Aquis Submersus - 4

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trat hier in Hans Ottsens Krug, von wo ich in der Nacht so jählings
hatte flüchten müssen.—„Ei, Meister Johannes“, rief der Alte auf der
Tenne mir entgegen, „was hattet Ihr doch gestern mit unseren gestrengen
Junkern? Ich war just draußen bei dem Ausschank; aber da ich wieder
eintrat, flucheten sie schier grausam gegen Euch; und auch die Hunde
raseten an der Thür, die Ihr hinter Euch ins Schloß geworfen hattet.“
Da ich aus solchen Worten abnahm, daß der Alte den Handel nicht wohl
begriffen habe, so entgegnete ich nur: „Ihr wisset, der von der Risch
und ich, wir haben uns schon als Jungen oft einmal gezauset; da mußt’s
denn gestern noch so einen Nachschmack geben.“
„Ich weiß, ich weiß!“ meinte der Alte; „aber der Junker sitzt heut auf
seines Vaters Hof; Ihr solltet Euch hüten, Herr Johannes; mit solchen
Herren ist nicht sauber Kirschen essen.“
Dem zu widersprechen, hatte ich nicht Ursach, sondern ließ mir Brot und
Frühtrunk geben und ging dann in den Stall, wo ich mir meinen Degen
holete, auch Stift und Skizzenbüchlein aus dem Ranzen nahm.
Aber es war noch lange bis zum Mittagläuten. Also bat ich Hans Ottsen,
daß er den Gaul mit seinem Jungen mög zum Hofe bringen lassen; und als
er mir solches zugesaget, schritt ich wieder hinaus zum Wald. Ich ging
aber bis zu der Stelle auf dem Heidenhügel, von wo man die beiden
Giebel des Herrenhauses über die Gartenhecken ragen sieht, wie ich
solches schon für den Hintergrund zu Katharinens Bildniß ausgewählet
hatte. Nun gedachte ich, daß, wann in zu verhoffender Zeit sie selber
in der Fremde leben und wohl das Vaterhaus nicht mehr betreten würde,
sie seines Anblicks doch nicht ganz entrathen solle; zog also meinen
Stift herfür und begann zu zeichnen, gar sorgsam jedes Winkelchen,
woran ihr Auge einmal mocht gehaftet haben. Als farbig Schilderei sollt
es dann in Amsterdam gefertigt werden, damit es ihr sofort entgegen
grüße, wann ich sie dort in unsre Kammer führen würde.
Nach ein paar Stunden war die Zeichnung fertig. Ich ließ noch wie zum
Gruß ein zwitschernd Vögelein darüber fliegen; dann suchte ich die
Lichtung auf, wo wir uns finden wollten, und streckte mich nebenan im
Schatten einer dichten Buche, sehnlich verlangend, daß die Zeit
vergehe.
Ich mußte gleichwohl darob eingeschlummert sein; denn ich erwachte von
einem fernen Schall und wurd deß inne, daß es das Mittagläuten von dem
Hofe sei. Die Sonne glühte schon heiß hernieder und verbreitete den
Ruch der Himbeeren, womit die Lichtung überdeckt war. Es fiel mir bei,
wie einst Katharina und ich uns hier bei unseren Waldgängen süße
Wegzehrung geholet hatten; und nun begann ein seltsam Spiel der
Phantasie; bald sahe ich drüben zwischen den Sträuchern ihre zarte
Kindsgestalt, bald stund sie vor mir, mich anschauend mit den seligen
Frauenaugen, wie ich sie letzlich erst gesehen, wie ich sie nun gleich,
im nächsten Augenblicke, schon leibhaftig an mein klopfend Herze
schließen würde.
Da plötzlich überfiel mich’s wie ein Schrecken. Wo blieb sie denn? Es
war schon lang, daß es geläutet hatte. Ich war aufgesprungen, ich ging
umher, ich stund und spähete scharf nach aller Richtung durch die
Bäume; die Angst kroch mir zum Herzen; aber Katharina kam nicht; kein
Schritt im Laube raschelte; nur oben in den Buchenwipfeln rauschte ab
und zu der Sommerwind.
