Aquis Submersus - 2

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rüstig meinen Wanderstab in Gang.
Da, an der Stelle, wo der Fußsteig in die Straße mündet—in stürmender
Freude stund das Herz mir still—, plötzlich aus dem Tannendunkel war
sie selber da; mit glühenden Wangen kam sie hergelaufen, sie sprang
über den trocknen Weggraben, daß die Fluth des seidenbraunen Haars dem
güldnen Netz entstürzete; und so fing ich sie in meinen Armen auf. Mit
glänzenden Augen, noch mit dem Odem ringend, schaute sie mich an.
„Ich—ich bin ihnen fortgelaufen!“ stammelte sie endlich; und dann, ein
Päckchen in meine Hand drückend, fügte sie leis hinzu: „Von mir,
Johannes! Und du sollst es nicht verachten!“ Auf einmal aber wurde ihr
Gesichtchen trübe; der kleine schwellende Mund wollte noch was reden,
aber da brach ein Thränenquell aus ihren Augen, und wehmüthig ihr
Köpfchen schüttelnd, riß sie sich hastig los. Ich sah ihr Kleid im
finstern Tannensteig verschwinden; dann in der Ferne hörte ich noch die
Zweige rauschen, und dann stand ich allein. Es war so still, die
Blätter konnte man fallen hören. Als ich das Päckchen aus einander
faltete, da war’s ihr güldner Pathenpfennig, so sie mir oft gezeigt
hatte; ein Zettlein lag dabei, das las ich nun beim Schein des
Abendrothes. „Damit du nicht in Noth gerathest“, stund darauf
geschrieben.—Da streckt ich meine Arme in die leere Luft: „Ade,
Katharina ade, ade!“—wohl hundertmal rief ich es in den stillen Wald
hinein;—und erst mit sinkender Nacht erreichte ich die Stadt.
—Seitdem waren fast fünf Jahre dahingegangen.—Wie würd ich heute alles
wiederfinden?
Und schon war ich am Thorhaus und sah drunten im Hof die alten Linden,
hinter deren lichtgrünem Laub die beiden Zackengiebel des Herrenhauses
itzt verborgen lagen. Als ich aber durch den Thorweg gehen wollte,
jagten vom Hofe her zwei fahlgraue Bullenbeißer mit Stachelhalsbändern
gar wild gegen mich heran; sie erhuben ein erschreckliches Geheul, der
eine sprang auf mich und fletschete seine weißen Zähne dicht vor meinem
Antlitz. Solch einen Willkommen hatte ich noch niemalen hier empfangen.
Da, zu meinem Glück, rief aus den Kammern ober dem Thore eine rauhe,
aber mir gar traute Stimme. „Hallo!“ rief sie; „Tartar, Türk!“ Die
Hunde ließen von mir ab, ich hörte es die Stiege herabkommen, und aus
der Thür, so unter dem Thorgang war, trat der alte Dieterich.
Als ich ihn anschaute, sahe ich wohl, daß ich lang in der Fremde
gewesen sei; denn sein Haar war schlohweiß geworden, und seine sonst so
lustigen Augen blickten gar matt und betrübsam auf mich hin. „Herr
Johannes!“ sagte er endlich und reichte mir seine beiden Hände.
„Grüß Ihn Gott, Dieterich!“ entgegnete ich. „Aber seit wann haltet Ihr
solche Bluthunde auf dem Hof, die die Gäste anfallen gleich den
Wölfen?“
„Ja, Herr Johannes“, sagte der Alte, „die hat der Junker hergebracht.“
„Ist denn der daheim?“ Der Alte nickte.
„Nun“, sagte ich, „die Hunde mögen schon vonnöthen sein; vom Krieg her
ist noch viel verlaufen Volk zurückgeblieben.“
„Ach, Herr Johannes!“ Und der alte Mann stund immer noch, als wolle er
mich nicht zum Hof hinauf lassen. „Ihr seid in schlimmer Zeit
gekommen!“
Ich sah ihn an, sagte aber nur: „Freilich, Dieterich; aus mancher
Fensterhöhlung schaut statt des Bauern itzt der Wolf heraus; hab
dergleichen auch gesehen; aber es ist ja Frieden worden, und der gute
Herr im Schloß wird helfen, seine Hand ist offen.“
Mit diesen Worten wollte ich, obschon die Hunde mich wieder
anknurreten, auf den Hof hinausgehen; aber der Greis trat mir in den
Weg. „Herr Johannes“, rief er, „ehe Ihr weiter gehet, höret mich an!
