Almansor: Eine Tragödie - 1

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Heines Werke in fünfzehn Teilen
Herausgegeben mit Einleitungen und Anmerkungen versehen von
Hermann Friedemann, Helene Herrmann, Erwin Kalischer,
Raimund Pissin und Veit Valentin

* * * * *
Berlin -- Leipzig -- Wien -- Stuttgart
Deutsches Verlagshaus Bong & Co

Heines Werke
Fünfter Teil
Almansor -- Ratcliff -- Der Doktor Faust
Die Göttin Diana
Herausgegeben
von
Erwin Kalischer und Raimund Pissin

* * * * *

Berlin -- Leipzig -- Wien -- Stuttgart
Deutsches Verlagshaus Bong & Co.

* * * * *
Alle Rechte vorbehalten
* * * * *
Druck von =August Pries= in Leipzig


Einleitung des Herausgebers.

Das leidenschaftliche Erlebnis Heines, das seine ersten
Gedichtsammlungen beherrscht, hat sich auch in dramatischer Form
aussprechen wollen; 1823 erschienen die beiden Tragödien Heines,
»Almansor« und »William Ratcliff«. -- Der »Almansor« ward in jenem
Spätsommer 1820, den Heine im Dorfe Beul bei Bonn verbrachte, zu
schreiben angefangen und während des darauffolgenden Göttinger
Aufenthalts nahezu beendigt. Ein Brief Heines an Fouqué (10. Juni
1823) bekennt, die Romanze »Donna Clara und Don Gayferos« aus Fouqués
»Zauberring«, an die er in bedeutenden Lebenssituationen habe denken
müssen, habe ihm vorgeschwebt, als er den »Almansor« schrieb. Indessen
ist es nicht vielmehr als die Gegnerschaft von Mauren und Christen und
das Motiv der Liebe, die aus dem einen Lager in das andere übergreift,
was die Fouquésche Romanze für den Almansor abgab (sie wirkte viel
stärker auf Heines Gedicht »Donna Clara« ein). Vielleicht war es jene
schwüle Spannung zwischen Christen und Juden, die Heine in Hamburg
verspürte, und die 1819 in einigen deutschen Städten zu Beunruhigungen
der Juden durch den Pöbel führte, welche in ihm, der von Haus aus
nichts weniger als Haß gegen das Christentum kannte, das Gefühl des
konfessionellen Gegensatzes zum Bewußtsein gebracht, zu einer
lebendigen Angelegenheit für ihn gemacht hat; dergestalt, daß er das
dargebotene Motiv religiöser Gegnerschaft mit persönlicher Erbitterung
aufgriff. Heine selbst bezeichnete das Stück als »religiös-polemisch«,
und so verstand man es auch; am Rhein erhoben sich sogleich
katholische Stimmen dagegen. Es ist die Indignation des Juden, die aus
der maurischen Maske redet. -- Heine gestand sich schon in Göttingen
ein, was er da geschrieben, sei nicht nur keine gute Tragödie, sondern
verdiene gar nicht mal den Namen Tragödie (4. Februar 1821). In der
Tat ist sein »Almansor« nichts weiter als ein Geschöpf des
aufflackernden Gefühls, ohne Körperlichkeit, ohne Schwere. Der junge
Mensch, der dies Stück verfaßt hat, will nicht ein Weltbild schaffen,
sondern sich nur einen Exzeß der Leidenschaft bereiten. Dieselbe
juvenile Einschätzung der Leidenschaft, wie sie den Gedichten Heines
aus dieser Zeit zugrunde liegt, wählt sich hier einen auf nichts als
auf seinen maßlosen Affekt gestellten Helden, der bereit erscheint,
ohne daß er darum minder ernst genommen würde, um dieses Affekts
willen die Glaubenspartei preiszugeben. Was nur eine moralische
Bildungsstufe des Verfassers zu sein scheint, ist zugleich eine
künstlerische: soweit nicht seine subjektivste Empfindung die Figuren
zum Reden bringt, versiegt die Gestaltung. Er ergreift Partei, er ist
nicht mit derselben bildenden Liebe wie bei seinem Helden beim
Antagonisten, den er vielmehr zu einer magern Karikatur verzerrt; er
fühlt seine Menschen nicht nach ihrem ganzen seelischen Komplex durch,
es ist ihm genug, sie pittoreske Stimmungen aussprechen zu lassen: das
Finale des Stückes, daß Zuleima in allem Ernst und ohne mehr zur
Besinnung zu kommen, im Himmel zu sein glaubt und so sich hingibt und
untergeht, ist ein Balladeneinfall. Und balladenhaft, ein bloßes
Stimmungsbedürfnis befriedigend, bewegen sich die Figuren