Böser Ahnung voll ging ich endlich fort und nahm einen Umweg nach dem
Hofe zu. Da ich unweit dem Thore zwischen die Eichen kam, begegnete mir
Dieterich. „Herr Johannes“, sagte er und trat hastig auf mich zu, „Ihr
seid die Nacht schon in Hans Ottsens Krug gewesen; sein Junge brachte
mir Euren Gaul zurück;—was habet Ihr mit unsern Junkern vorgehabt?“
„Warum fragst du, Dieterich?“
—„Warum, Herr Johannes?—Weil ich Unheil zwischen euch verhüten möcht.“
„Was soll das heißen, Dieterich?“ frug ich wieder; aber mir war
beklommen, als sollte das Wort mir in der Kehle sticken.
„Ihr werdet’s schon selber wissen, Herr Johannes!“ entgegnete der Alte.
„Mir hat der Wind nur so einen Schall davon gebracht, vor einer Stund
mag’s gewesen sein; ich wollte den Burschen rufen, der im Garten an den
Hecken putzte. Da ich an den Thurm kam, wo droben unser Fräulein ihre
Kammer hat, sah ich dorten die alte Bas’ Ursel mit unserem Junker dicht
beisammen stehen. Er hatte die Arme unterschlagen und sprach kein
einzig Wörtlein; die Alte aber redete einen um so größeren Haufen und
jammerte ordentlich mit ihrer feinen Stimme. Dabei wies sie bald nieder
auf den Boden, bald hinauf in den Epheu, der am Turm
hinaufwächst.—Verstanden, Herr Johannes, hab ich von dem allem nichts;
dann aber, und nun merket wohl auf, hielt sie mit ihrer knöchern Hand,
als ob sie damit drohete, dem Junker was vor Augen; und da ich näher
hinsah, war’s ein Fetzen Grauwerk, just wie Ihr’s da an Euerem Mantel
traget.“
„Weiter, Dieterich!“ sagte ich; denn der Alte hatte die Augen auf
meinen zerrissenen Mantel, den ich auf dem Arme trug.
„Es ist nicht viel mehr übrig“, erwiderte er; „denn der Junker wandte
sich jählings nach mir zu und frug mich, wo Ihr anzutreffen wäret. Ihr
möget mir es glauben, wäre er in Wirklichkeit ein Wolf gewesen, die
Augen hätten blutiger nicht funkeln können.“
Da frug ich: „Ist der Junker im Hause, Dieterich?“
—„Im Haus? Ich denke wohl; doch was sinnet ihr, Herr Johannes?“
„Ich sinne, Dieterich, daß ich allsogleich mit ihm zu reden habe.“
Aber Dieterich hatte bei beiden Händen mich ergriffen. „Gehet nicht,
Johannes“, sagte er dringend; „erzählet mir zum wenigsten, was
geschehen ist; der Alte hat Euch ja sonst wohl guten Rath gewußt!“
„Hernach, Dieterich, hernach!“ entgegnete ich. Und also mit diesen
Worten riß ich meine Hände aus den seinen.
Der Alte schüttelte den Kopf. „Hernach, Johannes“, sagte er, „das weiß
nur unser Herrgott!“
Ich aber schritt nun über den Hof dem Hause zu. Der Junker sei eben in
seinem Zimmer, sagte eine Magd, so ich im Hausflur drum befragte.
Ich hatte dieses Zimmer, das im Unterhause lag, nur einmal erst
betreten. Statt wie bei seinem Vater sel. Bücher und Karten, war hier
vielerlei Gewaffen, Handröhre und Arkebusen, auch allerart Jagdgeräthe
an den Wänden angebracht; sonst war es ohne Zier und zeigete an ihm
selber, daß niemand auf die Dauer und mit seinen ganzen Sinnen hier
verweile.
Fast wär ich an der Schwelle noch zurückgewichen, da ich auf des
Junkers „Herein“ die Thür geöffnet; denn als er sich vom Fenster zu mir
wandte, sah ich eine Reiterpistole in seiner Hand, an deren Radschloß
er hantirete. Er schauete mich an, als ob ich von den Tollen käme.
„So?“ sagte er gedehnet; „wahrhaftig, Sieur Johannes, wenn’s nicht
schon sein Gespenste ist!“
„Ihr dachtet, Junker Wulf“, entgegnet ich, indem ich näher zu ihm trat,
„es möcht der Straßen noch andre für mich geben, als die in Euere
Kammer fahren!“
—„So dachte ich, Sieur Johannes! Wie Ihr gut rathen könnt! Doch
immerhin, Ihr kommt mir eben recht; ich hab Euch suchen lassen!“
In seiner Stimme bebte was, das wie ein lauernd Raubthier auf dem
Sprunge lag, so daß die Hand mir unversehens nach dem Degen fuhr.
