Aquis Submersus - 6

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Aber die Erquickung des Schlafes ward mir nicht zu Theil. In meinen
erregten Sinnen war es mir gar seltsamlich, als sei der Kirchthurm
drüben meinem Fenster nah gerückt; ich fühlte die Glockenschläge durch
das Holz der Bettstatt dröhnen, und ich zählete sie alle die ganze
Nacht entlang. Doch endlich dämmerte der Morgen. Die Balken an der
Decke hingen noch wie Schatten über mir, da sprang ich auf, und ehbevor
die erste Lerche aus den Stoppelfeldern stieg, hatte ich allbereits die
Stadt im Rücken.
Aber so frühe ich auch ausgegangen, ich traf den Prediger schon auf der
Schwelle seines Hauses stehen. Er geleitete mich auf den Flur und
sagte, daß die Holztafel richtig angelanget, auch meine Staffelei und
sonstiges Malergeräth aus dem Küsterhause herübergeschaffet sei. Dann
legte er seine Hand auf die Klinke einer Stubenthür.
Ich jedoch hielt ihn zurück und sagte: „Wenn es in diesem Zimmer ist,
so wollet mir vergönnen, bei meinem schweren Werke allein zu sein!“
„Es wird Euch niemand stören“, entgegnete er und zog die Hand zurück.
„Was Ihr zur Stärkung Eueres Leibes bedürfet, werdet Ihr drüben in
jenem Zimmer finden.“ Er wies auf eine Thür an der anderen Seite des
Flures; dann verließ er mich.
Meine Hand lag itzund statt der des Predigers auf der Klinke. Es war
todtenstill im Hause; eine Weile mußte ich mich sammeln, bevor ich
öffnete.
Es war ein großes, fast leeres Gemach, wohl für den
Confirmandenunterricht bestimmt, mit kahlen weißgetünchten Wänden; die
Fenster sahen über öde Felder nach dem fernen Strand hinaus. Inmitten
des Zimmers aber stund ein weißes Lager aufgebahret. Auf dem Kissen lag
ein bleiches Kinderangesicht; die Augen zu; die kleinen Zähne
schimmerten gleich Perlen aus den blassen Lippen.
Ich fiel an meines Kindes Leiche nieder und sprach ein brünstiglich
Gebet. Dann rüstete ich alles, wie es zu der Arbeit nöthig war; und
dann malte ich—rasch, wie man die Todten malen muß, die nicht zum
zweitenmal dasselbig Antlitz zeigen. Mitunter wurd ich wie von der
andauernden großen Stille aufgeschrecket; doch wenn ich inne hielt und
horchte, so wußte ich bald, es sei nichts da gewesen. Einmal auch war
es, als drängen leise Odemzüge an mein Ohr.—Ich trat an das Bette des
Todten, aber da ich mich zu dem bleichen Mündlein niederbeugete,
berührte nur die Todeskälte meine Wangen.
Ich sahe um mich; es war noch eine Thür im Zimmer; sie mochte zu einer
Schlafkammer führen, vielleicht daß es von dort gekommen war! Allein so
scharf ich lauschte, ich vernahm nichts wieder; meine eigenen Sinne
hatten wohl ein Spiel mit mir getrieben.
So setzete ich mich denn wieder, sahe auf den kleinen Leichnam und
malete weiter; und da ich die leeren Händchen ansahe, wie sie auf dem
Linnen lagen, so dachte ich: ,Ein klein Geschenk doch mußt du deinem
Kinde geben!‘ Und ich malete auf seinem Bildniß ihm eine weiße
Wasserlilie in die Hand, als sei es spielend damit eingeschlafen.
Solcher Art Blumen gab es selten in der Gegend hier, und mocht es also
ein erwünschet Angebinde sein.
Endlich trieb mich der Hunger von der Arbeit auf, mein ermüdeter Leib
verlangte Stärkung. Legete sonach den Pinsel und die Palette fort und
ging über den Flur nach dem Zimmer, so der Prediger mir angewiesen
hatte. Indem ich aber eintrat, wäre ich vor Überraschung bald
zurückgewichen; denn Katharina stund mir gegenüber, zwar in schwarzen
Trauerkleidern und doch in all dem Zauberschein, so Glück und Liebe in
eines Weibes Antlitz wirken mögen.
Ach, ich wußte es nur zu bald; was ich hier sahe, war nur ihr Bildniß,
das ich selber einst gemalet. Auch für dieses war also nicht mehr Raum
in ihres Vaters Haus gewesen.—Aber wo war sie selber denn? Hatte man
sie fortgebracht, oder hielt man sie auch hier gefangen?—Lang, gar
lange sahe ich das Bildniß an; die alte Zeit stieg auf und quälete mein
Herz. Endlich, da ich mußte, brach ich einen Bissen Brot und stürzete
ein paar Gläser Wein hinab; dann ging ich zurück zu unserem todten
Kinde.