gegeneinander: zu rechter Zeit ist der alte Hassan da, wenn Almansor
eine Frage in den Wind tut; Zuleima hat ein langes Liebesgespräch mit
Almansor, bis ihr einfällt, daß sie ja heut mit einem andern Hochzeit
machen muß; und wie in der Ballade, wo die einfachste Replik schon,
indem sie als symbolisch empfunden wird, die schwerste Wirkung tun
kann, stürzt Almansor auf ihre wenigen Worte hin unter Verfluchungen
auf und davon. Wie das Renegatentum des Hauses durch die drei Motive
der bisher verbotenen Speise (der Schweinskopf), der Kleider (das
maurische Kostüm, das noch als Maske gut ist), des Tanzes (statt des
maurischen der spanische Fandango) ironisch schmerzlich fühlbar
gemacht wird, das hat ganz die Art, wie Heine so etwas in der Ballade
behandeln würde: dort mit voller Wirkung, denn man nimmt es andeutend;
hier in der »Tragödie« bleibt es ein dünnes Spiel. So schwankt
schließlich auch das Zuständliche dieser dramatischen Welt zwischen
dem Wirklichen und dem Sinnbildlichen: daß etwa Almansor in Zuleimas
Garten statt der Myrte, die Zypresse findet; den Granatbaum vermißt,
wo die Nachtigall ihr Liebesweh den roten Rosen klagte, und ihm
erwidert wird: »Die rote Rose ward vom Sturm entblättert, Die
Nachtigall samt ihrem Liede starb, Und böse Äxte haben abgehau'n Den
edlen Stamm des blühenden Granatbaums.« Und wenn er sich im Schwärmen:
»Bekannte Bilder hüpfen aus den Büschen ..« unterbricht: »Doch
sprich, mein Lieb, dort steht ein fremdes Bild«, so besitzt dies Bild,
das Bild des Crucifixus, wie nur durch das Wort herbeigezogen, kaum
mehr die Realität eines wirklichen Requisites. Ganz ungegenständlich
ist vollends der Chor, der in seinen epischen Zwischensatz eine
aktuelle Anspielung auf den modernen spanischen Insurgenten Rafael del
Riego einwebt. Die völlig undramatische Organisation dieser Arbeit
läßt sich am sichersten in der Sprache fühlen. Einem empfindlichen
Gehör wird schon der Versstil, in welchem Satzende und Versende allzu
wohlig zusammenfallen, verdächtig sein. Der ornamentale Aufbau der
Reden in parallelen Satzgefügen mit gleichen Anfangsworten, bereichert
durch Antithesen, entgeht niemandem. Auch die rhythmische Gliederung
im großen ist auffallend genug: etwa im Zwiegespräch Almansors und
Zuleimas durch die dreimal in Abständen vorgebrachten Einwürfe
Almansors: »Doch, sprich mein Lieb ...«, was unmittelbar an die
Technik Heinescher Gedichte erinnert. Die verblümte Beredsamkeit, mit
der jedes Gefühl mehr umschrieben als ausgesprochen wird, die
Bilderfülle hat Heine selbst schon als Mängel seines dramatischen
Gedichtes empfunden. Im Grunde bedeuten diese Künste des musikalischen
Aufbaues der Reden, des in sich selbst schwelgenden Ausdruckes nichts
anderes, als daß die Personen gar nicht miteinander reden, sondern
jede für sich; daß nicht dialogisch, sondern auf dem Boden der
Einzelrede die Steigerung des Gefühls gewonnen wird. Ja, man muß nur
an die Arie denken, die Almansor auf die einfachen Worte Zuleimas
anstimmt: »Zuleima wird vermählt heut Mit einem Mann, der nicht
Almansor heißt«, wie er sich monomanisch, durch Bilder, durch
Redefiguren auf den Gipfel der Erregung bringt; oder: wie er sich aus
der Rede Zuleimas »Ins Haus der Liebe trat dein Fuß, Almansor ...«
allein das Wörtchen »Liebe« herausholt, um gleich darüber ein
Wortfeuerwerk abzubrennen, und man wird der tief undialogischen Natur
dieses Dichtwerks inne werden. Mit seinen Figuren, die so schlecht
ihrem Gegenspieler zuhören, muß man die Geschöpfe eines wirklichen
Dramatikers wie Heinrichs von Kleist vergleichen, die mit einer wahren
Begierde sich das Wort vom Mund abfragen. Was der Dichter dieses
»Almansor« in der Welt sieht, ist nicht das Aneinandergebundensein der
Menschen, das eigentliche Thema des Dramatikers; es ist vielmehr die
einzelne Seele, der Zustand einer Seele, was ihn gefangen nimmt.