Jedennoch sprach ich: „Hörer mich und gönnet mir ein ruhig Wort, Herr
Junker!“
Er aber unterbrach meine Rede: „Du wirst gewogen sein, mich erstlich
auszuhören! Sieur Johannes“—und seine Worte, die erst langsam waren,
wurden allmählich gleichwie ein Gebrüll—, „vor ein paar Stunden, da ich
mit schwerem Kopf erwachte, da fiel’s mir bei und reuete mich gleich
einem Narren, daß ich im Rausch die wilden Hunde dir auf die Fersen
gesetzet hatte;—seit aber Bas’ Ursel mir den Fetzen vorgehalten, den
sie dir aus deinem Federbalg gerissen,— beim Höllenelement! mich reut’s
nur noch, daß mir die Bestien solch Stück Arbeit nachgelassen!“
Noch einmal suchte ich zu Worte zu kommen; und da der Junker schwieg,
so dachte ich, daß er auch hören würde. „Junker Wulf“, sagte ich, „es
ist schon wahr, ich bin kein Edelmann; aber ich bin kein geringer Mann
in meiner Kunst und hoffe, es auch wohl noch einmal den Größeren
gleichzuthun; so bitte ich Euch geziementlich, gebet Euere Schwester
Katharina mir zum Ehgemahl—“
Da stockte mir das Wort im Munde. Aus seinem bleichen Antlitz starrten
mich die Augen des alten Bildes an; ein gellend Lachen schlug mir in
das Ohr, ein Schuß—dann brach ich zusammen und hörete nur noch, wie mir
der Degen, den ich ohn Gedanken fast gezogen hatte, klirrend aus der
Hand zu Boden fiel.


Es war manche Woche danach, daß ich in dem schon bleicheren
Sonnenschein auf einem Bänkchen vor dem letzten Haus des Dorfes saß,
mit matten Blicken nach dem Wald hinüberschauend, an dessen jenseitigem
Rande das Herrenhaus belegen war. Meine thörichten Augen suchten stets
aufs Neue den Punkt, wo, wie ich mir vorstellete, Katharinens
Kämmerlein von drüben auf die schon herbstlich gelben Wipfel schaue;
denn von ihr selber hatte ich keine Kunde.
Man hatte mich mit meiner Wunde in dies Haus gebracht, das von des
Junkers Waldhüter bewohnt wurde; und außer diesem Mann und seinem Weibe
und einem mir unbekannten Chirurgus war während meines langen Lagers
niemand zu mir gekommen.—Von wannen ich den Schuß in meine Brust
erhalten, darüber hat mich niemand befragt, und ich habe niemandem
Kunde gegeben; des Herzogs Gerichte gegen Herrn Gerhardus’ Sohn und
Katharinens Bruder anzurufen, konnte nimmer mir zu Sinnen kommen. Er
mochte sich dessen auch wohl getrösten; noch glaubhafter jedoch, daß er
allen diesen Dingen trotzete.
Nur einmal war mein guter Dieterich da gewesen; er hatte mir in des
Junkers Auftrage zwei Rollen Ungarischer Dukaten überbracht als Lohn
für Katharinens Bild, und ich hatte das Gold genommen, in Gedanken, es
sei ein Theil von deren Erbe, von dem sie als mein Weib wohl später
nicht zu viel empfahen würde. Zu einem traulichen Gespräch mit
Dieterich, nach dem mich sehr verlangete, hatte es mir nicht gerathen
wollen, maßen das gelbe Fuchsgesicht meines Wirthes allaugenblicks in
meine Kammer schaute; doch wurde so viel mir kund, daß der Junker nicht
nach Kiel gereiset und Katharina seither von niemandem weder in Hof
noch Garten war gesehen worden; kaum konnte ich noch den Alten bitten,
daß er dem Fräulein, wenn sich’s treffen möchte, meine Grüße sage, und
daß ich bald nach Holland zu reisen, aber bälder noch zurückzukommen
dächte, was alles in Treuen auszurichten er mir dann gelobete.
