Aus Indien - 3

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aber genau mit demselben leidenschaftlich hoffenden Auftrumpfen der
guten und demselben resigniert ärgerlichen Hinschmeißen der schlechten
Blätter, wie man es bei schwäbischen Soldaten, bayrischen Jägern und
preußischen Matrosen sieht. Eine Malayenfamilie aus Tonkal lag auf ihrer
Reisebastmatte: ein Großvater, ein Elternpaar, vier Kinder. Die Kinder
hatten es gut, sahen wohlgehalten aus und trugen Halsketten und silberne
Fußspangen. Beim Sonnenuntergang suchte sich der Großvater einen freien
Raum, verneigte sich, kniete nieder, erhob sich wieder und vollzog mit
langsamer Würde die Übungen des abendlichen Gebets. Sein alter Rücken
krümmte und streckte sich in genauem Gleichtakt, sein roter Turban und
sein spitzer grauer Bart standen scharf in der einbrechenden Dämmerung.
Wir setzten uns mit den beiden Offizieren zu einem reellen holländischen
Abendessen. Sterne kamen herauf, das Meer dunkelte tiefschwarz und die
zackigen Silhouetten der kleinen Berginseln waren kaum mehr zu erfühlen.
Wir waren still geworden und wären gerne zu Bett gegangen, doch war es
allzu heiß, wir saßen alle ruhig und waren naß vom unablässig rieselnden
Schweiß.
Wir bestellten Whisky und hatten kaum danach gerufen, so sprang schon
einer der längst auf Deck schlafenden Jonges auf und lief nach Schnaps
und Sodawasser.
An hundert Inseln vorüber fuhren wir durch die brütende Nacht, manchmal
von Leuchttürmen begrüßt, wir nippten am lauen Getränk, rauchten
holländische Zigarren und atmeten langsam und unwillig unter dem heißen
schwarzen Himmel. Wir sprachen hin und wieder ein Wort, über das Schiff
oder über Sumatra, über Krokodile und Malaria, aber es war keinem
wichtig, und manchmal stand einer auf, trat an die Reling, ließ die
Asche seiner Zigarre ins Wasser fallen und suchte, ob in der Finsternis
etwas zu sehen wäre. Und wir gingen auseinander und lagen jeder für
sich, an Deck oder in der Kabine, und der Schweiß rann beständig an uns
nieder, und für diese Nacht waren wir alle reisemüde und verstimmt.
Am Morgen aber fuhren wir, schon jenseits des Äquators, in die breite
kaffeebraune Mündung eines der großen Ströme von Sumatra ein.


Pelaiang

Der Europäer, der mit anderen als geschäftlichen Absichten nach den
malayischen Inseln fährt, hat stets, und auch wenn er gar nicht auf
Erfüllung hofft, als Hintergrund seiner Vorstellungen und Wünsche die
Landschaft und die primitive Paradiesunschuld einer van Zantenschen
Insel. Reine Romantiker werden diese Paradiese gelegentlich auch finden
und eine Weile, bestochen von der gutartigen Kindlichkeit der meisten
Malayen, Teilhaber an einem köstlichen Urzustande zu sein glauben.
Mir ist der volle Genuß einer solchen Selbsttäuschung nie geworden, aber
einen kleinen weltfernen Kampong habe ich doch gefunden, wo ich eine
Zeitlang im Urwalde zu Gast war, wo mir wohl und heimisch wurde und der
in meiner Erinnerung die ganze Wald- und Stromwelt von Sumatra
kristallisiert und ausdrückt. Dieser kleine Kampong mit hundert
Einwohnern heißt Pelaiang und liegt zwei Tagereisen weit von Djambi
flußaufwärts im Inneren des noch wenig bekannten Djambigebietes, das
erst kürzlich pazifiziert wurde und zum größten Teil aus jungfräulichem
Urwald besteht.
