Aquis Submersus - 3

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einmal mir gegenüber. Es wurde heute mit Worten nicht gespielet; wir
sprachen ernst und sorgenvoll mitsammen; indessen setzete ich noch hie
und da den Pinsel an, mitunter meine Blicke auf die schweigende
Gesellschaft an den Wänden werfend, deren ich in Katharinens Gegenwart
sonst kaum gedacht hatte.
Da, unter dem Malen, fiel mein Auge auch auf jenes alte Frauenbildniß,
das mir zur Seite hing und aus den weißen Schleiertüchern die stechend
grauen Augen auf mich gerichtet hielt. Mich fröstelte, ich hätte nahezu
den Stuhl verrücket.
Aber Katharinens süße Stimme drang mir in das Ohr: „Ihr seid ja fast
erbleichet; was flog Euch übers Herz, Johannes?“
Ich zeigte mit dem Pinsel auf das Bild. „Kennet Ihr die, Katharina?
Diese Augen haben hier all die Tage auf uns hingesehen.“
„Die da?—Vor der hab ich schon als Kind eine Furcht gehabt, und gar bei
Tage bin ich oft wie blind hier durchgelaufen. Es ist die Gemahlin
eines früheren Gerhardus; vor weit über hundert Jahren hat sie hier
gehauset.“
„Sie gleicht nicht Euerer schönen Mutter“, entgegnete ich; „dies
Antlitz hat wohl vermocht, einer jeden Bitte nein zu sagen.“
Katharina sah gar ernst zu mir herüber. „So heißt’s auch“, sagte sie,
„sie soll ihr einzig Kind verfluchet haben; am andern Morgen aber hat
man das blasse Fräulein aus einem Gartenteich gezogen, der nachmals
zugedämmet ist. Hinter den Hecken, dem Walde zu, soll es gewesen sein.“
„Ich weiß, Katharina; es wachsen heut noch Schachtelhalm und Binsen aus
dem Boden.“
„Wisset Ihr denn auch, Johannes, daß eine unseres Geschlechtes sich
noch immer zeigen soll, sobald dem Hause Unheil droht? Man sieht sie
erst hier an den Fenstern gleiten, dann draußen in dem Gartensumpf
verschwinden.“
Ohnwillens wandten meine Augen sich wieder auf die unbeweglichen des
Bildes. „Und weshalb“, fragte ich, „verfluchete sie ihr Kind?“
„Weshalb?“—Katharina zögerte ein Weilchen und blickte mich fast
verwirret an mit allem ihrem Liebreiz. „Ich glaub, sie wollte den
Vetter ihrer Mutter nicht zum Ehgemahl.“
—„War es denn ein gar so übler Mann?“
Ein Blick fast wie ein Flehen flog zu mir herüber, und tiefes Rosenroth
bedeckte ihr Antlitz. „Ich weiß nicht“, sagte sie beklommen; und
leiser, daß ich’s kaum vernehmen mochte, setzte sie hinzu: „Es heißt,
sie hab einen andern lieb gehabt; der war nicht ihres Standes.“
Ich hatte den Pinsel sinken lassen; denn sie saß vor mir mit gesenkten
Blicken; wenn nicht die kleine Hand sich leis aus ihrem Schoße auf ihr
Herz geleget, so wäre sie selber wie ein leblos Bild gewesen.
So hold es war, ich sprach doch endlich: „So kann ich ja nicht malen;
wollet Ihr mich nicht ansehen, Katharina?“
Und als sie nun die Wimpern von den braunen Augensternen hob, da war
kein Hehlens mehr; heiß und offen ging der Strahl zu meinem Herzen.
„Katharina!“ Ich war aufgesprungen. „Hätte jene Frau auch dich
verflucht?“
Sie athmete tief auf „Auch mich, Johannes!“—Da lag ihr Haupt an meiner
Brust, und fest umschlossen standen wir vor dem Bild der Ahnfrau, die
kalt und feindlich auf uns niederschauete.
