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Ausgewählte Schriften - 12

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  Worauf jener, nach einer kurzen Besinnung das Wort nahm und sprach:
  "Ihr Name war Mariane Congreve und ihre Vaterstadt Straßburg. Ich
  hatte sie in dieser Staelt, wo ihr Vater Kaufmann war, kurz vor dem
  Ausbruch der Revolution kennen gelernt, und war glücklich genug
  gewesen, ihr Jawort und vorläufig auch ihrer Mutter Zustimmung zu
  erhalten. Ach, es war die treuste Seele umter der Sonne; und die
  schrecklichen und rührenden Umstände, unter denen ich sie verlor,
  werden mir, wenn ich dich ansehe, so gegenwärtig, daß ich mich vor
  Wehmut der Tränen nicht enthalten kann." "Wie?" sagte Toni, indem sie
  sich herzlich und innig an ihn drückte: "sie lebt nicht mehr?"
  "Sie starb", antwortete der Fremde, "und ich lernte den Inbegriff
  aller Güte und Vortrefflichkeit erst mit ihrem Tode kennen. Gott
  weiß", fuhr er fort, indem er sein Haupt schmerzlich an ihre Schulter
  lehnte, "wie ich die Unbesonnenheit so weit treiben konnte, mir eines
  Abends an einem öffentlichen Ort Äußerungen über das eben errichtete
  furchtbare Revolutionstribunal zu erlauben. Man verklagte, man
  suchte mich--ja, in Ermangelung meiner, der glücklich genug gewesen
  war, sich in die Vorstadt zu retten, lief die Rotte meiner rasenden
  Verfolger, die ein Opfer haben mußte, nach der Wohnung meiner Braut,
  und durch ihre wahrhaftige Versicherung, daß sie nicht wisse, wo ich
  sei, erbittert, schleppte man dieselbe, unter dem Vorwand, daß sie
  mit mir im Einverständnis sei, mit unerhörter Leichtfertigkeit statt
  meiner auf den Richtplatz. Kaum war mir diese entsetzliche Nachricht
  hinterbracht worden, als ich sogleich aus dem Schlupfwinkel, in
  welchen ich mich geflüchtet hatte, hervortrat, und indem ich, die
  Menge durchbrechend, nach dem Richtplatz eilte, laut ausrief: Hier,
  ihr Unmenschlichen, hier bin ich! Doch sie, die schon auf dem
  Gerüste der Guillotine stand, antwortete auf die Frage einiger
  Richter, denen ich unglücklicher Weise fremd sein mußte, indem sie
  sich mit einem Blick, der mir unauslöschlich in die Seele geprägt ist,
  von mir abwandte: diesen Menschen kenne ich nicht!--worauf unter
  Trommeln und Larmen, von den ungeduldigen Blutmenschen angezettelt,
  das Eisen, wenige Augenblicke nachher, herabfiel, und ihr Haupt von
  seinem Rumpfe trennte.--Wie ich gerettet worden bin, das weiß ich
  nicht; ich befand mich, eine Viertelstunde darauf, in der Wohnung
  eines Freundes, wo ich aus einer Ohnmacht in die andere fiel, und
  halbwahnwitzig gegen Abend aufeinen Wagen geladen und über den Rhein
  geschafft wurden"
  Bei diesen Worten trat der Fremde, indem er das Mädchen losließ, an
  das Fenster; und da diese sah, daß er sein Gesicht sehr gerührt in
  ein Tuch drückte: so übernahm sie, von manchen Seiten geweckt, ein
  menschliches Gefühl; sie folgte ihm mit einer plötzlichen Bewegung,
  fiel ihm um den Hals, und mischte ihre Tränen mit den seinigen. Was
  weiter erfolgte, brauchen wir nicht zu melden, weil es jeder, der an
  diese Stelle kommt, von selbst liest. Der Fremde, als er sich wieder
  gesammlet hatte, wußte nicht, wohin ihn die Tat, die er begangen,
  führen würde; inzwischen sah er so viel ein, daß er gerettet, und in
  dem Hause, in welchem er sich befand, für ihn nichts von dem Mädchen
  zu befürchten war. Er versuchte, da er sie mit verschränkten Armen
  auf dem Bett weinen sah, alles nur Mögliche, um sie zu beruhigen. Er
  nahm sich das kleine goldene Kreuz, ein Geschenk der treuen Mariane,
  seiner abgeschiedenen Braut, von der Brust; und, indem er sich unter
  unendlichen Liebkosungen über sie neigte, hing er es ihr als ein
  Brautgeschenk, wie er es nannte, um den Hals. Er setzte sich, da sie
  in Tränen zerfloß und auf seine Worte nicht hörte, auf den Rand des
  Bettes nieder, und sagte ihr, indem er ihre Hand bald streichelte,
  bald küßte: daß er bei ihrer Mutter am Morgen des nächsten Tages um
  sie anhalten wolle. Er beschrieb ihr, welch ein kleines Eigentum,
  frei und unabhängig, er an den Ufern der Aar besitze; eine Wohnung,
  bequem und geräumig genug, sie und auch ihre Mutter, wenn ihr Alter
  die Reise zulasse, darin aufzunehmen; Felder, Gärten, Wiesen und
  Weinberge; und einen alten ehrwürdigen Vater, der sie dankbar und
  liebreich daselbst, weil sie seinen Sohn gerettet, empfangen würde.