Dort wohnten wir zu vieren samt unsrem chinesischen Koch Gomok in einer
Hütte aus Bambu, deren Dach und Wände aus Palmblättern geflochten waren
und die auf hohen Pfählen ruhte. Da hingen wir in unsrem gelben,
zierlich geflochtenen Käfig zweieinhalb Meter hoch in der Luft und
lebten, wie es uns gefiel. Die beiden Kaufleute taxierten die im Walde
ruhenden Kapitalien an Eisenholz, der Kunstmaler stieg mit dem
Aquarellkasten am Ufer herum und ärgerte sich über die Malayenweiber,
von denen gerade die hübschen sich durchaus nicht abzeichnen und nicht
einmal gern aus der Nähe anschauen ließen. Und ich ließ mich von
Tageszeit und Wetter treiben und lief in der endlosen Waldwelt herum wie
in einem fabelhaften Bilderbuch. Jeder ging seinen Weg und wurde auf
seine Weise mit den Moskiten, mit den wilden Gewittern, mit dem Urwald,
mit den Malayen und mit der ewig lastenden heißfeuchten Schwüle fertig.
Am Abend aber, der in den Tropen allzu früh einbricht, kamen wir stets
alle zusammen und saßen und lagen auf der Veranda beim Tisch und bei der
Lampe. Draußen brüllte der Gewitterregen oder schrie das rasende
Insektenkonzert des Urwalds, der uns in die Fensterlöcher schaute; wir
aber waren dann der Wildnis satt, wir wollten es gut haben und der
lästigen Tropenhygiene vergessen, wir wollten fröhlich sein und nichts
von der Welt wissen, und so lagen und saßen wir und schöpften aus vier
großen Kisten Flaschen mit Sodawasser und Whisky, mit Rotwein und
Weißwein, mit Scherry und mit Bremer Schlüsselbier. Und dann schliefen
wir unterm Mückennetz auf unseren guten Matratzen am Boden, jeder mit
dem Talisman der wollenen Leibbinde versehen, oder wir lagen still und
hörten dem Regen zu, wie er in Kübeln herabklatschte oder auch zart und
singend übers Blätterdach lief, bis am frühen Morgen der Nashornvogel
und die vielen unbekannten Singvögel ihr Lied begannen und die Affen mit
wahnsinnigem Geheule den Tag begrüßten.
Dann ging ich an den sechs oder sieben Hütten vorbei in den Wald, vor
den Blutegeln und Schlangen geschützt durch dieselben Lodengamaschen,
die ich im Winter in Graubünden trage, und alsbald nahm das zähe
Dickicht mich auf und lag zwischen mir und der Welt fremder und
trennender als alle Meere. Da liefen stille schöne Eichhörnchen vor mir
weg, schwarze mit weißem Bauch und roten Vorderbeinen, und große Vögel
sahen mich aus starren Waldaugen unfreundlich an, und bald erschienen in
zahlreichen Familien die Affen, rannten im grünen Astgeschlinge, durch
das kein Himmel blickte, wildfröhlich hinauf und hinab oder hockten hoch
im Gezweig und heulten toll in lang gedehnten schmerzlichen Tonleitern.
Schaukelnd flog manchmal einer von den großen schillernden
Schmetterlingen über mich hin, selig in seiner Schönheit, und am Boden
tat das kleine Gezücht seine Arbeit. Fußlange Tausendfüßler rannten in
blinder Eile durchs Gedränge, und überall strebten in dichten dunklen
Zügen mächtige Ameisenvölker, graue, braune, rote, schwarze, geordnet
nach gemeinsamen Zielen. Dicke faulende Baumstämme liegen umher,
tausendfach überwachsen von formenreichen Farnen und dünnem zähem
Dorngeschlinge. Hier gärt die Natur ohne Pause in erschreckender
Fruchtbarkeit, in einem rasenden Lebens- und Verschwendungsfieber, das
mich betäubt und beinahe entsetzt, und mit nordländischem Gefühl wende
ich mich jeder Erscheinung dankbar zu, die inmitten des erstickenden
Zeugungstaumels eine einzelne Form besonders ausgestaltet zeigt. Da
steht zuweilen, vom dicken Gewirre umgeben und als herrlicher Sieger
darüber empor gebrochen, ein einzelner Riesenbaum von unwahrscheinlicher
Stärke und Höhe, in dessen Krone tausend Tiere leben und nisten können,
und aus seiner fürstlichen Höhe hängen still und vornehm schnurgerade,
baumdicke Lianenfäden herab.