Euer Brieflein ist zwar richtig mit der Königlichen Post von Hamburg
kommen; aber den rechten Leser hat es nicht mehr finden können.“
„Dieterich!“ schrie ich. „Dieterich!“
„—Ja, ja, Herr Johannes! Hier ist die gute Zeit vorbei; denn unser
theurer Herr Gerhardus liegt aufgebahret dort in der Kapellen, und die
Gueridons brennen an seinem Sarge. Es wird nun anders werden auf dem
Hofe; aber—ich bin ein höriger Mann, mir ziemet Schweigen.“
Ich wollte fragen: „Ist das Fräulein, ist Katharina noch im Hause!“
Aber das Wort wollte nicht über meine Zunge.
Drüben, in einem hinteren Seitenbau des Herrenhauses, war eine kleine
Kapelle, die aber, wie ich wußte, seit lange nicht benutzt war. Dort
also sollte ich Herrn Gerhardus suchen.
Ich fragte den alten Hofmann: „Ist die Kapelle offen?“, und als er es
bejahete, bat ich ihn, die Hunde anzuhalten; dann ging ich über den
Hof, wo niemand mir begegnete; nur einer Grasmücke Singen kam oben aus
den Lindenwipfeln.
Die Thür zur Kapellen war nur angelehnt, und leis und gar beklommen
trat ich ein. Da stand der offene Sarg, und die rothe Flamme der Kerzen
warf ihr flackernd Licht auf das edle Antlitz des geliebten Herrn; die
Fremdheit des Todes, so darauf lag, sagte mir, daß er itzt eines andern
Lands Genosse sei. Indem ich aber neben dem Leichnam zum Gebete
hinknien wollte, erhub sich über den Rand des Sarges mir gegenüber ein
junges blasses Antlitz, das aus schwarzen Schleiern fast erschrocken
auf mich schaute.
Aber nur, wie ein Hauch verweht, so blickten die braunen Augen herzlich
zu mir auf, und es war fast wie ein Freudenruf. „O Johannes, seid Ihr’s
denn? Ach, Ihr seid zu spät gekommen!“ Und über dem Sarge hatten unsere
Hände sich zum Gruß gefaßt; denn es war Katharina, und sie war so schön
geworden, daß hier im Angesicht des Todes ein heißer Puls des Lebens
mich durchfuhr. Zwar, das spielende Licht der Augen lag itzt
zurückgeschrecket in der Tiefe; aber aus dem schwarzen Häubchen
drängten sich die braunen Löcklein, und der schwellende Mund war um so
röther in dem blassen Antlitz.
Und fast verwirret auf den Todten schauend, sprach ich: „Wohl kam ich
in der Hoffnung, an seinem lebenden Bilde ihm mit meiner Kunst zu
danken, ihm manche Stunde genüber zu sitzen und sein mild und lehrreich
Wort zu hören. Laßt mich denn nun die bald vergehenden Züge
festzuhalten suchen.“
Und als sie unter Thränen, die über ihre Wangen strömten, stumm zu mir
hinübernickte, setzte ich mich in ein Gestühlte und begann auf einem
von den Blättchen, die ich bei mir führte, des Todten Antlitz
nachzubilden. Aber meine Hand zitterte; ich weiß nicht, ob alleine vor
der Majestät des Todes.
Während dem vernahm ich draußen vom Hofe her eine Stimme, die ich für
die des Junker Wulf erkannte; gleich danach schrie ein Hund wie nach
einem Fußtritt oder Peitschenhiebe; und dann ein Lachen und einen Fluch
von einer andern Stimme, die mir gleicherweise bekannt deuchte.
Als ich auf Katharinen blickte, sah ich sie mit schier entsetzten Augen
nach dem Fenster starren; aber die Stimmen und die Schritte gingen
vorüber. Da erhub sie sich, kam an meine Seite und sahe zu, wie des
Vaters Antlitz unter meinem Stift entstund. Nicht lange, so kam draußen
ein einzelner Schritt zurück; in demselben Augenblick legte Katharina
die Hand auf meine Schulter, und ich fühlte, wie ihr junger Körper
bebte.