Die kleine Tragödie »William Ratcliff«, in der Heimat der Ballade, im
Schottischen Hochland angesiedelt, nannte er später selbst einmal eine
»dramatisierte Ballade«. Ihre »Grundidee« bezeichnete er dem
Buchhändler, dem er sie zum Verlag anbot, als »ein Surrogat für das
gewöhnliche Fatum«. »Das gewöhnliche Fatum« -- der Ausdruck ist nicht
ohne Humor. In der Tat: es ist das von Hand zu Hand gegebene
Inventarstück der damals Mode gewordenen Schicksalstragödie; kurz
bevor Heine den »Ratcliff« schrieb, hatte er die »Ahnfrau« im Theater
gesehn. Aber wie dies modische Fatum ist auch die »Grundidee« des
Ratcliffs nichts, was mit einer persönlich notwendigen Konzeption des
Wirklichen zu schaffen hätte. Das Motiv, daß eine ungestillte Liebe
zwischen dem Vater des Helden und der Mutter der Geliebten dem Helden
seinen Pfad vorzeichnet, bleibt eine poetische Seltsamkeit; es ist nur
dekorativ gefaßt und bringt mit seiner Pantomimik allenfalls den
Effekt einer ahnungsvollen Stimmung hervor. Die Sprache faßt sich hier
knapper und unverblümter als im »Almansor«, doch muß über die
dichterische Organisation, die hinter dieser Arbeit steht, dasselbe
gesagt werden, was bei Gelegenheit des ersten Stücks gesagt worden
ist. -- Auch der »Ratcliff« bezieht sich auf das entscheidende
Erlebnis des jungen Heine: ja, er hat dem Dichter für eine
»Hauptkonfession« gegolten. Was in den »Jungen Leiden« sich andeutete,
springt hier nackt in Lebensgröße hervor. Amalie Heine hatte sich 1821
verheiratet, und das alte Gefühl, das noch einmal hervorbrach, ist zur
phantastischen Wildheit gesteigert: weil die Geliebte nein sagt, wird
der Liebhaber zum Vagabunden. Jenes Leben in Hamburg -- »toll, wüst,
zynisch, abstoßend« -- das er damals in seinem wütenden Schmerz
geführt haben will (an Wohlwill, 7. April 1823), spiegelt sich mit
einem finstern Glanz nun hier in dem romantischen Leben William
Ratcliffs wider, und so ist es für den Dichter eingebracht: »Auch hab'
ich mich ehrlich Tag und Nacht Mit Lumpengesindel herumgetrieben, Und
als ich all diese Studien gemacht, da hab' ich ruhig den Ratcliff
geschrieben«. Es war nichts als ein Stimmungsrausch, eine
Selbstrechtfertigung, Selbstverklärung, eine Exaltation des Ich,
woraus der Ratcliff hervorging; man glaubt es gern, daß diese atemlose
Flucht kleiner Szenen in drei Januartagen des Jahres 1822 improvisiert
wurde, »in einem Zug und ohne Brouillon«. Ihre Substanz erschöpft sich
fast im Erzählen. Ihre Figuren -- bis auf den Helden -- sind wieder
nur obenhin angelegt, sie setzen eine vage Situation voraus, mit der
eine Ballade, nicht ein Drama auskommt. Sie wirken nicht durch
Verwicklung, durch dialogisches Ineinandergreifen der Spieler, sondern
durch Gefühlsaufruhr und durch stimmungmachende Akzessorien: die
greise Margarete ist nichts als eine unheimliche Staffage, die
Edwardballade ist wie ein musikalisches Motiv in das Ensemble der
Stimmen verwoben.
