Aus Indien - 6

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gar in Neapel war, steht im Ruf eines weltläufigen Mannes, der weit
herumgekommen ist. Das ist in Asien anders. In Indien, Hinterindien, dem
Archipel und einem großen Teil von China reist das Volk unendlich viel
mehr als bei uns, für einfache Leute der niederen Klassen gelten Reisen
von zwei, drei, sechs, zehn Tagen für gar nichts Besonderes. Unsereiner,
wenn er zwischen Colombo und Batavia unterwegs ist, kommt sich schon
unternehmend vor und ist erstaunt, zu sehen, daß eine Seereise von drei
Wochen, eine Eisenbahnreise von Tagen für Asiaten gar nichts bedeutet.
Der Kuli, der dir in Singapur den Koffer an Land trägt, stammt aus
Hankau. Der kleine Händler, dem du in Penang oder Kuala Lumpur eine
Badehose oder Leibbinde abkaufst, ist in Peking zu Hause. Der malayische
Kaufmann, der dir auf Sumatra Hosenträger und Stiefel verkauft, ist
Hadschi und hat die Pilgerfahrt nach Mekka gemacht, was eine Hin- und
Rückreise von je etwa zwanzig Tagen bedeutet, das Dreifache einer Fahrt
von Europa nach Amerika und zurück.
Wenn bei uns ein Bauer seine Kartoffeln oder Äpfel in der nächsten
größeren Stadt persönlich verkauft und dahin drei Stunden mit der Bahn
zu fahren hat, so ist das für ihn eine große Sache. Arme, halbwilde
Natives auf einer malayischen Insel fahren mit ihrer Ladung Rottang oder
ihrem bißchen Baumwolle vier, sechs, zehn Tage ihren Urwaldfluß hinab
bis zur nächsten Hafenstadt und brauchen doppelt so lange zurück. Von
Nordindien gehen einzelne indische Händler alle paar Jahre auf wilden,
anstrengenden und gefährlichen Zügen durch Tibet nach China oder bis zum
Baikalsee, ja bis Moskau. In Pelaiang bei Djambi (Südsumatra) hatten wir
einen chinesischen Koch, der seine Familie bei Schanghai leben hat und
sie öfters besucht! Die chinesischen Großhändler in den Straits, auf
Java usw. haben fast alle auch noch daheim in China Besitzungen, oft
auch Frauen und Kinder, und reisen häufig zwischen beiden Orten hin und
her, über Entfernungen wie zwischen Neapel und Moskau. Es gibt auch
indische und arabische Händler, welche Filialen von Colombo oder Bombay
an bis nach Peking hin haben und für die eine Seereise von drei Wochen
nur eine kleine, oft wiederholte Geschäftsfahrt ist.
Dazu alle die vielen Pilgerfahrten! Leute aus Siam und Birma pilgern
nach Ceylon, Gläubige aus Java und Sumatra nach Mekka, Fromme aus dem
untersten Südindien hinauf nach Benares. Dagegen ist die Pilgerfahrt
eines armen Bäuerleins vom Bodensee nach Lourdes eine Bagatelle.
Die letzten asiatischen Reisenden dieser Art, die ich sah, waren zwei
Mohammedaner aus Java. Sie bestiegen unser Schiff in Singapur und fuhren
als Beauftragte einer mohammedanischen Gemeinschaft bis Suez, von wo aus
sie Tripolis erreichen, zuverlässige Berichte vom Krieg einsammeln und
über die beste Art, die kriegführenden Glaubensgenossen moralisch und
finanziell zu unterstützen, nach Hause berichten sollten.


Gedichte

Gegenüber von Afrika
Heimathaben ist gut,
Süß der Schlummer unter eigenem Dach,
Kinder, Garten und Hund. Aber ach,
Kaum hast du vom letzten Wandern geruht,
Geht dir die Ferne mit neuer Verlockung nach.
Besser ist Heimweh leiden
Und unter den hohen Sternen allein
Mit seiner Sehnsucht sein.
Haben und rasten kann nur der,
Dessen Herz gelassen schlägt,
Während der Wandrer Mühsal und Reisebeschwer
In immer getäuschter Hoffnung trägt.
Leichter wahrlich ist alle Wanderqual,
Leichter als Friede finden im Heimattal,
Wo in heimischer Freuden und Sorgen Kreis
Nur der Weise sein Glück zu bauen weiß.
Mir ist besser, zu suchen und nie zu finden,
Statt mich eng und warm an das Nahe zu binden,
Denn auch im Glücke kann ich auf Erden
Doch nur ein Gast und niemals ein Bürger werden.