Sogleich auch wurde die Kapellenthür aufgerissen; und ich erkannte den
Junker Wulf, obschon sein sonsten bleiches Angesicht itzt roth und
aufgedunsen schien.
„Was huckst du allfort an dem Sarge!“ rief er zu der Schwester. „Der
Junker von der Risch ist da gewesen, uns seine Condolenze zu bezeigen;
du hättest ihm wohl den Trunk kredenzen mögen!“
Zugleich hatte er meiner wahrgenommen und bohrete mich mit seinen
kleinen Augen an. „Wulf“, sagte Katharina, indem sie mit mir zu ihm
trat; „es ist Johannes, Wulf“
Der Junker fand nicht vonnöthen, mir die Hand zu reichen; er musterte
nur mein violenfarben Wams und meinte: „Du trägst da einen bunten
Federbalg; man wird dich ,Sieur‘ nun tituliren müssen!“
„Nennt mich, wie’s Euch gefällt!“ sagte ich, indem wir auf den Hof
hinaustreten. „Obschon mir dorten, von wo ich komme, das ,Herr‘ vor
meinem Namen nicht gefehlet—Ihr wißt wohl, Eueres Vaters Sohn hat
großes Recht an mir.“
Er sah mich was verwundert an, sagte dann aber nur: „Nun wohl, so magst
du zeigen, was du für meines Vaters Gold erlernet hast; und soll dazu
der Lohn für deine Arbeit dir nicht verhalten sein.“
Ich meinete, was den Lohn anginge, den hätte ich längst vorausbekommen;
da aber der Junker entgegnete, er werd es halten, wie sich’s für einen
Edelmann gezieme, so fragte ich, was für Arbeit er mir aufzutragen
hätte.
„Du weißt doch“, sagte er und hielt dann inne, indem er scharf auf
seine Schwester blickte—„wenn eine adelige Tochter das Haus verläßt, so
muß ihr Bild darin zurückbleiben.“
Ich fühlte, daß bei diesen Worten Katharina, die an meiner Seite ging,
gleich einer Taumelnden nach meinem Mantel haschte; aber ich entgegnete
ruhig: „Der Brauch ist mir bekannt; doch, wie meinet Ihr denn, Junker
Wulf?“
„Ich meine“, sagte er hart, als ob er einen Gegenspruch erwarte, „daß
du das Bildniß der Tochter dieses Hauses malen sollst!“
Mich durchfuhr’s fast wie ein Schrecken; weiß nicht, ob mehr über den
Ton oder die Deutung dieser Worte; dachte auch, zu solchem Beginnen sei
itzt kaum die rechte Zeit.
Da Katharina schwieg, aus ihren Augen aber ein flehentlicher Blick mir
zuflog, so antwortete ich: „Wenn Eure edle Schwester es mir vergönnen
will, so hoffe ich Eueres Vaters Protection und meines Meisters Lehre
keine Schande anzuthun. Räumet mir nur wieder mein Kämmerlein ober dem
Thorweg bei dem alten Dieterich, so soll geschehen, was Ihr wünschet.“
Der Junker war das zufrieden und sagte auch seiner Schwester, sie möge
einen Imbiß für mich richten lassen.
Ich wollte über den Beginn meiner Arbeit noch eine Frage thun; aber ich
verstummte wieder, denn über den empfangenen Auftrag war plötzlich eine
Entzückung in mir aufgestiegen, daß ich fürchtete, sie könne mit jedem
Wort hervorbrechen. So war ich auch der zwo grimmen Köter nicht gewahr
worden, die dort am Brunnen sich auf den heißen Steinen sonnten. Da wir
aber näher kamen, sprangen sie auf und fuhren mit offenem Rachen gegen
mich, daß Katharina einen Schrei that, der Junker aber einen schrillen
Pfiff, worauf sie heulend ihm zu Füßen krochen. „Beim Höllenelemente“,
rief er lachend, „zwo tolle Kerle; gilt ihnen gleich, ein Sauschwanz
oder Flandrisch Tuch!“
„Nun, Junker Wulf“—ich konnte der Rede mich nicht wohl enthalten—,
„soll ich noch einmal Gast in Eueres Vaters Hause sein, so möget Ihr
Euere Thiere bessere Sitte lehren!“
Er blitzte mich mit seinen kleinen Augen an und riß sich ein paar Mal
in seinen Zwickelbart. „Das ist nur so ihr Willkommensgruß, Sieur
Johannes!“ sagte er dann, indem er sich bückte, um die Bestien zu
streicheln. „Damit jedweder wisse, daß ein ander Regiment allhier
begonnen; denn—wer mir in die Quere kommt, den hetz ich in des Teufels
Rachen!“
Bei den letzten Worten, die er heftig ausgestoßen, hatte er sich hoch
aufgerichtet; dann pfiff er seinen Hunden und schritt über den Hof dem
Thore zu.
