Abhandlungen über die Fabel - 5

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manieres, il etoit Admirateur des Anciens jusqu'a la prevention, comme
s'ils eussent été ses modeles. La brieveté, dit-il, est l'ame de la
Fable, et il est inutile d'en apporter des raisons, c'est assez que
Quintilien l'ait dit.[5] Man kann nicht verstümmelter anführen, als de
La Motte hier den La Fontaine anführet! La Fontaine legt es einem
ganz andern Kunstrichter in den Mund, daß die Kürze die Seele der
Fabel sei, oder spricht es vielmehr in seiner eigenen Person; er
beruft sich nicht wegen der Kürze, sondern wegen der Munterkeit, die
in den Erzählungen herrschen solle, auf das Zeugnis des Quintilians,
und würde sich wegen jener sehr schlecht auf ihn berufen haben, weil
man jenen Ausspruch nirgend bei ihm findet.
{Fussnote 5: Discours sur la Fable, p. 17.}
Ich komme auf die Sache selbst zurück. Der allgemeine Beifall, den La
Fontaine mit seiner muntern Art zu erzählen erhielt, machte, daß man
nach und nach die aesopische Fabel von einer ganz andern Seite
betrachtete, als sie die Alten betrachtet hatten. Bei den Alten
gehörte die Fabel zu dem Gebiete der Philosophie, und aus diesem
holten sie die Lehrer der Redekunst in das ihrige herüber.
Aristoteles hat nicht in seiner Dichtkunst, sondern in seiner Rhetorik
davon gehandelt; und was Aphthonius und Theon davon sagen, das sagen
sie gleichfalls in Vorübungen der Rhetorik. Auch bei den Neuern muß
man das, was man von der aesopischen Fabel wissen will, durchaus in
Rhetoriken suchen; bis auf die Zeiten des La Fontaine. Ihm gelang es
die Fabel zu einem anmutigen poetischen Spielwerke zu machen, er
bezauberte, er bekam eine Menge Nachahmer, die den Namen eines
Dichters nicht wohlfeiler erhalten zu können glaubten als durch solche
in lustigen Versen ausgedehnte und gewässerte Fabeln; die Lehrer der
Dichtkunst griffen zu; die Lehrer der Redekunst ließen den Eingriff
geschehen; diese hörten auf, die Fabel als ein sicheres Mittel zur
lebendigen Überzeugung anzupreisen; und jene fingen dafür an, sie als
ein Kinderspiel zu betrachten, das sie, soviel als möglich auszuputzen,
uns lehren müßten.--So stehen wir noch!--
Ein Mann, der aus der Schule der Alten kömmt, wo ihm jene ermhneia
akataskeuoV der Fabel so oft empfohlen worden, kann der wissen, woran
er ist, wenn er z. E. bei dem Batteux ein langes Verzeichnis von
Zieraten lieset, deren die Erzählung der Fabel fähig sein soll? Er
muß voller Verwunderung fragen: so hat sich denn bei den Neuern ganz
das Wesen der Dinge verändert? Denn alle diese Zieraten streiten mit
dem wirklichen Wesen der Fabel. Ich will es beweisen.
Wenn ich mir einer moralischen Wahrheit durch die Fabel bewußt werden
soll, so muß ich die Fabel auf einmal übersehen können; und um sie auf
einmal übersehen zu können, muß sie so kurz sein als möglich. Alle
Zieraten aber sind dieser Kürze entgegen; denn ohne sie würde sie noch
kürzer sein können: folglich streiten alle Zieraten, insofern sie
leere Verlängerungen sind, mit der Absicht der Fabel.
Z. E eben mit zur Erreichung dieser Kürze braucht die Fabel gern die
allerbekanntesten Tiere; damit sie weiter nichts als ihren einzigen
Namen nennen darf, um einen ganzen Charakter zu schildern, um
Eigenschaften zu bemerken, die ihr ohne diese Namen allzuviel Worte
kosten würden. Nun höre man den Batteux: "Diese Zieraten bestehen
erstlich in Gemälden, Beschreibungen, Zeichnungen der Örter, der
Personen, der Stellungen."--Das heißt: Man muß nicht schlechtweg z. E.
ein Fuchs sagen, sondern man muß fein sagen:
Un vieux Renard, mais des plus fins,
Grand croqueur de poulets, grand preneur de lapins,
Sentant son Renard d'un lieue etc.