  Er schloß sie, da ihre Tränen in umendlichen Ergießungen auf das
  Bettkissen niederflossen, in seine Arme, und fragte sie, von Rührung
  selber ergriffen: was er ihr zu Leide getan und ob sie ihm nicht
  vergeben könne? Er schwor ihr, daß die Liebe für sie nie aus seinem
  Herzen weichen würde, und daß nur, im Taumel wunderbar verwirrter
  Sinne, eine Mischung von Begierde und Angst, die sie ihm eingeflößt,
  ihn zu einer solchen Tat habe verführen können. Er erinnerte sie
  zuletzt, daß die Morgensterne funkelten, und daß, wenn sie länger im
  Bette verweilte, die Mutter kommen und sie darin überraschen würde;
  er forderte sie, ihrer Gesundheit wegen, auf, sich zu erheben und
  noch einige Stunden auf ihrem eignen Lager auszuruhen; er fragte sie,
  durch ihren Zustand in die entsetzlichsten Besorgnisse gestürzt, ob
  er sie vielleicht in seinen Armen aufheben und in ihre Kammer tragen
  solle; doch da sie auf alles, was er vorbrachte, nicht antwortete,
  und, ihr Haupt stilljammernd, ohne sich zu rühren, in ihre Arme
  gedrückt, auf den verwirrten Kissen des Bettes dalag: so blieb ihm
  zuletzt, hell wie der Tag schon durch beide Fenster schimmerte,
  nichts übrig, als sie, ohne weitere Rücksprache, aufzuheben; er trug
  sie, die wie eine Leblose von seiner Schulter niederhing, die Treppe
  hinauf in ihre Kammer, und nachdem er sie auf ihr Bette niedergelegt,
  und ihr unter tausend Liebkosungen noch einmal alles, was er ihr
  schon gesagt, wiederholt hatte, nannte er sie noch einmal seine liebe
  Braut, drückte einen Kuß auf ihre Wangen, und eilte in sein Zimmer
  zurück. Sobald der Tag völlig angebrochen war, begab sich die alte
  Babekan zu ihrer Tochter hinauf, und eröffnete ihr, indem sie sich an
  ihr Bett niedersetzte, welch einen Plan sie mit dem Fremden sowohl,
  als seiner Reisegesellschaft vorhabe. Sie meinte, daß, da der Neger
  Congo Hoango erst in zwei Tagen wiederkehre, alles darauf ankäme, den
  Fremden während dieser Zeit in dem Hause hinzuhalten, ohne die
  Familie seiner Angehörigen, deren Gegenwart, ihrer Menge wegen,
  gefährlich werden könnte, darin zuzulassen. Zu diesem Zweck, sprach
  sie, habe sie erdacht, dem Fremden vorzuspiegeln, daß, einer soeben
  eingelaufenen Nachricht zufolge, der General Dessalines sich mit
  seinem Heer in diese Gegend wenden werde, und daß man mithin, wegen
  allzugroßer Gefahr, erst am dritten Tage, wenn er vorüber wäre, würde
  möglich machen können, die Familie, seinem Wunsche gemäß, in dem
  Hause aufzunehmen. Die Gesellschaft selbst, schloß sie, müsse
  inzwischen, damit sie nicht weiter reise, mit Lebensmitteln versorgt,
  und gleichfalls, um sich ihrer späterhin zu bemächtigen, in dem Wahn,
  daß sie eine Zuflucht in dem Hause finden werde, hingehalten werden.