Ein Weilchen schaute ich hintendrein; dann folgte ich Katharinen, die
unter dem Lindenschatten stumm und gesenkten Hauptes die Freitreppe zu
dem Herrenhaus emporstieg; ebenso schweigend gingen wir mitsammen die
breiten Stufen in das Oberhaus hinauf, allwo wir in des seligen Herrn
Gerhardus Zimmer traten.—Hier war noch alles, wie ich es vordem
gesehen; die goldgeblümten Ledertapeten, die Karten an der Wand, die
saubern Pergamentbände auf den Regalen, über dem Arbeitstische der
schöne Waldgrund von dem älteren Ruisdael—und dann davor der leere
Sessel. Meine Blicke blieben daran haften; gleichwie drunten in der
Kapellen der Leib des Entschlafenen, so schien auch dies Gemach mir
itzt entseelet und, obschon vom Walde draußen der junge Lenz durchs
Fenster leuchtete, doch gleichsam von der Stille des Todes wie
erfüllet.
Ich hatte auf Katharinen in diesem Augenblicke fast vergessen. Da ich
mich umwandte, stand sie schier reglos mitten in dem Zimmer, und ich
sah, wie unter den kleinen Händen, die sie daraufgepreßt hielt, ihre
Brust in ungestümer Arbeit ging. „Nicht wahr“, sagte sie leise, „hier
ist itzt niemand mehr; niemand als mein Bruder und seine grimmen
Hunde?“
„Katharina!“ rief ich; „was ist Euch? Was ist das hier in Eueres Vaters
Haus?“
„Was es ist, Johannes?“ Und fast wild ergriff sie meine beiden Hände,
und ihre jungen Augen sprühten wie in Zorn und Schmerz. „Nein, nein;
laß erst den Vater in seiner Gruft zur Ruhe kommen! Aber dann—du sollst
mein Bild ja malen, du wirst eine Zeitlang hier verweilen—dann,
Johannes, hilf mir; um des Todten willen, hilf mir!“
Auf solche Worte, von Mitleid und von Liebe ganz bezwungen, fiel ich
vor der Schönen, Süßen nieder und schwur ihr mich und alle meine Kräfte
zu. Da lösete sich ein sanfter Thränenquell aus ihren Augen, und wir
saßen neben einander und sprachen lange zu des Entschlafenen
Gedächtniß.
Als wir sodann wieder in das Unterhaus hinabgingen, fragte ich auch dem
alten Fräulein nach.
„Oh“, sagte Katharina, „Bas’ Ursel! Wollt Ihr sie begrüßen? Ja, die ist
auch noch da; sie hat hier unten ihr Gemach, denn die Treppen sind ihr
schon längsthin zu beschwerlich.“
Wir traten also in ein Stübchen, das gegen den Garten lag, wo auf den
Beeten vor den grünen Heckenwänden soeben die Tulpen aus der Erde
brachen. Bas’ Ursel saß, in der schwarzen Tracht und Krepphaube nur wie
ein schwindend Häufchen anzuschauen, in einem hohen Sessel und hatte
ein Nonnenspielchen vor sich, das, wie sie nachmals mir erzählte, der
Herr Baron—nach seines Vaters Ableben war er solches itzund
wirklich—ihr aus Lübeck zur Verehrung mitgebracht.
„So“, sagte sie, da Katharina mich genannt hatte, indeß sie behutsam
die helfenbeinern Pflöcklein um einander steckte, „ist Er wieder da,
Johannes? Nein, es geht nicht aus! O, c’est un jeu très-compliqué!“
Dann warf sie die Pflöcklein über einander und schauete mich an. „Ei“,
meinte sie, „Er ist gar stattlich angethan; aber weiß Er denn nicht,
daß Er in ein Trauerhaus getreten ist?“
„Ich weiß es, Fräulein“, entgegnete ich; „aber da ich in das Thor trat,
wußte ich es nicht.“
„Nun“, sagte sie und nickte gar begütigend; „so eigentlich gehöret Er
ja auch nicht zur Dienerschaft.“
Über Katharinens blasses Antlitz flog ein Lächeln, wodurch ich mich
jeder Antwort wohl enthoben halten mochte. Vielmehr rühmte ich der
alten Dame die Anmuth ihres Wohngemaches; denn auch der Epheu von dem
Thürmchen, das draußen an der Mauer aufstieg, hatte sich nach dem
Fenster hingesponnen und wiegete seine grünen Ranken vor den Scheiben.