Abend auf dem Roten Meer
Von brennenden Wüsten her
Zittert ein giftiger Wind,
Dunkel wartet das wenig bewegte Meer,
Hundert hastige Möwen sind
Durch die offene Hölle unsre Begleiter.
Blitze reißen kraftlos am Himmelsrand,
Keines Regens Wohltat kennt dieses verfluchte Land.
Drüben aber steht licht und heiter
Eine friedliche Wolke allein;
Die hat uns Gott dahin gestellt,
Daß wir nicht länger trostlos sein
Und einsam leiden mögen in dieser Welt.
Niemals will ich die Öde unermessen
Und nie diese quälende Hölle vergessen,
Die ich am heißesten Ort der Erde fand;
Daß aber darüber die lächelnde Wolke stand,
Soll mir ein Zeichen sein für die lastende Schwüle,
Die ich in meines Lebens Mittag mir nahen fühle.

Ankunft in Ceylon
Hohe Palmen am Strand,
Leuchtende See und nackte Rudrer im Boot,
Uralt heiliges Land,
Ewig vom Feuer junger Sonne umloht!
Blaues Gebirg verliert sich in Dunst und Traum,
Gipfel blenden, man sieht sie vor Sonne kaum.
Grell empfängt mich der Strand:
Seltsame Bäume starren streng in die Luft,
Häuser taumeln farbig im Sonnenbrand,
Menschengetöse aus schillernden Gassen ruft.
Dankbar flüchtet mein Blick ins Gedräng –
Nach unendlicher Seefahrt welch süßer Tausch!
Und mein Herz wird vor Freude eng,
Schlägt wie vor Liebe im seligen Reiserausch.

Nachts in der Kabine
Das Meer klopft an die Wand,
Im kleinen runden Fenster blaut die Nacht
Und atmet heiß mit Wüstenhauch herein.
Ich bin zum zehntenmal erwacht
Und liege still in atemlosem Brand
Und schlafe nimmer ein.
Und wie ein wildes Herz
Stößt die Maschine heiß und stöhnend fort
Und müht sich unerlöst in blindem Schmerz
Durch immer neue Fernen sinnlos fort.
O wessen Herz nicht klar und fest
Und froh ist wie Kristall,
Für den ist solcher Raum kein Nest,
Dem folgt die Sehnsucht und der Heimat Sorgenschwall,
Folgt ungestillte Liebe überall
Und macht ihn arm;
Und alles sieht ihn wild und teuflisch an,
Weil er den Feind im eignen Busen trägt
Und nie entrinnen kann.