Überfiel mich aber danach die allergrößeste Ungeduld, so daß ich, gegen
den Willen des Chirurgus und bevor im Walde drüben noch die letzten
Blätter von den Bäumen fielen, meine Reise ins Werk setzete; langete
auch schon nach kurzer Frist wohlbehalten in der holländischen
Hauptstadt an, allwo ich von meinen Freunden gar liebreich empfangen
wurde, und mochte es auch ferner vor ein glücklich Zeichen wohl
erkennen, daß zwo Bilder, so ich dort zurückgelassen, durch die
hilfsbereite Vermittelung meines theueren Meisters van der Helst beide
zu ansehnlichen Preisen verkaufet waren. Ja, es war dessen noch nicht
genug: ein mir schon früher wohl gewogener Kaufherr ließ mir sagen, er
habe nur auf mich gewartet, daß ich für sein nach dem Haag
verheirathetes Töchterlein sein Bildniß malen möge; und wurde mir auch
sofort ein reicher Lohn dafür versprochen. Da dachte ich, wenn ich
solches noch vollendete, daß dann genug des helfenden Metalles in
meinen Händen wäre, um auch ohne andere Mittel Katharinen in ein wohl
bestellet Heimwesen einzufahren.
Machte mich also, da mein freundlicher Gönner desselbigen Sinnes war,
mit allem Eifer an die Arbeit, so daß ich bald den Tag meiner Abreise
gar fröhlich nah und näher rücken sahe, unachtend, mit was vor üblen
Anständen ich drüben noch zu kämpfen hätte.
Aber des Menschen Augen sehen das Dunkel nicht, das vor ihm ist.— Als
nun das Bild vollendet war und reichlich Lob und Gold um dessen willen
mir zu Theil geworden, da konnte ich nicht fort. Ich hatte in der
Arbeit meiner Schwäche nicht geachtet, die schlecht geheilte Wunde warf
mich wiederum danieder. Eben wurden zum Weihnachtsfeste auf allen
Straßenplätzen die Waffelbuden aufgeschlagen, da begann mein Siechthum
und hielt mich länger als das erste Mal gefesselt. Zwar der besten
Arzteskunst und liebreicher Freundespflege war kein Mangel, aber in
Ängsten sahe ich Tag um Tag vergehen, und keine Kunde konnte von ihr,
keine zu ihr kommen.
Endlich nach harter Winterzeit, da der Zuidersee wieder seine grünen
Wellen schlug, geleiteten die Freunde mich zum Hafen; aber statt des
frohen Muthes nahm ich itzt schwere Herzensorge mit an Bord. Doch ging
die Reise rasch und gut von Statten.
Von Hamburg aus fuhr ich mit der königlichen Post; dann, wie vor nun
fast einem Jahre hiebevor, wanderte ich zu Fuße durch den Wald, an dem
noch kaum die ersten Spitzen grüneten. Zwar probten schon die Finken
und die Ammern ihren Lenzgesang; doch was kümmerten sie mich heute!—Ich
ging aber nicht nach Herrn Gerhardus’ Herrengut; sondern, so stark mein
Herz auch klopfete, ich bog seitwärts ab und schritt am Waldesrand
entlang dem Dorfe zu. Da stund ich bald in Hans Ottsens Krug und ihm
gar selber gegenüber.
Der Alte sah mich seltsam an, meinete aber dann, ich lasse ja recht
munter. „Nur“, fügte er bei, „mit den Schießbüchsen müsset Ihr nicht
wieder spielen; die machen ärgere Flecken als so ein Malerpinsel.“
Ich ließ ihn gern bei solcher Meinung, so, wie ich wohl merkete, hier
allgemein verbreitet war, und that vors erste eine Frage nach dem alten
Dieterich.
