufen, erschien, und fragte, was es hier gäbe? Was es gibt?
  antwortete Kohlhaas. Wer hat dem Junker von Tronka und dessen Leuten
  die Erlaubnis gegeben, sich meiner bei ihm zurückgelassenen Rappen
  zur Feldarbeit zu bedienen? Er setzte hinzu, ob das wohl menschlich
  wäre? versuchte, die erschöpften Gaule durch einen Gertenstreich zu
  erregen, und zeigte ihm, daß sie sich nicht rührten. Der Schloßvogt,
  nachdem er ihn eine Weile trotzig angesehen hatte, versetzte: seht
  den Grobian! Ob der Flegel nicht Gott danken sollte, daß die Mähren
  überhaupt noch leben? Er fragte, wer sie, da der Knecht weggelaufen,
  hätte pflegen sollen? Ob es nicht billig gewesen wäre, daß die
  Pferde das Futter, das man ihnen gereicht habe, auf den Feldern
  abverdient hätten? Er schloß, daß er hier keine Flausen machen
  möchte, oder daß er die Hunde rufen, und sich durch sie Ruhe im Hofe
  zu verschaffen wissen würde.--Dem Roßhändler schlug das Herz gegen
  den Wams. Es drängte ihn, den nichtswürdigen Dickwanst in den Kot zu
  werfen, und den Fuß auf sein kupfernes Antlitz zu setzen. Doch sein
  Rechtgefühl, das einer Goldwaage glich, wankte noch; er war, vor der
  Schranke seiner eigenen Brust, noch nicht gewiß, ob eine Schuld
  seinen Gegner drücke; und während er, die Schimpfreden
  niederschluckend, zu den Pferden trat, und ihnen, in stiller Erwägung
  der Umstände, die Mähnen zurecht legte, fragte er mit gesenkter
  Stimme: um welchen Versehens halber der Knecht denn aus der Burg
  entfernt worden sei? Der Schloßvogt erwiderte: weil der Schlingel
  trotzig im Hofe gewesen ist! Weil er sich gegen einen notwendigen
  Stallwechsel gesträubt, und verlangt hat, daß die Pferde zweier
  Jungherren, die auf die Tronkenburg kamen, um seiner Mähren willen,
  auf der freien Straße übernachten sollten!--Kohlhaas hätte den Wert
  der Pferde darum gegeben, wenn er den Knecht zur Hand gehabt, und
  dessen Aussage mit der Aussage dieses dickmäuligen Burgvogts hätte
  vergleichen können. Er stand noch, und streifte den Rappen die
  Zoddeln aus, und sann, was in seiner Lage zu tun sei, als sich die
  Szene plötzlich änderte, und der Junker Wenzel von Tronka, mit einem
  Schwarm von Rittern, Knechten und Hunden, von der Hasenhetze kommend,
  in den Schloßplatz sprengte. Der Schloßvogt, als er fragte, was
  vorgefallen sei, nahm sogleich das Wort, und während die Hunde, beim
  Anblick des Fremden, von der einen Seite, ein Mordgeheul gegen ihn
  anstimmten, und die Ritter ihnen, von der andern, zu schweigen
  geboten, zeigte er ihm, unter der gehässigsten Entstellung der Sache,
  an, was dieser Roßkamm, weil seine Rappen ein wenig gebraucht worden
  wären, für eine Rebellion verführe. Er sagte, mit Hohngelächter, daß
  er sich weigere, die Pferde als die seinigen anzuerkennen. Kohlhaas
  rief: "das sind nicht meine Pferde, gestrenger Herr! Das sind die
  Pferde nicht, die dreißig Goldgülden wert waren! Ich will meine
  wohlgenährten und gesunden Pferde wieder haben!"--Der Junker, indem
  ihm eine flüchtige Blässe ins Gesicht trat, stieg vom Pferde, und
  sagte: wenn der H... A... die Pferde nicht wiedernehmen will, so mag
  er es bleiben lassen. Komm, Günther! rief er--Hans! Kommt! indem er
  sich den Staub mit der Hand von den Beinkleidern schüttelte; und:
  schafft Wein! rief er noch, da er mit den Rittern unter der Tür war;
  und ging ins Haus. Kohlhaas sagte, daß er eher den Abdecker rufen,
  und die Pferde auf den Schindanger schmeißen lassen, als sie so, wie
  sie wären, in seinen Stall zu Kohlhaasenbrück führen wolle. Er ließ
  die Gaule, ohne sich um sie zu bekümmern, auf dem Platz stehen,
  schwang sich, indem er versicherte, daß er sich Recht zu verschaffen
  wissen würde, auf seinen Braunen, und ritt davon.
