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Aus dem Leben eines Taugenichts: Novelle - 5

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  Straße säuselten dazwischen und erfüllten die Luft mit erquickenden
  Düften.
  Wie ich nun eben so weiter fortschlendere und vor Vergnügen, Mondschein
  und Wohlgeruch gar nicht weiß, wohin ich mich wenden soll, läßt sich
  tief aus dem einen Garten eine Gitarre hören. Mein Gott, denk ich, da
  ist mir wohl der tolle Student mit dem langen Überrock heimlich
  nachgesprungen! Darüber fing eine Dame in dem Garten an überaus lieblich
  zu singen. Ich stand ganz wie bezaubert, denn es war die Stimme der
  schönen gnädigen Frau und dasselbe welsche Liedchen, das sie gar oft zu
  Hause am offnen Fenster gesungen hatte.
  Da fiel mir auf einmal die schöne alte Zeit mit solcher Gewalt aufs
  Herz, daß ich bitterlich hätte weinen mögen, der stille Garten vor dem
  Schloß in früher Morgenstunde, und wie ich da hinter dem Strauch so
  glückselig war, ehe mir die dumme Fliege in die Nase flog. Ich konnte
  mich nicht länger halten. Ich kletterte auf den vergoldeten Zieraten
  über das Gittertor und schwang mich in den Garten hinunter, woher der
  Gesang kam. Da bemerkte ich, daß eine schlanke, weiße Gestalt von fern
  hinter einer Pappel stand und mir erst verwundert zusah, als ich über
  das Gitterwerk kletterte, dann aber auf einmal so schnell durch den
  dunklen Garten nach dem Hause zuflog, daß man sie im Mondschein kaum
  füßeln sehen konnte. »Das war sie selbst!« rief ich aus, und das Herz
  schlug mir vor Freude, denn ich erkannte sie gleich an den kleinen,
  geschwinden Füßchen wieder. Es war nur schlimm, daß ich mir beim
  Herunterspringen vom Gartentore den rechten Fuß etwas vertreten hatte,
  ich mußte daher erst ein paarmal mit dem Beine schlenkern, eh ich zu dem
  Hause nachspringen konnte. Aber da hatten sie unterdes Tür und Fenster
  fest verschlossen. Ich klopfte ganz bescheiden an, horchte und klopfte
  wieder. Da war es nicht anders, als wenn es drinnen leise flüsterte und
  kicherte, ja einmal kam es mir vor, als wenn zwei helle Augen zwischen
  den Jalousien im Mondschein hervorfunkelten. Dann war auf einmal wieder
  alles still.
  Sie weiß nur nicht, daß ich es bin, dachte ich, zog die Geige, die ich
  allzeit bei mir trage, hervor, spazierte damit auf dem Gange vor dem
  Hause auf und nieder und spielte und sang das Lied von der schönen Frau
  und spielte voll Vergnügen alle meine Lieder durch, die ich damals in
  den schönen Sommernächten im Schloßgarten oder auf der Bank vor dem
  Zollhause gespielt hatte, daß es weit bis in die Fenster des Schlosses
  hinüberklang. -- Aber es half alles nichts, es rührte und regte sich
  niemand im ganzen Hause. Da steckte ich endlich meine Geige traurig ein
  und legte mich auf der Schwelle vor der Haustür hin, denn ich war sehr
  müde von dem langen Marsch. Die Nacht war warm, die Blumenbeete vor dem
  Hause dufteten lieblich, eine Wasserkunst weiter unten im Garten
  plätscherte immerfort dazwischen. Mir träumte von himmelblauen Blumen,
  von schönen, dunkelgrünen, einsamen Gründen, wo Quellen rauschten und
  Bächlein gingen und bunte Vögel wunderbar sangen, bis ich endlich fest
  einschlief.