In diesem Walde wird seit kurzem auch von Menschen gearbeitet. Die
Djambi-Maatschappji hat in dem noch völlig brach liegenden Lande die
erste große Waldkonzession erworben und beginnt dort Eisenholzstämme zu
holen. Ich ließ mich eines Tages zu einer Stelle führen, wo vor kurzem
große Stämme gekappt und behauen worden waren, und sah eine Weile der
mühseligsten Waldarbeit zu. Da wurden Stämme von zwanzig Meter Länge,
schwer wie Eisen, von singenden und keuchenden Kulischaren mit Winden
und Hebeln, an Tauen und Ketten aus tiefen, urweltlich dämmernden,
sumpfigen Waldschluchten herauf geschleppt, auf Holzrollen und auf
primitiven Schlitten, über Sumpf und Dorngestrüppe, über Busch und
fettes feuchtes Gekräut hinweg, Elle für Elle gezerrt, gehalten,
unterstützt und wieder weiter geschleppt, jede Stunde ein kleines Stück
weiter. Ein kleiner Ast von diesem Holze, den ich spielend mit einer
Hand aufnehmen wollte, erwies sich als so schwer, daß ich ihn auch mit
beiden Armen und voller Kraft nicht zu heben vermochte. Dieser Schwere
wegen ist das Holz unendlich mühsam zu transportieren: Bahnen gibt es im
Lande noch nicht, die einzige Straße ist der Strom, und das Eisenholz
schwimmt nicht.
Es war großartig und merkwürdig zu sehen, aber es ist kein Vergnügen,
der Arbeit von Menschen zuzusehen, wo sie noch Last und Fluch und
Knechtung ist. Diese armen Malayen werden nie, wie es Europäer, Chinesen
und Japaner tun, als Herren und Unternehmer solche Werke betreiben, sie
werden immer nur Holzfäller und Schlepper und Säger sein, und was sie
dabei verdienen, das geht fast alles für Bier und Tabak, für Uhrketten
und Sonntagshüte wieder an die ausländischen Unternehmer zurück.
Unberührt von den paar winzigen Feinden, die da an seinem Reichtum zu
zapfen versuchen, steht noch immer der Urwald. Am Flußufer sonnen sich
die Krokodile, unerschöpflich glüht in der feuchten Hitze das Wachstum
weiter, und wo die Natives ein Stückchen roden, um Reis darauf zu bauen,
da steht in zwei Jahren schon wieder hoher Busch und in sechs Jahren
schon wieder hoher Wald.
Ehe wir abfuhren, versenkten wir unsre leeren Flaschen in den braunen
Fluß. Unsre Matratzen wurden in Bastmatten eingerollt und auf das Boot
gebracht und wir sahen unsre gelbe Bambuhütte am schwarzen Rande des
ewigen Waldes stehen und kleiner werden, bis mit der ersten Windung des
Flusses alles versank.


Sozieteit

Es war ein großer Kampong oder ein kleines junges Städtchen an einem der
schönen breiten Ströme von Südsumatra. Vor drei, vier Jahren war hier
noch Krieg, jetzt liegen nur noch etwa hundert holländische Soldaten im
Städtchen und machen hie und da einen dekorativen Streifzug, um etwaigen
rebellischen Einwohnern zu zeigen, daß man da ist und aufpaßt. Was man
von Eingeborenen zu sehen bekommt, ist ein kindlich harmloses Gemisch
von Urmalayen und Javanen, schattiert und gebrochen durch zwanzig wenig
zuträgliche Einflüsse und Kreuzungen. Man sieht javanische Tagelöhner
das Gras mit Schwertern abmähen, alle Viertelstunde eine Handvoll, und
das Tragen eines Wasserkruges über die Gasse ist eine Mannesarbeit für
einen Vormittag. Gearbeitet wird meist von den Frauen, und dann von den
Chinesen, die auch hier sich am kleinsten aufblühenden Örtchen alsbald
einfinden und die genügsamste Pionierarbeit tun; sie halten Kaufläden,
sie treiben Schiffahrt, sie kaufen Gummi und verkaufen Reis, Fische und
deutsches Bier. Gearbeitet wird auch von den paar Europäern; es gibt
eine Eisenholzunternehmung, deren Leiter ein überaus landeskundiger
Schweizer ist, die übrigen Weißen sind ohne Ausnahme holländische
Beamte.