  Sie bemerkte, daß die Sache wichtig sei, indem die Familie
  wahrscheinlich beträchtliche Habseligkeiten mit sich führe; und
  forderte die Tochter auf, sie aus allen Kräften in dem Vorhaben, das
  sie ihr angegeben, zu unterstützen. Toni, halb im Bette aufgerichtet,
  indem die Röte des Unwillens ihr Gesicht überflog, versetzte: "daß
  es schändlich tmd niederträchtig wäre, das Gastrecht an Personen, die
  man in das Haus gelockt, also zu verletzen". Sie meinte, daß ein
  Verfolgter, der sich ihrem Schutz anvertraut, doppelt sicher bei
  ihnen sein sollte; und versicherte, daß, wenn sie den blutigen
  Anschlag, den sie ihr geäußert, nicht aufgäbe, sie aufder Stelle
  hingehen und dem Fremden anzeigen würde, welch eine Mördergrube das
  Haus sei, in welchem er geglaubt habe, seine Rettung zu finden.
  "Toni!" sagte die Mutter, indem sie die Arme in die Seite stemmte,
  und dieselbe mit großen Augen ansah.--"Gewiß!" erwiderte Toni, indem
  sie die Stimme senkte. "Was hat uns dieser Jüngling, der von Geburt
  gar nicht einmal ein Franzose, sondern, wie wir gesehen haben, ein
  Schweizer ist, zu Leide getan, daß wir, nach Art der Räuber, über ihn
  herfallen, ihn töten und ausplündern wollen? Gelten die Beschwerden,
  die man hier gegen die Pflanzer führt, auch in der Gegend der Insel,
  aus welcher er herkömmt? Zeigt nicht vielmehr alles, daß er der
  edelste und vortrefflichste Mensch ist, und gewiß das Unrecht, das
  die Schwarzen seiner Gattung vorwerfen mögen, auf keine Weise teilt?"
  Die Alte, während sie den sonderbaren Ausdruck des Mädchens
  betrachtete, sagte bloß mit bebenden Lippen: daß sie erstaune. Sie
  fragte, was der junge Portugiese verschuldet, den man unter dem
  Torweg kürzlich mit Keulen zu Boden geworfen habe? Sie fragte, was
  die beiden Holländer verbrochen, die vor drei Wochen durch die Kugeln
  der Neger im Hofe gefallen wären? Sie wollte wissen, was man den
  drei Franzosen und so vielen andern einzelnen Flüchtlingen, vom
  Geschlecht der Weißen, zur Last gelegt habe, die mit Büchsen, Spießen
  und Dolchen, seit dem Ausbruch der Empörung, im Hause hingerichtet
  worden wären? "Beim Licht der Sonne", sagte die Tochter, indem sie
  wild aufstand "du hast sehr Unrecht, mich an diese Greueltaten zu
  erinnern! Die Unmenschlichkeiten, an denen ihr mich Teil zu nehmen
  zwingt, empörten längst mein innerstes Gefühl; und um mir Gottes
  Rache wegen alles, was vorgefallen, zu versöhnen, so schwöre ich dir,
  daß ich eher zehnfachen Todes sterben, als zugeben werde, daß diesem
  Jüngling, so lange er sich in unserm Hause befindet, auch nur ein
  Haar gekrümmt werde."
  "Wohlan", sagte die Alte, mit einem plötzlichen Ausdruck von
  Nachgiebigkeit: "so mag der Fremde reisen! Aber wenn Congo Hoango
  zurückkömmt", setzte sie hinzu, indem sie um das Zimmer zu verlassen,
  aufstand, "und erfährt, daß ein Weißer in unsern Hause übernachtet
  hat, so magst du das Mitleiden, das dich bewog, ihn gegen das
  ausdrückliche Gebot wieder abziehen zu lassen, verantworten". Auf
  diese Äußerung, bei welcher, trotz aller scheinbarerz Milde, der
  Ingrimm der Alten heimlich hervorbrach, blieb das Mädchen in nicht
  geringer Bestürzung im Zimmer zurück. Sie kannte den Haß der Alten
  gegen die Weißen zu gut, als daß sie hätte glauben können, sie werde
  eine solche Gelegenheit, ihn zu sättigen, ungenutzt vorüber gehen
  lassen. Furcht, daß sie sogleich in die benachbarten Pflanzungen
  schicken und die Neger zur Überwältigung des Fremden herbeirufen
  möchte, bewog sie, sich anzukleiden und ihr unverzüglich in das
  untere Wohnzimmer zu folgen. Sie stellte sich, während diese
  verstört den Speiseschrank, bei welchem sie ein Geschäft zu haben
  schien, verließ, und sich an einen Spinnrocken niedersetzte, vor das
  an die Tür geschlagene Mandat, in welchem allen Schwarzen bei
  Lebensstrafe verboten war, den Weißen Schutz und Obdach zu geben; und
  gleichsam als ob sie, von Schrecken ergriffen, das Unrecht, das sie
  begangen, einsähe, wandte sie sich plötzlich, und fiel der Mutter,
  die sie, wie sie wohl wußte, von hinten beobachtet hatte, zu Füßen.