Aber Katharina zog mich leise fort. „Laß uns nicht trotzen, mein
Johannes!“ sagte sie.—Mit Selbigem hörte ich im Treppenhause ein
Geräusch, und war es, als wenn etwas mit dreien Beinen sich mühselig
die Stiegen heraufarbeitete. Als Katharina und ich uns deshalb wieder
an unsern Platz gesetzet und ich Pinsel und Palette zur Hand genommen
hatte, öffnete sich die Thür, und Bas’ Ursel, die wir wohl zuletzt
erwartet hätten, kam an ihrem Stock hereingehustet. „Ich höre“, sagte
sie, „Er will nach Hamburg, um den Rahmen zu besorgen; da muß ich mir
nachgerade doch Sein Werk besehen!“
Es ist wohl männiglich bekannt, daß alte Jungfrauen in Liebessachen die
allerfeinsten Sinne haben und so der jungen Welt gar oft Bedrang und
Trübsal bringen. Als Bas’ Ursel auf Katharinens Bild, das sie bislang
noch nicht gesehen, kaum einen Blick geworfen hatte, zuckte sie gar
stolz empor mit ihrem runzeligen Angesicht und frug mich allsogleich:
„Hat denn das Fräulein Ihn so angesehen, als wie sie da im Bilde
sitzet?“
Ich entgegnete, es sei ja eben die Kunst der edlen Malerei, nicht bloß
die Abschrift des Gesichts zu geben. Aber schon mußte an unsern Augen
oder Wangen ihr Sonderliches aufgefallen sein, denn ihre Blicke gingen
spähend hin und wider. „Die Arbeit ist wohl bald am Ende?“ sagte sie
dann mit ihrer höchsten Stimme. „Deine Augen haben kranken Glanz,
Katharina; das lange Sitzen hat dir nicht wohl gedienet.“
Ich entgegnete, das Bild sei bald vollendet, nur an dem Gewande sei
noch hie und da zu schaffen.
„Nun, da braucht Er wohl des Fräuleins Gegenwart nicht mehr dazu!—
Komm, Katharina, dein Arm ist besser als der dumme Stecken hier!“
Und so mußt ich von der dürren Alten meines Herzens holdselig Kleinod
mir entführen sehen, da ich es eben mir gewonnen glaubte; kaum daß die
braunen Augen mir noch einen stummen Abschied senden konnten.


Am andern Morgen, am Montage vor Johannis, trat ich meine Reise an. Auf
einem Gaule, den Dieterich mir besorget, trabte ich in der Frühe aus
dem Thorweg; als ich durch die Tannen ritt, brach einer von des Junkers
Hunden herfür und fuhr meinem Thiere nach den Flechsen, wannschon
selbiges aus ihrem eigenen Stalle war; aber der oben im Sattel saß,
schien ihnen allzeit noch verdächtig. Kamen gleichwohl ohne Blessur
davon, ich und der Gaul, und langeten abends bei guter Zeit in Hamburg
an.
Am andern Vormittage machte ich mich auf und befand auch bald einen
Schnitzer, so der Bilderleisten viele fertig hatte, daß man sie nur
zusammenzustellen und in den Ecken die Zierathen daraufzuthun brauchte.
Wurden also handelseinig, und versprach der Meister, mir das alles wohl
verpacket nachzusenden.
Nun war zwar in der berühmten Stadt vor einen Neubegierigen gar vieles
zu beschauen, so in der Schiffergesellschaft des Seeräubers Störtebeker
silberner Becher, welcher das zweite Wahrzeichen der Stadt genennet
wird, und ohne den gesehen zu haben, wie es in einem Buche heißer,
niemand sagen dürfe, daß er in Hamburg sei gewesen; sodann auch der
Wunderfisch mit eines Adlers richtigen Krallen und Fluchten, so eben um
diese Zeit in der Elbe war gefangen worden und den die Hamburger, wie
ich nachmalen hörete, auf einen Seesieg wider die türkischen Piraten
deuteten; allein, obschon ein rechter Reisender solcherlei
Seltsamkeiten nicht vorbeigehen soll, so war doch mein Gemüthe, beides,
von Sorge und von Herzenssehnen, allzu sehr beschweret. Derohalben,
nachdem ich bei einem Kaufherrn noch meinen Wechsel umgesetzet und in
meiner Nachtherbergen Richtigkeit getroffen hatte, bestieg ich um
Mittage wieder meinen Gaul und hatte allsobald allen Lärmen des großen
Hamburg hinter mir.