Ich besuchte den Residenten und den Kontrolleur, und bekam mit vieler
Höflichkeit ein großes Papier zugestellt, von dessen Notwendigkeit ich
zuvor gar nichts gewußt hatte und das eine Aufenthaltsbewilligung für
Niederländisch-Indien darstellte.
Ich hatte mich viel im Kampf mit Moskitos, Dornen und Sumpfgras im Busch
herumgetrieben, als ich nach dem Städtchen zurückkehrte. Alsbald ward
ich eingeladen, mich in der „Sozieteit“ einzufinden, und ging also
abends in den Klub, des Kontrolleurs wegen, der ein feiner und
zartsinniger Mensch war, wie sie seit Multatuli je und je da draußen
vorkommen.
Die Basarstraße, die Hauptdorfgasse, war schon dunkel. Die Malayen
lehnten am Zaun und hatten ihre Kinder auf den Armen, die Chinesen
werkelten geräuschlos im erleuchteten Hintergrund ihrer Kaufläden.
Mitten inne lag ein heftig erleuchtetes Bretterhaus, das war der Klub,
und beim Eintreten fand ich zwei Drittel der hiesigen Europäer
versammelt. Viere standen um das Billard, drei ältere Herren und eine
Dame saßen auf Schaukelstühlen vor den Fenstern nach der Flußseite,
wandten der Sozieteit den Rücken zu und genossen schweigend in ruhigen
Atemzügen die schwach gekühlte Luft der Abendstunde. Der Rest der
Gesellschaft saß in der Mitte des Raumes um einen großen runden Tisch
und spielte Karten. Zu ihnen setzte ich mich und wurde mit Munterkeit
begrüßt, und nachdem man mit Enttäuschung vernommen, daß ich nicht
Karten spielen könne, lud man mich zu einem Würfelspiele ein. Es ging um
eine Runde Schnaps und jeder ließ sich seine Getränke kommen, Whisky,
Bitter und Bols, Gin und Scherry, Wermut und Anis in den
abenteuerlichsten Mischungen. Das Würfelspiel war so kompliziert und
witzig, wie man es auf Schiffen und Leuchttürmen anzutreffen pflegt, wo
die Leute Zeit haben.
Nun saßen wir, etwa zehn Männer und zwei Damen, im grellen Licht zweier
Glühlampen von halb sieben bis gegen halb zehn Uhr und würfelten
fleißig, immer wieder um eine Runde. Einmal blickte ich empor und im
Raume herum und sah um die Lampen einen mächtig großen Schmetterling
flattern, größer als meine flache Hand, mit gelb und grüner Zeichnung
auf schwarzem Grunde. Ich beschloß, ihn später zu fangen und
mitzunehmen, um doch etwas von diesem Abend zu haben, und nun tröstete
und erheiterte es mich, hie und da aus dem Kreis der Raucher und
Würfelspieler heraus einen Blick nach dem herrlichen Falter zu werfen,
der in diese rauchende und trinkende Sozieteit so wenig paßte wie diese
guten Holländer in den Urwald passen.
Die letzte Runde verlor ein armer Leutnant, der höchstens zweihundert
Gulden im Monat kriegt. Er wurde mächtig ausgelacht, wie überhaupt alle
diese langen Stunden hindurch Gelächter und laute Freudigkeit nie
aufgehört hatten, und ich erhob mich zum Abschiednehmen. Wir schüttelten
einander die Hände und man bedauerte sehr, daß ich schon weggehe, eben
jetzt wo es fidel zu werden anfange.
Der Riesenschmetterling war mehrmals gegen das Licht geflogen und hatte
sich verbrannt. Ich suchte eine Weile nach ihm und fand ihn, scheinbar
wenig verletzt, tot auf dem Fußboden liegen. Als ich ihn aufhob, war
sein Leib schon halb verschwunden und wimmelte von jenen winzigen grauen
Zwergameisen, die man hier draußen im Zucker, in den Schuhen und
Strümpfen, in der Zigarrentasche und im Bett findet und über deren wilde
Beutegier man geduldig die Achseln zucken lernt wie über die Grausamkeit
der Chinesen, die Verlogenheit der Japaner, das Stehlen der Malayen und
andre große und kleine Übel des Ostens.