  Als ich aufwachte, rieselte mir die Morgenluft durch alle Glieder. Die
  Vögel waren schon wach und zwitscherten auf den Bäumen um mich herum,
  als ob sie mich für'n Narren haben wollten. Ich sprang rasch auf und sah
  mich nach allen Seiten um. Die Wasserkunst im Garten rauschte noch
  immerfort, aber in dem Hause war kein Laut zu vernehmen. Ich guckte
  durch die grünen Jalousien in das eine Zimmer hinein. Da war ein Sofa,
  und ein großer runder Tisch mit grauer Leinwand verhangen, die Stühle
  standen alle in großer Ordnung und unverrückt an den Wänden herum; von
  außen aber waren die Jalousien an allen Fenstern heruntergelassen, als
  wäre das ganze Haus schon seit vielen Jahren unbewohnt. -- Da überfiel
  mich ein ordentliches Grausen vor dem einsamen Hause und Garten und vor
  der gestrigen weißen Gestalt. Ich lief, ohne mich weiter umzusehen,
  durch die stillen Lauben und Gänge und kletterte geschwind wieder an dem
  Gartentor hinauf. Aber da blieb ich wie verzaubert sitzen, als ich auf
  einmal von dem hohen Gitterwerk in die prächtige Stadt hinuntersah. Da
  blitzte und funkelte die Morgensonne weit über die Dächer und in die
  langen stillen Straßen hinein, daß ich laut aufjauchzen mußte und voller
  Freude auf die Straße hinuntersprang.
  Aber wohin sollt ich mich wenden in der großen fremden Stadt? Auch ging
  mir die konfuse Nacht und das welsche Lied der schönen gnädigen Frau von
  gestern noch immer im Kopfe hin und her. Ich setzte mich endlich auf den
  steinernen Springbrunnen, der mitten auf dem einsamen Platze stand,
  wusch mir in dem klaren Wasser die Augen hell und sang dazu:
   »Wenn ich ein Vöglein war,
   Ich wüßt wohl, wovon ich sänge,
   Und auch zwei Flügel hätt,
   Ich wüßt wohl, wohin ich mich schwänge!«
  »Ei, lustiger Gesell, du singst ja wie eine Lerche beim ersten
  Morgenstrahl!« sagte da auf einmal ein junger Mann zu mir, der während
  meines Liedes an den Brunnen herangetreten war. Mir aber, da ich so
  unverhofft Deutsch sprechen hörte, war es nicht anders im Herzen, als
  wenn die Glocke aus meinem Dorfe am stillen Sonntagsmorgen plötzlich zu
  mir herüberklänge. »Gott willkommen, bester Herr Landsmann!« rief ich
  aus und sprang voller Vergnügen von dem steinernen Brunnen herab. Der
  junge Mann lächelte und sah mich von oben bis unten an. »Aber was treibt
  Ihr denn eigentlich hier in Rom?« fragte er endlich. Da wußte ich nun
  nicht gleich, was ich sagen sollte, denn daß ich soeben der schönen
  gnädigen Frau nachspränge, mocht ich ihm nicht sagen. »Ich treibe,«
  erwiderte ich, »mich selbst ein bißchen herum, um die Welt zu sehn.« --
  »So so!« versetzte der junge Mann und lachte laut auf, »da haben wir ja
  =ein= Metier. Das tu ich eben auch, um die Welt zu sehn und hinterdrein
  abzumalen.« -- »Also ein Maler!« rief ich fröhlich aus, denn mir fiel
  dabei Herr Leonhard und Guido ein. Aber der Herr ließ mich nicht zu
  Worte kommen. »Ich denke,« sagte er, »du gehst mit und frühstückst bei
  mir, da will ich dich selbst abkonterfeien, daß es eine Freude sein
  soll!« -- Das ließ ich mir gern gefallen und wanderte nun mit dem Maler
  durch die leeren Straßen, wo nur hin und wieder erst einige Fensterladen
  aufgemacht wurden und bald ein Paar weiße Arme, bald ein verschlafnes
  Gesichtchen in die frische Morgenluft hinausguckte.
  Er führte mich lange hin und her durch eine Menge konfuser, enger und
  dunkler Gassen, bis wir endlich in ein altes verräuchertes Haus
  hineinwuschten. Dort stiegen wir eine finstre Treppe hinauf, dann wieder
  eine, als wenn wir in den Himmel hineinsteigen wollten. Wir standen nun
  unter dem Dache vor einer Tür still, und der Maler fing an in allen
  Taschen vorn und hinten mit großer Eilfertigkeit zu suchen. Aber er
  hatte heute früh vergessen zuzuschließen und den Schlüssel in der Stube
  gelassen. Denn er war, wie er mir unterwegs erzählte, noch vor
  Tagesanbruch vor die Stadt hinausgegangen, um die Gegend bei
  Sonnenaufgang zu betrachten. Er schüttelte nur mit dem Kopfe und stieß
  die Tür mit dem Fuße auf.