Aber Bas’ Ursel meinete, ja, wenn nur nicht die Nachtigallen wären, die
itzt schon wieder anhüben mit ihrer Nachtunruhe; sie könne ohnedem den
Schlaf nicht finden; und dann auch sei es schier zu abgelegen; das
Gesinde sei von hier aus nicht im Aug zu halten; im Garten draußen aber
passire eben nichts, als etwan, wann der Gärtnerbursche an den Hecken
oder Buchsrabatten putze.
—Und damit hatte der Besuch seine Endschaft; denn Katharina mahnte, es
sei nachgerade an der Zeit, meinen wegemüden Leib zu stärken.


Ich war nun in meinem Kämmerchen ober dem Hofthor einlogiret, dem alten
Dieterich zur sondern Freude; denn am Feierabend saßen wir auf seiner
Tragkist, und ließ ich mir, gleich wie in der Knabenzeit, von ihm
erzählen. Er rauchte dann wohl eine Pfeife Tabak, welche Sitte durch
das Kriegsvolk auch hier in Gang gekommen war, und holete allerlei
Geschichten aus den Drangsalen, so sie durch die fremden Truppen auf
dem Hof und unten in dem Dorf hatten erleiden müssen; einmal aber, da
ich seine Rede auf das gute Frölen Katharina gebracht und er erst nicht
hatt ein Ende finden können, brach er gleichwohl plötzlich ab und
schauete mich an.
„Wisset Ihr, Herr Johannes“, sagte er, „’s ist grausam schad, daß Ihr
nicht auch ein Wappen habet gleich dem von der Risch da drüben!“
Und da solche Rede mir das Blut ins Gesicht jagete, klopfte er mit
seiner harten Hand mir auf die Schulter, meinend: „Nun, nun, Herr
Johannes; ’s war ein dummes Wort von mir; wir müssen freilich bleiben,
wo uns der Herrgott hingesetzet.“
Weiß nicht, ob ich derzeit mit solchem einverstanden gewesen, fragete
aber nur, was der von der Risch denn itzund für ein Mann geworden.
Der Alte sah mich gar pfiffig an und paffte aus seinem kurzen
Pfeiflein, als ob das theure Kraut am Feldrain wüchse. „Wollet Ihr’s
wissen, Herr Johannes?“ begann er dann. „Er gehöret zu denen muntern
Junkern, die im Kieler Umschlag den Bürgersleuten die Knöpfe von den
Häusern schießen; Ihr möget glauben, er hat treffliche Pistolen! Auf
der Geigen weiß er nicht so gut zu spielen; da er aber ein lustig
Stücklein liebt, so hat er letzthin den Rathsmusikanten, der überm
Holstenthore wohnt, um Mitternacht mit seinem Degen aufgeklopfet, ihm
auch nicht Zeit gelassen, sich Wams und Hosen anzuthun. Statt der
Sonnen stand aber der Mond am Himmel, es war octavis trium regum und
fror Pickelsteine; und hat also der Musikante, den Junker mit dem Degen
hinter sich, im blanken Hemde vor ihm durch die Gassen geigen
müssen!—Wollet Ihr mehr noch wissen, Herr Johannes?—Zu Haus bei ihm
freuen sich die Bauern, wenn der Herrgott sie nicht mit Töchtern
gesegnet; und dennoch—aber nach seines Vaters Tode hat er Geld, und
unser Junker, Ihr wisset’s wohl, hat schon vorher von seinem Erbe
aufgezehrt.“
Ich wußte freilich nun genug; auch hatte der alte Dieterich schon mit
seinem Spruche: „Aber ich bin nur ein höriger Mann“, seiner Rede Schluß
gemacht.