Am Nachmittage danach langete ich in Preetz an, meldete mich im Stifte
bei der hochwürdigen Dame und wurde auch alsbald vorgelassen. Ich
erkannte in ihrer stattlichen Person allsogleich die Schwester meines
theueren seligen Herrn Gerhardus; nur, wie es sich an unverehelichten
Frauen oftmals zeiget, waren die Züge des Antlitzes gleichwohl strenger
als die des Bruders. Ich hatte, selbst nachdem ich Katharinens
Schreiben überreichet, ein lang und hart Examen zu bestehen; dann aber
verhieß sie ihren Beistand und setzete sich zu ihrem Schreibgeräthe,
indeß die Magd mich in ein ander Zimmer führen mußte, allwo man mich
gar wohl bewirthete.
Es war schon spät am Nachmittage, da ich wieder fortritt; doch rechnete
ich, obschon mein Gaul die vielen Meilen hinter uns bereits verspürete,
noch gegen Mitternacht beim alten Dieterich anzuklopfen.—Das Schreiben,
das die alte Dame mir für Katharinen mitgegeben, trug ich wohl
verwahret in einem Ledertäschlein unterm Wamse auf der Brust. So ritt
ich fürbaß in die aufsteigende Dämmerung hinein; gar bald an sie, die
eine, nur gedenkend und immer wieder mein Herz mit neuen lieblichen
Gedanken schreckend.
Es war aber eine lauwarme Juninacht; von den dunkelen Feldern erhub
sich der Ruch der Wiesenblumen, aus den Knicken duftete das Geißblatt;
in Luft und Laub schwebete ungesehen das kleine Nachtgeziefer oder flog
auch wohl surrend meinem schnaubenden Gaule an die Nüstern; droben aber
an der blauschwarzen ungeheueren Himmelsglocke über mir strahlte im
Südost das Sternenbild des Schwanes in seiner unberührten Herrlichkeit.
Da ich endlich wieder auf Herrn Gerhardus’ Grund und Boden war,
resolvirte ich mich sofort, noch nach dem Dorfe hinüberzureiten,
welches seitwärts von der Fahrstraßen hinterm Wald belegen ist. Denn
ich gedachte, daß der Krüger Hans Ottsen einen paßlichen Handwagen
habe; mit dem solle er morgen einen Boten in die Stadt schicken, um die
Hamburger Kiste für mich abzuholen; ich aber wollte nur an sein
Kammerfenster klopfen, um ihm solches zu bestellen.
Also ritte ich am Waldesrande hin, die Augen fast verwirret von den
grünlichen Johannisfünkchen, die mit ihren spielerischen Lichtern mich
hier umflogen. Und schon ragete groß und finster die Kirche vor mir
auf, in deren Mauern Herr Gerhardus bei den Seinen ruhte; ich hörte,
wie im Thurm soeben der Hammer ausholete, und von der Glocken scholl
die Mitternacht ins Dorf hinunter. ,Aber sie schlafen alle‘, sprach ich
bei mir selber, ,die Todten in der Kirchen oder unter dem hohen
Sternenhimmel hieneben auf dem Kirchhof, die Lebenden noch unter den
niedern Dächern, die dort stumm und dunkel vor dir liegen.‘ So ritt ich
weiter. Als ich jedoch an den Teich kam, von wo aus man Hans Ottsens
Krug gewahren kann, sahe ich von dorten einen dunstigen Lichtschein auf
den Weg hinausbrechen, und Fiedeln und Klarinetten schalleten mir
entgegen.
Da ich gleichwohl mit dem Wirthe reden wollte, so ritt ich herzu und
brachte meinen Gaul im Stalle unter. Als ich danach auf die Tenne trat,
war es gedrang voll von Menschen, Männern und Weibern, und ein Geschrei
und wüst Getreibe, wie ich solches, auch beim Tanz, in früheren Jahren
nicht vermerket. Der Schein der Unschlittkerzen, so unter einem Balken
auf einem Kreuzholz schwebten, hob manch bärtig und verhauen Antlitz
aus dem Dunkel, dem man lieber nicht allein im Wald begegnet wäre.—Aber
nicht nur Strolche und Bauerbursche schienen hier sich zu vergnügen;
bei den Musikanten, die drüben vor der Döns auf ihren Tonnen saßen,
stund der Junker von der Risch; er hatte seinen Mantel über dem einen
Arm, an dem andern hing ihm eine derbe Dirne. Aber das Stücklein schien
ihm nicht zu gefallen; denn er riß dem Fiedler seine Geigen aus den
Händen, warf eine Handvoll Münzen auf seine Tonne und verlangte, daß
sie ihm den neumodischen Zweitritt aufspielen sollten. Als dann die
Musikanten ihm gar rasch gehorchten und wie toll die neue Weise klingen
ließen, schrie er nach Platz und schwang sich in den dichten Haufen;
und die Bauerburschen glotzten drauf hin, wie ihm die Dirne im Arme
lag, gleich einer Tauben vor dem Geier.