  Das war eine lange, lange, große Stube, daß man darin hätte tanzen
  können, wenn nur nicht auf dem Fußboden alles vollgelegen hätte. Aber da
  lagen Stiefel, Papiere, Kleider, umgeworfene Farbentöpfe, alles
  durcheinander; in der Mitte der Stube standen große Gerüste, wie man zum
  Birnenabnehmen braucht, ringsum an der Wand waren große Bilder
  angelehnt. Auf einem langen hölzernen Tische war eine Schüssel, worauf
  neben einem Farbenkleckse Brot und Butter lag. Eine Flasche Wein stand
  daneben.
  »Nun eßt und trinkt erst, Landsmann!« rief mir der Maler zu. -- Ich
  wollte mir auch sogleich ein paar Butterschnitten schmieren, aber da war
  wieder kein Messer da. Wir mußten erst lange in den Papieren auf dem
  Tische herumrascheln, ehe wir es unter einem großen Pakete endlich
  fanden. Darauf riß der Maler das Fenster auf, daß die frische Morgenluft
  fröhlich das ganze Zimmer durchdrang. Das war eine herrliche Aussicht
  weit über die Stadt weg in die Berge hinein, wo die Morgensonne lustig
  die weißen Landhäuser und Weingärten beschien. -- »Vivat unser
  kühlgrünes Deutschland da hinter den Bergen!« rief der Maler aus und
  trank dazu aus der Weinflasche, die er mir dann hinreichte. Ich tat ihm
  höflich Bescheid und grüßte in meinem Herzen die schöne Heimat in der
  Ferne noch viel tausendmal.
  Der Maler aber hatte unterdes das hölzerne Gerüst, worauf ein sehr
  großes Papier aufgespannt war, näher an das Fenster herangerückt. Auf
  dem Papier war bloß mit großen schwarzen Strichen eine alte Hütte gar
  künstlich abgezeichnet. Darin saß die Heilige Jungfrau mit einem überaus
  schönen, freudigen und doch recht wehmütigen Gesichte. Zu ihren Füßen
  auf einem Nestlein von Stroh lag das Jesuskind, sehr freundlich, aber
  mit großen, ernsthaften Augen. Draußen auf der Schwelle der offnen Hütte
  aber knieten zwei Hirtenknaben mit Stab und Tasche. -- »Siehst du,«
  sagte der Maler, »dem einen Hirtenknaben da will ich deinen Kopf
  aufsetzen, so kommt dein Gesicht doch auch etwas unter die Leute, und
  wills Gott, sollen sie sich daran noch erfreuen, wenn wir beide schon
  lange begraben sind und selbst so still und fröhlich vor der Heiligen
  Mutter und ihrem Sohne knien wie die glücklichen Jungen hier.« -- Darauf
  ergriff er einen alten Stuhl, von dem ihm aber, da er ihn aufheben
  wollte, die halbe Lehne in der Hand blieb. Er paßte ihn geschwind wieder
  zusammen, schob ihn vor das Gerüst hin, und ich mußte mich nun darauf
  setzen und mein Gesicht etwas von der Seite, nach dem Maler zu, wenden.
  -- So saß ich ein paar Minuten ganz still, ohne mich zu rühren. Aber ich
  weiß nicht, zuletzt konnt ichs gar nicht recht aushalten, bald juckte
  michs da, bald juckte michs dort. Auch hing mir gerade gegenüber ein
  zerbrochener halber Spiegel, da mußt ich immerfort hineinsehen und
  machte, wenn er eben malte, aus Langeweile allerlei Gesichter und
  Grimassen. Der Maler, der es bemerkte, lachte endlich laut auf und
  winkte mir mit der Hand, daß ich wieder aufstehen sollte. Mein Gesicht
  auf dem Hirten war auch schon fertig und sah so klar aus, daß ich mir
  ordentlich selber gefiel.
  Er zeichnete nun in der frischen Morgenkühle immer fleißig fort, während
  er ein Liedchen dazu sang und zuweilen durch das offne Fenster in die
  prächtige Gegend hinausblickte. Ich aber schnitt mir unterdes noch eine
  Butterstolle und ging damit im Zimmer auf und ab und besah mir die
  Bilder, die an der Wand aufgestellt waren. Zwei darunter gefielen mir
  ganz besonders gut. »Habt Ihr die auch gemalt?« fragte ich den Maler.