  Sie bat, die Kniee derselben umklammernd, ihr die rasenden Äußerungen,
  die sie sich zu Gunsten des Fremden erlaubt, zu vergeben;
  entschuldigte sich mit dem Zustand, halb träumend, halb wachend, in
  welchem sie von ihr mit den Vorschlägen zu seiner Überlistung, da sie
  noch im Bette gelegen, überrascht worden sei, und meinte, daß sie ihn
  ganz und gar der Rache der bestehenden Landesgesetze, die seine
  Vernichtung einmal beschlossen, preis gäbe. Die Alte, nach einer
  Pause, in der sie das Mädchen unverwandt betrachtete, sagte: "Beim
  Himmel, diese deine Erklärung rettet ihm für heute das Leben! Denn
  die Speise, da du ihn in deinen Schutz zu nehmen drohtest, war schon
  vergiftet, die ihn der Gewalt Congo Hoangos, seinem Befehl gemäß,
  wenigstens tot überliefert haben würde." Und damit stand sie auf und
  schüttete einen Topf mit Milch, der auf dem Tisch stand, aus dem
  Fenster. Toni, welche ihren Sinnen nicht traute, starrte, von
  Entsetzen ergriffen, die Mutter an. Die Alte während sie sich wieder
  niedersetzte, und das Mädchen, das noch immer auf den Knieen dalag,
  vom Boden aufhob, fragte: "was denn im Lauf einer einzigen Nacht ihre
  Gedanken so plötzlich umgewandelt hätte? Ob sie gestern, nachdem sie
  ihm das Bad bereitet, noch lange bei ihm gewesen wäre? Und ob sie
  viel mit dem Fremden gesprochen hätten?" Doch Toni, deren Brust flog,
  antwortete hierauf nicht, oder nichts Bestimmtes; das Auge zu Boden
  geschlagen, stand sie, indem sie sich den Kopf hielt, und berief sich
  auf einen Traum; ein Blick jedoch auf die Brust ihrer unglücklichen
  Mutter, sprach sie, indem sie sich rasch bückte und ihre Hand küßte,
  rufe ihr die ganze Unmenschlichkeit der Gattung, zu der dieser Fremde
  geköre, wieder ins Gedächtnis zurück: und beteuerte, indem sie sich
  umkehrte und das Gesicht im ihre Schürze drückte, daß, sobald der
  Neger Hoango eingetroffen wäre, sie sehen würde, was sie an ihr für
  eine Tochter habe. Babekan saß noch in Gedanken versenkt, und erwog,
  woher wohl die sonderbare Leidenschaftlichkeit des Mädchens
  entspringe: als der Fremde mit einem in seinem Schlafgemach
  geschriebenen Zettel, worin er die Familie einlud, einige Tage in der
  Pflanzung des Negers Hoango zuzubringen, in das Zimmer trat. Er
  grüßte sehr heiter und freundlich die Mutter und die Tochter, und bat,
  indem er der Alten den Zettel übergab: daß man sogleich in die
  Waldung schicken und für die Gesellschaft, dem ihm gegebenen
  Versprechen gemäß, Sorge tragen möchte. Babekan stand auf und sagte,
  mit einem Ausdruck von Unruhe, indem sie den Zettel in den
  Wandschrank legte: "Herr, wir müssen Euch bitten, Euch sogleich in
  Euer Schlafzimmer zurück zu verfügen. Die Straße ist voll von
  einzelnen Negertrupps, die vorüberziehen und uns anmelden, daß sich
  der General Dessalines mit seinem Heer in diese Gegend wenden werde.
  Dies Haus, das jedem offen steht, gewährt Euch keine Sicherheit,
  falls Ihr Euch nicht in Eurem, auf den Hof hinausgehenden,
  Schlafgemach verbergt, und die Türen sowohl, als auch die
  Fensterladen, auf das sorgfältigste verschließt."