Ich aber wandte mich ab und trat hinten in die Stube, um mit dem Wirth
zu reden. Da saß der Junker Wulf beim Kruge Wein und hatte den alten
Ottsen neben sich, welchen er mit allerhand Späßen in Bedrängniß
brachte; so drohete er, ihm seinen Zins zu steigern, und schüttelte
sich vor Lachen, wenn der geängstete Mann gar jämmerlich um Gnad und
Nachsicht supplicirte.—Da er mich gewahr worden, ließ er nicht ab, bis
ich selbdritt mich an den Tisch gesetzet; frug nach meiner Reise, und
ob ich in Hamburg mich auch wohl vergnüget; ich aber antwortete nur,
ich käme eben von dort zurück, und werde der Rahmen in Kürze in der
Stadt eintreffen, von wo Hans Ottsen ihn mit seinem Handwäglein
leichtlich möge holen lassen.
Indeß ich mit letzterem solches nun verhandelte, kam auch der von der
Risch hereingestürmet und schrie dem Wirthe zu, ihm einen kühlen Trunk
zu schaffen. Der Junker Wulf aber, dem bereits die Zunge schwer im
Munde wühlete, faßte ihn am Arm und riß ihn auf den leeren Stuhl
hernieder.
„Nun, Kurt!“ rief er. „Bist du noch nicht satt von deinen Dirnen! Was
soll die Katharina dazu sagen? Komm, machen wir alamode ein ehrbar
hazard mitsammen!“ Dabei hatte er ein Kartenspiel unterm Wams
hervorgezogen. „Allons donc!—Dix et dame!—Dame et valet!“
Ich stand noch und sah dem Spiele zu, so dermalen eben Mode worden; nur
wünschend, daß die Nacht vergehen und der Morgen kommen möchte.— Der
Trunkene schien aber dieses Mal des Nüchternen Übermann; dem von der
Risch schlug nach einander jede Karte fehl.
„Tröste dich, Kurt!“ sagte der Junker Wulf, indeß er schmunzelnd die
Speciesthaler auf einen Haufen scharrte:
„Glück in der Lieb
Und Glück im Spiel,
Bedenk, für einen
Ist’s zu viel!

Laß den Maler dir hier von deiner schönen Braut erzählen! Der weiß sie
auswendig; da kriegst du’s nach der Kunst zu wissen.“
Dem andern, wie mir am besten kund war, mochte aber noch nicht viel von
Liebesglück bewußt sein; denn er schlug fluchend auf den Tisch und sah
gar grimmig auf mich her.
„Ei, du bist eifersüchtig, Kurt!“ sagte der Junker Wulf vergnüglich,
als ob er jedes Wort auf seiner schweren Zunge schmeckete; „aber
getröste dich, der Rahmen ist schon fertig zu dem Bilde; dein Freund,
der Maler, kommt eben erst von Hamburg.“
Bei diesem Worte sah ich den von der Risch aufzucken gleich einem
Spürhund bei der Witterung. „Von Hamburg heut?—So muß er Fausti Mantel
sich bedienet haben; denn mein Reitknecht sah ihn heut zu Mittag noch
in Preetz! Im Stift, bei deiner Base ist er auf Besuch gewesen.“
Meine Hand fuhr unversehens nach der Brust, wo ich das Täschlein mit
dem Brief verwahret hatte; denn die trunkenen Augen des Junkers Wulf
lagen auf mir; und war mir’s nicht anders, als sähe er damit mein ganz
Geheimniß offen vor sich liegen. Es währete auch nicht lange, so flogen
die Karten klatschend auf den Tisch. „Oho!“ schrie er. „Im Stift, bei
meiner Base! Du treibst wohl gar doppelt Handwerk, Bursch! Wer hat dich
auf den Botengang geschickt?“
„Ihr nicht, Junker Wulf!“ entgegnet ich; „und das muß Euch genug
sein!“—Ich wollt nach meinem Degen greifen, aber er war nicht da; fiel
mir auch bei nun, daß ich ihn an den Sattelknopf gehänget, da ich
vorhin den Gaul zu Stalle brachte.