Fluß im Urwald
Seit tausend Jahren fließt er durch den Wald
Und sieht der nackten braunen Menschen Hütten
Aus Holz und Rohrgeflecht erstehen und vergehn.
Sein braunes Wasser wälzt im lauen Schwall
Laub und Geäst und dunkeln Urwaldschlamm
Und gärt in brennend steilem Sonnenbrand.
Nachts kommt der Tiger und der Elefant
Und badet lärmend seine schwülen Kräfte
Und brüllt in dumpfer Wollust durch den Wald.
Am Ufer rauscht im trüben Schlamm und Rohr
Das schwere Krokodil, heut wie vor tausend
Und hunderttausend Jahren; scheu und schlank
Bricht durch den Schilf der wilde Jaguar.
Hier leb’ ich stille Tage hin im Wald
In röhrener Hütte und im leichten Einbaum
Und selten rührt ein Klang der Menschenwelt
Verschlafene Erinnerungen wach.
Am Abend aber, wenn die rasche Nacht
Sich feindlich naht, steh’ ich am Fluß und lausche
Und höre da und dort und nah und fern
Verirrten Laut,
Gesang von Menschenstimmen in der Nacht.
Das sind die Fischer und die Jäger, die
Im leichten Boot der Abend überrascht
Und denen kindlich tiefe Furcht das Herz erschlafft,
Furcht vor der Nacht und vor dem Krokodil
Und vor den Geistern der Verstorbenen,
Die nachts sich regen überm schwarzen Strom.
Fremd ist das Lied und mir kein Wort vertraut,
Und klingt mir doch nicht anders, als daheim
Am Rhein und Neckar mir ein Abendlied
Der Fischer oder Mägde klingt: ich atme Furcht
Und atme Sehnsucht, und der wilde Wald
Und fremde dunkle Strom ist mir wie Heimat,
Weil hier wie überall, wo Menschen sind,
Sich zage Seelen ihren Göttern nähern,
Den Schreck der Nacht beschwörend durch ein Lied.
Heimkehrend in der Hütte kargen Schutz
Leg’ ich mich nieder, ringsum Wald und Nacht
Und gläsern schrillender Zikadensang,
Bis mich der Schlaf entführt und bis der Mond
Die bange Welt mit kühlem Schimmer tröstet.

Kein Trost
Zur Urwelt führt kein Weg zurück.
Es gibt kein Sternenheer,
Kein Wald und Strom und Meer
Der Seele Trost und Glück.
Es ist nicht Baum noch Fluß noch Tier
Dem Herzen zu erreichen;
Trost wird im Herzen dir
Allein bei deinesgleichen.

Nachtfest der Chinesen in Singapur
Bei den wehenden Lichtern
Oben auf dem bekränzten Balkon
Kauern sie ruhevoll in der festlichen Nacht,
Singen Lieder von lang verstorbenen Dichtern,
Horchen beglückt auf der Laute schwirrenden Ton,
Der die Augen der Mädchen größer und schöner macht.
Durch die sternlose Nacht klirrt die Musik
Gläsern wie Flügelschlag großer Libellen,
Braune Augen lachen in lautlosem Glück –
Keiner, der nicht ein Lächeln im Auge hat!
Drunten wartet schlaflos mit tausend hellen
Lichteraugen am Meere die glänzende Stadt.

Im malayischen Archipel
In allen Nächten steht die Heimat nah,
Als wäre sie noch mein,
Vor meinen traumbeglückten Augen da.
Doch muß ich lange noch auf Reisen sein
Und in entlegener Inseln Sonnenglut
Mein Herz zur Ruhe bringen
Und wie ein widerspenstig Kind
Einwiegen und zur Ruhe singen.
Und immer wieder ist es ungemut,
Ist nicht zur Ruh’ zu bringen,
Ist wild und schwach wie Kinder sind.

Bei Nacht
Nachts, wenn das Meer mich wiegt
Und bleicher Sternenglanz
Auf seinen weiten Wellen liegt,
Dann löse ich mich ganz
Von allem Tun und aller Liebe los
Und stehe still und atme bloß
Allein, allein vom Meer gewiegt,
Das still und kalt mit tausend Lichtern liegt.
Dann muß ich meiner Freunde denken
Und meinen Blick in ihre Blicke senken,
Und frage jeden still allein:
„Bist du noch mein?
Ist dir mein Leid ein Leid? Mein Tod ein Tod?
Fühlst du von meiner Liebe, meiner Not
Nur einen Hauch, nur einen Widerhall?“
Und ruhig blickt und schweigt das Meer
Und lächelt: Nein.
Und nirgendwo kommt Gruß und Antwort her.

Pelaiang
Die Nacht ist ganz von Blitzen hell
Und zuckt in weißem Licht
Und flackert wild, verstört und grell
Über den Wald, den Strom und mein bleiches Gesicht.
Am kühlen Bambusstamm gelehnt
Steh’ ich und schaue unverwandt
Über das regengepeitschte, blasse Land,
Das sich nach Ruhe sehnt,
Und aus der fernen Jugend her
Blitzt mir aus regentrüber
Verdüsterung ein Freudenschrei herüber,
Daß doch nicht alles leer,
Daß doch nicht alles schal und dunkel sei,
Daß noch Gewitter sprühen
Und an der Tage ödem Zug vorbei
Geheimnisse und wilde Wunder glühen.
Tief atmend lausche ich dem Donner nach
Und spüre feucht den Sturm in meinem Haar
Und bin für Augenblicke tigerwach
Und froh, wie ichs in Knabenzeiten
Und seit den Knabenzeiten nimmer war.