  "Wie?" sagte der Fremde betroffen: "der General Dessalines?"--"Fragt
  nicht!" unterbrach ihn die Alte, indem sie mit einem Stock dreimal
  auf den Fußboden klopfte: "in Eurem Schlafgemach, wohin ich Euch
  folgen werde, will ich Euch alles erklären." Der Fremde von der Alten
  mit ängstlichen Gebärden aus dem Zimmer gedrängt, wandte sich noch
  einmal unter der Tür und rief: "aber wird man der Familie, die meiner
  harrt, nicht wenigstens einen Boten zusenden müssen, der sie--?" "Es
  wird alles besorgt werdeng fiel ihm die Alte ein, während, durch ihr
  Klopfen gerufen, der Bastardknabe, den wir schon kennen, hereinkam;
  und damit befahl sie Toni, die, dem Fremden den Rücken zukehrend, vor
  den Spiegel getreten war, einen Korb mit Lebensmitteln, der in dem
  Winkel stand, aufzunehmen; und Mutter, Tochter, der Fremde und der
  Knabe begaben sich im das Schlafzimmer hinauf Hier erzählte die Alte,
  indem sie sich auf gemächliche Weise auf den Sessel niederließ, wie
  man die ganze Nacht über auf den, den Horizont abschneidenden Bergen,
  die Feuer des Generals Dessalines schimmern gesehen: ein Umstand, der
  in der Tat gegründet war, obschon sich bis diesen Augenblick noch
  kein einziger Neger von seinem Heer, das südwestlich gegen Port au
  Prince anrückte, in dieser Gegend gezeigt hatte. Es gelang ihr, den
  Fremden dadurch in einen Wirbel von Unruhe zu stürzen, den sie jedoch
  nachher wieder durch die Versicherung, daß sie alles Mögliche, selbst
  in dem schlimmen Fall, daß sie Einquartierung bekäme, zu seiner
  Rettung beitragen würde, zu stillen wußte. Sie nahm, auf die
  wiederholte inständige Erinnerung desselben, unter diesen Umständen
  seiner Familie wenigstens mit Lebensmitteln beizuspringen, der
  Tochter den Korb aus der Hand, und indem sie ihn dem Knaben gab,
  sagte sie ihm: er solle an den Möwenweiher, in die nahgelegnen
  Waldberge hinaus gehen, und ihn der daselbst befindlichen Familie des
  fremden 0ffziers überbringen. "Der Offizier selbst", solle er
  hinzusetzen, "befinde sich wohl; Freunde der Weißen, die selbst viel
  der Partei wegen, die sie ergriffen, von den Schwarzen leiden müßten,
  hätten ihn in ihrem Hause mitleidig aufgenommen." Sie schloß, daß
  sobald die Landstraße nur von den bewaffneten Negerhaufen, die man
  erwartete, befreit wäre, man sogleich Anstalten treffen würde, auch
  ihr, der Familie, ein Unterkommen in diesem Hause zu verschaffen.
  --"Hast du verstanden?" fragte sie, da sie geendet hatte. Der Knabe,
  indem er den Korb aufseinen Kopfsetzte, antwortete: daß er den ihm
  beschriebenen Möwenweiher, ars dem er zuweilen mit seinen Kameraden
  zu fischen pflege, gar wohl kenne, und daß er alles, wie man es ihm
  aufgetragen, an die da selbst übemachtende Familie des fremden Herrn
  bestellen würde. Der Fremde zog sich, auf die Frage der Alten: "ob
  er noch etwas hinzuzusetzen hätte?" noch einen Ring vom Finger, und
  händigte ihn dem Knaben ein, mit dem Auftrag, ihn zum Zeichen, daß es
  mit den überbrachten Meldungen seine Richtigkeit habe, dem Oberhaupt
  der Familie, Herrn Strömli, zu übergeben. Hierauf traf die Mutter
  mehrere, die Sicherheit des Fremden, wie sie sagte, abzweckende
  Veranstaltungen; befahl Toni, die Fensterladen zu verschließen, und
  zündete selbst, um die Nacht, die dadurch in dem Zimmer herrschend
  geworden war, zu zerstreuen, an einem auf dem Kaminsims befindlichen
  Feuerzeug, nicht ohne Mühseligkeit, indem der Zunder nicht fangen
  wollte, ein Licht an. Der Fremde benutzte diesen Augenblick, um den
  Arm sanft um Tonis Leib zu legen, und ihr ins Ohr zu flüstern: wie
  sie geschlafen? Und: ob er die Mutter nicht von dem, was vorgefallen,
  unterrichten solle? Doch auf die erste Frage antwortete Toni nicht,
  und auf die andere versetzte sie, indem sie sich aus seinem Arm