Der Fabulist brauchet Fuchs, um mit einer einzigen Silbe ein
individuelles Bild eines witzigen Schalks zu entwerfen; und der Poet
will lieber von dieser Bequemlichkeit nichts wissen, will ihr entsagen,
ehe man ihm die Gelegenheit nehmen soll, eine lustige Beschreibung
von einem Dinge zu machen, dessen ganzer Vorzug hier eben dieser ist,
daß es keine Beschreibung bedarf.
Der Fabulist will in einer Fabel nur eine Moral zur Intuition bringen.
Er wird es also sorgfältig vermeiden, die Teile derselben so
einzurichten, daß sie uns Anlaß geben, irgendeine andere Wahrheit in
ihnen zu erkennen, als wir in allen Teilen zusammengenommen erkennen
sollen. Viel weniger wird er eine solche fremde Wahrheit mit
ausdrücklichen Worten einfließen lassen, damit er unsere
Aufmerksamkeit nicht von seinem Zwecke abbringe oder wenigstens
schwäche, indem er sie unter mehrere allgemeine moralische Sätze
teilet.--Aber Batteux, was sagt der? "Die zweite Zierat, sagt er,
bestehet in den Gedanken; nämlich in solchen Gedanken, die
hervorstechen und sich von den übrigen auf eine besondere Art
unterscheiden."
Nicht minder widersinnig ist seine dritte Zierat, die Allusion--Doch
wer streitet denn mit mir? Batteux selbst gesteht es ja mit
ausdrücklichen Worten, "daß dieses nur Zieraten solcher Erzählungen
sind, die vornehmlich zur Belustigung gemacht werden". Und für eine
solche Erzählung hält er die Fabel? Warum bin ich so eigensinnig, sie
auch nicht dafür zu halten? Warum habe ich nur ihren Nutzen im Sinne?
Warum glaube ich, daß dieser Nutzen seinem Wesen nach schon anmutig
genug ist, um aller fremden Annehmlichkeiten entbehren zu können?
Freilich geht es dem La Fontaine, und allen seinen Nachahmern, wie
meinem Manne mit dem Bogen[6]; der Mann wollte, daß sein Bogen mehr als
glatt sei; er ließ Zieraten darauf schnitzen; und der Künstler
verstand sehr wohl, was für Zieraten auf einen Bogen gehörten; er
schnitzte eine Jagd darauf: nun will der Mann den Bogen versuchen, und
er zerbricht. Aber war das die Schuld des Künstlers? Wer hieß den
Mann, so wie zuvor, damit zu schießen? Er hätte den geschnitzten
Bogen nunmehr fein in seiner Rüstkammer aufhängen und seine Augen
daran weiden sollen! Mit einem solchen Bogen schießen zu wollen!
--Freilich würde nun auch Plato, der die Dichter alle mitsamt ihrem
Homer aus seiner Republik verbannte, dem Aesopus aber einen rühmlichen
Platz darin vergönnte, freilich würde auch er nunmehr zu dem Aesopus,
so wie ihn La Fontaine verkleidet hat, sagen: Freund, wir kennen
einander nicht mehr! Geh auch du deinen Gang! Aber, was geht es uns
an, was so ein alter Grillenfänger, wie Plato, sagen würde?--
{Fussnote 6: S. die erste Fabel des dritten Buchs.}
Vollkommen richtig! Unterdessen, da ich so sehr billig bin, hoffe ich,
daß man es auch einigermaßen gegen mich sein wird. Ich habe die
erhabene Absicht, die Welt mit meinen Fabeln zu belustigen, leider
nicht gehabt; ich hatte mein Augenmerk nur immer auf diese oder jene
Sittenlehre, die ich, meistens zu meiner eigenen Erbauung, gern in
besondern Fällen übersehen wollte; und zu diesem Gebrauche glaubte ich
meine Erdichtungen nicht kurz, nicht trocken genug aufschreiben zu
können. Wenn ich aber itzt die Welt gleich nicht belustige, so könnte
sie doch mit der Zeit vielleicht durch mich belustiget werden. Man
erzählt ja die neuen Fabeln des Abstemius ebensowohl als die alten
Fabeln des Aesopus in Versen; wer weiß, was meinen Fabeln aufbehalten
ist und ob man auch sie nicht einmal mit aller möglichen Lustigkeit
erzählet, wenn sie sich anders durch ihren innern Wert eine Zeitlang
in dem Andenken der Welt erhalten? In dieser Betrachtung also, bitte
ich voritzo mit meiner Prosa--
Aber ich bilde mir ein, daß man mich meine Bitte nicht einmal aussagen
läßt. Wenn ich mit der allzumuntern und leicht auf Umwege fahrenden
Erzählungsart des La Fontaine nicht zufrieden war, mußte ich darum auf
das andere Extremum verfallen? Warum wandte ich mich nicht auf die
Mittelstraße des Phaedrus und erzählte in der zierlichen Kürze des
Römers, aber doch in Versen? Denn prosaische Fabeln; wer wird die
lesen wollen!--Diesen Vorwurf werde ich ohnfehlbar zu hören bekommen.