Vor Colombo
In grünem Licht verglimmt der heiße Tag,
Still geht und steht das Schiff im Wellenschlag.
So still und gleich durch diese Welt zu gehn,
So unbeirrt in Kampf und Nacht zu sehn,
War meiner Reise Ziel, doch lernt’ ichs nicht.
Und wartend wend’ ich heimwärts mein Gesicht,
Zu neuer Tage Wechselspiel bereit,
Neugierig auf des Lebens Grausamkeit.
Für mich ist Stille nicht und Sternenbahn,
Ich bin die Welle, bin der schwanke Kahn,
Von jedem Sturm im Innersten erregt,
Von jedem Hauch verwundet und bewegt.
So fand ich bis zum fernsten Wendekreise
Mich selber nur und kehre von der Reise
Mit aller alten Wandersehnsucht her,
Nach Lust und Schmerz des Lebens voll Begehr,
Zu neuem Spiel und neuem Kampf gesonnen,
Aus allem Abenteuer ungeheilt entronnen.
Ich bin der Erde, nicht der Sterne Kind,
Unruhig ist mein Sinn, bewegt vom Wind,
Vom Meer geschaukelt und vom Sturm geweckt,
Vom Licht getröstet, von der Nacht erschreckt.
Und ob ich hundertmal im Lebensdrang
Um Weisheit flehte und nach Frieden rang,
Stets ruht mein Los gebannt an irdische Zeichen,
Und immer werd’ ich meiner Mutter gleichen.