Als Heine 1851 den »Ratcliff« seinen »Neuen Gedichten« einverleibte,
wußte er besonders zu rühmen, daß darin schon »die große Suppenfrage«
brodle. Er dachte an die Szene in der Diebsherberge. In Paris bildeten
die sozialen Probleme eines seiner lebhaftesten Interessen: so
begreift sich, daß er auch diesen Ton aus seinem geliebten Jugendwerk
heraushören wollte. Mit ruhigem Blute wird man in den Bitterkeiten
dieses William Ratcliffs, die dem jugendlichen Dichter sein
allgemeines Verhältnis der Opposition eingab, kaum eine Gesinnung
verspüren, der der soziale Organismus im Ernst fragwürdig geworden
ist.
Auf die Bühne kam zu Heines Lebzeiten nur der »Almansor«. Er wurde am
20. August 1823 in Braunschweig unter dem Direktor Klingemann
aufgeführt, der das Stück, in dem »eine südlich brennende Phantasie«
herrsche, wert hielt. Einer Personenverwechslung halber -- es ward
verbreitet, ein Braunschweiger Geldwechsler Heine sei der Verfasser --
scheiterte die Aufführung, man konnte nicht zu Ende spielen.
Klingemann wagte nicht, die Vorstellung zu wiederholen, die Absicht,
den »Ratcliff« zu geben, ließ er fallen.
Andere dramatische Pläne, mit denen Heine umging, sind nicht reif
geworden. Im Sommer 1823 dämmern ihm die Umrisse einer venezianischen
Tragödie, er liest Italienisches dafür, will »Naturmystik« darin geben
(23. Juni, 23. August 1823), -- man weiß nichts weiter darüber. In den
Jahren 1824 bis 1826 meldet sich immer wieder der Schatten einer
Faustdichtung. Das Tagebuch seines Freundes Wedekind (vgl. Blumenthals
»Neue Monatshefte für Dichtkunst und Kritik« V., 325 f.) erzählt
unterm 20. Juni 1824: »Wir kamen auf Goethes Faust zu sprechen. 'Ich
denke auch einen zu schreiben,' sagte er [Heine]; 'nicht um mit Goethe
zu rivalisieren, nein, nein, jeder Mensch sollte seinen Faust
schreiben.'« Man erfährt weiter (16. Juli): Heines Faust soll nicht,
wie der Goethesche, selbst handeln, befehlen, vielmehr von
Mephistopheles zu allen Teufeleien verführt werden. Sein Faust soll
ein Göttinger Professor sein; der Teufel belegt Kolleg bei ihm, macht
ihn kirre, so daß er anfängt liederlich zu werden. Er kann sich in der
Stadt nicht halten und geht mit dem Teufel auf Reisen. »Auf den
Sternen haben die Engel inzwischen Teegesellschaften, zu denen sich
Mephistopheles auch einfindet, und dort beratschlagen sie über den
Faust. Gott soll ganz aus dem Spiele bleiben. Der Teufel schließt mit
den guten Engeln eine Wette über Faust. Die guten Engel liebt
Mephistopheles sehr, und diese Liebe, besonders zum Engel Gabriel,
denkt Heine so zu schildern, daß sie ein Mittelding zwischen der Liebe
guter Freunde und der Liebe der Geschlechter wird, die bei den Engeln
nicht sind.« »Über das Ende ist sich Heine noch nicht gewiß.« Man
könnte Heine einen solchen phantastisch-satirischen Faustentwurf ganz
gut zutrauen und braucht wohl nicht anzunehmen, daß er damit den
Freund habe mystifizieren wollen; es läßt sich in jenen Heineschen
Jahren gar kein Gehalt, außer dem der Satire, entdecken, der in einem
Faust niedergelegt werden sollte. Indessen kann man mit Wedekind wohl
zweifeln, ob er überhaupt ernstlich die Absicht hegte, den Faust
auszuführen. Als er 1824 Goethe in Weimar aufsuchte, soll er sich
gegen ihn über einen Faustplan geäußert haben (Maximilian Heine,
Erinnerungen). 1826 kommt er auf seinen Faust zurück: »Ihnen
[Varnhagen] ist es nicht hinreichend, daß ich zeige, wieviel Töne ich
auf meiner Leier habe, sondern Sie wollen auch die Verbindung dieser
Töne zu einem großen Konzert -- und das soll der Faust werden.« Und
noch einmal schrieb er im Sommer dieses Jahres aus Norderney: »In
diesem toten Zustande nehme ich dennoch viel Naturanschauung in mich
auf, und verarbeitet die Phantasie manches begonnene Gedicht,
Seebilder und neue Szenen zu meinem Faust.« Danach läßt er nichts mehr
über den Plan vernehmen. Das Tanzpoem vom »Doktor Faust«, das er 1847
schrieb, hat wohl nichts mehr mit den damaligen Gedanken zu tun.