Nacht auf Deck

Der zweite Abend einer Flußreise auf einem kleinen chinesischen
Raddampfer den Batang Hari hinauf. Ein hübscher junger Javane,
Schneidermeister, der den halben Tag fleißig mit seiner Singerschen
Nähmaschine geklappert hatte, war mein Nachbar auf Deck. Er packte seine
Maschine ein und seine Matratze aus, nahm langsam und gründlich alle
Übungen seines mohammedanischen Abendgebetes vor und legte sich nieder.
Er zog ein arabisch gedrucktes Erbauungsbüchlein aus dem Gürtel, las
darin, sang halblaut ein paar Seiten daraus vor sich hin und schlief
ein. Noch im schlaffen Einnicken verwahrte er sorglich das kleine
Büchlein wieder im Gürtel. Hinter ihm, unter der rauchenden Laterne,
spielten drei Chinesen Karten, daneben lag eine Malayin mit vier Kindern
schlafend auf der Bastmatte. Eins von den Kindern lag im schwachen,
roten Licht, ein sehr schönes, langhaariges Mädchen von neun oder zehn
Jahren, sie trug noch keinen Ohrschmuck, aber dicke, silberne Spangen an
den Gelenken der zierlichen Hände und Füße, und an der zweiten Zehe
beider Füße je einen goldenen Ring. Sonst überall Schläfer und
Halbschläfer, in den weichen, wohlig animalischen, elastischen
Bewegungen der Naturvölker dem Boden angeschmiegt, einer auch im Sitzen
oder Hocken (auf beiden Fußsohlen) schlafend, dazwischen eine
Männergruppe leise plaudernd. Hinten am Heck rauschte das große Rad wie
in einer Mühle und draußen war dicke, schwarze Finsternis, zuweilen
durchflogen und noch schwärzer gemacht durch einen kurzlebigen
Funkenregen aus dem mit Holz geheizten Maschinenofen.
Eine Stunde blieb ich noch munter, versuchte beim mageren Lichtschein in
meinen Notizen zu lesen und mich geistig von dem Gestank zu isolieren,
der mich umgab. Der Geruch des Kokos- oder Zitronellaöls, mit dem die
Natives kochen und mit dem sie sich leider auch den Leib einreiben, ist
von einer trüben, ekelhaften Zähigkeit, und während meines ganzen
Aufenthaltes im Osten war dieser Geruch der einzige Punkt, in welchem
meine Menschlichkeit sich von der Menschlichkeit der Natives ernstlich,
ja widerwillig abwandte.
Ich ließ meine Matratze am Boden ausbreiten, putzte die Zähne mit
Sodawasser, zog die Taschenuhr auf, nahm mein tägliches Quantum Chinin
ein und verbarg Schlüssel und Geldbeutel unterm Kopfkissen. Dann stellte
ich, um nicht nachts etwa auf die Nase getreten zu werden, zwei Stühle
überm Kopfende der Matratze auf, kleidete mich gemächlich aus, schlüpfte
ins Schlafkleid und legte mich nieder. Nun gaben auch die Chinesen ihr
Kartenspiel auf und verhängten die Laterne mit einer Leinenjacke, und
wir alle ruhten beim monotonen Geräusch der Schiffsmaschine in einer
Dunkelheit, die beinahe ebenso dicht und zäh und schwer war wie der
dicke, schlimme Kokosölgeruch. Manchmal lärmten unter uns die Matrosen,
manchmal ließen sie mitten in der pechfinstern Wildnis mit Heftigkeit
die heisere Dampfpfeife spielen, und da ich nach zwei Stunden den Schlaf
noch nicht gefunden hatte, stand ich auf und ging aufs Vorderdeck, wo in
vollkommener Finsternis der Steuermann stand und mit rätselhafter
Sicherheit in die gleichmäßig schwarze, undurchdringliche Nacht
hineinsteuerte. Er mußte Nachtaugen haben wie ein Tiger, und es war
beinahe unheimlich, ihn am Steuer drehen zu sehen und zu wissen, daß wir
in der schmalen Fahrtrinne eines Urwaldstromes mit hundert launischen
Windungen unterwegs waren, während ich mit aller Anstrengung vom Ufer
keinen Schimmer noch Schatten wahrnehmen konnte. Der Kapitän schlief
zusammengekauert nebenan.