  »Warum nicht gar!« erwiderte er, »die sind von den berühmten Meistern
  Leonardo da Vinci und Guido Reni -- aber da weißt du ja doch nichts
  davon!« -- Mich ärgerte der Schluß der Rede. »O,« versetzte ich ganz
  gelassen, »die beiden Meister kenne ich wie meine eigne Tasche.« -- Da
  machte er große Augen. »Wieso?« fragte er geschwind. »Nun,« sagte ich,
  »bin ich nicht mit ihnen Tag und Nacht fortgereist, zu Pferde und zu Fuß
  und zu Wagen, daß mir der Wind am Hute pfiff, und hab sie alle beide in
  der Schenke verloren und bin dann allein in ihrem Wagen mit Extrapost
  immer weiter gefahren, daß der Bombenwagen immerfort auf zwei Rädern
  über die entsetzlichen Steine flog, und« -- »Oho! Oho!« unterbrach mich
  der Maler und sah mich starr an, als wenn er mich für verrückt hielte.
  Dann aber brach er plötzlich in ein lautes Gelächter aus. »Ach,« rief
  er, »nun versteh ich erst, du bist mit zwei Malern gereist, die Guido
  und Leonhard hießen?« -- Da ich das bejahte, sprang er rasch auf und sah
  mich nochmals von oben bis unten ganz genau an. »Ich glaube gar,« sagte
  er, »am Ende -- spielst du die Violine?« -- Ich schlug auf meine
  Rocktasche, daß die Geige darin einen Klang gab. -- »Nun, wahrhaftig,«
  versetzte der Maler, »da war eine Gräfin aus Deutschland hier, die hat
  sich in allen Winkeln von Rom nach den beiden Malern und nach einem
  jungen Musikanten mit der Geige erkundigen lassen.« -- »Eine junge
  Gräfin aus Deutschland?« rief ich voller Entzücken aus, »ist der Portier
  mit?« -- »Ja, das weiß ich alles nicht,« erwiderte der Maler, »ich sah
  sie nur einige Male bei einer Freundin von ihr, die aber auch nicht in
  der Stadt wohnt. -- Kennst du die?« fuhr er fort, indem er in einem
  Winkel plötzlich eine Leinwanddecke von einem großen Bilde in die Höhe
  hob. Da war mirs doch nicht anders, als wenn man in einer finstern Stube
  die Laden aufmacht und einem die Morgensonne auf einmal über die Augen
  blitzt, es war -- die schöne gnädige Frau! -- sie stand in einem
  schwarzen Samtkleide im Garten und hob mit einer Hand den Schleier vom
  Gesicht und sah still und freundlich in eine weite, prächtige Gegend
  hinaus. Je länger ich hinsah, je mehr kam es mir vor, als wäre es der
  Garten am Schlosse, und die Blumen und Zweige wiegten sich leise im
  Winde, und unten in der Tiefe sähe ich mein Zollhäuschen und die
  Landstraße weit durchs Grüne und die Donau und die fernen blauen Berge.
  »Sie ists, sie ists!« rief ich endlich, erwischte meinen Hut und rannte
  rasch zur Tür hinaus, die vielen Treppen hinunter und hörte nur noch,
  daß mir der verwunderte Maler nachschrie, ich sollte gegen Abend
  wiederkommen, da könnten wir vielleicht mehr erfahren.
  
  
  Achtes Kapitel
  
  Ich lief mit großer Eilfertigkeit durch die Stadt, um mich sogleich
  wieder in dem Gartenhause zu melden, wo die schöne Frau gestern abend
  gesungen hatte. Auf den Straßen war unterdes alles lebendig geworden,
  Herren und Damen zogen im Sonnenschein und neigten sich und grüßten bunt
  durcheinander, prächtige Karossen rasselten dazwischen, und von allen
  Türmen läutete es zur Messe, daß die Klänge über dem Gewühl wunderbar in
  der klaren Luft durcheinanderhallten. Ich war wie betrunken von Freude
  und von dem Rumor und rannte in meiner Fröhlichkeit immer gerade fort,
  bis ich zuletzt gar nicht mehr wußte, wo ich stand. Es war wie
  verzaubert, als wäre der stille Platz mit dem Brunnen und der Garten und
  das Haus bloß ein Traum gewesen und beim hellen Tageslichte alles wieder
  von der Erde verschwunden.
  Fragen konnte ich nicht, denn ich wußte den Namen des Platzes nicht.