Nur in der Form des Balletts, eben in diesem »Doktor Faust« (1847) und
in der »Göttin Diana« (1846), beide für den Direktor des Londoner
Theaters der Königin geschrieben, hat Heines Produktion seit seinen
dramatischen Anfängen auf die Vision selbständig bewegter Gestalten
gegriffen; ja auch in diesen Ballettentwürfen ist der Stoff nicht
überall rein in den pantomimischen Ausdruck übergegangen, hin und
wieder zehrt ein Bild von dem erzählerisch interpretierenden Wort des
Schriftstellers (wenn sich etwa Faust mit einer »Mischung von
Unbeholfenheit und Mut, von linkischer Magisterhaftigkeit und
trotzigem Doktorstolz« bewegen soll). Auf die Erfindung eines
individuellen Gebärdenspiels, eigentümlicher Tanzfiguren hat der
Dichter sich nicht eingelassen, es sind vielmehr die ausgebildeten
Tänze der Nationen und Zeiten, die er mit großer Geschicklichkeit
verwendet, und er begnügt sich vorzuschreiben, was die Gebärden
ausdrücken sollen. Auch die Dekorationen wirken mehr charaktergebend,
symbolisch, als daß sie als individuelle Bilder durchgedacht wären. --
Was den »Doktor Faust« betrifft, so war sich Heine von vornherein
bewußt, daß er bei den Mitteln, die ihm das Ballett zur Verfügung
stellte, nicht mit Goethe konkurrieren könnte; doch, von aller
Behandlungsweise abgesehen, bleibt ein »Faust«, wie dieser Heines, der
allein auf das erotische Motiv abgestellt ist, außerhalb jedes
Vergleichs mit der Universalität von Motiven, die der Goethesche in
sich begreift. Heines »Faust« steht in engstem Zusammenhange mit den
Sagenstudien, die er in Paris betrieb, eine Vorrede von nicht ganz
zuverlässiger Gelehrsamkeit, eine gelehrte Nachschrift, in die Form
eines Briefes gekleidet, rahmen ihn ein; ja im Gefühl dieser
Gelehrsamkeit, in irgendeiner historisch-romantischen Zärtlichkeit für
das Überlieferte, wirft er es dem Gedicht Goethes vor, daß es seinen
Helden, der Sage zuwider, der Hölle entreißt, und glaubt selber darin
den Vorzug zu verdienen, daß er der alten Sage treu bleibt. Man
braucht über diesen Vorwurf Heines, der einem seiner allzumenschlichen
Augenblicke entstammt, kein Wort zu verlieren: er hat schließlich mit
der Pietät gegen die Überlieferung, in welcher der Teufel am Ende den
Helden holt, nur ein Kuriosum hervorgebracht.