Was will ich im voraus darauf antworten? Zweierlei. Erstlich, was
man mir am leichtesten glauben wird: ich fühlte mich zu unfähig, jene
zierliche Kürze in Versen zu erreichen. La Fontaine, der ebendas bei
sich fühlte, schob die Schuld auf seine Sprache. Ich habe von der
meinigen eine zu gute Meinung und glaube überhaupt, daß ein Genie
seiner angebornen Sprache, sie mag sein, welche es will, eine Form
erteilen kann, welche er will. Für ein Genie sind die Sprachen alle
von einer Natur; und die Schuld ist also einzig und allein meine. Ich
habe die Versifikation nie so in meiner Gewalt gehabt, daß ich auf
keine Weise besorgen dürfen, das Silbenmaß und der Reim werde hier und
da den Meister über mich spielen. Geschähe das, so wäre es ja um die
Kürze getan und vielleicht noch um mehr wesentliche Eigenschaften der
guten Fabel. Denn zweitens--Ich muß es nur gestehen; ich hin mit dem
Phaedrus nicht so recht zufrieden. De La Motte hatte ihm weiter
nichts vorzuwerfen, als "daß er seine Moral oft zu Anfange der Fabeln
setze und daß er uns manchmal eine allzu unbestimmte Moral gebe, die
nicht deutlich genug aus der Allegorie entspringe". Der erste Vorwurf
betrifft eine wahre Kleinigkeit; der zweite ist unendlich wichtiger,
und leider gegründet. Doch ich will nicht fremde Beschuldigungen
rechtfertigen; sondern meine eigne vorbringen. Sie läuft dahinaus,
daß Phaedrus, sooft er sich von der Einfalt der griechischen Fabeln
auch nur einen Schritt entfernt, einen plumpen Fehler begehet.
Wieviel Beweise will man? Z. E.
Fab. 4. Libri I
Canis per flumen, carnem dum ferret natans,
Lympharum in speculo vidit simulacrum suum etc.

Es ist unmöglich; wenn der Hund durch den Fluß geschwommen ist, so hat
er das Wasser um sich her notwendig so getrübt, daß er sein Bildnis
unmöglich darin sehen können. Die griechischen Fabeln sagen: Kuwn
kreaV ecousa potamon diebaine; das braucht weiter nichts zu heißen,
als: er ging über den Fluß; auf einem niedrigen Steige muß man sich
vorstellen. Aphthonius bestimmt diesen Umstand noch behutsamer: KreaV
arpasasa tiV kuwn par’ authn dihei thn ocJhn; der Hund ging an dem
Ufer des Flusses.
Fab. 5. Lib. I
Vacca et capella, et patiens ovis injuriae,
Socii fuere cum leone in saltibus.

Welch eine Gesellschaft! Wie war es möglich, daß sich diese viere zu
einem Zwecke vereinigen konnten? Und zwar zur Jagd! Diese
Ungereimtheit haben die Kunstrichter schon öfters angemerkt; aber noch
keiner hat zugleich anmerken wollen, daß sie von des Phaedrus eigener
Erfindung ist. Im Griechischen ist diese Fabel zwischen dem Löwen und
dem wilden Esel (OnagroV). Von dem wilden Esel ist es bekannt, daß er
ludert; und folglich konnte er an der Beute teilnehmen. Wie elend ist
ferner die Teilung bei dem Phaedrus:
Ego primam tollo, nominor quia leo;
Secundam, quia sum fortis, tribuetis mihi;
Tum quia plus valeo, me sequetur tertia;
Male afficietur, si quis quartam tetigerit.