Da mußte ich vernehmen, daß er noch vor dem ersten Winterschnee, wie es
so starken Leuten wohl passiret, eines plötzlichen, wenn auch gelinden
Todes verfahren sei. „Der freuet sich“, sagte Hans Ottsen, „daß er zu
seinem alten Herrn da droben kommen; und ist für ihn auch besser so.“
„Amen!“ sagte ich; „mein herzlieber alter Dieterich!“
Indeß aber mein Herz nur, und immer banger, nach einer Kundschaft von
Katharinen seufzete, nahm meine furchtsam Zunge einen Umweg, und ich
sprach beklommen: „Was machet denn Euer Nachbar, der von der Risch?“
„Oho“, lachte der Alte; „der hat ein Weib genommen, und eine, die ihn
schon zu Richte setzen wird.“
Nur im ersten Augenblick erschrak ich, denn ich sagte mir sogleich, daß
er nicht so von Katharinen reden würde; und da er dann den Namen
nannte, so war’s ein ältlich, aber reiches Fräulein aus der
Nachbarschaft; forschete also muthig weiter, wie’s drüben in Herrn
Gerhardus’ Haus bestellet sei, und wie das Fräulein und der Junker mit
einander hauseten.
Da warf der Alte mir wieder seine seltsamen Blicke zu. „Ihr meinet
wohl“, sagte er, „daß alte Thürm’ und Mauern nicht auch plaudern
könnten!“
„Was soll’s der Rede?“ rief ich; aber sie fiel mir centnerschwer aufs
Herz.
„Nun, Herr Johannes“, und der Alte sahe mir gar zuversichtlich in die
Augen, „wo das Fräulein hinkommen, das werdet doch Ihr am besten
wissen! Ihr seid derzeit im Herbst ja nicht zum letzten hier gewesen;
nur wundert’s mich, daß Ihr noch einmal wiederkommen; denn Junker Wulf
wird, denk ich, nicht eben gute Mien zum bösen Spiel gemachet haben.“
Ich sah den alten Menschen an, als sei ich selber hintersinnig worden;
dann aber kam mir plötzlich ein Gedanke. „Unglücksmann!“ schrie ich,
„Ihr glaubet doch nicht etwan, das Fräulein Katharina sei mein Eheweib
geworden?“
„Nun, lasset mich nur los!“ entgegnete der Alte—denn ich schüttelte ihn
an beiden Schultern.—„Was geht’s mich an! Es geht die Rede so! Auf alle
Fäll’; seit Neujahr ist das Fräulein im Schloß nicht mehr gesehen
worden.“
Ich schwur ihm zu, derzeit sei ich in Holland krank gelegen; ich wisse
nichts von alledem.
Ob er’s geglaubet, weiß ich nicht zu sagen; allein er gab mir kund, es
sollte dermalen ein unbekannter Geistlicher zur Nachtzeit und in großer
Heimlichkeit auf den Herrenhof gekommen sein; zwar habe Bas’ Ursel das
Gesinde schon zeitig in ihre Kammern getrieben; aber der Mägde eine, so
durch die Thürspalt gelauschet, wolle auch mich über den Flur nach der
Treppe haben gehen sehen; dann später hätten sie deutlich einen Wagen
aus dem Thorhaus fahren hören, und seien seit jener Nacht nur noch Bas’
Ursel und der Junker in dem Schloß gewesen.
—Was ich von nun an alles und immer doch vergebens unternommen, um
Katharinen oder auch nur eine Spur von ihr zu finden, das soll nicht
hier verzeichnet werden. Im Dorf war nur das thörichte Geschwätz, davon
Hans Ottsen mich die Probe schmecken lassen; darum machete ich mich auf
nach dem Stifte zu Herrn Gerhardus’ Schwester; aber die Dame wollte
mich nicht vor sich lassen; wurde im übrigen mir auch berichtet, daß
keinerlei junges Frauenzimmer bei ihr gesehen worden. Da reisete ich
wieder zurück und demüthigte mich also, daß ich nach dem Hause des von
der Risch ging und als ein Bittender vor meinen alten Widersacher
hintrat. Der sagte höhnisch, es möge wohl der Buhz das Vöglein sich
geholet haben; er habe dem nicht nachgeschaut; auch halte er keinen
Aufschlag mehr mit denen von Herrn Gerhardus’ Hofe.
Der Junker Wulf gar, der davon vernommen haben mochte, ließ nach Hans
Ottsens Kruge sagen, so ich mich unterstünde, auch zu ihm zu dringen,
er würde mich noch einmal mit den Hunden hetzen lassen.— Da bin ich in
den Wald gegangen und hab gleich einem Strauchdieb am Weg auf ihn
gelauert; die Eisen sind von der Scheide bloß geworden; wir haben
gefochten, bis ich die Hand ihm wund gehauen und sein Degen in die
Büsche flog. Aber er sahe mich nur mit seinen bösen Augen an;
gesprochen hat er nicht.—Zuletzt bin ich zu längerem Verbleiben nach
Hamburg kommen, von wo aus ich ohne Anstand und mit größerer Umsicht
meine Nachforschungen zu betreiben dachte.