Robert Aghion

Im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts, das wie eine jede Zeit vielerlei
Gesichter zeigen kann und mit der Vorstellung von galanten Romanen und
heiter-schnörkelhaften Porzellanfiguren keineswegs erschöpft ist, wuchs
in Großbritannien eine neue Art von Christentum und christlicher
Betätigung heran, die sich aus einer winzigen Wurzel ziemlich rasch zu
einem großen exotischen Baume auswuchs und welche einem jeden heute
unter dem Namen der evangelischen Heidenmission bekannt ist. Es gibt
auch eine katholische, die jedoch nichts Neues und Seltsames vorstellt,
da von allem Anfang an die römische Kirche sich als ein Weltreich
eingeführt und gebärdet hat, zu dessen Rechten, Pflichten und
selbstverständlichen Arbeiten das Unterwerfen oder Bekehren aller Völker
gehört, das ja denn auch zu allen Zeiten stark betrieben worden ist,
bald auf die heilig-liebreiche Art der irischen Mönche, bald in der
rascheren und unerbittlicheren Weise Karls des Großen. Im schärfsten
Gegensatz hierzu aber hatten sich die verschiedenen protestantischen
Gemeinschaften und Kirchen entwickelt, die sich von der katholischen
Universalkirche eben dadurch am stärksten unterschieden, daß sie
Landeskirchen waren und jede von ihnen dem geistlichen Bedürfnis einer
bestimmten Nation, Rasse und Sprache diente: Hus den Böhmen, Luther den
Deutschen, Wiclif den Engländern.
Wenn nun diese von England ausgehende protestantische Missionsbewegung
also eigentlich dem Wesen der protestantischen Kirchen widersprach und
auf das apostolische Urchristentum zurückgriff, so war allerdings
äußerlich nicht wenig Grund und Anlaß dazu vorhanden. Seit dem
glorreichen Zeitalter der Entdeckungen hatte man allerwärts auf Erden
entdeckt und erobert, und es war das wissenschaftliche Interesse an der
Form entfernter Inseln und Gebirge ebenso wie das seefahrende und
abenteuernde Heldentum überall einem modernen Geiste gewichen, der sich
in den entdeckten exotischen Gegenden nicht mehr für aufregende Taten
und Erlebnisse, für seltsame Tiere und romantische Palmenwälder
interessierte, sondern für Pfeffer und Zucker, für Seide und Felle, für
Reis und Sago, kurz für die Dinge, mit denen der Welthandel Geld
verdient. Darüber war man häufig etwas einseitig und hitzig geworden und
hatte manche Regeln vergessen und verletzt, die im christlichen Europa
Geltung hatten. Man hatte eine Menge von erschrockenen Eingeborenen da
draußen wie Raubzeug verfolgt und niedergeknallt, und der gebildete
christliche Europäer hatte sich in Amerika, Afrika und Indien benommen
wie der in den Hühnerstall eingebrochene Marder. Es war, auch wenn man
die Sache ohne besondere Empfindsamkeit betrachtet, recht scheußlich
hergegangen und recht grob und säuisch geräubert worden, und zu den
Regungen der Scham und Entrüstung im Heimatvolke, deren Folge
schließlich das geordnete und anständige Kolonisieren war, gehörte auch
unsere Missionsbewegung, fußend auf dem durchaus richtigen und schönen
Wunsche, es möchte den armen hilflosen Heiden- und Naturvölkern von
Europa her doch auch etwas anderes, Besseres und Höheres mitgebracht
werden als nur Schießpulver und Branntwein.
Mag man nun über Wesen, Wert, Bedeutung und Erfolg dieser
Heidenmissionen denken wie man will, jedenfalls steht fest, daß sie
gleich jeder anderen wahrhaft religiösen Bewegung aus reinem Herzen und
Willen entsprangen, daß edle und nicht unbedeutende Männer in treuer
Überzeugung und Absicht sie begründet haben und daß bis zum heutigen
Tage viele ebensolche Männer sich in ihren Dienst stellten. Wenn sie
nicht alle Helden und Weise waren, so gab es doch solche unter ihnen,
und wenn einzelne sich vielleicht nicht eben rühmlich bewährten, so wäre
es unbillig, dies dem Ganzen als Schuld anzurechnen.
Jedoch genug der Einleitungen! Es kam in der zweiten Hälfte des
vorvorigen Jahrhunderts in England nicht allzu selten vor, daß
wohlmeinende und wohlwollende Privatleute sich dieses Missionsgedankens