  Spornstreichs auf dem Wege nach Dresden war er schon, als er, bei dem
  Gedanken an den Knecht, und an die Klage, die man auf der Burg gegen
  ihn führte, schrittweis zu reiten anfing, sein Pferd, ehe er noch
  tausend Schritt gemacht hatte, wieder wandte, und zur vorgängigen
  Vernehmung des Knechts, wie es ihm klug und gerecht schien, nach
  Kohlhaasenbrück einbog. Denn ein richtiges, mit der gebrechlichen
  Einrichtung der Welt schon bekanntes Gefühl machte ihn, trotz der
  erlittenen Beleidigungen, geneigt, falls nur wirklich dem Knecht, wie
  der Schloßvogt behauptete, eine Art von Schuld beizumessen sei, den
  Verlust der Pferde, als eine gerechte Folge davon, zu verschmerzen.
  Dagegen sagte ihm ein ebenso vertreffliches Gefühl, und dies Gefühl
  faßte tiefere und tiefere Wurzeln, in dem Maße, als er weiter ritt,
  und überall, wo er einkehrte, von den Ungerechtigkeiten hörte, die
  täglich auf der Tronkenburg gegen die Reisenden verübt wurden: daß
  wenn der ganze Vorfall, wie es allen Anschein habe, bloß abgekartet
  sein sollte, er mit seinen Kräften der Welt in der Pflicht verfallen
  sei, sich Genugtuung für die erlittene Kränkung, und Sicherheit für
  zukünftige seinen Mitbürgern zu verschaffen.
  Sobald er, bei seiner Ankunft in Kohlhaasenbrück, Lisbeth, sein
  treues Weib, umarmt, und seine Kinder, die um seine Kniee frohlockten,
  geküßt hatte, fragte er gleich nach Herse, dem Großknecht: und ob
  man nichts von ihm gehört habe? Lisbeth sagte: ja liebster Michael,
  dieser Herse! Denke dir, daß dieser unselige Mensch, vor etwa
  vierzehn Tagen, auf das jämmerlichste zerschlagen, hier eintrifft;
  nein, so zerschlagen, daß er auch nicht frei atmen kann. Wir bringen
  ihn zu Bett, wo er heftig Blut speit, und vernehmen, auf unsre
  wiederholten Fragen, eine Geschichte, die keiner versteht. Wie er
  von dir mit Pferden, denen man den Durchgang nicht verstattet, auf
  der Tronkenburg zurückgelassen worden sei, wie man ihn, durch die
  schändlichsten Mißhandlungen, gezwungen habe, die Burg zu verlassen,
  und wie es ihm unmöglich gewesen wäre, die Pferde mitzunehmen. So?
  sagte Kohlhaas, indem er den Mantel ablegte. Ist er denn schon
  wieder hergestellt?--Bis auf das Blutspeien, antwortete sie, halb und
  halb. Ich wollte sogleich einen Knecht nach der Tronkenburg schicken,
  um die Pflege der Rosse, bis zu deiner Ankunft daselbst, besorgen zu
  lassen. Denn da sich der Herse immer wahrhaftig gezeigt hat, und so
  getreu uns, in der Tat wie kein anderer, so kam es mir nicht zu, in
  seine Aussage, von so viel Merkmalen unterstützt, einen Zweifel zu
  setzen, und etwa zu glauben, daß er der Pferde auf eine andere Art
  verlustig gegangen wäre. Doch er beschwört mich, niemandem zuzumuten,
  sich in diesem Raubneste zu zeigen, und die Tiere aufzugeben, wenn
  ich keinen Menschen dafür aufopfern wolle.--Liegt er denn noch im
  Bette? fragte Kohlhaas, indem er sich von der Halsbinde befreite.--Er
  geht, erwiderte sie, seit einigen Tagen schon wieder im Hofe umher.