Es ist alles doch umsonst gewesen.

Aber ich will vors erste nun die Feder ruhen lassen. Denn vor mir liegt
dein Brief, mein lieber Josias; ich soll dein Töchterlein, meiner
Schwester sel. Enkelin, aus der Taufe heben.—Ich werde auf meiner Reise
dem Walde vorbeifahren, so hinter Herrn Gerhardus’ Hof belegen ist.
Aber das alles gehört ja der Vergangenheit.


Hier schließt das erste Heft der Handschrift. Hoffen wir, daß der
Schreiber ein fröhliches Tauffest gefeiert und inmitten seiner
Freundschaft an frischer Gegenwart sein Herz erquickt habe.
Meine Augen ruhten auf dem alten Bild mir gegenüber; ich konnte nicht
zweifeln, der schöne ernste Mann war Herr Gerhardus. Wer aber war jener
tote Knabe, den ihm Meister Johannes hier so sanft in seinen Arm
gebettet hatte?—Sinnend nahm ich das zweite und zugleich letzte Heft,
dessen Schriftzüge um ein weniges unsicherer erschienen. Es lautete wie
folgt:
Geliek as Rook un Stoof verswindt,
Also sind ock de Minschenkind.

Der Stein, darauf diese Worte eingehauen stehen, saß ob dem Thürsims
eines alten Hauses. Wenn ich daran vorbeiging, mußte ich allzeit meine
Augen dahin wenden, und auf meinen einsamen Wanderungen ist dann
selbiger Spruch oft lange mein Begleiter blieben. Da sie im letzten
Herbste das alte Haus abbrachen, habe ich aus den Trümmern diesen Stein
erstanden, und ist er heute gleicherweise ob der Thüre meines Hauses
eingemauert worden, wo er nach mir noch manchen, der vorübergeht, an
die Nichtigkeit des Irdischen erinnern möge. Mir aber soll er eine
Mahnung sein, ehbevor auch an meiner Uhr der Weiser stille steht, mit
der Aufzeichnung meines Lebens fortzufahren. Denn du, meiner lieben
Schwester Sohn, der du nun bald mein Erbe sein wirst, mögest mit meinem
kleinen Erdengute dann auch mein Erdenleid dahinnehmen, so ich bei
meiner Lebzeit niemandem, auch, aller Liebe ohnerachtet, dir nicht habe
anvertrauen mögen.
Item: anno 1666 kam ich zum ersten Mal in diese Stadt an der Nordsee;
maßen von einer reichen Branntweinbrenner-Witwen mir der Auftrag
worden, die Auferweckung Lazari zu malen, welches Bild sie zum
schuldigen und freundlichen Gedächtniß ihres Seligen, der hiesigen
Kirchen aber zum Zierath zu stiften gedachte, allwo es denn auch noch
heute über dem Taufsteine mit den vier Aposteln zu schauen ist. Daneben
wünschte auch der Bürgermeister, Herr Titus Axen, so früher in Hamburg
Thumherr und mir von dort bekannt war, sein Conterfey von mir gemalet,
so daß ich für eine lange Zeit allhier zu schaffen hatte.—Mein Losament
aber hatte ich bei meinem einzigen und älteren Bruder, der seit lange
schon das Secretariat der Stadt bekleidete; das Haus, darin er als
unbeweibter Mann lebte, war hoch und räumlich, und war es dasselbig
Haus mit den zwo Linden an der Ecken von Markt und Krämerstraße, worin
ich, nachdem es durch meines lieben Bruders Hintritt mir angestorben,
anitzt als alter Mann noch lebe und der Wiedervereinigung mit den
vorangegangenen Lieben in Demuth entgegenharre.