  loswand: nein, wenn Ihr mich liebt, kein Wort! Sie unterdrückte die
  Angst, die alle diese lügenhaften Anstalten in ihr erweckten; und
  unter dem Vorwand, dem Fremden ein Frühstück zu bereiten, stürzte sie
  eilig in das untere Wohnzimmer herab. Sie nahm aus dem Schrank der
  Mutter den Brief, worin der Fremde in seiner Unschuld die Familie
  eingeladen hatte, dem Knaben in die Niederlassung zu folgen: und auf
  gut Glück hin, ob die Mutter ihn vermissen würde, entschlossen, im
  schlimmsten Falle den Tod mit ihm zu leiden, flog sie damit dem schon
  auf der Landstraße wandernden Knaben nach. Denn sie sah den Jüngling,
  vor Gott und ihrem Herzen, nicht mehr als einen bloßen Gast, dem sie
  Schutz und Obdach gegeben, sondern als ihren Verlobten und Gemahl an,
  und war willens, sobald nur seine Partei im Hause stark genug sein
  würde, dies der Mutter, auf deren Bestürzung sie unter diesen
  Umständen rechnete, ohne Rückhalt zu erklären. "Nanky", sprach sie,
  da sie den Knaben atemlos und eilfertig auf der Landstraße erreicht
  hatte: "die Mutter hat ihren Plan, die Familie Herrn Strömlis
  anbetreffend, umgeändert. Nimm diesen Brief! Er lautet an Herrn
  Strömli, das alte Oberhaupt der Familie, und enthält die Einladung,
  einige Tage mit allem, was zu ihm gehört, in unserer Niederlassung zu
  verweilen.--Sei klug und trage selbst alles Mögliche dazu bei, diesen
  Entschluß zur Reife zu bringen; Congo Hoango, der Neger, wird, wenn
  er wiederkommt, es dir lohnen!" "Gut, gut, Base Toni", antwortete der
  Knabe. Er fragte, indem er den Brief sorgsam eingewickelt in seine
  Tasche steckte: "und ich soll dem Zuge, auf seinem Wege hierher, zum
  Führer dienen?" "AIIerdings", versetzte Toni; "das versteht sich,
  weil sie die Gegend nicht kennen, von selbst. Doch wirst du,
  möglicher Truppenmärsche wegen, die auf der Landstraße statt finden
  könnten, die Wanderung eher nicht, als um Mitternacht antreten; aber
  dann dieselbe auch so beschleunigen, daß du vor der Dämmerung des
  Tages hier eintriffst.--Kann man sich auf dich verlassen?" fragte sie.
  "Verlaßt euch auf Nanky!" antwortete der Knabe; "ich weiß, warum
  ihr diese weißen Flüchtlinge in die Pflanzung lockt, und der Neger
  Hoango soll mit mir zufrieden sein!" Hierauf trug Toni dem Fremden
  das Frühstück auf; und nachdem es wieder abgenommen war, begaben sich
  Mutter und Tochter, ihrer häuslichen Geschäfte wegen, in das vordere
  Wohnzimmer zurück. Es konnte nicht auffallen, daß die Mutter einige
  Zeit darauf an den Schrank trat, und, wie es natürlich war, den Brief
  vermißte. Sie legte die Hand, ungläubig gegen ihr Gedächtnis, einen
  Augenblick an den Kopf, und fragte Toni: wo sie den Brief, den ihr
  der Fremde gegeben, wohl hingelegt haben könne? Toni antwortete nach
  einer kurzen Pause, in der sie auf den Boden niedersaß: daß ihn der
  Fremde ja, ihres Wissens, wieder eingesteckt und oben im Zimmer, in
  ihrer beider Gegenwart, zerrissen habe! Die Mutter schaute das
  Mädchen mit großen Augen an; sie meinte, sich bestimmt zu erinnern,
  daß sie den Brief aus seiner Hand empfangen und in den Schrank gelegt
  habe; doch da sie ihn nach vielem vergeblichen Suchen darin nicht
  fand und ihrem Gedächtnis, mehrere ähnlichen Vorfälle wegen,
  mißtraute: so blieb ihr zuletzt nichts übrig, als der Meinung, die
  ihr die Tochter geäußert, Glauben zu schenken. Inzwischen konnte sie
  ihr lebhaftes Mißvergnügen über diesen Umstand nicht unterdrücken,
  und meinte, daß der Brief dem Neger Hoango, um die Familie in die
  Pflanzung hereinzubringen, von der größten Wichtigkeit gewesen sein
  würde. Am Mittag und Abend, da Toni den Fremden mit Speisen bediente,
  nahm sie, zu seiner Unterhaltung an der Tischecke sitzend,
  mehreremal Gelegenheit, ihn nach dem Briefe zu fragen; doch Toni war