  Kurz, du wirst sehen, fuhr sie fort, daß alles seine Richtigkeit hat,
  und daß diese Begebenheit einer von den Freveln ist, die man sich
  seit kurzem auf der Tronkenburg gegen die Fremden erlaubt.--Das muß
  ich doch erst untersuchen, erwiderte Kohlhaas. Ruf ihn mir, Lisbeth,
  wenn er auf ist, doch her! Mit diesen Worten setzte er sich in den
  Lehnstuhl; und die Hausfrau, die sich über seine Gelassenheit sehr
  freute, ging, und holte den Knecht.
  Was hast du in der Tronkenburg gemacht? fragte Kohlhaas, da Lisbeth
  mit ihm in das Zimmer trat. Ich bin nicht eben wohl mit dir
  zufrieden.--Der Knecht, auf dessen blassem Gesicht sich, bei diesen
  Worten, eine Röte fleckig zeigte, schwieg eine Weile; und: da habt
  Ihr recht, Herr! antwortete er; denn einen Schwefelfaden, den ich
  durch Gottes Fügung bei mir trug, um das Raubnest, aus dem ich
  verjagt worden war, in Brand zu stecken, warf ich, als ich ein Kind
  darin jammern hörte, in das Elbwasser, und dachte: mag es Gottes
  Blitz einäschern; ich wills nicht!--Kohlhaas sagte betroffen: wodurch
  aber hast du dir die Verjagung aus der Tronkenburg zugezogen? Drauf
  Herse: durch einen schlechten Streich, Herr; und trocknete sich den
  Schweiß von der Stirn: Geschehenes ist aber nicht zu ändern. Ich
  wollte die Pferde nicht auf der Feldarbeit zu Grunde richten lassen,
  und sagte, daß sie noch jung wären und nicht gezogen hätten.
  --Kohlhaas erwiderte, indem er seine Verwirrung zu verbergen suchte,
  daß er hierin nicht ganz die Wahrheit gesagt, indem die Pferde schon
  zu Anfange des verflossenen Frühjahrs ein wenig im Geschirr gewesen
  wären. Du hättest dich auf der Burg, fuhr er fort, wo du doch eine
  Art von Gast warest, schon ein oder etliche Mal, wenn gerade, wegen
  schleunigst Einführung der Ernte Not war, gefällig zeigen können.
  --Das habe ich auch getan, Herr, sprach Herse. Ich dachte, da sie
  mir grämliche Gesichter machten, es wird doch die Rappen just nicht
  kosten. Am dritten Vormittag spannt ich sie vor, und drei Fuhren
  Getreide führt ich ein. Kohlhaas, dem das Herz emporquoll, schlug
  die Augen zu Boden, und versetzte: davon hat man mir nichts gesagt,
  Herse!--Herse versicherte ihn, daß es so sei. Meine Ungefälligkeit,
  sprach er, bestand darin, daß ich die Pferde, als sie zu Mittag kaum
  ausgefressen hatten, nicht wieder ins Joch spannen wollte; und daß
  ich dem Schloßvogt und dem Verwalter, als sie mir vorschlugen frei
  Futter dafür anzunehmen, und das Geld, das Ihr mir für Futterkosten
  zurückgelassen hattet, in den Sack zu stecken, antwortete--ich würde
  ihnen sonst was tun; mich umkehrte und wegging.--Um dieser
  Ungefälligkeit aber, sagte Kohlhaas, bist du von der Tronkenburg
  nicht weggejagt worden.--Behüte Gott, rief der Knecht, um eine
  gottvergessene Missetat! Denn auf den Abend wurden die Pferde zweier
  Ritter, welche auf die Tronkenburg kamen, in den Stall geführt, und
  meine an die Stalltür angebunden. Und da ich dem Schloßvogt, der sie
  daselbst einquartierte, die Rappen aus der Hand nahm, und fragte, wo
  die Tiere jetzo bleiben sollten, so zeigte er mir einen Schweinekoben
  an, der von Latten und Brettern an der Schloßmauer auferbaut war.--Du
  meinst, unterbrach ihn Kohlhaas, es war ein so schlechtes Behältnis
  für Pferde, daß es einem Schweinekoben ähnlicher war, als einem Stall.