Und schon schrie der Junker wieder zu seinem jüngeren Kumpan: „Reiß ihm
das Wams auf, Kurt! Es gilt den blanken Haufen hier; du findest eine
saubere Briefschaft, die du ungern möchtst bestellet sehen!“
Im selbigen Augenblick fühlte ich auch schon die Hände des von der
Risch an meinem Leibe, und ein wüthend Ringen zwischen uns begann. Ich
fühlte wohl, daß ich so leicht, wie in der Bubenzeit, ihm nicht mehr
über würde; da aber fügete es sich zu meinem Glücke, daß ich ihm beide
Handgelenke packte und er also wie gefesselt vor mir stund. Es hatte
keiner von uns ein Wort dabei verlauten lassen; als wir uns aber itzund
in die Augen sahen, da wußte jeder wohl, daß er’s mit seinem Todfeind
vor sich habe.
Solches schien auch der Junker Wulf zu meinen; er strebte von seinem
Stuhl empor, als wolle er dem von der Risch zu Hülfe kommen; mochte
aber zu viel des Weins genossen haben, denn er taumelte auf seinen
Platz zurück. Da schrie er, so laut seine lallende Zunge es noch
vermochte: „He, Tartar! Türk! Wo steckt ihr! Tartar, Türk!“ Und ich
wußte nun, daß die zwo grimmen Köter, so ich vorhin auf der Tenne an
dem Ausschank hatte lungern sehen, mir an die nackte Kehle springen
sollten. Schon hörete ich sie durch das Getümmel der Tanzenden
daherschnaufen, da riß ich mit einem Rucke jählings meinen Feind zu
Boden, sprang dann durch eine Seitenthür aus dem Zimmer, die ich
schmetternd hinter mir zuwarf, und gewann also das Freie.
Und um mich her war plötzlich wieder die stille Nacht und Mond- und
Sternenschimmer. In den Stall zu meinem Gaul wagt ich nicht erst zu
gehen, sondern sprang flugs über einen Wall und lief über das Feld dem
Walde zu. Da ich ihn bald erreichet, suchte ich die Richtung nach dem
Herrenhofe einzuhalten; denn es zieht sich die Holzung bis hart zur
Gartenmauer. Zwar war die Helle der Himmelslichter hier durch das Laub
der Bäume ausgeschlossen, aber meine Augen wurden der Dunkelheit gar
bald gewohnt, und da ich das Täschlein sicher unter meinem Wamse
fühlte, so tappte ich rüstig vorwärts; denn ich gedachte den Rest der
Nacht noch einmal in meiner Kammer auszuruhen, dann aber mit dem alten
Dieterich zu berathen, was allfort geschehen solle; maßen ich wohl
sahe, daß meines Bleibens hier nicht fürder sei.
Bisweilen stund ich auch und horchte; aber ich mochte bei meinem Abgang
wohl die Thür ins Schloß geworfen und so einen guten Vorsprung mir
gewonnen haben: von den Hunden war kein Laut vernehmbar. Wohl aber, da
ich eben aus dem Schatten auf eine vom Mond erhellete Lichtung trat,
hörete ich nicht gar fern die Nachtigallen schlagen; und von wo ich
ihren Schall hörte, dahin richtete ich meine Schritte, denn mir war
wohl bewußt, sie hatten hier herum nur in den Hecken des Herrengartens
ihre Nester; erkannte nun auch, wo ich mich befand, und daß ich bis zum
Hofe nicht gar weit mehr hatte.
Ging also dem lieblichen Schallen nach, das immer heller vor mir aus
dem Dunkel drang. Da plötzlich schlug was anderes an mein Ohr, das
jählings näher kam und mir das Blut erstarren machte. Nicht zweifeln
konnt ich mehr, die Hunde brachen durch das Unterholz; sie hielten fest
auf meiner Spur, und schon hörete ich deutlich hinter mir ihr Schnaufen
und ihre gewaltigen Sätze in dem dürren Laub des Waldbodens. Aber Gott
gab mir seinen gnädigen Schutz; aus dem Schatten der Bäume stürzte ich
gegen die Gartenmauer, und an eines Fliederbaums Geäste schwang ich
mich hinüber. Da sangen hier im Garten immer noch die Nachtigallen; die
Buchenhecken warfen tiefe Schatten. In solcher Mondnacht war ich einst
vor meiner Ausfahrt in die Welt mit Herrn Gerhardus hier gewandelt.