  geschickt genug, das Gespräch, so oft es auf diesen gefährlichen
  Punkt kam, abzulenken oder zu verwirren; dergestalt, daß die Mutter
  durch die Erklärungen des Fremden über das eigentliche Schicksal des
  Briefes auf keine Weise ins Reine kam. So verfloß der Tag; die
  Mutter verschloß nach dem Abendessen aus Vorsicht, wie sie sagte, des
  Fremden Zimmer; und nachdem sie noch mit Toni überlegt hatte, durch
  welche List sie sich von neuem, am folgenden Tage, in den Besitz
  eines solchen Briefes setzen könne, begab sie sich zur Ruhe, und
  befahl dem Mädchen gleichfalls, zu Bette zu gehen. Sobald Toni, die
  diesen Augenblick mit Sehnsucht erwartet hatte, ihre Schlafkammer
  erreicht und sich überzeugt hatte, daß die Mutter entschlummert war,
  stellte sie das Bildnis der heiligen Jungfrau, das neben ihrem Bette
  hing, auf einen Sessel, und ließ sich mit verschränkten Händen auf
  Knieen davor nieder. Sie flehte den Erlöser, ihren göttlichen Sohn,
  in einem Gebet voll unendlicher Inbrunst, um Mut und Standhaftigkeit
  an, dem Jüngling, dem sie sich zu eigen gegeben, das Geständnis der
  Verbrechen, die ihren jungen Busen beschwerten, abzulegen. Sie
  gelobte, diesem, was es ihrem Herzen auch kosten würde, nichts, auch
  nicht die Absicht, erbarmungslos und entsetzlich, in der sie ihn
  gestern in das Haus gelockt, zu verbergen; doch um der Schritte
  willen, die sie bereits zu seines Rettung getan, wünschte sie, daß
  ihr vergeben, und sie als sein treues Weib mit sich nach Europa
  führen möchte. Durch dies Gebet wunderbar gestärkt, ergriff sie,
  indem sie aufstand, den Hauptschlüssel, das alle Gemächer des Hauses
  schloß, und schritt damit langsam, ohne Licht, über den schmalen Gang,
  den das Gebäude durchschnitt, dem Schlafgemach des Fremden zu. Sie
  öffnete das Zimmer leise und trat vor sein Bett, wo er in tiefen
  Schlaf versenkt ruhte. Der Mond beschien sein blühendes Antlitz, und
  der Nachtwind, das durch die geöffneten Fenster eindrang, spielte mit
  dem Haar auf seiner Stirn. Sie neigte sich sanft über ihn und rief
  ihn, seinen süßen Atem einsaugend beim Namen; aber ein tiefer Traum,
  von dem sie der Gegenstand zu sein schien, beschäftigte ihn:
  wenigstens hörte sie, zu wiederholten Malen, von seinen glühenden,
  zitternden Lippen das geflüsterte Wort: Toni! Wehmut, die nicht zu
  beschreiben ist, ergriff sie; sie konnte sich nicht entschließen, ihn
  aus den Hirnmeln lieblicher Einbildung in die Tiefe einer gemeinen
  und elenden Wirklichkeit herabzureiben; und in der Gewißheit, daß er
  ja früh oder spät von selbst erwachen müsse, kniete sie an seinem
  Bette nieder und überdeckte seine teure Hand mit Küssen. Aber wer
  beschreibt das Entsetzen, das wenige Augenblicke darauf ihren Busen
  ergriff, als sie plötzlich, im Innern des Hofraums, ein Geräusch von
  Menschen, Pferden und Waffen hörte, und darunter ganz deutlich die
  Stimme des Negers Congo Hoango erkannte, der unvermuteter Weise mit
  seinem ganzen Troß aus dem Lager des Generals Dessalines
  zurückgekehrt war. Sie stürzte, den Mondschein, der sie zu verraten
  drohte, sorgsam vermeidend, hinter die Vorhänge des Fensters, und
  hörte auch schon die Mutter, welche dem Neger von allem, was während
  dessen vorgefallen war, auch von der Anwesenheit des europäischen
  Flüchtlings im Hause, Nachricht gab. Der Neger befahl den Seinigen,
  mit gedämpfter Stimme, im Hofe still zu sein. Er fragte die Alte, wo
  der Fremde in diesem Augenblick befindlich sei? Worauf diese ihm das
  Zimmer bezeichnete, und sogleich auch Gelegenheit nahm, ihn von dem
  sonderbaren und auffallenden Gespräch, das sie, den Fluchding
  betreffend, mit der Tochter gehabt hatte, zu unterrichten. Sie
  versicherte dem Neger, daß das Mädchen eine Verräterin, und der ganze
  Anschlag, desselben habhaft zu werden, in Gefahr sei, zu scheitern.