tätig annahmen und Mittel zu seiner Ausführung hergaben. Geordnete
Gesellschaften und Betriebe dieses Behufes aber, wie sie heute blühen,
gab es zu jener Zeit noch nicht, sondern es versuchte eben ein jeder
nach eigenem Vermögen und auf eigenem Wege die gute Sache zu fördern,
und wer damals als Missionar in ferne Länder auszog, der fuhr nicht wie
ein heutiger gleich einem wohladressierten Poststück durch die Meere und
einer geregelten und organisierten Arbeit entgegen, sondern er reiste
mit Gottvertrauen und ohne viele Anleitung geradenwegs in ein
zweifelhaftes Abenteuer hinein.
In den neunziger Jahren entschloß sich ein Londoner Kaufherr, dessen
Bruder in Indien reich geworden und dort ohne Kinder gestorben war, eine
bedeutende Geldsumme für die Ausbreitung des Evangeliums in jenem Lande
zu stiften. Ein Mitglied der mächtigen ostindischen Kompagnie, sowie
mehrere Geistliche wurden als Ratgeber herbeigezogen und ein Plan
ausgearbeitet, nach welchem zunächst drei oder vier junge Männer, mit
einer hinlänglichen Ausrüstung und gutem Reisegeld versehen, als
Missionare ausgesandt werden sollten.
Die Ankündigung dieses Unternehmens zog alsbald einen Schwarm von
abenteuerlustiger Mannheit heran, erfolglose Schauspieler und entlassene
Barbiergehilfen glaubten sich zu der verlockenden Reise berufen, und das
fromme Kollegium hatte alle Mühe, über die Köpfe dieser Zudringlichen
hinweg nach ernsthaften und würdigen Männern zu fahnden. Unter der Hand
suchte man vor allem junge Theologen zu gewinnen, doch war die englische
Geistlichkeit durchweg keineswegs der Heimat müde oder auf anstrengende,
ja gefährliche Unternehmungen erpicht; die Suche zog sich in die Länge,
und der Stifter begann schon ungeduldig zu werden.
Da verlor sich die Kunde von seinen Absichten und Mißerfolgen endlich
auch in ein Bauerndorf in der Gegend von Lancaster und in das dortige
Pfarrhaus, dessen ehrwürdiger Herr seinen Neffen, einen jungen
Bruderssohn namens Robert Aghion, als bescheidenen Amtsgehilfen bei sich
in Kost und Wohnung hatte. Robert Aghion war der Sohn eines
Schiffskapitäns und einer frommen fleißigen Schottin, er hatte den Vater
früh verloren und kaum gekannt und war als ein Knabe von guten Gaben
durch seinen Onkel, der ehemals selbst in Roberts Mutter verliebt
gewesen war, auf Schulen geschickt und ordnungsgemäß auf den Beruf eines
Geistlichen vorbereitet worden, dem er nunmehr so nahe stand als ein
Kandidat mit guten Zeugnissen aber ohne Vermögen es eben konnte.
Einstweilen stand er seinem Oheim und Wohltäter als Vikarius bei und
hatte auf eine eigene Pfarre bei dessen Lebzeiten nicht zu rechnen. Da
nun der Pfarrer Aghion noch ein rüstiger Mann am Ende der Fünfziger war,
sah des Neffen Zukunft nicht allzu glänzend aus. Als ein armer Jüngling,
der nach aller Voraussicht nicht vor dem mittleren Mannesalter auf ein
eigenes Amt und Einkommen zu rechnen hatte, war er für junge Mädchen
kein begehrenswerter Mann, wenigstens nicht für ehrbare, und mit anderen
als solchen war er nie zusammengetroffen.
So war denn sein Gemüt wie sein Schicksal nicht frei von verdunkelnden
Wolken, die jedoch über seinem bescheidenen und harmlosen Wesen mehr wie
bedeutsame Verzierungen denn wie gefährliche Feinde schwebten. Zwar sah
er, als ein gesunder und einfach fühlender Mensch, nicht ein, warum
gerade er, der studiert hatte und den die geistliche Würde umfloß, im
Liebesglück und in der Freiheit zu heiraten hinter jedem jungen Bauern
oder Weber oder Wollenspinner zurückstehen müsse, und wenn er zuweilen
eine festliche Trauung auf der kleinen gebrechlichen Orgel der
Dorfkirche begleitete, war sein Gemüt nicht immer frei von
Unzufriedenheit und Neid. Aber eben seine einfache Natur lehrte ihn, das
Unmögliche aus seinen Gedanken zu verbannen und sich an das zu halten,
was ihm bei seiner Lage und bei seinen Fähigkeiten offen stand, und das