—Mit meinem Malgeräth war auch meine Kleidung aus der Stadt gekommen,
wo ich im Goldenen Löwen alles abgeleget, so daß ich anitzt, wie es
sich ziemete, in dunkler Tracht einherging. Die Tagesstunden aber
wandte ich zunächst in meinen Nutzen. Nämlich, es befand sich oben im
Herrenhause neben des seligen Herrn Gemach ein Saal, räumlich und hoch,
dessen Wände fast völlig von lebensgroßen Bildern verhänget waren, so
daß nur noch neben dem Kamin ein Platz zu zweien offen stund. Es waren
das die Voreltern des Herrn Gerhardus, meist ernst und sicher blickende
Männer und Frauen, mit einem Antlitz, dem man wohl vertrauen konnte; er
selbsten in kräftigem Mannesalter und Katharinens früh verstorbene
Mutter machten dann den Schluß. Die, beiden letzten Bilder waren gar
trefflich von unserem Landsmanne, dem Eiderstedter Georg Ovens, in
seiner kräftigen Art gemalet; und ich suchte nun mit meinem Pinsel die
Züge meines edlen Beschützers nachzuschaffen; zwar in verengtem
Maßstabe und nur mir selber zum Genügen; doch hat es später zu einem
größeren Bildniß mir gedienet, das noch itzt hier in meiner einsamen
Kammer die theuerste Gesellschaft meines Alters ist. Das Bildniß seiner
Tochter aber lebt mit mir in meinem Innern.
Oft, wenn ich die Palette hingelegt, stand ich noch lange vor den
schönen Bildern. Katharinens Antlitz fand ich in dem der beiden Eltern
wieder: des Vaters Stirn, der Mutter Liebreiz um die Lippen; wo aber
war hier der harte Mundwinkel, das kleine Auge des Junker Wulf?—Das
mußte tiefer aus der Vergangenheit heraufgekommen sein! Langsam ging
ich die Reih der älteren Bildnisse entlang, bis über hundert Jahre weit
hinab. Und siehe, da hing im schwarzen, von den Würmern schon
zerfressenen Holzrahmen ein Bild, vor dem ich schon als Knabe, als ob’s
mich hielte, still gestanden war. Es stellete eine Edelfrau von etwa
vierzig Jahren vor; die kleinen grauen Augen sahen kalt und stechend
aus dem harten Antlitz, das nur zur Hälfte zwischen dem Weißen Kinntuch
und der Schleierhaube sichtbar wurde. Ein leiser Schauer überfuhr mich
vor der so lang schon heimgegangenen Seele; und ich sprach zu mir:
,Hier, diese ist’s! Wie räthselhafte Wege gehet die Natur! Ein saeculum
und drüber rinnt es heimlich wie unter einer Decke im Blute der
Geschlechter fort; dann, längst vergessen, taucht es plötzlich wieder
auf, den Lebenden zum Unheil. Nicht vor dem Sohn des edlen Gerhardus;
vor dieser hier und ihres Blutes nachgeborenem Sprößling soll ich
Katharinen schützen.‘ Und wieder trat ich vor die beiden jüngsten
Bilder, an denen mein Gemüthe sich erquickte.
So weilte ich derzeit in dem stillen Saale, wo um mich nur die
Sonnenstäublein spielten, unter den Schatten der Gewesenen.
Katharinen sah ich nur beim Mittagstische, das alte Fräulein und den
Junker Wulf zur Seiten; aber wofern Bas’ Ursel nicht in ihren hohen
Tönen redete, so war es stets ein stumm und betrübsam Mahl, so daß mir
oft der Bissen im Munde quoll. Nicht die Trauer um den Abgeschiedenen
war deß Ursach, sondern es lag zwischen Bruder und Schwester, als sei
das Tischtuch durchgeschnitten zwischen ihnen. Katharina, nachdem sie
fast die Speisen nicht berührt, entfernte sich allzeit bald, mich kaum
nur mit den Augen grüßend; der Junker aber, wenn ihm die Laune stund,
suchte mich dann beim Trunke festzuhalten; hatte mich also hiegegen
und, so ich nicht hinaus wollte über mein gestecktes Maß, überdem wider
allerart Flosculn zu wehren, welche gegen mich gespitzet wurden.
Inzwischen, nachdem der Sarg schon mehrere Tage geschlossen gewesen,
geschahe die Beisetzung des Herrn Gerhardus drunten in der Kirche des
Dorfes, allwo das Erbbegräbniß ist und wo itzt seine Gebeine bei denen
seiner Voreltern ruhen, mit denen der Höchste ihnen dereinst eine
fröhliche Urständ wolle bescheren!