  Wenigstens sei die Spitzbübin, wie sie bemerkt, heimlich beim
  Einbruch der Nacht in sein Bette geschlichen, wo sie noch bis diesen
  Augenblick in guter Ruhe befindlich sei; und wahrscheinlich, wenn der
  Fremde nicht schon entflohen sei, werde derselbe eben jetzt gewarnt,
  und die Mittel, wie seine Flucht zu bewerkstelligen sei, mit ihm
  verabredet. Der Neger, der die Treue des Mädchens schon in ähnlichen
  Fällen erprobt hatte, antwortete: es wäre wohl nicht möglich! Und:
  "Kelly!" rief er wütend, und: "Omra! Nehmt eure Büchsen!" Und damit,
  ohne weiter ein Wort zu sagen, stieg er, im Gefolge aller seiner
  Neger, die Treppe hinauf, und begab sich in das Zimmer des Fremden.
  Toni, vor deren Augen sich, während weniger Minuten, dieser ganze
  Auftritt abgespielt hatte, stand, gelähmt an allen Gliedern, als ob
  sie ein Wetterstrahl getroffen hätte, da. Sie dachte einen
  Augenblick daran, den Fremden zu wecken; doch teils war, wegen
  Besetzung des Hofraums, keine Flucht für ihn möglich, teils auch sah
  sie voraus, daß er zu den Waffen greifen, und somit bei der
  Überlegenheit der Neger, Zubodenstreckung unmittelbar sein Los sein
  würde. Ja, die entsetzlichste Rücksicht, die sie zu nehmen genötigt
  war, war diese, daß der Unglückliche sie selbst, wenn er sie in
  dieser Stunde bei seinem Bette fände, für eine Verräterin halten, und,
  statt auf ihren Rat zu hören, in der Raserei eines so heillosen
  Wahns, dem Neger Hoango völlig besinnungslos in die Arme laufen würde.
  In dieser unaussprechlichen Angst fiel ihr ein Strick in die Augen,
  welcher, der Himmel weiß durch welchen Zufall, an dem Riegel der Wand
  hing. Gott selbst, meinte sie, indem sie ihn herabriß, hätte ihn zu
  ihrer und des Freundes Rettung dahin geführt. Sie umschlang den
  Jüngling, vielfache Knoten schürzend, an Händen und Füßen damit; und
  nachdem sie, ohne darauf zu achten, daß er sich rührte und sträubte,
  die Enden angezogen und an das Gestell des Bettes festgebunden hatte:
  drückte sie, froh, des Augenblicks mächtig geworden zu sein, einen
  Kuß auf seine Lippen, und eilte dem Neger Hoango, der schon auf der
  Treppe klirrte, entgegen. Der Neger, der dem Bericht der Alten, Toni
  anbetreffend, immer noch keinen Glauben schenkte, stand, als er sie
  aus dem bezeichneten Zimmer hervortreten sah, bestürzt und verwirrt,
  im Korridor mit seinem Troß von Fackeln und Bewaffneten still. Er
  rief: "die Treulose! Die Bundbrüchige!" und indem er sich zu Babekan
  wandte, welche einige Schritte vorwärts gegen die Tür des Fremden
  getan hatte, fragte er: "ist der Fremde entflohn?" Babekan, welche
  die Tür, ohne hineinzusehen, offen gefunden hatte, rief, indem sie
  als eine Wütende zurückkehrte: "Die Gaunerin! Sie hat ihn entwischen
  lassen! Eilt, und besetzt die Ausgänge, ehe er das weite Feld
  erreicht!" "Was gibts?" fragte Toni, indem sie mit dem Ausdruck des
  Erstaunens den Alten und die Neger, die ihn umringten, ansah. "Was
  es gibt?" erwiderte Hoango; und damit ergriff er sie bei der Brust
  und schleppte sie nach dem Zimmer hin. "Seid ihr rasend?" rief Toni,
  indem sie den Alten, der bei dem sich ihm darbietenden Anblick
  
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