war gar nicht wenig. Als Sohn einer herzlich frommen Mutter hatte er
einen schlichten, bewährten Christensinn und Glauben, welchen als
Prediger zu bekennen ihm eine Freude war. Seine eigentlichen geistigen
Vergnügungen aber fand er im Betrachten der Natur, wofür er ein feines
Auge besaß. Von jener kühnen, revolutionären und konstruktiven
Naturwissenschaft allerdings, die eben zu seiner Zeit und in seinem
Lande emporwuchs und später so vielen Pfarrern das Leben sauer machen
sollte, wußte und ahnte er nichts. Als ein bescheidener frischer Junge
ohne philosophische Bedürfnisse, aber mit tüchtigen Augen und Händen
fand er vielmehr vollkommene Befriedigung im Sehen und Kennen, Sammeln
und Untersuchen der natürlichen Dinge, die sich ihm darboten. Als Knabe
hatte er Blumen gezüchtet und botanisiert, hatte dann eine Weile sich
eifrig mit Steinen und Versteinerungen abgegeben, in welch letztern er
freilich nur schöne und ahnungsvolle Formenspiele der Natur verehrte,
und neuerdings, zumal seit seinem Aufenthalt in der ländlichen Umgebung,
war ihm die vielfarbige Insektenwelt vor allem andern lieb geworden. Das
Allerliebste aber waren ihm die Schmetterlinge, deren glänzende
Verwandlung aus dem Raupen- und Puppenstande ihn immer wieder innig
entzückte und deren köstliche Zeichnung und milder satter Farbenschmelz
ihm ein so reines Vergnügen bereiteten, wie es geringer befähigte
Menschen nur in den genügsameren Jahren der frühen Kindheit erleben
können.
So war der junge Theologe beschaffen, der als erster auf die Kunde von
jener Stiftung hin alsbald aufhorchte und ein Verlangen in seinem
Innersten gleich einem Kompaßzeiger gegen Indien hinweisen fühlte. Seine
Mutter war vor wenigen Jahren gestorben, ein Verlöbnis oder auch nur ein
heimlicher Verspruch mit einem Mädchen bestand nicht, der Oheim wehrte
sich zwar und riet flehentlich ab, war aber schließlich ein aufrechter
Pfarrherr, in dessen Amt und Anwesen sich der Neffe keineswegs
unentbehrlich wußte. Er schrieb nach London, bekam ermunternde Antwort
und das Reisegeld für die Fahrt nach der Hauptstadt zugestellt und fuhr
gleich darauf, nach einem unfrohen Abschied von seinem noch immer
zürnenden und heftig abmahnenden Onkel, mit einer kleinen Bücherkiste
und einem Kleiderbündel getrost nach London, wobei ihm nur leid tat, daß
er seine Herbarien, Versteinerungen und Schmetterlingskästen nicht
mitnehmen konnte.
Ernst und bänglich betrat in der düstern brausenden Altstadt von London
der indische Kandidat das hohe ernste Haus des frommen Kaufherrn, wo ihm
im düsteren Korridor eine gewaltige Wandkarte der östlichen Erdhälfte
und gleich im ersten Zimmer ein großes fleckiges Tigerfell seine Zukunft
vor Augen führte. Beklommen und verwirrt ließ er sich von dem vornehmen
Diener in das Zimmer führen, wo ihn der Hausherr erwartete. Es empfing
ihn ein großer, ernster, schön rasierter Herr mit eisblauen scharfen
Augen und strengen alten Mienen, dem der schüchterne Bewerber jedoch
nach wenigen Reden recht wohl gefiel, so daß er ihn zum Sitzen einlud
und sein Examen mit Vertrauen und Wohlwollen zu Ende führte. Darauf ließ
der Herr sich seine Zeugnisse und seinen schriftlichen Lebenslauf
übergeben und schellte den Diener herbei, der auf eine knappe Anweisung
hin den Theologen stillschweigend hinwegführte und in ein Gastzimmer
brachte, wo unverweilt ein zweiter Diener mit Tee, Wein, Schinken,
Butter und Brot erschien. Mit diesem Imbiß ward der junge Mann allein
gelassen und tat seinem Hunger und Durst Genüge. Dann blieb er beruhigt
in dem schönen blausamtenen Armstuhl sitzen, dachte über seine Lage nach
und musterte mit müßigen Augen das Zimmer, wo er nach kurzem
Umherschauen zwei weitere Entgegenkömmlinge aus dem fernen heißen Lande
entdeckte, nämlich in einer Ecke neben dem Kamin einen ausgestopften
rotbraunen Affen und über ihm aufgehängt an der blauen Seidentapete das
gegerbte Fell einer riesig großen Schlange, deren augenloser Kopf blind