Wieder legte ich mich nieder. Es war sehr heiß und auf meiner
Schiffsseite ging kein Luftzug; immer wieder warf ich die Reisedecke ab,
unter der ich die bloßen Füße geschützt gehalten hatte, und immer wieder
nötigten mich die Bisse der Moskitos, sie von neuem zu bedecken. Und
endlich, etwa um Mitternacht, schlief ich doch noch ein, und meinte lang
geschlafen zu haben, als das oft wiederholte Geheul der Schiffspfeife
mich weckte. Es war aber erst halb zwei Uhr. Da und dort richteten
erschrockene Schläfer sich taumelnd auf, die meisten sanken alsbald
wieder zurück und blieben ruhig, andre standen auf und zogen das Tuch
von der Laterne, deren Licht ringsum einen ganzen Knäuel von Schlafenden
enthüllte. Die Pfeife schrie weiter, die Maschine stoppte, das Schiff
drehte sich; an die Reling tretend, sah ich plötzlich Land, ein Floß und
eine Rohrhütte dicht neben uns, mit einem kleinen Stoß legten wir an.
Wir hatten keine Feuerung mehr und mußten Holz einnehmen.
Die „Königstreppe“ herab kamen vom hohen Ufer zwei dunkle Männer mit
rauchenden Fackeln gestiegen, ihre Fackeln waren aus dürren Blättern
gedreht und mit Baumharz getränkt. Auf dem Floß lagen große Haufen von
Holzscheiten gestapelt, und nun begann das Holzfassen, dem ich zwei
Stunden lang zuschaute und namentlich zuhörte. Beim Fackellicht standen
die Matrosen und Holzkulis in zwei Ketten, ein Holzscheit nach dem
andern ging von Hand zu Hand, im ganzen mehrere Tausend, und Scheit für
Scheit wurde vom Ablieferer mit lautem Gesange gezählt. Mit seiner
weichen, trägen, hübschen Malayenstimme sang er in freien, wunderlich
feierlichen Melodien mit unaufhörlichen Variationen immerzu die Zahl der
gelieferten Holzscheite in die schwarze Nacht und das Strömen des
Flusses hinein: ampat – lima! lima – anam! anam – tujoh! So arbeitete er
und sang gleichmäßig und gleichtönig zwei Stunden lang, und bei jedem
neuen Hundert tat er einen melodischen Freudenschrei. Dann sang er
weiter, bald schläfrig und klagend, bald hoffnungsvoll und tröstlich,
immer dieselbe Grundmelodie mit kleinen, der Stimmung nachgehenden,
kapriziösen Beugungen und Variationen. So singen die Arbeiter und
Landleute hier alle, wenn sie abends im kleinen Einbaum unterwegs sind
und die Nacht anbricht; dann werden sie ängstlich und unendlich
trostbedürftig, dann fürchten sie das Krokodil und die Geister der
Toten, die nachts überm Fluß unterwegs sind, und dann hört man sie mit
Ergebung und mit Inbrunst, mit Schmerzen und mit Hoffnung singen,
unbewußt wie der Bambu im Nachtwind singt.
Ich lag wieder still und dämmerte ein, während die Maschine von neuem zu
arbeiten begann. Es regnete jetzt und manchmal sprühte ein Dutzend lauer
Tropfen zu mir herein; ich wollte mir noch die Decke über die Kniee
ziehen, doch war ich schon zu müde, und nun schlief ich ein.
Als ich wieder die Augen auftat, war ein bleicher, kühler Nebelmorgen,
mein Nachtkleid war durchnäßt und ich fror, schläfrig griff ich nach der
feuchten Reisedecke und zog sie an mich. Als ich dabei den Kopf drehte,
sah ich jemand über mir stehen. Ich schaute empor, da stand mit den
kleinen, braunen, ringgeschmückten Füßen neben meinem Kopf das hübsche,
langhaarige Malayenkind, hielt die Hände auf dem Rücken und betrachtete
mich aufmerksam mit schönen, ruhigen Augen und sachlichem Interesse, als
könne sie vielleicht im Schlaf erlauschen, welcherlei Tier eigentlich
der weiße Mann sei. Ich hatte dabei genau dasselbe Gefühl, wie wenn man
auf einer Bergreise im Heu erwacht und die schönen, neugierigen Augen
einer Gais oder eines Kalbes auf sich gerichtet findet. Das Mädchen
blickte mir noch eine Weile fest in die Augen; als ich mich aufrichtete,
ging sie davon und zur Mutter.