  Endlich fing es auch an sehr schwül zu werden, die Sonnenstrahlen
  schossen recht wie sengende Pfeile auf das Pflaster, die Leute
  verkrochen sich in die Häuser, die Jalousien wurden überall wieder
  zugemacht, und es war auf einmal wie ausgestorben auf den Straßen. Ich
  warf mich zuletzt ganz verzweifelt vor einem schönen großen Hause hin,
  vor dem ein Balkon mit Säulen breiten Schatten warf, und betrachtete
  bald die stille Stadt, die in der plötzlichen Einsamkeit bei heller
  Mittagsstunde ordentlich schauerlich aussah, bald wieder den tiefblauen,
  ganz wolkenlosen Himmel, bis ich endlich vor großer Ermüdung gar
  einschlummerte. Da träumte mir, ich läge bei meinem Dorfe auf einer
  einsamen grünen Wiese, ein warmer Sommerregen sprühte und glänzte in der
  Sonne, die soeben hinter den Bergen unterging, und wie die Regentropfen
  auf den Rasen fielen, waren es lauter schöne bunte Blumen, so daß ich
  davon ganz überschüttet war.
  Aber wie erstaunte ich, als ich erwachte und wirklich eine Menge schöner
  frischer Blumen auf und neben mir liegen sah! Ich sprang auf, konnte
  aber nichts Besonderes bemerken, als bloß in dem Hause über mir ein
  Fenster ganz oben voll von duftenden Sträuchern und Blumen, hinter denen
  ein Papagei unablässig plauderte und kreischte. Ich las nun die
  zerstreuten Blumen auf, band sie zusammen und steckte mir den Strauß
  vorn ins Knopfloch. Dann aber fing ich an, mit dem Papagei ein wenig zu
  diskurieren, denn es freute mich, wie er in seinem vergoldeten Gebauer
  mit allerlei Grimassen herauf und herunter stieg und sich dabei immer
  ungeschickt über die große Zehe trat. Doch ehe ich michs versah,
  schimpfte er mich »Furfante!« Wenn es gleich eine unvernünftige Bestie
  war, so ärgerte es mich doch. Ich schimpfte ihn wieder, wir gerieten
  endlich beide in Hitze, je mehr ich auf deutsch schimpfte, je mehr
  gurgelte er auf italienisch wieder auf mich los.
  Auf einmal hörte ich jemand hinter mir lachen. Ich drehte mich rasch um.
  Es war der Maler von heute früh. »Was stellst du wieder für tolles Zeug
  an!« sagte er, »ich warte schon eine halbe Stunde auf dich. Die Luft ist
  wieder kühler, wir wollen in einen Garten vor der Stadt gehen, da wirst
  du mehrere Landsleute finden und vielleicht etwas Näheres von der
  deutschen Gräfin erfahren.«
  Darüber war ich außerordentlich erfreut, und wir traten unsern
  Spaziergang sogleich an, während ich den Papagei noch lange hinter mir
  drein schimpfen hörte.
  Nachdem wir draußen vor der Stadt auf schmalen steinichten Fußsteigen
  lange zwischen Landhäusern und Weingärten hinaufgestiegen waren, kamen
  wir an einen kleinen hochgelegenen Garten, wo mehrere junge Männer und
  Mädchen im Grünen um einen runden Tisch saßen. Sobald wir hineintraten,
  winkten uns alle zu, uns still zu verhalten, und zeigten auf die andere
  Seite des Gartens hin. Dort saßen in einer großen, grünverwachsenen
  Laube zwei schöne Frauen an einem Tisch einander gegenüber. Die eine
  sang, die andere spielte Gitarre dazu. Zwischen beiden hinter dem Tische
  stand ein freundlicher Mann, der mit einem kleinen Stäbchen zuweilen den
  Takt schlug. Dabei funkelte die Abendsonne durch das Weinlaub, bald über
  die Weinflaschen und Früchte, womit der Tisch in der Laube besetzt war,
  bald über die vollen, runden, blendendweißen Achseln der Frau mit der
  Gitarre. Die andere war wie verzückt und sang auf italienisch ganz
  außerordentlich künstlich, daß ihr die Flechsen am Halse aufschwollen.