und schlaff herabhing. Das waren Dinge, die er schätzte und die er
sofort aus der Nähe zu betrachten und zu befühlen eilte. War ihm auch
die Vorstellung der lebendigen Boa, die er durch das Zusammenbiegen der
glänzend silbrigen Haut zu einem Rohre zu unterstützen versuchte,
einigermaßen grauenvoll und zuwider, so ward doch seine Neugierde auf
die geheimnisvolle, an Wundern reiche Ferne durch ihren Anblick noch
geschürt. Er dachte sich weder von Schlangen noch von Affen schrecken zu
lassen und malte sich mit Wollust die fabelhaften Blumen, Bäume, Vögel
und Schmetterlinge aus, die in solchen gesegneten Ländern gedeihen
mußten.
Es ging indessen schon gegen Abend, und ein stummer Diener trug eine
angezündete Lampe herein. Vor dem hohen Fenster, das auf eine tote
Hintergasse schaute, stand neblige Dämmerung. Die Stille des vornehmen
Hauses, das ferne schwache Wogen der großen Stadt, die Einsamkeit des
hohen kühlen Zimmers, in dem er sich wie gefangen fühlte, der Mangel an
jeder Beschäftigung und die Ungewißheit seiner romanhaften Lage
verbanden sich mit der zunehmenden Dunkelheit der Londoner Herbstnacht
und stimmten die Seele des jungen Menschen von der Höhe seiner
Hoffnungen immer weiter herab, bis er nach zwei Stunden, die er horchend
und wartend in seinem Lehnstuhl hingebracht hatte, für heute jede
Erwartung aufgab und sich kurzerhand müde in das vortreffliche Gastbett
legte, wo er in kurzem einschlief.
Es weckte ihn, wie ihm schien mitten in der Nacht, ein Diener mit der
Nachricht, der junge Herr werde zum Abendessen erwartet und möge sich
beeilen. Verschlafen kroch Aghion in seine Kleider und taumelte mit
blöden Augen hinter dem Manne her durch Zimmer und Korridore und eine
Treppe hinab bis in das große, grell von Kronleuchtern erhellte
Speisezimmer, wo ihn die in Sammet gekleidete und von Schmuck funkelnde
Hausfrau durch ein Augenglas betrachtete und der Herr ihn zwei
Geistlichen vorstellte, die ihren jungen Bruder gleich während der
Mahlzeit in eine scharfe Prüfung nahmen und vor allem sich über die
Echtheit seiner christlichen Gesinnung zu unterrichten suchten. Der
schlaftrunkene Apostel hatte Mühe, alle Fragen zu verstehen und gar zu
beantworten; aber die Schüchternheit kleidete ihn gut, und die Männer,
die an ganz andere Aspiranten gewöhnt waren, wurden ihm alle
wohlgesinnt. Nach Tische wurden im Nebenzimmer Landkarten vorgelegt, und
Aghion sah zum ersten Male die Gegend, der er Gottes Wort verkündigen
sollte, auf der indischen Karte als einen gelben Fleck südlich von der
Stadt Bombay liegen.
Am folgenden Tage wurde er zu einem ehrwürdigen alten Herrn gebracht,
der des Kaufherrn oberster geistlicher Berater war und seit Jahren
gichtbrüchig in seinem Studierzimmer vergraben lebte. Dieser Greis
fühlte sich sofort von dem harmlosen jungen Menschen angezogen. Er
stellte keine Glaubensfragen an ihn, wußte aber Roberts Sinn und Wesen
rasch zu erkennen, und da er wenig geistlichen Unternehmungsgeist in ihm
wahrnahm, wollte der Junge ihm leid tun, und er stellte ihm die Gefahren
der Seereise und die Schrecken der südlichen Zonen eindringlich vor
Augen; denn es schien ihm sinnlos, daß ein junger frischer Mensch sich
da draußen opfere und zugrunde richte, wenn er nicht durch besondere
Gaben und Neigungen zu einem solchen Dienst bestimmt schien. So legte er
denn dem Kandidaten freundlich die Hand auf die Schulter, sah ihm mit
eindringlicher Güte in die Augen und sagte: „Das alles, was Sie mir
sagen, ist gut und mag richtig sein; aber ich kann noch immer nicht ganz
verstehen, was Sie nun eigentlich nach Indien zieht. Seien Sie offen,
lieber Freund, und sagen Sie mir ohne Hinterhalt: Ist es irgend ein
weltlicher Wunsch und Drang, der Sie treibt, oder ist es lediglich der
innige Wunsch, den armen Heiden unser liebes Evangelium zu bringen?“ Auf
diese Anrede wurde Robert Aghion so rot wie ein ertappter Schwindler. Er
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