Meine Werkstätte hatte ich mir in dem großen Pesel der Witwe
eingerichtet; es war dorten ein gutes Oberlicht zur Arbeit, und bekam
alles gemacht und gestellet, wie ich es verlangen mochte. Nur daß die
gute Frau selber gar zu gegenwärtig war; denn allaugenblicklich kam sie
draußen von ihrem Schanktisch zu mir hergetrottet mit ihren
Blechgemäßen in der Hand; drängte mit ihrer Wohlbeleibtheit mir auf den
Malstock und roch an meinem Bild herum; gar eines Vormittages, da ich
soeben den Kopf des Lazarus untermalet hatte, verlangte sie mit viel
überflüssigen Worten, der auferweckte Mann solle das Antlitz ihres
Seligen zur Schau stellen, obschon ich diesen Seligen doch niemalen zu
Gesicht bekommen, von meinem Bruder auch vernommen hatte, daß selbiger,
wie es die Brenner pflegen, das Zeichen seines Gewerbes als eine
blaurothe Nasen im Gesicht herumgetragen; da habe ich denn, wie man
glauben mag, dem unvernünftigen Weibe gar hart den Daumen gegenhalten
müssen. Als dann von der Außendiele her wieder neue Kundschaft nach ihr
gerufen und mit den Gemäßen auf den Schank geklopfet, und sie endlich
von mir lassen müssen, da sank mir die Hand mit dem Pinsel in den
Schoß, und ich mußte plötzlich des Tages gedenken, da ich eines gar
andern Seligen Antlitz mit dem Stifte nachgebildet, und wer da in der
kleinen Kapelle so still bei mir gestanden sei.— Und also rückwärts
sinnend, setzete ich meinen Pinsel wieder an; als aber selbiger eine
gute Weile hin und wider gegangen, mußte ich zu eigener Verwunderung
gewahren, daß ich die Züge des edlen Herrn Gerhardus in des Lazari
Angesicht hineingetragen hatte. Aus seinem Leilach blickte des Todten
Antlitz gleichwie in stummer Klage gegen mich, und ich gedachte: So
wird er dir einstmals in der Ewigkeit entgegentreten!
Ich konnte heut nicht weiter malen, sondern ging fort und schlich auf
meine Kammer ober der Hausthür, allwo ich mich ans Fenster setzte und
durch den Ausschnitt der Lindenbäume auf den Markt hinabsah. Es gab
aber groß Gewühl dort, und war bis drüben an die Rathswaage und weiter
bis zur Kirchen alles voll von Wagen und Menschen; denn es war ein
Donnerstag und noch zur Stunde, daß Gast mit Gaste handeln durfte, also
daß der Stadtknecht mit dem Griper müßig auf unseres Nachbaren
Beischlag saß, maßen es vor der Hand keine Brüchen zu erhaschen gab.
Die Ostenfelder Weiber mit ihren rothen Jacken, die Mädchen von den
Inseln mit ihren Kopftüchern und feinem Silberschmuck, dazwischen die
hochgethürmeten Getreidewagen und darauf die Bauern in ihren gelben
Lederhosen—dies alles mochte wohl ein Bild für eines Malers Auge geben,
zumal wenn selbiger, wie ich, bei den Holländern in die Schule gegangen
war; aber die Schwere meines Gemüthes machte das bunte Bild mir trübe.
Doch war es keine Reu, wie ich vorhin an mir erfahren hatte; ein
sehnend Leid kam immer gewaltiger über mich; es zerfleischete mich mit
wilden Krallen und sah mich gleichwohl mit holden Augen an. Drunten lag
der helle Mittag auf dem wimmelnden Markte; vor meinen Augen aber
dämmerte silberne Mondnacht, wie Schatten stiegen ein paar Zackengiebel
auf, ein Fenster klirrte, und gleich wie aus Träumen schlugen leis und
fern die Nachtigallen. O du mein Gott und mein Erlöser, der du die
Barmherzigkeit bist, wo war sie in dieser Stunde, wo hatte meine Seele
sie zu suchen?—
Da hörete ich draußen unter dem Fenster von einer harten Stimme meinen
Namen nennen, und als ich hinausschaute, ersahe ich einen großen
hageren Mann in der üblichen Tracht eines Predigers, obschon sein
herrisch und finster Antlitz mit dem schwarzen Haupthaar und dem tiefen
Einschnitt ob der Nase wohl eher einem Kriegsmann angestanden wäre. Er
wies soeben einem andern, untersetzten Manne von bäuerischem Aussehen,
aber gleich ihm in schwarzwollenen Strümpfen und Schnallenschuhen, mit
seinem Handstocke nach unserer Hausthür zu, indem er selbst zumal durch
das Marktgewühle von dannen schritt.