  Wie sie nun soeben mit zum Himmel gerichteten Augen eine lange Kadenz
  anhielt und der Mann neben ihr mit aufgehobenem Stäbchen auf den
  Augenblick paßte, wo sie wieder in den Takt einfallen würde, und keiner
  im ganzen Garten zu atmen sich unterstand, da flog plötzlich die
  Gartentür weit auf und ein ganz erhitztes Mädchen und hinter ihr ein
  junger Mensch mit einem feinen, bleichen Gesicht stürzten in großem
  Gezänke herein. Der erschrockene Musikdirektor blieb mit seinem
  aufgehobenen Stabe wie ein versteinerter Zauberer stehen, obgleich die
  Sängerin schon längst den langen Triller plötzlich abgeschnappt hatte
  und zornig aufgestanden war. Alle übrigen zischten den Neuangekommenen
  wütend an. »Barbar!« rief ihm einer von dem runden Tische zu, »du rennst
  da mitten in das sinnreiche Tableau von der schönen Beschreibung hinein,
  welche der selige Hoffmann, Seite 347 des Frauentaschenbuches für 1816,
  von dem schönsten Hummelschen Bilde gibt, das im Herbst 1814 auf der
  Berliner Kunstausstellung zu sehen war!« -- Aber das half alles nichts.
  »Ach was!« entgegnete der junge Mann, »mit euern Tableaus von Tableaus!
  Mein selbsterfundenes Bild für die andern, und mein Mädchen für mich
  allein! So will ich es halten! O du Ungetreue, du Falsche!« fuhr er dann
  von neuem gegen das arme Mädchen fort, »du kritische Seele, die in der
  Malerkunst nur den Silberblick und in der Dichterkunst nur den goldenen
  Faden sucht und keinen Liebsten, sondern nur lauter Schätze hat! Ich
  wünsche dir hinfüro, anstatt eines ehrlichen malerischen Pinsels, einen
  alten Duka mit einer ganzen Münzgrube von Diamanten auf der Nase und mit
  hellem Silberblick auf der kahlen Platte und mit Goldschnitt auf den
  paar noch übrigen Haaren! Ja, nur heraus mit dem verruchten Zettel, den
  du da vorhin vor mir versteckt hast! Was hast du wieder angezettelt? Von
  wem ist der Wisch, und an wen ist er?«
  Aber das Mädchen sträubte sich standhaft, und je eifriger die andern den
  erbosten jungen Menschen umgaben und ihn mit großem Lärm zu trösten und
  zu beruhigen suchten, desto erhitzter und toller wurde er von dem Rumor,
  zumal da das Mädchen auch ihr Mäulchen nicht halten konnte, bis sie
  endlich weinend aus dem verworrenen Knäuel hervorflog und sich auf
  einmal ganz unverhofft an meine Brust stürzte, um bei mir Schutz zu
  suchen. Ich stellte mich auch sogleich in die gehörige Positur, aber da
  die andern in dem Getümmel soeben nicht auf uns acht gaben, kehrte sie
  plötzlich das Köpfchen nach mir herauf und flüsterte mir mit ganz
  ruhigem Gesichte sehr leise und schnell ins Ohr: »Du abscheulicher
  Einnehmer! Um dich muß ich das alles leiden. Da steck den fatalen Zettel
  geschwind zu dir, du findest darauf bemerkt, wo wir wohnen. Also zur
  bestimmten Stunde, wenn du ins Tor kommst, immer die einsame Straße
  rechts fort!«
  Ich konnte vor Verwunderung kein Wort hervorbringen, denn wie ich sie
  nun erst recht ansah, erkannte ich sie auf einmal: es war wahrhaftig die
  schnippische Kammerjungfer vom Schloß, die mir damals an dem schönen
  Sonntagsabende die Flasche mit Wein brachte. Sie war mir sonst niemals
  so schön vorgekommen, als da sie sich jetzt so erhitzt an mich lehnte,
  daß die schwarzen Locken über meinem Arm herabhingen. -- »Aber, verehrte
  Mamsell,« sagte ich voller Erstaunen, »wie kommen Sie« -- »Um Gottes
  willen, still nur, jetzt still!« erwiderte sie und sprang geschwind von
  mir fort auf die andere Seite des Gartens, eh ich mich noch auf alles
  recht besinnen konnte.