Wie vortrefflich hingegen ist sie im Griechischen! Der Löwe macht
sogleich drei Teile; denn von jeder Beute ward bei den Alten ein Teil
für den König oder für die Schatzkammer des Staats beiseite gelegt.
Und dieses Teil, sagt der Löwe, gehöret mir, basileuV gar eimi; das
zweite Teil gehört mir auch, wV ex isou koinwnwn, nach dem Rechte der
gleichen Teilung; und das dritte Teil kakon mega soi poihsei, ei mh
eJelhV jugein.
Fab. 11. Lib. I
Venari asello comite cum vellet leo,
Contexit illum frutice, et admonuit simul,
Ut insueta voce terreret feras etc.
- -
Quae dum paventes exitus notos petunt,
Leonis affliguntur horrendo impetu.

Der Löwe verbirgt den Esel in das Gesträuche; der Esel schreiet; die
Tiere erschrecken in ihren Lagern, und da sie durch die bekannten
Ausgänge davonfliehen wollen, fallen sie dem Löwen in die Klauen. Wie
ging das zu? Konnte jedes nur durch einen Ausgang davonkommen? Warum
mußte es gleich den wählen, an welchem der Löwe lauerte? Oder konnte
der Löwe überall sein?--Wie vortrefflich fallen in der griechischen
Fabel alle diese Schwierigkeiten weg! Der Löwe und der Esel kommen da
vor eine Höhle, in der sich wilde Ziegen aufhalten. Der Löwe schickt
den Esel hinein; der Esel scheucht mit seiner fürchterlichen Stimme
die wilden Ziegen heraus, und so können sie dem Löwen, der ihrer an
dem Eingange wartet, nicht entgehen.
Fab. 9. Libr. IV
Peras imposuit Jupiter nobis duas,
Propriis repletam vitiis post tergum dedit,
Alienis ante pectus suspendit gravem.

Jupiter hat uns diese zwei Säcke aufgelegt? Er ist also selbst Schuld,
daß wir unsere eigene Fehler nicht sehen und nur scharfsichtige
Tadler der Fehler unsers Nächsten sind? Wieviel fehlt dieser
Ungereimtheit zu einer förmlichen Gotteslästerung? Die bessern
Griechen lassen durchgängig den Jupiter hier aus dem Spiele; sie sagen
schlechtweg: AnJrwpoV duo phraV ekastoV jerei; oder: duo phraV
exhmmeJa tou trachlou usw.
Genug für eine Probe! Ich behalte mir vor, meine Beschuldigung an
einem andern Orte umständlicher zu erweisen, und vielleicht durch eine
eigene Ausgabe des Phaedrus.


V. Von einem besondern Nutzen der Fabeln in den Schulen

Ich will hier nicht von dem moralischen Nutzen der Fabeln reden; er
gehöret in die allgemeine praktische Philosophie: und würde ich mehr
davon sagen können, als Wolf gesagt hat? Noch weniger will ich von
dem geringem Nutzen itzt sprechen, den die alten Rhetores in ihren
Vorübungen von den Fabeln zogen, indem sie ihren Schülern aufgaben,
bald eine Fabel durch alle casus obliquos zu verändern, bald sie zu
erweitern, bald sie kürzer zusammenzuziehen etc. Diese Übung kann
nicht anders als zum Nachteil der Fabel selbst vorgenommen werden; und
da jede kleine Geschichte ebenso geschickt dazu ist, so weiß ich nicht,
warum man eben die Fabel dazu mißbrauchen muß, die sich als Fabel
ganz gewiß nur auf eine einzige Art gut erzählen läßt.
Den Nutzen, den ich itzt mehr berühren als umständlich erörtern will,
würde man den heuristischen Nutzen der Fabeln nennen können.--Warum
fehlt es in allen Wissenschaften und Künsten so sehr an Erfindern und
selbstdenkenden Köpfen? Diese Frage wird am besten durch eine andre
Frage beantwortet: Warum werden wir nicht besser erzogen? Gott gibt
uns die Seele, aber das Genie müssen wir durch die Erziehung bekommen.