Auf Deck war schon Leben, nur wenige schliefen noch, einer davon
zusammengerollt und in sich selbst verkrochen wie ein Hund in kalter
Nacht. Die andern rollten ihre Bastmatten zusammen, zogen den Sarong um
die Hüften, banden das Kopftuch oder den Turban auf und blickten blöde
und nüchtern in den feuchten Morgen.


Waldnacht

Wir waren kurz vor Sonnenuntergang von einem Ausflug im kleinen Boot
zurückgekehrt, müde nach der Schwüle und dem stundenlangen Plätschern
auf dem breiten braunen Strom zwischen den ewigen Wäldern. Wir waren dem
chinesischen Dampferchen begegnet, das jede Woche auf dem Batang Hari
fährt und heimwärts nach Djambi unterwegs war. Wir hatten ein paar
Tauben und einen Nashornvogel geschossen, eine Bambushütte
photographiert, die als letzter Rest einer vorjährigen Reispflanzung in
der Öde stand und wo sich ein alter Malaye mit seinem Weib sorglos vom
hereinwachsenden Dschungel belagern läßt, wir hatten ein paar große
grüne Schmetterlinge gefangen und uns schließlich beeilen müssen, um vor
der Nacht zurückzukommen.
Als wir anlegten und steif vom langen engen Sitzen über den kleinen
Ländefloß vor unserer Hütte stiegen, ging eben die Sonne dunstig über
dem Walde unter, der Strom blinkte trüb herauf, und die Ufer wurden
schon finster, als bräche der Wald von beiden Seiten herein und wolle
die schmale schwache Lichtbahn erdrücken.
Ehe die Nacht und die Krokodile kamen, war es eben noch Zeit, sich am
Ufer ein paar Eimer voll Flußwasser über den Kopf zu gießen, ein
frisches Hemd anzuziehen und sich auf unsere große Veranda zu begeben,
wo der dicke wohlwollende Chinese schon das Abendessen bereit hielt. Ich
blickte hinauf; es war schon dunkel geworden, und unsere Hütte stand mit
der schwach erleuchteten Veranda schön und breit zwischen dem Urwald und
dem steilen Flußufer, kaum hob sich noch das weiche Palmblätterdach vom
schwarzen Himmel ab. Was Nacht ist, weiß man nur in den Tropen. Wie ist
sie schön und fremd und feindlich, die tiefe satte Dunkelheit, der
schwere schwarze Vorhang, um so viel unergründlicher und finsterer, wie
der Tropenmittag glühender und prahlender ist als der nordische.
Wir setzten uns um den großen unbeweglichen Eisenholztisch, wir aßen
Fischchen in Öl und Zwieback, wir tranken von den vielen schweren,
guten, ungesunden Getränken Holländisch-Indiens. Zu sagen hatten wir uns
wenig, wir waren seit Tagen und Tagen beisammen, zu dreien, und wir
waren müde und trotz des Bades schon wieder heiß und feucht. In der
Finsternis schrien ringsum die hunderttausend großflügeligen Insekten,
gläsern und schrill oder tief und dunkel surrend, lauter als ein
Streichorchester. Wir halfen dem Chinesen den Tisch abräumen, nur die
Flaschen blieben stehen, das schwache Lampenlicht floß matt an der
geflochtenen Wand hin und in die offene Nacht hinaus. Die Flinten
lehnten am Eingang, das Schmetterlingsnetz daneben. Einer legte sich in
den Liegestuhl unter der Hängelampe und versuchte in einem Tauchnitzband
zu lesen, der andere begann die Flinten abzureiben und ich faltete
kleine Düten aus Zeitungspapier für die Schmetterlinge.