  Unterdes hatten die andern ihr erstes Thema fast ganz vergessen, zankten
  aber untereinander recht vergnüglich weiter, indem sie dem jungen
  Menschen beweisen wollten, daß er eigentlich betrunken sei, was sich für
  einen ehrliebenden Maler gar nicht schicke. Der runde, fixe Mann aus der
  Laube, der -- wie ich nachher erfuhr -- ein großer Kenner und Freund von
  Künsten war und aus Liebe zu den Wissenschaften gern alles mitmachte,
  hatte auch sein Stäbchen weggeworfen und flankierte mit seinem fetten
  Gesicht, das vor Freundlichkeit ordentlich glänzte, eifrig mitten in dem
  dicksten Getümmel herum, um alles zu vermitteln und zu beschwichtigen,
  während er dazwischen immer wieder die lange Kadenz und das schöne
  Tableau bedauerte, das er mit vieler Mühe zusammengebracht hatte.
  Mir aber war es so sternklar im Herzen wie damals an dem glückseligen
  Sonnabend, als ich am offenen Fenster vor der Weinflasche bis tief in
  die Nacht hinein auf der Geige spielte. Ich holte, da der Rumor gar kein
  Ende nehmen wollte, frisch meine Violine wieder hervor und spielte, ohne
  mich lange zu besinnen, einen welschen Tanz auf, den sie dort im Gebirge
  tanzen und den ich auf dem alten, einsamen Waldschlosse gelernt hatte.
  Da reckten alle die Köpfe in die Höh. »Bravo, bravissimo, ein deliziöser
  Einfall!« rief der lustige Kenner von den Künsten und lief sogleich von
  einem zum andern, um ein ländliches Divertissement, wie ers nannte,
  einzurichten. Er selbst machte den Anfang, indem er der Dame die Hand
  reichte, die vorhin in der Laube gespielt hatte. Er begann darauf
  außerordentlich künstlich zu tanzen, schrieb mit den Fußspitzen allerlei
  Buchstaben auf den Rasen, schlug ordentliche Triller mit den Füßen und
  machte von Zeit zu Zeit ganz passable Luftsprünge. Aber er bekam es bald
  satt, denn er war etwas korpulent. Er machte immer kürzere und
  ungeschicktere Sprünge, bis er endlich ganz aus dem Kreise heraustrat
  und heftig hustete und sich mit seinem schneeweißen Schnupftuche
  unaufhörlich den Schweiß abwischte. Unterdes hatte auch der junge
  Mensch, der nun wieder ganz gescheut geworden war, aus dem Wirtshause
  Kastagnetten herbeigeholt, und ehe ich michs versah, tanzten alle unter
  den Bäumen bunt durcheinander. Die untergegangene Sonne warf noch einige
  rote Widerscheine zwischen die dunklen Schatten und über das alte
  Gemäuer und die von Efeu wild überwachsenen, halb versunkenen Säulen
  hinten im Garten, während man von der andern Seite tief unter den
  Weinbergen die Stadt Rom in den Abendgluten liegen sah. Da tanzten sie
  alle lieblich im Grünen in der klaren stillen Luft, und mir lachte das
  Herz recht im Leibe, wie die schlanken Mädchen, und die Kammerjungfer
  mitten unter ihnen, sich so mit aufgehobenen Armen wie heidnische
  Waldnymphen zwischen dem Laubwerk schwangen und dabei jedesmal in der
  Luft mit den Kastagnetten lustig dazu schnalzten. Ich konnte mich nicht
  länger halten, ich sprang mitten unter sie hinein und machte, während
  ich dabei immerfort geigte, recht artige Figuren.
  Ich mochte eine ziemliche Weile so im Kreise herumgesprungen sein und
  merkte gar nicht, daß die andern unterdes anfingen müde zu werden und
  sich nach und nach von dem Rasenplatze verloren. Da zupfte mich jemand
  von hinten tüchtig an den Rockschößen. Es war die Kammerjungfer. »Sei
  kein Narr,« sagte sie leise, »du springst ja wie ein Ziegenbock!
  Studiere deinen Zettel ordentlich und komm bald nach, die schöne junge
  Gräfin wartet.« -- Und damit schlüpfte sie in der Dämmerung zur
  Gartenpforte hinaus und war bald zwischen den Weingärten verschwunden.