Ein Knabe, dessen gesamte Seelenkräfte man, soviel als möglich,
beständig in einerlei Verhältnissen ausbildet und erweitert, den man
angewöhnet, alles, was er täglich zu seinem kleinen Wissen hinzulernt,
mit dem, was er gestern bereits wußte, in der Geschwindigkeit zu
vergleichen und achtzuhaben, ob er durch diese Vergleichung nicht von
selbst auf Dinge kömmt, die ihm noch nicht gesagt worden, den man
beständig aus einer Scienz in die andere hinübersehen läßt, den man
lehret, sich ebenso leicht von dem Besondern zu dem Allgemeinen zu
erheben, als von dem Allgemeinen zu dem Besondern sich wieder
herabzulassen: der Knabe wird ein Genie werden, oder man kann nichts
in der Welt werden.
Unter den Übungen nun, die diesem allgemeinen Plane zufolge
angestellet werden müßten, glaube ich, würde die Erfindung aesopischer
Fabeln eine von denen sein, die dem Alter eines Schülers am aller
angemessensten wären: nicht, daß ich damit suchte, alle Schüler zu
Dichtern zu machen; sondern weil es unleugbar ist, daß das Mittel,
wodurch die Fabeln erfunden worden, gleich dasjenige ist, das allen
Erfindern überhaupt das allergeläufigste sein muß. Dieses Mittel ist
das Principium der Reduktion, und es ist am besten, den Philosophen
selbst davon zu hören: Videmus adeo, quo artificio utantur fabularum
inventores, principio nimirum reductionis: quod quemadmodum ad
inveniendum in genere utilissimum, ita ad fabulas inveniendas absolute
necessarium est. Quoniam in arte inveniendi principium reductionis
amplissimum sibi locum vindicat, absque hoc principio autem nulla
effingitur fabula; nemo in dubium revocare poterit, fabularum
inventores inter inventores locum habere. Neque est quod inventores
abjecte de fabularum inventoribus sentiant: quod si enim fabula nomen
suum tueri, nec quicquam in eadem desiderari debet, haud exiguae saepe
artis est eam invenire, ita ut in aliis veritatibus inveniendis
excellentes hic vires suas deficere agnoscant, ubi in rem praesentem
veniunt. Fabulae aniles nugae sunt, quae nihil veritatis continent,
et earum autores in nugatorum non inventorum veritatis numero sunt.
Absit autem ut hisce aequipares inventores fabularum vel fabellarum,
cum quibus in praesente nobis negotium est, et quas vel inviti in
Philosophiam practicam admittere tenemur, nisi praxi officere velimus.
[1]
{Fussnote 1: Philosophiae practicae universales pars posterior § 310.}
Doch dieses Principium der Reduktion hat seine großen Schwierigkeiten.
Es erfordert eine weitläuftige Kenntnis des Besondern und aller
individuellen Dingen, auf welche die Reduktion geschehen kann. Wie
ist diese von jungen Leuten zu verlangen? Man müßte dem Rate eines
neuern Schriftstellers folgen, den ersten Anfang ihres Unterrichts mit
der Geschichte der Natur zu machen und diese in der niedrigsten Klasse
allen Vorlesungen zum Grunde zu legen[2]. Sie enthält, sagt er, den
Samen aller übrigen Wissenschaften, sogar die moralischen nicht
ausgenommen. Und es ist kein Zweifel, er wird mit diesem Samen der
Moral, den er in der Geschichte der Natur gefunden zu haben glaubet,
nicht auf die bloßen Eigenschaften der Tiere, und anderer geringern
Geschöpfe, sondern auf die aesopischen Fabeln, welche auf diese
Eigenschaften gebauet werden, gesehen haben.
{Fussnote 2: Briefe die neueste Litteratur betreffend. 1. Teil, S. 58.}
Aber auch alsdenn noch, wenn es dem Schüler an dieser weitläuftigen
Kenntnis nicht mehr fehlte, würde man ihn die Fabeln anfangs müssen
mehr finden als erfinden lassen; und die allmählichen Stufen von
diesem Finden zum Erfinden, die sind es eigentlich, was ich durch
verschiedene Versuche meines zweiten Buchs habe zeigen wollen. Ein
gewisser Kunstrichter sagt: "Man darf nur im Holz und im Feld,
insonderheit aber auf der Jagd, auf alles Betragen der zahmen und der
wilden Tiere aufmerksam sein und, sooft etwas Sonderbares und
Merkwürdiges zum Vorschein kömmt, sich selber in den Gedanken fragen,
ob es nicht eine Ähnlichkeit mit einem gewissen Charakter der
menschlichen Sitten habe und in diesem Falle in eine symbolische Fabel
ausgebildet werden könne."[3] Die Mühe, mit seinem Schüler auf die Jagd
zu gehen, kann sich der Lehrer ersparen, wenn er in die alten Fabeln
selbst eine Art von Jagd zu legen weiß, indem er die Geschichte
derselben bald eher abbricht, bald weiter fortfährt, bald diesen oder
jenen Umstand derselben so verändert, daß sich eine andere Moral darin
erkennen läßt.