Da ich dann gleich darauf die Thürglocke schellen hörte, ging ich hinab
und lud den Fremden in das Wohngemach, wo er von dem Stuhle, darauf ich
ihn genöthigt, mich gar genau und aufmerksam betrachtete.
Also war selbiger der Küster aus dem Dorfe norden der Stadt, und erfuhr
ich bald, daß man dort einen Maler brauche, da man des Pastors Bildniß
in die Kirche stiften wolle. Ich forschete ein wenig, was für Verdienst
um die Gemeine dieser sich erworben hätte, daß sie solche Ehr ihm
anzuthun gedächten, da er doch seines Alters halben noch nicht gar lang
im Amte stehen könne; der Küster aber meinete, es habe der Pastor
freilich wegen eines Stück Ackergrundes einmal einen Proceß gegen die
Gemeine angestrenget, sonst wisse er eben nicht, was Sondres könne
vorgefallen sein; allein es hingen allbereits die drei Amtsvorweser in
der Kirchen, und da sie, wie er sagen müsse, vernommen hätten, ich
verstünde das Ding gar wohl zu machen, so sollte der guten Gelegenheit
wegen nun auch der vierte Pastor mit hinein; dieser selber freilich
kümmere sich nicht eben viel darum.
Ich hörete dem allen zu; und da ich mit meinem Lazarus am liebsten auf
eine Zeit pausiren mochte, das Bildniß des Herrn Titus Axen aber wegen
eingetretenen Siechthums desselbigen nicht beginnen konnte, so hub ich
an, dem Auftrage näher nachzufragen.
Was mir an Preis für solche Arbeit nun geboten wurde, war zwar gering,
so daß ich erstlich dachte: sie nehmen dich für einen Pfennigmaler, wie
sie im Kriegstrosse mitziehen, um die Soldaten für ihre heimgebliebenen
Dirnen abzumalen; aber es muthete mich plötzlich an, auf eine Zeit
allmorgendlich in der goldnen Herbstessonne über die Heide nach dem
Dorf hinauszuwandern, das nur eine Wegstunde von unserer Stadt belegen
ist. Sagete also zu, nur mit dem Beding, daß die Malerei draußen auf
dem Dorfe vor sich ginge, da hier in meines Bruders Hause paßliche
Gelegenheit nicht befindlich sei.
Deß schien der Küster gar vergnügt, meinend, das sei alles hiebevor
schon fürgesorget; der Pastor habe sich solches gleichfalls
ausbedungen; item, es sei dazu die Schulstube in seiner Küsterei
erwählet; selbige sei das zweite Haus im Dorfe und liege nahe am
Pastorate, nur hintenaus durch die Priesterkoppel davon geschieden, so
daß also auch der Pastor leicht hinübertreten könne. Die Kinder, die im
Sommer doch nichts lernten, würden dann nach Haus geschicket.
Also schüttelten wir uns die Hände, und da der Küster auch die Maße des
Bildes fürsorglich mitgebracht, so konnte alles Malgeräth, deß ich
bedurfte, schon Nachmittages mit der Priesterfuhr hinausbefördert
werden.
Als mein Bruder dann nach Hause kam—erst spät am Nachmittage; denn ein
Ehrsamer Rath hatte dermalen viel Bedrängniß von einer Schinderleichen,
so die ehrlichen Leute nicht zu Grabe tragen wollten—, meinete er, ich
bekäme da einen Kopf zu malen, wie er nicht oft auf einem
Priesterkragen sitze, und möchte mich mit Schwarz und Braunroth wohl
versehen; erzählete mir auch, es sei der Pastor als Feldcapellan mit
den Brandenburgern hier ins Land gekommen, als welcher er’s fast wilder
denn die Offiziers getrieben haben solle; sei übrigens itzt ein
scharfer Streiter vor dem Herrn, der seine Bauern gar meisterlich zu
packen wisse.—Noch merkete mein Bruder an, daß bei desselbigen
Amtseintritt in unserer Gegend adelige Fürsprach eingewirket haben
solle, wie es heiße, von drüben aus dem Holsteinischen her; der
Archidiaconus habe bei der Klosterrechnung ein Wörtlein davon fallen
lassen. War jedoch Weiteres meinem Bruder darob nicht kund geworden.

So sahe mich denn die Morgensonne des nächsten Tages rüstig über die
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