Das andere Ballett »Die Göttin Diana« hat eine etwas persönlichere
Wendung. Die Antithese: deutsch-christlicher Spiritualismus und antike
Sinnlichkeit, die seit der Berührung mit dem Saint-Simonismus in
Paris Heines Denken beherrscht, löst er hier im Sinne seines
Tannhäusergedichts: mit einer Glorie des Genusses. Stofflich knüpft
dies Tanzpoem an die Erzählungen an, die er in Erinnerung an das
Eichendorffische »Marmorbild« in den »Elementargeistern« gegeben
hatte; er schloß es in seinen vermischten Schriften den »Göttern im
Exil« bei, mit denen es sich auch unmittelbar berührt. -- Aufgeführt
worden ist keines der beiden Poeme. Eine »Satanella«, die 1851 auf der
Berliner Bühne getanzt wurde, lehnte sich wie es scheint, im Stoff an
seinen »Doktor Faust« an. Sie erinnerte aber, wie Heinrich Laube
aussagt, nur wenig an diesen, und Heines Ansprüche auf Entschädigung
blieben unbefriedigt.
Es ist etwas Sinnvolles, daß der Dichter des »Almansor« der das
stimmende Abendrot mit in das Spiel eingreifen ließ, dessen »Ratcliff«
in schauerlich-pittoresken szenischen Effekten gedichtet ist, am Ende
sich in dieser Form der musikalisch-malerischen Pantomime äußert; was
ihn hier reizt, ist dasselbe, wodurch er sich anfänglich zu
dramatischen Produktionen veranlaßt fühlte: nämlich die Eigenschaft
des Dramatischen, daß es durch Gegenwart bewegter Gestalten, durch
bedeutende Hintergründe und Beleuchtungen unmittelbar auf das Gefühl
wirkt. Dies ist aber nur eine Seite des Dramatischen; wenn
dramatischer Dichter sein heißt, den Streit der Dinge so fühlen, daß
man ihn in seiner ganzen Verfänglichkeit, mit Blut und Schmerzen, in
sich heraufbeschwören muß, so war Heine es nicht. Er verstand selber
ausgezeichnet zu streiten, er konnte tödlich lächeln und sich
entrüsten, aber der Streit blieb ihm immer das Unvernünftige, das
Schlechte; das, was zwischen Vernünftigen und Guten vermeidbar wäre:
was jenseits von aller Vernunft, jenseits auch von Böse und Gut den
Einzelnen in sein Schicksal verwickelt, hat niemals sein Denken
gebannt.
Erwin Kalischer.


Almansor
Eine Tragödie
* * * * *


Glaubt nicht, es sei so ganz und gar phantastisch
Das hübsche Lied, das ich euch freundlich biete!
Hört zu: es ist halb episch und halb drastisch,
Dazwischen blüht manch lyrisch zarte Blüte;
Romantisch ist der Stoff, die Form ist plastisch,
Das Ganze aber kam aus dem Gemüte;
Es kämpfen Christ und Moslem, Nord und Süden,
Die Liebe kommt am End' und macht den Frieden.


Das Innere eines alten, verödeten Maurenschlosses.
Durch die Seitenfenster fallen Strahlen der
untergehenden Sonne. _Almansor_ allein.
_Almansor._ Es ist der alte, liebe Boden noch,
Der wohlbekannte, buntgestickte Teppich,
Worauf der Väter heil'ger Fuß gewandelt!
Jetzt nagen Würmer an den seidnen Blumen,
Als wären sie des Spaniers Bundgenossen. 5
Es sind die alten, treuen Säulen noch,
Des stolzen Hauses stolze Marmorstützen,
Woran ich oft mich angelehnt als Knabe.
O, hätten unsre Gomeles und Ganzuls,
Abencerragen und hochmüt'ge Zegris 10
So treu wie diese Säulen hier, getragen
Den Königsthron im leuchtenden Alhambra!
Es sind die alten, guten Mauern noch,
Die glattgetäfelten, die hübsch bemalten,
Die stets dem müden Wandrer Obdach gaben! 15
Gastlich geblieben sind die guten Mauern,
Doch ihre Gäste sind nur Eul' und Uhu.
(Er geht ans Fenster.)