{Fussnote 3: Critische Vorrede zu M. v. K. neuen Fabeln.}
Z. E. die bekannte Fabel von dem Löwen und Esel fängt sich an: Lewn
kai onoV, koinwnian Jemenoi, exhlJon epi Jhran--Hier bleibt der Lehrer
stehen. Der Esel in Gesellschaft des Löwen? Wie stolz wird der Esel
auf diese Gesellschaft gewesen sein! (Man sehe die achte Fabel meines
zweiten Buchs.) Der Löwe in Gesellschaft des Esels? Und hatte sich
denn der Löwe dieser Gesellschaft nicht zu schämen? (Man sehe die
siebente.) Und so sind zwei Fabeln entstanden, indem man mit der
Geschichte der alten Fabel einen kleinen Ausweg genommen, der auch zu
einem Ziele, aber zu einem andern Ziele führet, als Aesopus sich dabei
gesteckt hatte.
Oder man verfolgt die Geschichte einen Schritt weiter: Die Fabel von
der Krähe, die sich mit den ausgefallenen Federn andrer Vögel
geschmückt hatte, schließt sich: kai o koloioV hn palin koloioV.
Vielleicht war sie nun auch etwas Schlechters, als sie vorher gewesen
war. Vielleicht hatte man ihr auch ihre eigene glänzenden
Schwingfedern mit ausgerissen, weil man sie gleichfalls für fremde
Federn gehalten? So geht es dem Plagiarius. Man ertappt ihn hier,
man ertappt ihn da; und endlich glaubt man, daß er auch das, was
wirklich sein eigen ist, gestohlen habe. (S. die sechste Fabel meines
zweiten Buchs.)
Oder man verändert einzelne Umstände in der Fabel. Wie, wenn das
Stücke Fleisch, welches der Fuchs dem Raben aus dem Schnabel
schmeichelte, vergiftet gewesen wäre? (S. die funfzehnte) Wie, wenn
der Mann die erfrorne Schlange nicht aus Barmherzigkeit, sondern aus
Begierde, ihre schöne Haut zu haben, aufgehoben und in den Busen
gesteckt hätte? Hätte sich der Mann auch alsdenn noch über den Undank
der Schlange beklagen können? (S. die dritte Fabel.)
Oder man nimmt auch den merkwürdigsten Umstand aus der Fabel heraus
und bauet auf denselben eine ganz neue Fabel. Dem Wolfe ist ein Bein
in dem Schlunde steckengeblieben. In der kurzen Zeit, da er sich
daran würgte, hatten die Schafe also vor ihm Friede. Aber durfte sich
der Wolf die gezwungene Enthaltung als eine gute Tat anrechnen? (S.
die vierte Fabel.) Herkules wird in den Himmel aufgenommen und
unterläßt, dem Plutus seine Verehrung zu bezeigen. Sollte er sie wohl
auch seiner Todfeindin, der Juno, zu bezeigen unterlassen haben? Oder
würde es dem Herkules anständiger gewesen sein, ihr für ihre
Verfolgungen zu danken? (S. die zweite Fabel.)
Oder man sucht eine edlere Moral in die Fabel zu legen; denn es gibt
unter den griechischen Fabeln verschiedene, die eine sehr
nichtswürdige haben. Die Esel bitten den Jupiter, ihr Leben minder
elend sein zu lassen. Jupiter antwortet: tote autouV apallaghsesJai
thV kakopaJeiaV, otan ourounteV poihswsi potamon. Welch eine
unanständige Antwort für eine Gottheit! Ich schmeichle mir, daß ich
den Jupiter würdiger antworten lassen und überhaupt eine schönere
Fabel daraus gemacht habe. (S. die zehnte Fabel.)
--Ich breche ab! Denn ich kann mich unmöglich zwingen, einen
Kommentar über meine eigene Versuche zu schreiben.
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