Als ich drüben eingetreten und mich an die Arbeit setzen wollte,
zeigete es sich, daß in dem kleinen Angesicht die Augenlider um ein
weniges sich gehoben hatten. Da bückete ich mich hinab, im Wahne, ich
möchte noch einmal meines Kindes Blick gewinnen; als aber die kalten
Augensterne vor mir lagen, überlief mich Grausen; mir war, als sähe ich
die Augen jener Ahne des Geschlechtes, als wollten sie noch hier aus
unseres Kindes Leichenantlitz künden: „Mein Fluch hat doch euch beide
eingeholet!“ Aber zugleich—ich hätte es um alle Welt nicht lassen
können—umfing ich mit beiden Armen den kleinen blassen Leichnam und hob
ihn auf an meine Brust und herzete unter bitteren Thränen zum ersten
Male mein geliebtes Kind. „Nein, nein, mein armer Knabe, deine Seele,
die gar den finstern Mann zur Liebe zwang, die blickte nicht aus
solchen Augen; was hier herausschaut, ist alleine noch der Tod. Nicht
aus der Tiefe schreckbarer Vergangenheit ist es heraufgekommen; nichts
anderes ist da als deines Vaters Schuld; sie hat uns alle in die
schwarze Fluth hinabgerissen.“
Sorgsam legte ich dann wieder mein Kind in seine Kissen und drückte ihm
sanft die beiden Augen zu. Dann tauchete ich meinen Pinsel in ein
dunkles Roth und schrieb unten in den Schatten des Bildes die
Buchstaben: C. P. A. S. Das sollte heißen: Culpa Patris Aquis
Submersus, „Durch Vaters Schuld in der Fluth versunken“.—Und mit dem
Schalle dieser Worte in meinem Ohre, die wie ein schneidend Schwert
durch meine Seele fuhren, malete ich das Bild zu Ende.
Während meiner Arbeit hatte wiederum die Stille im Hause fortgedauert,
nur in der letzten Stunde war abermalen durch die Thür, hinter welcher
ich eine Schlafkammer vermuthet hatte, ein leises Geräusch
hereingedrungen.—War Katharina dort, um ungesehen bei meinem schweren
Werk mir nah zu sein? Ich konnte es nicht enträthseln.
Es war schon spät. Mein Bild war fertig, und ich wollte mich zum Gehen
wenden; aber mir war, als müsse ich noch einen Abschied nehmen, ohne
den ich nicht von hinnen könne.
So stand ich zögernd und schaute durch das Fenster auf die öden Felder
draußen, wo schon die Dämmerung begunnte sich zu breiten; da öffnete
sich vom Flure her die Thür und der Prediger trat zu mir herein.
Er grüßte schweigend; dann mit gefalteten Händen blieb er stehen und
betrachtete wechselnd das Antlitz auf dem Bilde und das des kleinen
Leichnams vor ihm, als ob er sorgsame Vergleichung halte. Als aber
seine Augen auf die Lilie in der gemalten Hand des Kindes fielen, hub
er wie im Schmerze seine beiden Hände auf, und ich sahe, wie seinen
Augen jählings ein reicher Thränenquell entstürzete.
Da streckte auch ich meine Arme nach dem Todten und rief überlaut: „Leb
wohl, mein Kind! O mein Johannes, lebe wohl!“
Doch in demselben Augenblicke vernahm ich leise Schritte in der
Nebenkammer; es tastete wie mit kleinen Händen an der Thür; ich hörte
deutlich meinen Namen rufen—oder war es der des todten Kindes?—Dann
rauschte es wie von Frauenkleidern hinter der Thüre nieder, und das
Geräusch vom Falle eines Körpers wurde hörbar.
„Katharina!“ rief ich. Und schon war ich hinzugesprungen und rüttelte
an der Klinke der fest verschlossenen Thür; da legte die Hand des
Pastors sich auf meinen Arm: „Das ist meines Amtes!“ sagte er. „Gehet
itzo! Aber gehet in Frieden; und möge Gott uns allen gnädig sein!“
—Ich bin dann wirklich fortgegangen; ehe ich es selbst begriff,
wanderte ich schon draußen auf der Heide auf dem Weg zur Stadt.
Noch einmal wandte ich mich um und schaute nach dem Dorf zurück, das
nur noch wie Schatten aus dem Abenddunkel ragte. Dort lag mein todtes
Kind—Katharina—alles, alles!—Meine alte Wunde brannte mir in meiner
Brust; und seltsam, was ich niemals hier vernommen, ich wurde plötzlich
mir bewußt, daß ich vom fernen Strand die Brandung tösen hörete. Kein
Mensch begegnete mir, keines Vogels Ruf vernahm ich; aber aus dem
dumpfen Brausen des Meeres tönete es mir immerfort, gleich einem
finsteren Wiegenliede: Aquis submersus aquis submersus!

Hier endete die Handschrift.
Dessen Herr Johannes sich einstens im Vollgefühl seiner Kraft
vermessen, daß er’s wohl auch einmal in seiner Kunst den Größeren
gleichzutun verhoffe, das sollten Worte bleiben, in die leere Luft
gesprochen.
Sein Name gehört nicht zu denen, die genannt werden; kaum dürfte er in
einem Künstlerlexikon zu finden sein; ja selbst in seiner engeren
Heimat weiß niemand von einem Maler seines Namens. Des großen
Lazarusbildes tut zwar noch die Chronik unserer Stadt Erwähnung, das
Bild selbst aber ist zu Anfang dieses Jahrhunderts nach dem Abbruch
unserer alten Kirche gleich den anderen Kunstschätzen derselben
verschleudert und verschwunden.
Aquis submersus
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