Es waren aber zu solcher Trauerfestlichkeit zwar mancherlei Leute aus
der Stadt und den umliegenden Gütern gekommen, von Angehörigen aber
fast wenige und auch diese nur entfernte, maßen der Junker Wulf der
Letzte seines Stammes war und des Herrn Gerhardus Ehgemahl nicht
hiesigen Geschlechts gewesen; darum es auch geschahe, daß in der Kürze
alle wieder abgezogen sind.
Der Junker drängte nun selbst, daß ich mein aufgetragen Werk begönne,
wozu ich droben in dem Bildersaale an einem nach Norden zu belegenen
Fenster mir schon den Platz erwählet hatte. Zwar kam Bas’ Ursel, die
wegen ihrer Gicht die Treppen nicht hinauf konnte, und meinete, es möge
am besten in ihrer Stuben oder im Gemach daran geschehen, so sei es uns
beiderseits zur Unterhaltung; ich aber, solcher Gevatterschaft gar gern
entrathend, hatte an der dortigen Westsonne einen rechten Malergrund
dagegen, und konnte alles Reden ihr nicht nützen. Vielmehr war ich am
andern Morgen schon dabei, die Nebenfenster des Saales zu verhängen und
die hohe Staffelei zu stellen, so ich mit Hülfe Dieterichs mir selber
in den letzten Tagen angefertigt.
Als ich eben den Blendrahmen mit der Leinewand darauf gelegt, öffnete
sich die Thür aus Herrn Gerhardus’ Zimmer, und Katharina trat herein.
Aus was für Ursach, wäre schwer zu sagen; aber ich empfand, daß wir uns
dießmal fast erschrocken gegenüber standen; aus der schwarzen Kleidung,
die sie nicht abgeleget, schaute das junge Antlitz in gar süßer
Verwirrung zu mir auf.
„Katharina“, sagte ich, „Ihr wisset, ich soll Euer Bildniß malen;
duldet Ihr’s auch gern?“
Da zog ein Schleier über ihre braunen Augensterne, und sie sagte leise:
„Warum doch fragt Ihr so, Johannes?“
Wie ein Thau des Glückes sank es in mein Herz. „Nein, nein, Katharina!
Aber sagt, was ist, worin kann ich Euch dienen?—Setzet Euch, damit wir
nicht so müßig überrascht werden, und dann sprecht! Oder vielmehr, ich
weiß es schon. Ihr braucht mir’s nicht zu sagen!“
Aber sie setzte sich nicht, sie trat zu mir heran. „Denket Ihr noch,
Johannes, wie Ihr einst den Buhz mit Euerem Bogen niederschosset? Das
thut dießmal nicht noth, obschon er wieder ob dem Neste lauert; denn
ich bin kein Vöglein, das sich von ihm zerreißen läßt. Aber,
Johannes—ich habe einen Blutsfreund—, hilf mir wider den!“
„Ihr meinet Eueren Bruder, Katharina!“
—„Ich habe keinen andern.—Dem Manne, den ich hasse, will er mich zum
Weibe geben! Während unseres Vaters langem Siechbett habe ich den
schändlichen Kampf mit ihm gestritten, und erst an seinem Sarg hab
ich’s ihm abgetrotzt, daß ich in Ruhe um den Vater trauern mag; aber
ich weiß, auch das wird er nicht halten.“
Ich gedachte eines Stiftsfräuleins zu Preetz, Herrn Gerhardus’ einzigen
Geschwisters, und meinete, ob die nicht um Schutz und Zuflucht
anzugehen sei.
Katharina nickte. „Wollt Ihr mein Bote sein, Johannes?— Geschrieben
habe ich ihr schon, aber in Wulfs Hände kam die Antwort, und auch
erfahren habe ich sie nicht, nur die ausbrechende Wuth meines Bruders,
die selbst das Ohr des Sterbenden erfüllet hätte, wenn es noch offen
gewesen wäre für den Schall der Welt; aber der gnädige Gott hatte das
geliebte Haupt schon mit dem letzten Erdenschlummer zugedecket.“
Katharina hatte sich nun doch auf meine Bitte mir genüber gesetzet, und
ich begann die Umrisse auf die Leinewand zu zeichnen. So kamen wir zu
ruhiger Berathung; und da ich, wenn die Arbeit weiter vorgeschritten,
nach Hamburg mußte, um bei dem Holzschnitzer einen Rahmen zu bestellen,
so stelleten wir fest, daß ich alsdann den Umweg über Preetz nähme und
also meine Botschaft ausrichtete. Zunächst jedoch sei emsig an dem Werk
zu fördern.