  Mir klopfte das Herz, ich wäre am liebsten gleich nachgesprungen. Zum
  Glücke zündete der Kellner, da es schon dunkel geworden war, in einer
  großen Laterne an der Gartentür Licht an. Ich trat heran und zog
  geschwind den Zettel heraus. Da war ziemlich kritzlig mit Bleifeder das
  Tor und die Straße beschrieben, wie mir die Kammerjungfer vorhin gesagt
  hatte. Dann stand: »Elf Uhr an der kleinen Tür.«
  Da waren noch ein paar lange Stunden hin! -- Ich wollte mich
  dessenungeachtet sogleich auf den Weg machen, denn ich hatte keine Rast
  und Ruhe mehr; aber da kam der Maler, der mich hierhergebracht hatte,
  auf mich los. »Hast du das Mädchen gesprochen?« fragte er, »ich seh sie
  nun nirgends mehr; das war das Kammermädchen von der deutschen Gräfin.«
  »Still, still!« erwiderte ich, »die Gräfin ist noch in Rom.« »Nun, desto
  besser,« sagte der Maler, »so komm und trink mit uns auf ihre
  Gesundheit!« Und damit zog er mich, wie sehr ich mich auch sträubte, in
  den Garten zurück.
  Da war es unterdes ganz öde und leer geworden. Die lustigen Gäste
  wanderten, jeder sein Liebchen am Arm, nach der Stadt zu, und man hörte
  sie noch durch den stillen Abend zwischen den Weingärten plaudern und
  lachen, immer ferner und ferner, bis sich endlich die Stimmen tief in
  dem Tale im Rauschen der Bäume und des Stromes verloren. Ich war noch
  mit meinem Maler und dem Herrn Eckbrecht -- so hieß der andere junge
  Maler, der sich vorhin so herumgezankt hatte -- allein oben
  zurückgeblieben. Der Mond schien prächtig im Garten zwischen die hohen,
  dunklen Bäume herein, ein Licht flackerte im Winde auf dem Tische vor
  uns und schimmerte über den vielen vergoßnen Wein auf der Tafel. Ich
  mußte mich mit hinsetzen, und mein Maler plauderte mit mir über meine
  Herkunft, meine Reise und meinen Lebensplan. Herr Eckbrecht aber hatte
  das junge hübsche Mädchen aus dem Wirtshause, nachdem sie uns Flaschen
  auf den Tisch gestellt, vor sich auf den Schoß genommen, legte ihr die
  Gitarre in den Arm und lehrte sie ein Liedchen darauf klimpern. Sie fand
  sich auch bald mit den kleinen Händchen zurecht, und sie sangen dann
  zusammen ein italienisches Lied, einmal er, dann wieder das Mädchen eine
  Strophe, was sich in dem schönen stillen Abend prächtig ausnahm. -- Als
  das Mädchen dann weggerufen wurde, lehnte sich Herr Eckbrecht mit der
  Gitarre auf der Bank zurück, legte seine Füße auf einen Stuhl, der vor
  ihm stand, und sang nun für sich allein viele herrliche deutsche und
  italienische Lieder, ohne sich weiter um uns zu bekümmern. Dabei
  schienen die Sterne prächtig am klaren Firmament, die ganze Gegend war
  wie versilbert vom Mondscheine, ich dachte an die schöne Frau, an die
  ferne Heimat und vergaß darüber ganz meinen Maler neben mir. Zuweilen
  mußte Herr Eckbrecht stimmen, darüber wurde er immer ganz zornig. Er
  drehte und riß zuletzt an dem Instrument, daß plötzlich eine Saite
  sprang. Da warf er die Gitarre hin und sprang auf. Nun wurde er erst
  gewahr, daß mein Maler sich unterdes über seinen Arm auf den Tisch
  gelegt hatte und fest eingeschlafen war. Er warf schnell einen weißen
  Mantel um, der auf einem Aste neben dem Tische hing, besann sich aber
  plötzlich, sah erst meinen Maler, dann mich ein paarmal scharf an,
  setzte sich darauf, ohne sich lange zu bedenken, gerade vor mich auf den
  Tisch hin, räusperte sich, rückte an seiner Halsbinde und fing dann auf
  einmal an, eine Rede an mich zu halten. »Geliebter Zuhörer und
  Landsmann!« sagte er, »da die Flaschen beinahe leer sind, und da die
  Moral unstreitig die erste Bürgerpflicht ist, wenn die Tugenden auf die
  Neige gehen, so fühle ich mich aus landsmännlicher Sympathie getrieben,
  dir einige Moralität zu Gemüte zu führen. -- Man könnte zwar meinen,«
  fuhr er fort, »du seist ein bloßer Jüngling, während doch dein Frack
  
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