Früh, es war kaum halb zehn Uhr, sagten wir einander Gutnacht und gingen
hinein. Ich warf die Kleider ab und schlüpfte rasch im Dunkeln unter das
hohe Moskitonetz, streckte mich auf der guten weichen Matratze aus und
sank in den weichen müden Zustand von Halbschlummer, in dem ich seit
langem meine Nächte hinbrachte. Es war nicht nötig, die Augen zu
schließen, nur mit Mühe und gutem Willen vermochte ich das Viereck des
offenen Fensterloches zu erkennen. Da draußen war es kaum um einen
Schatten heller als zwischen meinen Bambuswänden und Bastmatten, aber
man spürte die wilde Natur draußen gären und kochen in ihrem nie
unterbrochenen geilen Treiben und Zeugen, man hörte hundert Tiere und
atmete den krautigen Geruch von üppigem Wachstum. Das Leben ist hier
wenig wert, die Natur schont nicht und braucht hier nicht zu sparen.
Aber wir Weißen sind schon dahinter her, wir haben unsere Bambushütte
und haben schon einen kleinen Kampong mit fast hundert Malayen, die uns
helfen müssen, den ewigen Urwald anzuzapfen, und seit kurzem klingt
hier, zum erstenmal seit die Welt steht, Axtschlag und Arbeitsgetöse
durch das Dickicht. Vor drei Jahren wurden hier noch in wilden schnöden
Streifzügen die Ureinwohner niedergeschossen, die dunkeln scheuen Kubus,
die sich nicht so lange halten konnten wie die listig grausamen Atschi
im Norden. Die Seelen der Gemordeten schweben nachts überm Fluß, aber
sie werden nur von ihren Brüdern gefürchtet, und wir Weißen schreiten
ruhig und herrisch durch die Wildnis, erteilen in unserem verdorbenen
Malayisch kalte Befehle und sehen die dunkeln uralten Eisenholzbäume
ohne Rührung fallen. Man braucht sie zum Werftenbau.
In blassen Halbgedanken dämmerte ich ein, hing müde schwüle Stunden
zwischen Traum und Wirklichkeit. Ich war ein Kind und war am Weinen, und
eine Mutter wiegte mich mit Gesumse, aber sie sang Malayisch, und wenn
ich die bleischweren Augen öffnen und sie ansehen wollte, so war es das
tausendjährige Angesicht des Urwaldes, das über mich gebeugt hing und
mir zuflüsterte. Ja, hier war ich am Herzen der Natur; hier war die Welt
nicht anders als vor hunderttausend Jahren. Man konnte Drahtseile an den
Gaurisankar nageln und den Eskimos ihre Fischjagd mit Motorbooten
verderben, aber gegen den Urwald würden wir noch eine gute Weile nicht
aufkommen. Da fraß die Malaria unsere Leute, der Rost unsere Nägel und
Flinten, da verwesten und vergingen Völker, und aus dem Aashaufen trieb
eilends und immerzu neues Völkergemisch empor, geil und nicht
umzubringen.
Eine mächtige Erschütterung weckte mich plötzlich; ich sprang
unmittelbar aus dem Schlaf in die Höhe, fiel wieder um, stand wieder auf
und zog, nun erwacht, den Mückenschleier auseinander. Ein wildes,
weißes, furchtbar grelles Licht schlug mir blendend entgegen, und erst
nach Augenblicken erkannte ich, daß es das Licht von vielen, ohne Pause
aufeinanderfolgenden Blitzen war. Der Donner rauschte mit Gekeuche
hinterher, die Luft war seltsam bewegt und voll von Elektrizität, die
ich in meinen Fingerspitzen zucken fühlte.
Benommen taumelte ich zum Fensterloch, das im Licht der Blitze vor mir
schwankte und seine Ränder verschob wie die Fensterreihe eines
vorüberrasenden Eisenbahnzugs. Da schaute, auf zwei Schritt Entfernung,
der Wald mich an, ein umgerührtes Meer von Formen, von Astgeschlinge,
Laubmengen und Fasern, wogend und in Verzweiflung sich wehrend, von den
Blitzen überflogen und jäh bis ins zuckende dunkle Herz hinein
verwundet, krachend und empört. Ich stand am Fenster und starrte in das
Unwesen, geblendet und betäubt, und fühlte mit überwachen Sinnen das
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