Still bleibt's! Nur du, o Sonne, hörtest mich;
Mitleidig schickst du mir die letzten Strahlen,
Und streust mir Licht auf meinen dunkeln Pfad! 20
Du, güt'ge Sonne, hör' mein dankbar Wort:
Entflieh auch du nach Mauritaniens Küste,
Und nach Arabiens ewig heitrer Flur; --
O, fürchte Don Fernand und seine Räte,
Die Haß geschworen allem schönen Lichte; 25
O, fürchte Donna Isabell, die Stolze,
Die, im Gefunkel ihrer Diamanten,
Allein zu glänzen glaubt, wenn Nacht ringsum;
O, flieh auch du den schlimmen, span'schen Boden,
Wo schon gesunken deine Schwestersonne, 30
Die goldgetürmte, leuchtende Granada!
(Geht vom Fenster.)
Beklommen ist mein Herz, als habe sich
Der untergeh'nden Sonne Flammenball
Auf diese arme, schwache Brust gewälzt.
Wie morsche, glühnde Asche ist mein Leib, 35
Und unter meinen Füßen wankt der Boden.
So heimisch ist mir hier, und doch so ängstlich!
Das Lüftchen, das mir lind die Wange kühlt,
Haucht Grüße mir aus längstverschollner Zeit.
In jener Schatten wechselnder Bewegung 40
Seh' ich die Märchen meiner Kinderjahre;
Sie regen sich, und nicken mir, und lächeln
Mit klugen Mienen, und verwundern sich
Daß jetzt der alte Freund so bang, so fremd tut.
Dort schwankt hervor die liebe, tote Mutter, 45
Und schaut wehmütiglich besorgt, und weint,
Und winkt, und winkt mit ihrer weißen Hand.
Und auch den Vater seh' ich dorten sitzen,
Auf grünem Sammetpolster, leise schlummernd.
(Er steht sinnend. Es ist ganz dunkel geworden. Man
sieht im Hintergrunde eine Gestalt, mit einer Fackel
in der Hand, vorüberschreiten.)
Welch Nebelbild kam dort vorbei geflirrt? 50
War's nur ein Blendwerk, das mich toll umgaukelt?
War's nicht der alte Hassan, der dort ging?
Vielleicht liegt Hassans toter Leib im Grab,
Und nur sein Geist noch wandelt hier als Wächter
Der Burg, die er im Leben treu gehütet? 55
Es rauscht und rollet dumpf, und immer näher,
Als stiegen meine Väter aus den Gräbern,
Um mir zum Gruß die Knochenhand zu reichen,
Zum Willkommkuß die weißen, kalten Lippen --
Sie kommen schon -- Eu'r Grüßen könnt' mich töten -- 60
_Mehrere Mauren_ stürzen hervor mit blanken Säbeln.
_Erster Maure._ Das könnte wohl geschehn!
_Almansor_ (zieht sein Schwert aus der Scheide). So komm hervor,
Du wunderreiches, blankes Amulett,
Und schütze mich vor solchen schlimmen Geistern!
_Zweiter Maure._ Wie kömmst du, Fremdling, hier in unsre Burg?
_Almansor._ Ich geb' die Frag' zurück, die Burg ist mein, 65
Und dieser Anwalt
(zeigt sein Schwert)
soll mein gutes Recht,
Auf eure Haut, mit roten Zügen schreiben.
_Erster Maure._ Ei! ei! wenn unser Anwalt Einspruch tut,
Ist seine Zunge nicht von Holz; fürwahr,
Metallvoll klirret seine Eisenstimme. 70
(Sie fechten.)
_Erster Maure._ Ei! ei! dein Anwalt kommt ja recht in Hitze,
Und seine Rede sprühet Feuerfunken.
_Almansor._ Schweig nur, in deinem Blut soll er sie löschen.
_Dritter Maure._ Der Spaß geht bald zu End', ergib dich uns.
_Hassan_, in der linken Hand eine Fackel, in der
rechten einen Säbel, stürzt wild herbei.
_Hassan._ Ho! ho! habt ihr den Alten ganz vergessen? 75
Blutrache, wißt ihr ja, ist mein Gewerbe,
Und mir gehört der dort, =ich= muß ihn töten.
(Er ficht mit dem schon ermatteten Almansor; wie er
ihn eben niederhauen will, erblickt er das Gesicht
desselben beim Scheine der Fackel, und erschüttert
stürzt er zu Almansors Füßen.)