„Sieh dir’s noch einmal an, Johannes!“ hatte dermalen er gesprochen;
„es könnt geschehen, daß du bei deiner Heimkehr mich nicht daheim mehr
fändest, und daß alsdann ein Willkomm nicht für dich am Thor
geschrieben stünde;—ich aber möcht nicht, daß du diese Stätte hier
vergäßest.“
Das flog mir itzund durch den Sinn, und ich mußte bitter lachen; denn
nun war ich hier als ein gehetzet Wild; und schon hörete ich die Hunde
des Junker Wulf gar grimmig draußen an der Gartenmauer rennen. Selbige
aber war, wie ich noch tags zuvor gesehen, nicht überall so hoch, daß
nicht das wüthige Gethier hinüber konnte; und rings im Garten war kein
Baum, nichts als die dichten Hecken und drüben gegen das Haus die
Blumenbeete des seligen Herrn. Da, als eben das Bellen der Hunde wie
ein Triumphgeheule innerhalb der Gartenmauer scholl, ersahe ich in
meiner Noth den alten Epheubaum, der sich mit starkem Stamme an dem
Thurm hinaufreckt; und da dann die Hunde aus den Hecken auf den
mondhellen Platz hinaus raseten, war ich schon hoch genug, daß sie mit
ihrem Anspringen mich nicht mehr erreichen konnten; nur meinen Mantel,
so von der Schulter geglitten, hatten sie mit ihren Zähnen mir
herabgerissen.
Ich aber, also angeklammert und fürchtend, es werde das nach oben
schwächere Geäste mich auf die Dauer nicht ertragen, blickte suchend um
mich, ob ich nicht irgend besseren Halt gewinnen möchte; aber es war
nichts zu sehen als die dunklen Epheublätter um mich her.—Da, in
solcher Noth, hörete ich ober mir ein Fenster öffnen, und eine Stimme
scholl zu mir herab—möchte ich sie wieder hören, wenn du, mein Gott,
mich bald nun rufen läßt aus diesem Erdenthal!— „Johannes!“ rief sie;
leis, doch deutlich hörete ich meinen Namen, und ich kletterte höher an
dem immer schwächeren Gezweige, indeß die schlafenden Vögel um mich
auffuhren und die Hunde von unten ein Geheul heraufstießen.—„Katharina!
Bist du es wirklich, Katharina?“
Aber schon kam ein zitternd Händlein zu mir herab und zog mich gegen
das offene Fenster; und ich sah in ihre Augen, die voll Entsetzen in
die Tiefe starrten.
„Komm!“ sagte sie. „Sie werden dich zerreißen.“ Da schwang ich mich in
ihre Kammer.—Doch als ich drinnen war, ließ mich das Händlein los, und
Katharina sank auf einen Sessel, so am Fenster stund, und hatte ihre
Augen dicht geschlossen. Die dicken Flechten ihres Haares lagen über
dem weißen Nachtgewand bis in den Schoß hinab; der Mond, der draußen
die Gartenhecken überstiegen hatte, schien voll herein und zeigete mir
alles. Ich stund wie fest gezaubert vor ihr; so lieblich fremde und
doch so ganz mein eigen schien sie mir; nur meine Augen tranken sich
satt an all der Schönheit. Erst als ein Seufzen ihre Brust erhob,
sprach ich zu ihr: „Katharina, liebe Katharina, träumet Ihr denn?“
Da flog ein schmerzlich Lächeln über ihr Gesicht: „Ich glaub wohl fast,
Johannes!—Das Leben ist so hart; der Traum ist süß!“
Als aber von unten aus dem Garten das Geheul aufs Neu heraufkam, fuhr
sie erschreckt empor. „Die Hunde, Johannes!“ rief sie. „Was ist das mit
den Hunden?“
„Katharina“, sagte ich, „wenn ich Euch dienen soll, so glaub ich, es
muß bald geschehen; denn es fehlt viel, daß ich noch einmal durch die
Thür in dieses Haus gelangen sollte.“ Dabei hatte ich den Brief aus
meinem Täschlein hervorgezogen und erzählete auch, wie ich im Kruge
drunten mit den Junkern sei in Streit gerathen.