Es ist gar oft ein seltsam Widerspiel im Menschenherzen. Der Junker
mußte es schon wissen, daß ich zu seiner Schwester stand;
gleichwohl—hieß nun sein Stolz ihn, mich gering zu schätzen, oder
glaubte er mit seiner ersten Drohung mich genug geschrecket—, was ich
besorget, traf nicht ein; Katharina und ich waren am ersten wie an den
andern Tagen von ihm ungestöret. Einmal zwar trat er ein und schalt mit
Katharinen wegen ihrer Trauerkleidung, warf aber dann die Thür hinter
sich, und wir hörten ihn bald auf dem Hofe ein Reiterstücklein pfeifen.
Ein ander Mal noch hatte er den von der Risch an seiner Seite. Da
Katharina eine heftige Bewegung machte, bat ich sie, auf ihrem Platz zu
bleiben, und malete ruhig weiter. Seit dem Begräbnißtage, wo ich einen
fremden Gruß mit ihm getauschet, hatte der Junker Kurt sich auf dem
Hofe nicht gezeigt; nun trat er näher und beschauete das Bild und
redete gar schöne Worte, meinete aber auch, weshalb das Fräulein sich
so sehr vermummt und nicht vielmehr ihr seidig Haar in freien Locken
auf den Nacken habe wallen lassen; wie es ein Engelländischer Poet so
trefflich ausgedrücket, „rückwärts den Winden leichte Küsse werfend.“
Katharina aber, die bisher geschwiegen, wies auf Herrn Gerhardus’ Bild
und sagte: „Ihr wisset wohl nicht mehr, daß das mein Vater war!“
Was Junker Kurt hierauf entgegnete, ist mir nicht mehr erinnerlich;
meine Person aber schien ihm ganz nicht gegenwärtig oder doch nur
gleich einer Maschine, wodurch ein Bild sich auf die Leinewand malete.
Von letzterem begann er über meinen Kopf hin dieß und jenes noch zu
reden; da aber Katharina nicht mehr Antwort gab, so nahm er alsbald
seinen Urlaub, der Dame angenehme Kurzweil wünschend.
Bei diesem Wort jedennoch sah ich aus seinen Augen einen raschen Blick
gleich einer Messerspitze nach mir zücken.
—Wir hatten nun weitere Störniß nicht zu leiden, und mit der Jahreszeit
rückte auch die Arbeit vor. Schon stand auf den Waldkoppeln draußen der
Roggen in silbergrauem Blust, und unten im Garten brachen schon die
Rosen auf; wir beide aber—ich mag es heut wohl niederschreiben—, wir
hätten itzund die Zeit gern stille stehen lassen; an meine Botenreise
wagten, auch nur mit einem Wörtlein, weder sie noch ich zu rühren. Was
wir gesprochen, wüßte ich kaum zu sagen; nur daß ich von meinem Leben
in der Fremde ihr erzählte und wie ich immer heim gedacht; auch daß ihr
güldner Pfennig mich in Krankheit einst vor Noth bewahrt, wie sie in
ihrem Kinderherzen es damals fürgesorget, und wie ich später dann
gestrebt und mich geängstet, bis ich das Kleinod aus dem Leihhaus mir
zurückgewonnen hatte. Dann lächelte sie glücklich; und dabei blühete
aus dem dunkeln Grund des Bildes immer süßer das holde Antlitz auf, mir
schien’s, als sei es kaum mein eigenes Werk.— Mitunter war’s, als
schaue mich etwas heiß aus ihren Augen an; doch wollte ich es dann
fassen, so floh es scheu zurück; und dennoch floß es durch den Pinsel
heimlich auf die Leinewand, so daß mir selber kaum bewußt ein
sinnberückend Bild entstand, wie nie zuvor und nie nachher ein solches
aus meiner Hand gegangen ist.—Und endlich war’s doch an der Zeit und
festgesetzet, am andern Morgen sollte ich meine Reise antreten.
Als Katharina mir den Brief an ihre Base eingehändigt, saß sie noch
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