Allah! Es ist Almansor ben Abdullah!
_Almansor._ Das bin ich noch, und du bist Hassan noch;
Steh auf du treuer Diener meines Hauses. 80
Ein nächtig Blendwerk hat uns hier verwirrt,
Und bald wär' mir die Vaterburg zum Grab,
Die alte Wiege mir zum Sarg geworden.
_Erster Maure._ Du schienest Spanier durch Barett und Mantel,
Und unser Säbel nur bewillkommt Spanier. 85
_Hassan_ (steht langsam auf und spricht mit strengem Tone).
Almansor ben Abdullah! steh mir Rede!
Wie kömmt dein Leib in diese span'sche Tracht?
Wer hat das edle Berberroß behängt
Mit dieser gleißend farb'gen Schlangenhaut?
Wirf ab die gift'ge Hülle, Sohn Abdullahs, 90
Tritt auf das Haupt der Schlange, edles Roß!
_Almansor_ (lächelnd). Du bist der alte Eifrer Hassan noch,
Und klebst noch fest an Farben und an Formen.
Die Schlangenhaut, die schützet wider Schlangen,
So wie die Wolfsfellhülle schützt das Lamm, 95
Das wehrlos fromm die Waldungen durchstreift.
Trotz Hut und Mantel bin ich doch ein Moslem,
Denn in der Brust hier trag' ich meinen Turban.
_Hassan._ Gelobt sei Allah! Allah sei gelobt!
Legt euch zur Ruhe, Brüder, ich will wachen; 100
Verjüngt hat plötzlich sich der alte Hassan.
(Die Mauren gehn ab.)
_Almansor._ Wer sind die Männer, die du Brüder nanntest?
_Hassan._ Es sind die Reste jener treuen Diener,
Die Allah noch in diesem Land besitzt.
Ach! ihre Zahl ist g'ring, und täglich schmilzt sie; 105
Derweil die Zahl der Schelme täglich anschwillt.
_Almansor._ Wie tief bist du gesunken, o Granada!
_Hassan._ Wohl sinken muß die Stadt, wo Doppelfeinde,
Wo drinnen Zwietracht, draußen Arglist wüten.
O! Fluch der Nacht, wo diese Weiberarglist 110
Mit Männerhabsucht süß gebuhlt! O! Fluch
Der Nacht, wo das Verderben von Granada
In solcher Glutumarmung ward beraten;
O! Fluch der Nacht, wo einst ins Brautbett stieg
Don Ferdinand zu Donna Isabella! 115
Wo solches Paar der Zwietracht Funken schürt,
Da flackert bald in Flammen auf das Haus.
Nicht durch den Speer des kräftigen Leoners,
Nicht durch des stolzen Aragoniers Lanze,
Nicht durch das Schwert kastil'scher Ritterschaft, -- 120
Nur durch Granada selber fiel Granada!
Wenn der Erzeuger meuchelt seine Kinder,
Die wehrlos eignen Kinder in der Wiege,
Und wenn der Sohn die frevelhafte Rechte
Entgegenballt dem heil'gen Haupt des Vaters, 125
Und wenn der Bruder, auf des Bruders Leiche,
Des Thrones blut'ge Stufen frech erklimmt,
Und wenn des Reiches pflichtvergeßne Großen
Ehrlos der Fahne ihres Erbfeinds folgen:
Dann fliehn mit schamerfüllten Angesichtern 130
Die Engel, die der Hauptstadt Tore hüten,
Und siegreich ziehen ein der Feinde Scharen.
_Almansor._ Ich denke noch des unheilschwangern Tags;
Ich stand am Tor des Schlosses unten, plötzlich
Sprengt rasch einher, auf schwarzem Roß, ein Reiter. 135
Wild, und verstörten Blicks, und atemlos
Fragt er nach Vater. Schnell die Trepp' hinauf, --
Und in des Vaters offne Arme sank er.
Da sah ich erst, es war der gute Aly --
_Hassan_ (bitter). Der gute Aly!
_Almansor._ Aly, sprich, was bringst du? 140
Sprach schnell mein Vater, -- O, da stürzten Bäche
Blutdunkler Tränen über Alys Wangen,
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  • Almansor: Eine Tragödie - 5
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