Sie hielt das Schreiben in den hellen Mondenschein und las; dann
schaute sie mich voll und herzlich an, und wir beredeten, wie wir uns
morgen in dem Tannenwalde treffen wollten; denn Katharina sollte noch
zuvor erkunden, auf welchen Tag des Junker Wulfen Abreise zum Kieler
Johannismarkte festgesetzet sei.
„Und nun, Katharina“, sprach ich, „habt Ihr nicht etwas, das einer
Waffe gleich sieht, ein eisern Ellenmaß oder so dergleichen, damit ich
der beiden Thiere drunten mich erwehren könne?“
Sie aber schrak jäh wie aus einem Traum empor. „Was sprichst du,
Johannes!“ rief sie; und ihre Hände, so bislang in ihrem Schoß geruhet,
griffen nach den meinen. „Nein, nicht fort, nicht fort! Da drunten ist
der Tod; und gehst du, so ist auch hier der Tod!“
Da war ich vor ihr hingeknieet und lag an ihrer jungen Brust, und wir
umfingen uns in großer Herzensnoth. „Ach, Käthe“, sprach ich, „was
vermag die arme Liebe denn! Wenn auch dein Bruder Wulf nicht wäre; ich
bin kein Edelmann und darf nicht um dich werben.“
Sehr süß und sorglich schauete sie mich an; dann aber kam es wie
Schelmerei aus ihrem Munde: „Kein Edelmann, Johannes?—Ich dächte, du
seiest auch das! Aber—ach nein! Dein Vater war nur der Freund des
meinen—das gilt der Welt wohl nicht!“
„Nein, Käthe; nicht das, und sicherlich nicht hier“, entgegnete ich und
umfaßte fester ihren jungfräulichen Leib; „aber drüben in Holland, dort
gilt ein tüchtiger Maler wohl einen deutschen Edelmann; die Schwelle
von Mynherr van Dycks Palaste zu Amsterdam ist wohl dem Höchsten
ehrenvoll zu überschreiten. Man hat mich drüben halten wollen, mein
Meister van der Helst und andre! Wenn ich dorthin zurückginge, ein Jahr
noch oder zwei; dann—wir kommen dann schon von hier fort; bleib mir nur
feste gegen euere wüsten Junker!“
Katharinens weiße Hände strichen über meine Locken; sie herzete mich
und sagte leise: „Da ich in meine Kammer dich gelassen, so werd ich
doch dein Weib auch werden müssen.“
—Ihr ahnete wohl nicht, welch einen Feuerstrom dies Wort in meine Adern
goß, darin ohnedies das Blut in heißen Pulsen ging.—Von dreien
furchtbaren Dämonen, von Zorn und Todesangst und Liebe ein verfolgter
Mann, lag nun mein Haupt in des viel geliebten Weibes Schoß.
Da schrillte ein geller Pfiff, die Hunde drunten wurden jählings
stille, und da es noch einmal gellte, hörete ich sie wie toll und wild
davon rennen.
Vom Hofe her wurden Schritte laut; wir horchten auf, daß uns der Athem
stille stund. Bald aber wurde dorten eine Thür erst auf-, dann
zugeschlagen und dann ein Riegel vorgeschoben. „Das ist Wulf“, sagte
Katharina leise; „er hat die beiden Hunde in den Stall gesperrt.“—Bald
hörten wir auch unter uns die Thür des Hausflurs gehen, den Schlüssel
drehen und danach Schritte in dem untern Corridor, die sich verloren,
wo der Junker seine Kammer hatte. Dann wurde alles still.
Es war nun endlich sicher, ganz sicher; aber mit unserem Plaudern war
es mit einem Male schier zu Ende. Katharina hatte den Kopf
zurückgelehnt; nur unser beider Herzen hörete ich klopfen.—„Soll ich
nun gehen, Katharina?“ sprach ich endlich.
Aber die jungen Arme zogen mich stumm zu ihrem Mund empor; und ich ging
nicht.