  --Es war ein Schweinekoben, Herr, antwortete Herse; wirklich und
  wahrhaftig ein Schweinekoben, in welchem die Schweine aus- und
  einliefen, und ich nicht aufrecht stehen konnte.--Vielleicht war
  sonst kein Unterkommen für die Rappen aufzufinden, versetzte Kohlhaas;
  die Pferde der Ritter gingen, auf eine gewisse Art, vor.--Der Platz,
  erwiderte der Knecht, indem er die Stimme fallen ließ, war eng. Es
  hauseten jetzt in allem sieben Ritter auf der Burg. Wenn Ihr es
  gewesen wäret, Ihr hättet die Pferde ein wenig zusammenrücken lassen.
  Ich sagte, ich wolle mir im Dorf einen Stall zu mieten suchen; doch
  der Schloßvogt versetzte, daß er die Pferde unter seinen Augen
  behalten müsse, und daß ich mich nicht unterstehen solle, sie vom
  Hofe wegzuführen.--Hm! sagte Kohlhaas. Was gabst du darauf an?--Weil
  der Verwalter sprach, die beiden Gäste würden bloß übernachten, und
  am andern Morgen weiter reiten, so führte ich die Pferde in den
  Schweinekoben hinein. Aber der folgende Tag verfloß, ohne daß es
  geschah; und als der dritte anbrach, hieß es, die Herren würden noch
  einige Wochen auf der Burg verweilen.--Am Ende wars nicht so schlimm,
  Herse, im Schweinekoben, sagte Kohlhaas, als es dir, da du zuerst die
  Nase hineinstecktest, vorkam.--'s ist wahr, erwiderte jener. Da ich
  den Ort ein bissel ausfegte, gings an. Ich gab der Magd einen
  Groschen, daß sie die Schweine woanders einstecke. Und den Tag über
  bewerkstelligte ich auch, daß die Pferde aufrecht stehen konnten,
  indem ich die Bretter oben, wenn der Morgen dämmerte, von den Latten
  abnahm, und abends wieder auflegte. Sie guckten nun, wie Gänse, aus
  dem Dach vor, und sahen sich nach Kohlhaasenbrück, oder sonst, wo es
  besser ist, um.--Nun denn, fragte Kohlhaas, warum also, in aller Welt,
  jagte man dich fort?--Herr, ich sags Euch, versetzte der Knecht,
  weil man meiner los sein wollte. Weil sie die Pferde, so lange ich
  dabei war, nicht zu Grunde richten konnten. überall schnitten sie mir,
  im Hofe und in der Gesindestube, widerwärtige Gesichter; und weil
  ich dachte, zieht ihr die Mäuler, daß sie verrenken, so brachen sie
  die Gelegenheit vom Zaune, und warfen mich vom Hofe herunter.--Aber
  die Veranlassung! rief Kohlhaas. Sie werden doch irgend eine
  Veranlassung gehabt haben!--O allerdings, antwortete Herse, und die
  allergerechteste. Ich nahm, am Abend des zweiten Tages, den ich im
  Schweinekoben zugebracht, die Pferde, die sich darin doch zugesudelt
  hatten, und wollte sie zur Schwemme reiten. Und da ich eben unter
  dem Schloßtore bin, und mich wenden will, hör ich den Vogt und den
  Verwalter, mit Knechten, Hunden und Prügeln, aus der Gesindestube
  hinter mir herstürzen, und: halt, den Spitzbuben! rufen: halt, den
  Galgenstrick! als ob sie besessen wären. Der Torwächter tritt mir in
  den Weg; und da ich ihn und den rasenden Haufen, der auf mich anläuft,
  frage: was auch gibts? was es gibt? antwortete der Schloßvogt; und
  
You have read 1 text from German literature.