Kein Laut war mehr, als aus des Gartens Tiefe das Schlagen der
Nachtigallen und von fern das Rauschen des Wässerleins, das hinten um
die Hecken fließt.—
Wenn, wie es in den Liedern heißt, mitunter noch in Nächten die schöne
heidnische Frau Venus aufersteht und umgeht, um die armen
Menschenherzen zu verwirren, so war es dazumalen eine solche Nacht. Der
Mondschein war am Himmel ausgethan, ein schwüler Ruch von Blumen
hauchte durch das Fenster, und dorten überm Walde spielete die Nacht in
stummen Blitzen.—O Hüter, Hüter, war dein Ruf so fern?
—Wohl weiß ich noch, daß vom Hofe her plötzlich scharf die Hähne
krähten, und daß ich ein blaß und weinend Weib in meinen Armen hielt,
die mich nicht lassen wollte, unachtend, daß überm Garten der Morgen
dämmerte und rothen Schein in unsre Kammer warf. Dann aber, da sie deß
inne wurde, trieb sie, wie von Todesangst geschreckt, mich fort.
Noch einen Kuß, noch hundert; ein flüchtig Wort noch: wann für das
Gesind zu Mittage geläutet würde, dann wollten wir im Tannenwald uns
treffen; und dann—ich wußte selber kaum, wie mir’s geschehen— stund ich
im Garten, unten in der kühlen Morgenluft.
Noch einmal, indem ich meinen von den Hunden zerfetzten Mantel aufhob,
schaute ich empor und sah ein blasses Händlein mir zum Abschied winken.
Nahezu erschrocken aber wurd ich, da meine Augen bei einem Rückblick
aus dem Gartensteig von ungefähr die unteren Fenster neben dem Thurme
streiften; denn mir war, als sähe hinter einem derselbigen ich
gleichfalls eine Hand; aber sie drohete nach mir mit aufgehobenem
Finger und schien mir farblos und knöchern gleich der Hand des Todes.
Doch war’s nur wie im Husch, daß solches über meine Augen ging; dachte
zwar erstlich des Märleins von der wieder gehenden Urahne; redete mir
dann aber ein, es seien nur meine eigenen aufgestörten Sinne, die solch
Spiel mir vorgegaukelt hätten.
So, deß nicht weiter achtend, schritt ich eilends durch den Garten,
merkete aber bald, daß in der Hast ich auf den Binsensumpf gerathen;
sank auch der eine Fuß bis übers Änkel ein, gleichsam, als ob ihn was
hinunterziehen wollte. ,Ei‘, dachte ich, ,faßt das Hausgespenste doch
nach dir!‘ Machte mich aber auf und sprang über die Mauer in den Wald
hinab.
Die Finsterniß der dichten Bäume sagte meinem träumenden Gemüthe zu;
hier um mich her war noch die selige Nacht, von welcher meine Sinne
sich nicht lösen mochten.—Erst da ich nach geraumer Zeit vom
Waldesrande in das offene Feld hinaustrat, wurd ich völlig wach. Ein
Häuflein Rehe stund nicht fern im silbergrauen Thau, und über mir vom
Himmel scholl das Tageslied der Lerche. Da schüttelte ich all müßig
Träumen von mir ab; im selbigen Augenblick stieg aber auch wie heiße
Noth die Frage mir ins Hirn: ,Was weiter nun, Johannes? Du hast ein
theures Leben an dich rissen; nun wisse, daß dein Leben nichts gilt als
nur das ihre!‘
Doch was ich sinnen mochte, es deuchte mir allfort das beste, wenn
Katharina im Stifte sichern Unterschlupf gefunden, daß ich dann zurück
nach Holland ginge, mich dort der Freundeshülf versicherte und
allsobald zurückkäm, um sie nachzuholen. Vielleicht, daß sie gar der
alten Base Herz erweichet; und schlimmsten Falles—es mußte auch gehen
ohne das!
Schon sahe ich uns auf einem fröhlichen Barkschiff die Wellen des
grünen Zuidersees befahren, schon hörete ich das Glockenspiel vom
Rathhausthurme Amsterdams und sah am Hafen meine Freunde aus dem Gewühl
hervorbrechen und mich und meine schöne Frau mit hellem Zuruf grüßen
und im Triumph nach unserem kleinen, aber trauten Heim geleiten. Mein
Herz war voll von Muth und Hoffnung; und kräftiger und rascher schritt
ich aus, als könnte ich bälder so das Glück erreichen.
—Es ist doch anders kommen.
In meinen Gedanken war ich allmählich in das Dorf hinabgelanget und
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